Ein Gespräch mit dem Gefängnisarzt Joe Bausch„Gegen das Gute“

Wie hoch die Ansprüche des Christentums sind, zeigt die Konfrontation mit den Erfahrungen von Joe Bausch, ehemaliger Arzt in der Justizvollzugsanstalt Werl. Ein Gespräch über Schuld und Reue, Nächsten- und Feindesliebe, Gefängnisseelsorge und die Gewissensfrage. Die Fragen stellte Hilde Naurath.

Gefängniszelle
© Pixabay

Herr Bausch, Sie haben über 30 Jahre als Gefängnisarzt gearbeitet und drei Bücher über Schwerverbrecher geschrieben, die Ihnen ihre Geschichten teils selbst erzählt haben. Ihr aktuelles Buch heißt „Maxima Culpa“. Was ist die größte Schuld?

Joe Bausch:„Maxima Culpa“ bezieht sich ganz klar auf die Verbrechen, für die ein Gericht die Höchststrafe „lebenslänglich“ verhängt: bei Morden und ähnlich schweren Straftaten, die man nicht vergeben kann – für Taten, bei denen viele fragen: Reicht das an Strafe? Dann wird häufiger mal die Todesstrafe gefordert. Die Diskussion darüber wird schnell zu einem Lackmustest für die eigenen Überzeugungen. Wenn ein Verbrecher beispielsweise sein Opfer exzessiv gequält und sich mit seiner Tat aus der menschlichen Gemeinschaft quasi verabschiedet hat, wurde ich oft gefragt: Wie hält man den Umgang mit so einem aus?

Spielen, um solche Verbrechen zu begehen, krankhafte Störungen oder der freie Wille die größere Rolle?

Bausch: Das ist eine gute Frage. Es gibt dogmatisch Denkende, die sprechen bei jedem vom freien Willen, denn auch bei einer Psychopathie wird längst nicht jeder zum Verbrecher. Aber wie kann man das unterscheiden, ob krankhaft oder freier Wille? Auch der Kontext spielt eine große Rolle: In der Ukraine müssen Menschen, sobald sie den Marschbefehl erhalten, losziehen, um zu töten. Der Krieg ist das größte Verbrechen. Im Krieg können sadistische Psychopathen ihre Neigungen ausleben und Konformisten gehen konform, indem sie töten. Im Gefängnis haben 50 Prozent der Insassen eine Persönlichkeitsstörung, die sie dorthin gebracht hat. Aber auch bei einem narzisstisch Gestörten oder Psychopathen war die Entscheidung zur Tat da. Es gibt ja auch Narzissten und Psychopathen, die sich entscheiden, Schauspieler, Präsident oder Kampfjetflieger zu werden.

Die freie Entscheidung spielt also eine große Rolle?

Bausch: Mir hat noch nie ein Insasse gegenübergesessen, der gesagt hat, er sei Verbrecher geworden, weil er eine schwierige Kindheit, ein schlechtes Elternhaus oder ein beschissenes Leben hatte. Das ist ein wichtiges Argument vor Gericht. Aber später beruft sich keiner mehr darauf, dass er als Kind geschlagen oder missbraucht wurde. Es gab immer den einen Moment, in dem er sich zu der Tat entschieden hat. Darum sage ich: Jedes Verbrechen beginnt im Kopf. Der Täter hat die Tat aufgrund einer Abwägung vollzogen. Den puren Affekttäter gibt es eigentlich nicht. Auch ein Impulstäter kennt sich selbst schließlich lange genug: Die geahndete Straftat war nicht das erste Mal, dass er die Kontrolle verloren hat. Er hat seine Frau vorher schon geschlagen. Es gibt den einen Moment, von dem er weiß: Da bin ich abgebogen; ich wusste, es eskaliert. Er hat sich in der Phantasie schon ausgemalt, wie er die Wohnung anzündet – und so getriggert. Und wenn du eine Waffe einmal in der Hand hast, weißt du: Du benutzt sie auch.

Sind Psychopathen fähig, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden?

