Die Christdemokratie in Europa ringt um ihr Profil. Wofür steht sie? Was ist ihr Kern und wie ist ihr Verhältnis zu nationalkonservativen Kräften? Man schwankt zwischen Abgrenzung (Deutschland) und Kooperationsbereitschaft (Österreich). Und der ungarische Premierminister Viktor Orbán versteht sich als einziger Bewahrer der Christdemokratie und handelt nach der Maxime, echte christdemokratische Politik müsse zwangsläufig illiberal sein.
In diese Debatte passt das Buch des in Wien lehrenden Politikwissenschaftlers Fabio Wolkenstein, das sich mit dem Verhältnis der christdemokratischen Parteien zur liberalen Demokratie beschäftigt. Zwar seien die Parteien mit den Jahrzehnten immer demokratischer geworden, doch ihre ursprünglich auch „dunkle Seite“ komme aktuell wieder verstärkt zum Vorschein. Das christdemokratische Politik- und Gesellschaftsverständnis müsse nicht zwangsläufig „als demokratisch und zumindest mit bestimmten liberalen Ideen kompatibel“ ausgelegt werden, so Wolkensteins These. Das verdeutlicht er in einem informativen historischen Streifzug, den er als „Geschichte einer autoritären Versuchung“ begreift. Er beginnt beim politischen Katholizismus nach der Französischen Revolution, führt über die Zeit zwischen 1900 und 1945 zur Nachkriegszeit, in der die Christdemokratie einen Siegeszug feierte, und bis hinein in die Gegenwart und die Debatten rund um einen Ausschluss der ungarischen Fidesz-Partei aus der Europäischen Volkspartei. Dabei lässt der Autor auch die katholische Soziallehre und die Rolle der päpstlichen Verlautbarungen nicht außer Acht. Zwar liegt das Hauptaugenmerk auf den historischen Entwicklungen in Deutschland, durch Beispiele aus anderen europäischen Ländern – Belgien, Italien, Spanien –, die Wolkenstein einfließen lässt, entsteht dennoch eine interessante Übersicht zur europäischen Christdemokratie.
Abschließend warnt er: Die Ursprünge der Christdemokratie seien nichts, was man unbedingt wiederbeleben sollte. Wer sich eine Renaissance der „alten, vermeintlich echten Christdemokratie und christlich-konservative Politiker herbeiwünscht (...) könnte statt eines neuen Adenauers bloß einen weiteren Orbán bekommen“. Dana Kim Hansen-Strosche