„Während die gesellschaftliche Bedeutung des Gottesdienstes in den letzten Jahrzehnten abnahm, vollzog sich in Teilen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur ein Phänomen, das als ‚Liturgical Turn‘ bezeichnet werden kann.“ Mit dieser These fasst der Autor Gegenstand und Intention seiner Veröffentlichung zusammen.
Andreas Bieringer untersucht an ausgewählten Beispielen Rolle und Deutung der Liturgie im Werk von Literaten der Gegenwart, um daraus Einsichten für eine erneuerte liturgische Praxis zu gewinnen.
Gerade wegen des gut ausgewählten literarischen Materials und seiner kompetenten Verarbeitung lohnt die Lektüre: Dargestellt werden in dieser Salzburger liturgiewissenschaftlichen Habilitationsschrift Werke und Gedanken von Peter Handke, Hanns-Josef Ortheil, Christoph Ransmayr, Arnold Stadler, Petra Morsbach und Christian Lehnert, also vier Vertreter der sogenannten „Ministrantenfraktion“ in der neueren deutschsprachigen Literatur, ergänzt durch eine von der Herkunft her protestantischen Autorin und einen aus der ehemaligen DDR stammenden evangelischen Pfarrer und Theologen. Bieringer arbeitet das literarische und „liturgische“ Profil der jeweiligen Schriftsteller genau und sensibel auf dem Hintergrund und im Kontext ihres Gesamtwerks heraus und macht ihr spezifisches Verständnis gottesdienstlicher Vollzüge sichtbar.
Gegenüber den gelungenen Werkporträts fällt der Schlussteil zur Vermittlung zwischen Literatur und Liturgie und zu „Wandlung und Polarität als Grundprinzipien von Liturgie, Leben und Literatur“ unverkennbar ab. Häufig wird es bei nicht sehr präzisen Andeutungen belassen, etwa: „Als literarisch inspirierter Stil könnte der literarische Zugriff im Sinne eines ‚doppelten Zugriffs‘ dennoch auf die liturgische Praxis zurückwirken, weil es ihm gelingt, sowohl das Klassische zu würdigen als auch den Ritus zu humanisieren.“ Der unbestreitbaren Krise der Liturgie, die sich sowohl quantitativ als auch in Problemen ihrer Gestaltung äußert, ist durch den Blick auf die Literatur sicher nicht beizukommen. Dennoch lohnt es sich, bei einschlägigen literarischen Texten und auch bei den Biografien ihrer Autoren in die Lehre zu gehen.