EthikPflichten und Tugenden beim Spielen

Ist es moralisch erlaubt, aus Spaß Fußgänger mit einem gestohlenen Auto zu überfahren? Natürlich nicht. Ist es aber moralisch erlaubt, aus Spaß virtuelle Fußgänger mit einem virtuellen gestohlenen Auto zu überfahren? Immerhin ist dies der hauptsächliche Inhalt einer beliebten Computerspielreihe: „Grand Theft Auto“. Die unter Computerspielfreunden beliebte Antwort, da es sich nur um ein Spiel handle, würden sich diesbezüglich moralische Fragen überhaupt nicht stellen, weist der Philosoph Sebastian Ostritsch in seiner „Ethik des Computerspiels“ zurück. Er redet aber keiner Verbotsethik das Wort, die ausschließlich das Spielen niveauvoller und moralisch einwandfreier Spiele gestatten will. Wer nach einem Verhaltenskodex für Spieler oder einem Kriterienkatalog für die Bewertung von Spielen sucht – etwa nach dem Prinzip katholischer Filmkommissionen, die in der Nachkriegszeit auf der Grundlage der Enzyklika „Vigilanti Cura“ von Pius XI. (1936) dafür sorgen sollten, dass das katholische Publikum möglichst nur Filme zu Gesicht bekam, die „Wahrheit und Tugend in anziehender Form darstellen“ und keine „Verherrlichung böser Leidenschaften“ beinhalten – wird bei Ostritsch nicht fündig. Auch wenn der Autor kein Anhänger des Utilitarismus ist, verweist er auf wissenschaftliche Untersuchungen, die weit verbreitete Annahmen über gewisse schädliche Auswirkungen des Spielens widerlegen. Das heißt für Ostritsch aber nicht, dass die Spieler keine Verantwortung trügen und dass Spiele keine moralischen Qualitäten hätten: „Ein moralisch integrer Spieler wird mit Widerwillen auf ein Game reagieren, dass ihm Haltungen aufdrängt, die er als zutiefst unmoralisch empfindet.“ Indes könnten Spiele auch nützliche Einblicke in die „Mechanismen von Verführung, Bosheit und Schuld“ verschaffen. Der Autor sieht die sozialen und kulturellen („metapolitischen“) Auswirkungen von Spielinhalten, ruft aber nicht nach Verboten und Ächtungen, sondern zeigt auf, wie man als Computerspieler auf der Grundlage der Pflichtethik Kants und der Tugendethik des Aristoteles zu eigenen Entscheidungen gelangt. Der solchermaßen aufgeklärte Leser weiß dann, wie er eine Abhängigkeit vermeidet, die seiner Würde widerspricht, und wie Spiele für ihn zu einem Beitrag zum „guten Leben“ werden können. Benjamin Leven

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Sebastian Ostritsch

Let's Play oder Game Over?Eine Ethik des Computerspiels

dtv, München 2023. 255 S. 18,00 € (D)