Wer sind die jungen Priester von heute? Wer ist der Nachwuchs, der die katholische Kirche in Deutschland in den nächsten Jahrzehnten leiten soll und wird? Was prägt junge Männer und motiviert sie, Priester zu werden? Mit diesen Fragen beschäftigte sich die Studie „Wer wird Priester? Soziodemografie und Motivation der Priesterkandidaten in Deutschland“, mit der 2022 die Kommission VI der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) das zap (Zentrum für angewandte Pastoralforschung) der Ruhr-Universität Bochum beauftragte. An der Vollerhebung zu den insgesamt 847 neu geweihten Priestern der letzten elf Jahrgänge nahmen 153 von ihnen teil, deren Angaben repräsentativ für die Gesamtheit dieser Weihejahrgänge sind. Erhoben wurden in den über 180 Fragen Angaben zur sozialen und religiösen Herkunft, zur Berufung selbst, zum Erleben des Priesterseminars und des Priesterberufs, zum eigenen Glauben und zur religiösen Praxis sowie zu Weltanschauungsfragen. Die Daten bieten einen tiefen Einblick in die junge Generation der Priester (vgl. auch: Wer wird Priester?, Hg.; Matthias Sellmann und Nikita Katsuba).
Allgemein lässt sich über die zuletzt geweihten Priester sagen, dass sie mehrheitlich keinen Migrationshintergrund (93 Prozent) angeben, weit überdurchschnittlich häufig aus kinderreichen (51 Prozent), katholischen (97 Prozent) Familien stammen und zu 58 Prozent, weit häufiger als der Schnitt der Gesamtbevölkerung, CDU wählen. Sie sind zudem überdurchschnittlich häufig den eher konservativen Mittelschichtmilieus zuzuordnen.
Religiöse Prägung in Familie und Gemeinde
Die neu geweihten Priester, die zum Erhebungszeitpunkt durchschnittlich 38 Jahre alt waren, gehören also zumeist nicht den generationstypischen jungen, aufstrebenden, experimentier- und innovationsfreudigen Milieus an. Genauso wenig sehen sie sich als Teil einer Bildungselite, wie dies noch vor ein paar Jahrzehnten der Fall war. In Bezug auf ihre soziale Herkunft sind angehende Priester demnach keine typischen Repräsentanten ihrer Generation, sondern repräsentieren vielmehr einen traditionelleren Teil des sozialen Spektrums. Sie können als ein Zeichen und Ergebnis der allgemeinen Milieuverengung in der katholischen Kirche angesehen werden.
Ihre religiöse Prägung erlebten die Neupriester in der Ursprungsfamilie und Kirchengemeinde. Die meisten wuchsen in Familien auf, in denen Religion und Kirche eine übergeordnete Bedeutung hatten. Innerhalb dieser Prägung besuchten 87 Prozent der Befragten als Jugendliche mindestens einmal im Monat den Gottesdienst, 76 Prozent waren als Messdiener aktiv, 74 Prozent übten Ehrenämter in der Kirchengemeinde aus und 70 Prozent pflegten einen direkten Kontakt zu einem Seelsorger. Folgerichtig erfuhren viele ihre Berufung in gottesdienstlichen Feiern, im stillen Gebet, im Engagement in der Gemeinde und im Austausch mit einer vertrauten Person.
Für das Aufkommen von Berufungen in Deutschland lässt sich daraus ein typischer Verlauf ableiten: Eine religiöse Erziehung in der Familie führt zu kirchlicher Praxis und kirchlichem Engagement, dies wiederum begünstigt die Erwägung, selbst Priester zu werden. Diese biografische Prägung schlägt sich in der Dienstausübung junger Priester nieder. Sie motiviert vor allem ihr persönlicher Glaube, die Liturgie, das Gebet und ihre Gottesbeziehung.
Drei aktuelle Priestertypen
Eine detaillierte Analyse der Motivationsmuster der neu geweihten Priester ergab allerdings, dass die Ausprägung der Motivationsfaktoren variiert und bei einigen Priestern weitere Faktoren eine Rolle spielen. Aufgrund der Daten zu den ausschlaggebenden Motivationsfaktoren konnte mithilfe eines clusteranalytischen Verfahrens eine Typologie erstellt werden, der zufolge sich Erfahrungen und Einstellungen systematisch voneinander unterscheiden.
Es wurden drei Antwortmuster identifiziert, von denen sich drei Priestertypen ableiten lassen. Die zahlenmäßige Verteilung innerhalb dieser drei Cluster unterscheidet sich deutlich voneinander.
