Als „der bekannteste Unbekannte“ war Jesus für den Berner evangelisch-reformierten Pfarrer und Schriftsteller Kurt Marti (1921–2017) eine bleibende Herausforderung: In dem als Christus verstandenen „Juden, der aus der alttestamentlichen Tradition überraschende und universal gültige Schlüsse zog“, sah er einen „Hinführer, sogar Verführer zum Leben, deswegen hingerichtet, deswegen auferstanden“. Die posthum von den Herausgebern Bigna Hauser und Andreas Mauz zusammengestellte Auswahl von Jesus-Texten des Schweizer Pfarrdichters, der älteste von 1958, die jüngsten von 2005, deckt mit christopoetischen Gedichten und Geschichten, Miniaturen, Essays und Predigten alle literarischen Genres seiner Jesus-Reflexion ab. Das Titelzitat betont, dass man Gott nicht jedem und jeder glauben kann oder soll.
Das Nachwort profiliert fünf Akzente heraus, die Marti starkmacht: Als Repräsentant eines Gottes im Diesseits, nicht eines „metaphysischen Gottesgötzen“, ist Jesus ein Gleichnis der Welt- und Lebensleidenschaft Gottes. „Kein Leben ohne Leiben“: als vere homo ist Jesus, nicht der Teufel, „der Leibhaftige“. Statt Kreuz und Passion zu übersteigern, sollten wir mehr von der Leidenschaft Jesu Christi sprechen; Sinnlichkeit und Spiritualität stellen für Marti keinen Widerspruch dar, die Erzählung „Bruder der Nacht“ entwickelt im Gespräch einer moribunden Frau mit dem Mann am Kreuz erotische Züge.
Dreh- und Angelpunkt ist der Auferstandene: Ostern steht dafür, dass Gott für seinen Repräsentanten und gegen die todbringenden Mächte der Welt aufsteht, zugleich sind im Gekreuzigten von damals die „Gekreuzigten“ von heute zu erkennen. Der bleibend Andere ist Jesus insbesondere in Beziehung zum Christentum, den christlichen Kirchen. Vorbildlich ist Martis Interesse am Jesus der Anderen, an Interpretationen aus nichtchristlichen, nichttheologischen und nichtwestlichen Kontexten „querweltein“. So belegt das Lesebuch Martis „pointensichere Vergegenwärtigung christlicher Überlieferungen, bei der theologische Provokation und sensible Poesie eine glückliche Verbindung eingehen“ (Eberhard Jüngel).