Bausch: Bei Verbrechern gibt es jedenfalls die Entscheidung gegen das Gute. Dass einer zum Tatzeitpunkt auch die ganze Dimension des Bösen und seine Folgen vor Augen hat, bezweifle ich. Keiner denkt in diesem Moment über die Höhe der Strafe nach: ob er dafür sechs, acht Jahre oder zeitlebens ins Gefängnis muss. Aber eine Entscheidung wurde getroffen. Ein Mann hat drei Frauen ermordet, zwei davon nur, damit das eigentliche Motiv für den Mord an der dritten nicht auffällt. Er sagt den dreien noch: Es tut mir leid, ich mache das nur für Geld, ist nichts Persönliches. Er entscheidet sich für die Loyalität zum Anstifter, für das Geld – und begeht dafür drei Morde. Mir haben auch schon viele gesagt: Hey, du kennst mich, ich bin nicht rechts, nicht konservativ, nicht rachsüchtig, ich bin weltoffen und verständnisvoll, ein friedlicher Zeitgenosse; aber wenn jemand meinem Kind etwas antut, wird er das nicht überleben. Das ist eine klare Abwägung. Bei den meisten Menschen ist das so und dennoch funktioniert bei ihnen, wenn es darauf ankommt, die Bremse im Kopf. Der Mensch ist eigentlich gut, auf das Auskommen mit den anderen angelegt. Ein möglichst friedliches Miteinander ist die Blaupause. Aber es gibt auch Normvarianten oder Konstruktionsfehler. Und wenn die Hardware Fehler hat, stürzt die Software ab.

Das Christentum setzt auch auf das Gewissen und auf Reue. Haben Verbrecher ein Gewissen?

Bausch: Nein. Ein funktionierendes Gewissen ist nicht vorgesehen. Man sagt so schön: Ich habe jemanden auf dem Gewissen. Aber gerade beim Wissen um das Böse spielt das Gewissen keine Rolle. Der zärtliche Familienvater, der eine junge Frau vergewaltigt oder ein Kind umgebracht hat, funktioniert unbeeinträchtigt weiter. Ein anderes Thema ist Reue. Reue ist eine intrinsische Leistung, die von keinem Richter abverlangt werden kann. Nur ganz wenige Insassen büßen wirklich und fallen schon deshalb auf. Es gibt auch einige wenige, die über ihre Tat verrückt werden, weil sie die Bilder nicht mehr loswerden. Die werden am Jahrestag ihres Verbrechens immer schwerstdepressiv, müssen kameraüberwacht und behandelt werden. Dabei stellt sich auch die ethische Frage an den Arzt, ob seine Arbeit darin bestehen kann, jemanden weiter fit genug für die Strafe zu halten. Aber die, die nicht nur Selbstmitleid, sondern auch Mitgefühl für ihre Opfer und deren Angehörige haben, sind die Ausnahmen.

Spielt denn die Vorstellung einer Gerechtigkeit im Jenseits eine Rolle? Wie wirken die Bilder von einem strafenden oder einem gütigen Gott?

Bausch: Ein strafender Gott hilft dem Opfer. Wenn der irdische Richter es nicht besorgt, gibt es eine höhere Instanz, die bestraft – oder verzeiht. Ein verzeihender Gott beruhigt die Täter. Ich habe im Gefängnis keine Gespräche über Gott geführt, aber meine Beobachtungen sagen mir: Die wenigsten Insassen sind gottesfürchtig. Einige bezeichnen sich zwar als gläubig in dem Sinne, dass sie ihrer Vorstellung nach in der eigenen Religion strenger bestraft würden als im Gefängnis. Sie sind aber ganz froh darüber, dass ihr irdischer Richter dem nicht gefolgt ist. Gott ist eine tolle Konstruktion, um scheinbar zu milde und nachsichtige Urteile aushalten zu können, und eine Instanz, die für Gerechtigkeit sorgt und machen darf, was wir uns nicht trauen. Wer sollte auch grausamere Strafen bei uns umsetzen? Wir würden die Beamten des Justizvollzugs zu Handlangern in einem irdischen Purgatorium degradieren. Wie sollten die das aushalten?

Wird die Bibel im Gefängnis gelesen?

