Notwendige ErinnerungStimme der Versöhnung

Indem Jürgen Israel die Lebensgeschichte von Albrecht Goes erzählt, glückt ihm eine Rettungstat. Mit seiner biografischen „Annäherung“ erinnert er an einen einst berühmten, heute aber fast vergessenen Theologen und Schriftsteller, der zum Wegbereiter deutsch-jüdischer Versöhnung wurde.

Bereits früh stellte der in der Nähe von Stuttgart geborene Goes seine Sensibilität für die Zeichen der Zeit unter Beweis: Der Vierzehnjährige reiste Anfang der Zwanzigerjahre in die Hauptstadt. Fünf Wochen nach der Ermordung von Außenminister Walther Rathenau, so der Schriftsteller und Germanist Jürgen Israel, habe sich der Pfarrerssohn auf den Weg zu dessen Grabstätte gemacht. „Er sei in Berlin ausgestiegen (…) und hätte, noch bevor er ‚Grüß Gott‘ oder ‚Guten Tag‘ (…) sagte, gefragt, ‚Wo ist Rathenaus Grab?‘“ Israel zitiert Goes: „Als 1922 Rathenau ermordet worden war, sah ich mich auf eine Fährte gesetzt, der ich nachgehen musste. Ein Ton kam zum Klingen, der nicht mehr verstummte: Was geschieht, geht dich an.“

Wie der Biograf schildert, fand in der Reichshauptstadt im Wintersemester 1928/29 eine für Goes’ Entwicklung bedeutsame Begegnung statt. Er wurde Hörer von Romano Guardini. Vor allem dessen Auslegung von Blaise Pascals Kardinalssatz „Gott Abrahams, Gott Isaaks und Gott Jakobs“ machte den christlich-jüdischen Dialog für ihn zum Lebensthema. Neben „dem Israel-Bezug, den Goes in Guardinis Theologie wahrnahm“, war es besonders dessen Wahrnehmungslehre, die ihn dazu veranlasste, sich 1934, schon als evangelischer Pfarrer, brieflich an Martin Buber zu wenden. Der jüdische Religionsphilosoph prägte sein Denken fortan maßgeblich. Goes traute Buber „ein feineres Gespür für die Gefahr zu“.

Selbst mit dem Krieg als Funker und Militärseelsorger konfrontiert, setzte der Heimkehrer nach 1945 alles daran, die deutsche Schuld an der millionenfachen Vernichtung der Juden literarisch aufzuarbeiten; wegweisend für das Gespräch zwischen Christen und Juden in „Unruhige Nacht“ (1949) und „Das Brandopfer“ (1954), für das er 1978 mit der Buber-Rosenzweig-Medaille geehrt wurde. Goes’ Urteil – dies zeigt Israel in seiner ausgezeichneten „Annäherung“ – ist hochaktuell: „Antisemitismus ist keine Meinung, noch weniger eine Haltung, sondern die Pest.“

Anzeige: Ich bin, wie Gott mich schuf von Sabine Estner und Claudia Heuermann

Die Herder Korrespondenz im Abo

Die Herder Korrespondenz berichtet über aktuelle Themen aus Kirche, Theologie und Religion sowie ihrem jeweiligen gesellschaftlichen und kulturellen Umfeld. 

Zum Kennenlernen: 2 Ausgaben gratis

Jetzt testen
Jürgen Israel

Was geschieht, geht Dich an!Eine Annäherung an Albrecht Goes (1908–2000)

Aphorisma Verlag, Berlin 2023, 180 S. 20,00 € (D)