Autobiographien von Theologen können sich dadurch auszeichnen, dass sie theologische Ansätze und Denkgebäude in die Zeit ihrer Entstehung einbetten und den kirchlichen und gesellschaftlichen Kontext vergangener Jahrzehnte in individueller Brechung lebendig werden lassen. Dieses Verdienst kommt den Erinnerungen des gebürtigen Breslauers, in Schlesien in NS- und Kriegszeiten aufgewachsenen Wolfgang Beinert in hohem Maß zu, den sein theologischer Weg nach Bamberger Anfängen über die Ausbildung am römischen Germanicum auf Dogmatiklehrstühle in Bochum und Regensburg führte und der am 4. März 2023 seinen neunzigsten Geburtstag feiern konnte.
Beinert zeichnet sein Leben anschaulich nach, ohne verklärenden Gestus, mit erfrischender Ehrlichkeit und nicht zuletzt einer gehörigen Portion Humor: der schlesische Katholizismus seiner Kindheit, die Gymnasialzeit in Franken, die Jahre als Germaniker in Rom, in die Ankündigung und Beginn des Zweiten Vatikanischen Konzils fielen, die Kaplanszeit im Erzbistum Bamberg und dann das Wirken als Professor an den neuen katholisch-theologischen Fakultäten von Bochum und Regensburg, dem ein aktiver Ruhestand folgte. Für Nachgeborene klingt vieles von dem, was er aus seinen Studien- und Kaplansjahren berichtet, wie Erzählungen aus einer anderen, merkwürdigen Zeit; er geht dankenswerterweise mit den Schattenseiten des „reichen katholischen Lebens“ der Fünfziger- und Sechzigerjahre in Rom wie in Deutschland unmissverständlich zu Gericht, ohne in Schwarz-Weiß-Malerei zu verfallen und die grundlegende Loyalität zur Kirche aufzukündigen.
In dem Erinnerungsbuch findet neben der wissenschaftlichen Theologie und ihrem direktem kirchlichen Umfeld das private Leben Platz, seien es menschliche Begegnungen, Reiseeindrücke oder der familiäre Kontext. Beinert liefert einige aufschlussreiche Kurzporträts zu Personen, die seinen Weg kreuzten, bis hin zu Joseph Ratzinger als Regensburger Professor und als Papst. Nicht zuletzt die Empfehlungen gegen „toxische Erscheinungen, die das kirchliche Leben tödlich bedrohen“, lohnen die Lektüre: „Wahrhaftigkeit als Mittel zur Wirklichkeitserkenntnis, Katholizität als Weg zur Wirklichkeit, empathische Liebe als Vollzug der Gotteswirklichkeit“.