Bausch: Ja klar. Die wird schon angeboten, der Koran genauso. Ich habe sie auf Zellen liegen gesehen. Es wäre genug Zeit zum Lesen da. Viele haben aber keine Lust darauf und gucken weiter Fernsehen.

Bekannt ist das Buch für Sätze wie: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Wie kommt so eine Forderung im Gefängnis an?

Bausch: Das wird als Folklore gedeutet. Es gibt auch viele, die haben gar keine Selbstliebe, weil sie nicht das Gefühl haben, dass sie liebenswert sind. Und daneben finden die brutalsten Gewalttäter Menschen, die sie lieben, die aber umgekehrt von ihnen in keinster Weise respektiert werden. Das ist oft schwer auszuhalten. Was Verbrechern aber die größte Angst macht, ist, dass sich Kinder, Familie, Freunde nicht mehr melden, das Gefühl, verlassen zu sein. Das ist die Hölle: alt und krank aus dem Knast herauszukommen, die Familie und Freunde sind nicht mehr da, und dafür, neue zu gewinnen, fehlen Zeit und Kraft.

Der christliche Anspruch geht ja noch weiter: Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen.

Bausch:In erster Linie muss man Feinde unschädlich machen. Das ist auch die Überzeugung jeder staatlichen Gewalt. In erster Linie sitzen im Gefängnis Menschen, die Feinde unseres gesellschaftlichen Systems und unserer geltenden Wertvorstellungen sind.

Die Kirchen sind stolz auf ihre Gefängnisseelsorge. Ihre Erfahrungen?

Bausch: In Werl gab es keinen Mangel: Es gab vier Seelsorger für knapp 1000 Insassen, zwei katholische und zwei evangelische. Mit einem der Priester habe ich im selben Haus gewohnt. Wir haben immer gesagt: Schweigepflicht und Beichtgeheimnis wohnen übereinander; wir reden nicht, wir sitzen da und schweigen uns aus. Der Seelsorger und der Arzt sind die einzigen Berufe im Gefängnis, die von Amts wegen verschwiegen sein dürfen – oder müssen. Bei der ärztlichen Schweigepflicht gibt es immerhin Ausnahmen. Wenn mir einer sagt: Ich stech’ den bei der nächsten Gelegenheit ab, kann ich meine Schweigepflicht brechen. Wenn ich mir nach Abwägung der Rechtsgüter sicher bin, das Richtige zu tun, muss ich auch gegebenenfalls einen Prozess gegen mich riskieren. Diesen Druck muss man aushalten, genauso wie viele vertrauliche Informationen, die man bekommt. Besonders schwer wird es, wenn es dabei um Berichte von Misshandlungen und sexualisierter Gewalt im Knast geht. Dann möchte man bereitwillig alles dafür tun, den Tätern das Handwerk zu legen. Aber die meisten dieser Patienten brechen ihr Schweigen nicht, und nur die wenigsten sind bereit, mich von der Schweigepflicht zu entbinden.

Wie gut werden Gottesdienste besucht?

Bausch: Die Zeit von Büßen und Beten ist längst vorbei, aber das Angebot wird wahrgenommen; ein bisschen weniger, seit klar ist, dass es kein ungestörter Platz für Drogengeschäfte ist. Viele Gefangene brauchen den Pfarrer, zum Beispiel für die dringende Verbindung nach draußen, für die Möglichkeit, mal zusätzlich und länger mit jemandem zu telefonieren, ohne vorher Anträge zu stellen. Der Pfarrer verfügt über eine freie Leitung, Verbindungsdaten werden nicht registriert, die Gespräche von niemandem sonst mitgehört. Im Gefängnis hat nur derjenige Bedeutung, der Vorteile verschaffen kann. Religiosität ist dagegen mühevoller. Der Priester in meinem Haus kam aus Polen, für ihn war Liturgie etwas Wichtiges. Er sagte immerhin, es gebe Insassen, die innere Einkehr und Trost suchen und die auch das Ritual brauchen, das die Zeit takten hilft. Das ist gerade im Gefängnis das Tolle an der Liturgie, dass sie durch das Jahr leitet.

