Die Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs ist die neue Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Synode und Kirchenkonferenz der EKD wählten die 63 Jahre alte Theologin Anfang November mit 97 Stimmen bei 19 Enthaltungen und 14 Gegenstimmen in das wichtigste Amt des deutschen Protestantismus. Fehrs hatte das Amt seit dem Rücktritt der westfälischen Präses Annette Kurschus im Dezember bereits kommissarisch inne (vgl. HK, Januar 2024, 36). Der sächsische Landesbischof Tobias Bilz wurde mit 110 von 125 abgegebenen Stimmen zu ihrem Stellvertreter gewählt. Neu in den Rat gewählt wurden der Berliner Bischof Christian Stäblein, die reformierte Kirchenpräsidentin Susanne Bei der Wieden und die evangelische Ordensschwester Nicole Grochowina. Sie ersetzen neben Kurschus den aus Altersgründen ausgeschiedenen Frankfurter Kirchenpräsidenten Volker Jung und den im Frühjahr zurückgetretenen Arbeitsrechtler Jacob Joussen.
Das mäßige Wahlergebnis von Fehrs hängt auch mit der größten Herausforderung zusammen, vor der die evangelische Kirche derzeit steht: die Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs. Ein Hamburger Psychologe wirft der Theologin seit mehreren Jahren öffentlich vor, in einem konkreten Fall die Aufarbeitung verzögert zu haben. Für den Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland erklärte dessen Mitglied Andreas Barner jedoch, dass man „keinerlei Anhaltspunkte“ für ein Fehlverhalten der Bischöfin sehe. Fehrs selbst bezeichnete die Vorwürfe als „gegenstandslos“. Sie sei „gewillt, rechtlich dagegen vorzugehen“.
In Würzburg beschloss die Synode dessen ungeachtet neue Regeln zu Entschädigungszahlungen an Missbrauchsbetroffene: Künftig soll es eine Kombination aus einem individuellen und einem pauschalen Betrag geben. Die Höhe des individuellen Betrags ist vom jeweiligen Fall abhängig und nach oben offen. Dazu soll es für alle Betroffenen, sofern es sich um strafrechtlich relevante Fälle handelte, eine Pauschale von 15.000 Euro geben. Dies muss in den kommenden Monaten noch von den Landeskirchen bestätigt werden. Zudem beschloss die Synode einen Maßnahmenplan, der Konsequenzen aus der im Januar veröffentlichten Forum-Studie zum Missbrauch in der evangelischen Kirche ziehen soll (vgl. HK, März 2024, 11–12; 24–26). Darin wird etwa die Schaffung einer zentralen Ombudsstelle für Betroffene, eine systematische Personalaktenanalyse und eine einheitliche Aktenführung in den Landeskirchen gefordert.
Die Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs der Bundesregierung, Kerstin Claus, bezeichnete die Neuregelung bei den Anerkennungsleistungen gegenüber der „Herder Korrespondenz“ als „befremdlich“. „Die Forum-Studie hat dokumentiert, dass eine Vielzahl von Fällen im Kontext der Jugendarbeit angebahnt wurden und dies als spezifischen evangelischen Risikofaktor benannt“, sagte Claus. Die dokumentierten Fälle zeigten lebenslange Folgen für Betroffene. „Dennoch würde hier wie in vielen anderen Tatkonstellationen seitens der Kirche kein Pauschalbetrag an die Betroffenen gezahlt, weil sie nicht vom Strafrecht umfasst sind.“
Schwerpunktthema der diesjährigen Synodaltagung war indes das Thema Flucht und Migration. So forderte die Synode eine Rückkehr zu der seit 2015 geltenden Praxis des Kirchenasyls (vgl. HK, März 2024, 20–23; April 2022, 40–42). „Ich erwarte, ich erhoffe und ich fordere, dass wir zu der 2015 begonnenen Kooperation mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zurückkommen“, sagte der Flüchtlingsbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland, Christian Stäblein. Synodenpräses Anna-Nicole Heinrich warnte davor, dass der Bundestagswahlkampf die Migrationsdebatte weiter anheizen werde. Man könne es nicht zulassen, dass notleidende Menschen aus dem Blick gerieten. „Wenn wir Kirche sein wollen, können wir gar nicht anders, als Menschenrechte und Menschenwürde zu verteidigen.“ Benjamin Lassiwe