Vorurteile über andere Menschen sind unter Kirchenmitgliedern genau so weit verbreitet, wie unter der Gesamtbevölkerung. Das ist das zentrale Ergebnis einer Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), die unter dem Titel „Zwischen Nächstenliebe und Abgrenzung“ Ende April der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. „Menschen, für die Religion zentral ist, haben weniger Vorurteile gegenüber Geflüchteten, Muslimen, Sinti und Roma, Behinderten und Obdachlosen“, sagte die wissenschaftliche Referentin des Instituts, Hilke Rebenstorf. „Aber sie haben stärkere Vorurteile gegen sexuelle Diversität.“
Dabei neigten streng gläubige Christen, die die Frage, ob auch andere Religionen Wahrheiten haben können, verneinen, meist zu mehr Vorurteilen als andere. Gerade diese Menschen machten aber einen guten Teil der in den Gemeinden aktiven Christen aus. „In einer Volkskirche muss man Raum für unterschiedliche Positionen lassen“, sagt der Vizepräsident des Kirchenamts der EKD, Horst Gorski. „Sonst kann die Kirche ein Repräsentanzproblem bekommen.“ Noch prägnanter fasste es der Kulturbeauftragte der EKD, Johann-Hinrich Clausen, zusammen: „Wir sind ein Teil der Gemeinschaft derer, die sich verständigen müssen.“
Aber wo sind die Grenzen? Angesprochen auf den Publizisten Peter Hahne, der als früheres Mitglied des Rates der EKD nun in Kreisen von Corona-Leugnern und Querdenkern auftritt, sprach Clausen von einer „Seniorenradikalisierung“. Damit müsse die Kirche umgehen. „Man sollte sich öffentlich streiten, und dem entgegenstellen“, sagte Clausen, der sich zudem gegen eine „Ausschließeritis“ wandte. „Wenn in einer Gesellschaft Spannungen und Konflikte da sind, müssen wir das offen und beherzt angehen.“
Benjamin Lassiwe