Im Gefängnis soll es eigene Moralvorstellungen und eine Hierarchie geben, in der oben der Bankräuber und unten der Kinderschänder steht. Woran orientiert sich das?

Bausch: Die Hierarchie unter den Gefangenen wird kaum von Moralvorstellungen geprägt. Der Kinderschänder hat deswegen nichts zu lachen, weil an ihm jeder sein Mütchen kühlen kann. An ihm kann jeder seinen Frust ablassen.

So plump?

Bausch: So plump. Kernpädophile sind im Kopf etwa 15 Jahre alt, kindlich und naiv, unsicher, auf Augenhöhe nur mit Kindern, deswegen fühlen sie sich ja zu ihnen besonders hingezogen. In einer Männergesellschaft zählen aber dicke Arme. Da glänzt der Zuhälter, der seine fortgesetzten Straftaten, wie Menschenhandel, Vergewaltigungen, Nötigung und Körperverletzung, als gefällige Dienstleistung bagatellisiert. Warum nehmen wir ihm das ab? Die Hierarchie entsteht aus Projektion – vom Verhalten der Beamten – und Persönlichkeit. Je gefährlicher und schwerer bewacht, je härter Insassen im Nehmen und Geben sind, je besser sie das System Gefängnis durchschauen und sich zu wehren wissen, desto weiter oben stehen sie. Ganz unten ist man, wenn man kindlich, dumm und schwach ist. Auch Borderliner sind verloren, für die ist das Gefängnis die Hölle.

Sind Strafe und Resozialisierung widersprüchliche Ziele, die sich gegenseitig behindern?

Bausch: Das System ist für eine Resozialisierung der eigentlichen Zielgruppe eher kontraproduktiv. Thomas Galli ist ehemaliger Gefängnisdirektor und kritisiert den Strafvollzug hart. Er hat darauf hingewiesen, dass die allermeisten wegen wiederholter kleinerer Straftaten im Gefängnis sitzen. Bei denen passt dieses System der Bestrafung nicht, im Gegenteil. Auf der anderen Seite gibt es die sieben oder acht Prozent der Insassen, die für drei Viertel der Verbrechen verantwortlich sind. Die erreichen wir mit Resozialisierungsversuchen nicht. Das sind die, die mit größerer Wahrscheinlichkeit nach kurzer Zeit in Freiheit wieder jemanden vergewaltigen oder ermorden. Auf die muss man aufpassen, damit sie nicht auf dem Nährboden Knast weiter gedeihen, so, wie Sadisten im Krieg zu nützlichen Folterern werden. Die meisten Menschen aber bräuchten eine Wertschätzung von gemeinnütziger Arbeit. Seit mehr als 30 Jahren schon wird die Diskussion über die Ersatzfreiheitsstrafe geführt. Jede Partei, jeder Justizminister verspricht, das Thema aufzugreifen. Aber mit einem gut funktionierenden Strafvollzug gewinnt man keine Wahl, während ein einziger Justizskandal die Karriere eines Politikers beenden kann. Die Frage bleibt: Wie gehen wir mit der Ersatzfreiheitsstrafe um? Wer zu oft schwarzfährt, die Geldstrafe nicht bezahlen kann und gemeinnützige Arbeit ablehnt, wird irgendwann behandelt wie jemand, der einen Diebstahl oder Raub begangen hat.

Wie groß ist da das Thema Suizid?

Bausch:Im Gefängnis ist Suizid die häufigste Todesursache, es gibt bundesweit knapp 120 Fälle im Jahr. Es wird ein wahnsinniger Aufwand betrieben, um sie zu vermeiden: Es gibt unausgesetzte Kameraüberwachungen, vielfältige Gesprächsangebote von Fachdiensten und die gemeinschaftliche Unterbringung mit einem sogenannten vertrauensvollen Gefangenen – üblicherweise ein lebensälterer Mörder. Die, die es wirklich wollen, ziehen den Suizid aber auf die ganze harte Tour durch.

Das Thema assistierter Suizid wird auch diskutiert?

