Der Sammelband enthält nicht nur einen eigenen Block von Beiträgen zum Thema „Sexueller Missbrauch in den Kirchen und die Rolle des Staates“. Auch darüber hinaus nehmen die Autorinnen und Autoren häufig Bezug auf dieses Problemfeld, das derzeit bei der Frage nach dem Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften in Deutschland vor allem im Blick ist. Kann oder muss der Staat angesichts der eher schleppenden Aufarbeitung seine Beziehungen zu den Kirchen verändern?
Die von Mitherausgeberin Isabelle Ley formulierte Grundthese, demokratische Politik sei mehr denn je gefordert, „die Orte des Religiosen und die Formen des Zusammenlebens auf gleichheitsgemäße und sensible Art neu zu bestimmen“, ist da für den Band weitgehend Sententia communis: Es werden in der Regel differenzierte Positionen vertreten, die keinem radikalen Bruch mit dem bewährten deutschen staatskirchenrechtlichen System das Wort reden, wohl aber für behutsame Änderungen plädieren. Thomas Schüller bringt die Abwägung ins Gespräch, ob man den Körperschaftsstatus für Religionsgemeinschaften erhalten oder beantragen solle, um tatsächlich gesicherter in Gesellschaft und Politik interagieren zu können. Tine Stein sagt, die derzeitige Ampelkoalition solle das Religionsverfassungsrecht modernisieren und neue Kriterien für die „Bedingungen der Verleihung und Aufrechterhaltung des Körperschaftsstatus nach dem Maßstab der Menschenrechte“ erarbeiten.
Für interessante Farbtupfer sorgen Beiträge im abschließenden Teil des Sammelbands, nicht zuletzt die pointierten Überlegungen von Hermann-Josef Große Kracht zur Zukunft des deutschen Katholizismus. Seine auch im Blick auf die Exponenten des „Synodalen Wegs“ vorgetragene These: Der deutsche Mehrheitskatholizismus bemühe sich nicht sonderlich darum, die semantischen Hoffnungs- und Widerstandspotenziale der eschatologischen Glaubenstradition des Jesus von Nazareth zu hegen und zu pflegen. Bemerkenswert ist auch der Beitrag von Michael Seewald. Er stellt mit aller wünschenswerten Klarheit heraus: „Die Vorstellung, dass eine stärkere Berücksichtigung demokratischer Prinzipien die Kirche verfassungsmäßig auf den Kopf stellen und ihren Glauben deformieren würde, ist nichts anderes als ein argumentum ad absurdum.“ Gut so! Ulrich Ruh