Im Tierreich ist das Häuten ein weitverbreiteter, hormonell gesteuerter Vorgang. Die alte und zu eng gewordene Hülle wird abgelegt, um Platz für etwas Neues zu schaffen. Diesen biologischen Vorgang nimmt der Theologe und Soziologe Karl Gabriel für seine Analyse zur Soziologie der katholischen Kirche auf. Seine These: Wesentlich für die Sozialgestalt der Kirche sind seit den Ursprüngen der Moderne Häutungen. Doch die letzte „durch das Zweite Vatikanum angestoßene Transformation wartet auf ihre Vollendung auch in den kirchlichen Innenverhältnissen“. Diese „spannungsreiche Polarität zwischen Außen und Innen“ liefere den „Treibstoff“ für die aktuellen Reformbestrebungen und mache die gegenwärtige Krise aus.
In seinem Buch „Häutung einer umstrittenen Institution. Zur Soziologie der katholischen Kirche“ fächert Gabriel diese These auf, indem er die Wechselwirkungen von moderner Gesellschaft und katholischer Kirche in vier Epochen nachzeichnet – ausgehend vom 11. bis 13. Jahrhundert über Konfessionalisierung und nachrevolutionärem 19. Jahrhundert bis zur mit den Sechzigerjahren beginnenden letzten Epoche. Dabei geht er nicht historisch und systematisch vor, sondern umkreist seine These von verschiedenen Seiten. In den letzten beiden Kapiteln unternimmt er das „methodische Wagnis“, autobiografische Erlebnisse mit wissenschaftlicher Analyse zu verbinden. Ob dieses Experiment geglückt sei, solle jeder Leser selbst beantworten, so Gabriel.
Für das Buch hat der Autor größtenteils frühere Vor- und Beiträge zusammengestellt und entsprechend überarbeitet. Das hat zur Folge, dass sich Aussagen, Formulierungen und Gedankengänge im Verlauf des Buches wiederholen. Wer darüber hinwegsehen kann, dem bietet sich eine informative Zustandsanalyse der katholischen Kirche. Gabriel sieht die Kirche am Scheideweg: Entweder hält sie am Modell „sakralisierter, monokratischer-hierarchischer Bürokratie“ fest, oder sie schafft den Durchbruch zur „Intermediarität einer entsakralisierten Sozialgestalt“. Davon hänge nicht weniger als ihre Glaubwürdigkeit als zivilgesellschaftliche Akteurin ab.
Dana Kim Hansen-Strosche