Bausch: Im Augenblick gibt es nur den Fall Kurt Knickmeier, ein Dreifachmörder, der vor 36 Jahren zu einer lebenslangen Haft verurteilt wurde, und bei einer Geiselnahme 1992 im Gefängnis zwei Geiseln angezündet hat. Dafür bekam er noch einmal 15 Jahre plus die Sicherungsverwahrung. Das ist maxima culpa. Knickmeier hat mit Erfolg das Bundesverfassungsgericht angerufen. Er sagt, er will seinen Rechtsanspruch auf einen assistierten Suizid durchsetzen, wenn er keine Aussicht auf Entlassung hat. Ich denke, er klagte, um Aufmerksamkeit zu bekommen, die todbringende Pille würde er nicht wirklich nehmen. Auf der anderen Seite würde es nicht leicht sein, einen Arzt zu finden, der ihm ein entsprechendes Medikament verschreibt. Die Zahl der Anstaltsärzte würde noch dramatischer abnehmen, wenn tatsächlich viele zu lebenslangen Haftstrafen Verurteilte ihr verbrieftes Recht auf Suizid ausüben wollten.

Welche Rolle spielen weibliche Beschäftigte?

Bausch: Frauen haben das Gefängnis in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Am Anfang waren es vor allem Juristinnen. Mittlerweile gibt es im psychologischen Fachdienst meist nur noch einen einzigen Alibi-Mann. Auch in anderen Bereichen sind Männer kaum noch zu finden, obwohl es beispielsweise in der Sexualtherapie schon sinnvoll wäre. Der uniformierte Dienst bildet noch die Ausnahme, aber auch da profitieren wir von Frauen. Sie beobachten anders, nehmen die Aufgaben ernster. Und was wäre Resozialisierung, wenn nicht das Einüben von sozialem Leben unter kontrollierten Bedingungen? Ein Insasse muss sich selbst von einer Beamtin, die gerade mal durch den Spion in der Zellentür gucken kann, etwas sagen lassen können.

Der Frauenanteil bei den Gefangenen ist aber gering?

Bausch: Bei aktuell etwa 70.000 Insassen bundesweit gibt es fünf Prozent Frauen. Dieser Prozentsatz ist weltweit und über die Jahre hinweg gleich. Von mehr als 500 Sicherungsverwahrten sind nur zwei Frauen. Warum? Das ist immer noch nicht geklärt. Werden Frauen seltener überführt? Stehen sie häufiger in der zweiten Reihe? Spielt die Genetik eine Rolle? Kommen Männer mit negativen Emotionen nicht so gut klar, weil von ihnen eher Lösungen erwartet werden? In meinem letzten Buch schildere ich den Fall von fünf Frauen, die grausamste Verbrechen verüben, und von einer Frau, die im Hintergrund manipuliert. Aber das sind Einzelfälle. Ein Gewalttäter hatte elf Kinder, alle acht Jungs sind im Gefängnis gelandet, die drei Mädchen nicht. Was ist anders bei Frauen? Das würde ich gerne wissen.

Liegt es an gesellschaftlichen Rollenbildern?

Bausch: Die Gesellschaft ist durchaus mitverantwortlich; es ist nicht jeder seines Glückes Schmied. Wer früher auf einen Hilflosen eintrat, bekam keine Freundin. Heute ist das anders; es wird noch auf den Kopf von einem getreten, der am Boden liegt. Aber neunzig Prozent der Menschen trauen sich auch einen Mord zu. Wenn man dagegen fragt, ob auch das Potenzial für Mutter Teresa oder Gandhi in jedem von uns steckt, dann ist die Zurückhaltung enorm. Da steht ja auch eine lange Zeit dahinter – bei Mutter Teresa fünfzig Jahre! Gutsein ist anstrengend. Ein Mord dagegen geht schnell. Wir müssen alles dafür tun, dass Gewalt nicht attraktiv erscheint.

Wenn man Ihre Geschichten hört, kann man den Glauben an das Gute im Menschen verlieren. Hätten Sie nicht noch ein Happy End?

Bausch: Egal, wie tief ich in das Geschehen eingetaucht bin: Ich bin jemand, der ein positives Menschenbild behalten hat. Das können nicht viele von sich sagen.

Echt? Sie glauben noch an das Gute im Menschen?

Bausch: Ja.

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