Politische Theologie des JudentumsUm des Rechts willen

„Anders als viele meinen, ist es für die jüdische Tradition durchaus fraglich, sich Gott zu unterwerfen, beziehungsweise Gottes Willen auszuführen und archaische gesellschaftliche Vorstellungen durchzusetzen“, betont die liberale Rabbinerin Elisa Klapheck: In sieben Aufsätzen stellt sie nur scheinbar selbstverständliche, implizit auch christliche Gottesvorstellungen auf den Prüfstand. Demnach ist die Hebräische Bibel eben keine Schrift, „die vom Menschen bedingungslosen Gehorsam gegenüber dem Willen Gottes verlangt“. Stattdessen müssten „die Menschen mit Gott ringen“ wie Kain, den Klapheck rehabilitiert, auch wie Abraham, der zunächst so erfolgreich mit Gott die Rettung Sodoms aushandelt. Angesichts der anschließend doch von Gott zerstörten Stadt klagt die Verzweiflung Abrahams diesen Despoten an – und Abraham schließt einen Bund mit Abimelech. Um sich wieder Geltung zu verschaffen, muss nun Gott seine Willkür aufgeben und sich zurechtfinden in den „vom Menschen geschaffenen neuen Welten“.

An diesem und weiteren Beispielen zeigt Klapheck: Ein „Aushandlungsprozess“ zwischen Gott und Mensch konstituiert erst ihre Relevanz füreinander; das stets neu verhandelte Recht steht über dem Menschen und über Gott. Daraus folgt, dass auch „die Gesetze Gottes nur zu wahren sind, indem sie auch gebrochen werden können“; die „kritische Spannung“ spiegelt die „Gottesebenbildlichkeit des Menschen“. Aufschlussreich sind zudem Klaphecks Forschungen zur Heiligung Gottes, zur Diaspora als Chance, zu einem gottgewollten religiösen Pluralismus und zur Gleichberechtigung der Geschlechter und Völker.

Die Professorin für Jüdische Studien in Paderborn arbeitet in einer detaillierten Textanalyse Anknüpfungspunkte von säkular-religiösen Prinzipien des Judentums zu einem egalitären Rechtsstaat aus. Gerade auch für christliche Leser ist ihre kenntnisreiche Deutung ein Augenöffner, bringt er doch geläufige Gottesbilder ins Wanken. Weder „allmächtig“ noch „vollkommen“ verbanden antike – und damit auch neutestamentliche – Menschen mit Gott. Ein Buch, das nicht nur im Judentum einige scheinbare Gewissheiten hinterfragen lässt.

Hilde Naurath

Anzeige: Ich bin, wie Gott mich schuf von Sabine Estner und Claudia Heuermann

Die Herder Korrespondenz im Abo

Die Herder Korrespondenz berichtet über aktuelle Themen aus Kirche, Theologie und Religion sowie ihrem jeweiligen gesellschaftlichen und kulturellen Umfeld. 

Zum Kennenlernen: 2 Ausgaben gratis

Jetzt testen
Elisa Klapheck

Zur politischen Theologie des Judentums

Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 2022. 242 S. 24,00 € (D)