Mit Schwarzer-Peter-Spielen kommen wir nicht weiter. Manche Politiker inszenieren das Ringen um das geplante Lieferkettengesetz der Europäischen Union (EU) als Kampf zwischen Gut und Böse: Auf der einen Seite die global agierenden Unternehmen, denen die Rendite angeblich über alles geht. Auf der anderen Seite die Nichtregierungsorganisationen, die sich für humane Bedingungen in den Entwicklungs- und Schwellenländern einsetzen. Dies hat mit der Realität nichts zu tun. Wir erleben vielmehr eine EU-Gesetzgebungsmaschinerie, die nach dem Grundsatz verfährt: Der Wahrnehmung von Verantwortung des Einzelnen – in diesem Fall der Unternehmerin oder des Unternehmers – ist zu misstrauen und durch ein Maximum an Bürokratie und Kontrolle zu ersetzen. Am Ende wundern wir uns, wenn der Vorschriftendschungel wuchert und Wirtschaften unnötig erschwert, zum Teil sogar unmöglich macht. Was sagt dies über das Unternehmerbild des Gesetzgebers aus, wenn er die wirtschaftlich Handelnden inflationsartig mit Rechenschafts- und Berichtspflichten überzieht?
Ich erlebe in Aufsichts- und Beiräten namhafter Familienunternehmen aus nächster Nähe, wie gerade Familienunternehmen viel Kraft und Ressourcen in gute Beziehungen zu ihren Lieferanten investieren. Gerade weil Familienunternehmen langfristig denken und sich nachhaltig ausrichten, pflegen sie in der Regel seit Langem gute Beziehungen zu ihren Lieferanten. Es kommt ihnen auf Fairness und Beständigkeit an. Deshalb wäre niemandem gedient, wenn eine EU-Regelung in Kraft tritt, die noch weit höhere Hürden errichtet als das geltende deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Überbürokratisierung schadet allen: den Verbrauchern und Unternehmen in Europa, aber auch den Entwicklungs- und Schwellenländern. Wenn wir immer neue Handelshürden errichten, wird es für ärmere Staaten schwer, auf unseren Märkten Fuß zu fassen.
Die Unternehmen in Deutschland sammeln bereits Erfahrungen mit dem deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, das seit 2023 gilt. Der Praxistest zeigt: Aufwand und Rechtsunsicherheit sind gestiegen. Das Versprechen der Politik, die Sorgfaltspflichten gälten nur für größere Unternehmen, erweist sich als Mär. Selbst die kleine Metzgerei, die Kantinen eines größeren Unternehmens beliefert, sieht sich plötzlich mit Fragebögen und Formularen des Großkunden konfrontiert. Wohlgemerkt: Das gilt bereits für die deutsche Metzgerei, die Kantinen eines größeren Unternehmens am selben Ort beliefert. Dieser Kontrollwahn lähmt kleine und große Unternehmen gleichermaßen. Europa ist der Kontinent mit der dichtesten Regulierung. Warum können Unternehmen dann nicht einmal auf die Überprüfung von Lieferanten aus der EU verzichten? Die Überkomplexität ist einer der Gründe, warum wirtschaftsnahe Organisationen und Politiker vor neuer Bürokratie so eindringlich warnen. Unser Appell an die EU: Die geplante EU-Lieferkettenrichtlinie darf so nicht kommen. Hier geht es nicht um typische Lobbyreflexe, sondern darum, die EU davor zu bewahren, sich hoffnungslos in planwirtschaftlicher Feinsteuerung zu verlieren. Was dies für Unternehmen bedeutet, zeigen die Erfahrungen mit dem deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Große Familienunternehmen haben nicht selten 20.000 Lieferanten weltweit. Allein die Einführung des deutschen Lieferkettengesetzes kostet ein international tätiges Familienunternehmen mit dieser Lieferantenzahl rund zwei Millionen Euro. Für ein einziges Gesetz. Geld, das nicht für produktive Tätigkeiten oder Investitionen zur Verfügung steht.
Diese Argumente lassen die Befürworter immer neuer Vorschriften nicht gelten. Sie sagen, Umwelt- und Arbeitsstandards müssten wir uns etwas kosten lassen. Wenn der eingeschlagene Weg erfolgreich wäre, ließe sich darüber reden. Doch die Reports und die Kontrollen führen zu nichts. Unternehmen berichten davon, dass sie nach dem deutschen Lieferkettengesetz bereits Zehntausende von Lieferanten prüften. Dabei ist nicht eine einzige Beanstandung herausgekommen. Aus nachvollziehbaren Gründen: Die weit überwiegende Mehrheit auch der Familienunternehmen hat sich zur Einhaltung der UN-Menschenrechtsstandards längst verpflichtet. Die Unternehmen achten bereits darauf, dass Menschenrechte in ihrer Lieferkette gewahrt, Kinderarbeit geächtet und Lieferanten auf Umweltstandards verpflichtet werden. Aus eigener Überzeugung.
Falls die EU-Richtlinie so käme, würde sie zum Rückzug vieler europäischer Unternehmen aus armen Ländern führen – einfach, weil das Controlling ausufert und Rechtsrisiken unkalkulierbar würden. Während Europa immer mehr Hürden errichtet, gehen Drittstaaten diesen Weg nicht mit. Wir benötigen praktikable Gesetze, die bei der Eigeninitiative der Unternehmen ansetzen. Ein Mittel dazu sind Zertifizierungen. Viele Unternehmen haben sich bereits freiwilligen Bündnissen für fairen Handel angeschlossen. Dies sollte im Gesetz stärker Niederschlag finden. Es wäre weit wirkungsvoller als neue Papiertiger.