Der volkskirchliche Priestertyp umfasst 52 Prozent der befragten Priester. Er weist eine traditionskatholische Prägung durch die Familie auf, pflegt konservative bis mäßige politische Ansichten und eine relative Loyalität zur existierenden Ordnung der Kirche. Im Mittelpunkt seiner Motivation stehen die kirchliche Organisation, die sakramentale Berufung durch die Weihe und die Sendung durch den Bischof. Den Priesterberuf nimmt er pragmatisch und loyal als Amt wahr. Als Priester sieht er sich für den Vollzug kirchlich-sakramentaler Praxis verantwortlich. Bei der Entscheidung, Priester zu werden, empfand er als angehender Seminarist relativ wenige Zweifel; die Seminaristen dieses Typs brechen die Priesterausbildung vermutlich entsprechend relativ selten ab. Sie bilden somit später den größten Anteil innerhalb der Priesterkohorte und damit auch die primäre Resonanzgruppe der aktuellen Berufungspastoral.
Die Loyalität dieses Priestertyps gegenüber der Kirche zeigt sich auch in seiner Haltung zu kirchlichen Reformen. Diese Priester erwarten eher eine Erweiterung der Angebote mit spirituellem Tiefgang und eine stärkere Ausrichtung auf die Vermittlung von Glaubensinhalten. Umstrittene kirchenpolitische Ansätze wie die Abschaffung des Zölibats oder die Frauenordination finden bei dieser Gruppe von Priestern wenig Resonanz.
Volkskirchlicher, liturgischer und gemeindeorientierter Priestertyp
Der liturgische Priestertyp (30 Prozent) ist ähnlich wie der Typ „Volkskirche“ mäßig konservativ und kirchenloyal eingestellt, er fällt aber durch seine ausgeprägte Spiritualität auf. Gebet, persönlicher Glaube und Wissen um die Berufung durch Gott sind für ihn als Motivation sehr wichtig. Soziale und organisationale Faktoren spielen nur eine Nebenrolle. Im Mittelpunkt seines Wirkens steht die Liturgie. Seine individuelle geistliche Berufung ist für die Ausführung des Priesterberufs ausschlaggebend. Diese Priester betrachten sich am wenigsten als Manager oder soziale Akteure: Die Zusammenarbeit mit Kollegen und Mitbrüdern, die Gemeinschaft im Pfarrhaus oder ein funktionierendes Pastoralteam sind nicht maßgeblich für ihren Dienst.
Der zahlenmäßig seltenste gemeindeorientierte Priestertyp (18 Prozent) weicht in seinem Werdegang von der beschriebenen traditionell-religiösen Prägung ab. Diese Priester sind am stärksten säkular geprägt. Sowohl bezüglich des Grades der erlebten Religiosität in der Familie als auch der eigenen spirituellen Verwurzelung nähern sie sich im Vergleich zu den anderen beiden Typen dem gesellschaftlichen Mittelwert an. Sie sind liberal, reformorientiert und stellen sich der gesellschaftlichen Pluralität. Im Gegensatz zu den anderen beiden Typen ist dieser Typus mehrheitlich kein CDU-Wähler, er sieht den kirchlichen Umgang mit Missbrauch und die aktuelle priesterliche Lebensform tendenziell kritisch. Dazu befürwortet dieser Priestertypus kirchliche Reformen, wie etwa die Frauenordination. In seinem Dienst ist ihm wichtig, viele Beziehungen in und außerhalb der Gemeinde zu pflegen, ein funktionierendes Pastoralteam und das Vertrauen der Gemeinde zu haben sowie eine hohe Qualität der eigenen Arbeit zu erreichen.
Die kirchliche Hierarchie interessiert die gemeindeorientierten Priester kaum. Ihr Mittelpunkt ist die Gemeinde und ihren Beruf sehen sie als soziale Profession. Angesichts ihrer Prägung und Weltanschauung ist es nicht verwunderlich, dass fast 90 Prozent Zweifel an ihrem Berufsweg hatten.
Über die Dunkelziffer potenzieller Kandidaten, die sich letztlich gegen das Priesteramt entscheiden, kann man nur spekulieren. Es kann vermutet werden, dass hohe Abbruchquoten von Vertretern dieses Clusters eine Erklärung dafür sind, dass Gemeindeorientierte unter den Neupriestern relativ selten anzutreffen sind, was nochmals die milieuspezifische Verengung bei den Priesterberufungen verdeutlicht. Der einzige Priestertyp, der den gesellschaftlichen Mittelwert am ehesten erfüllt und den Altersgenossen in der Bevölkerung am meisten ähnelt, stellt also unter den neu geweihten Priestern eine relativ überschaubare Gruppe dar.
Auf der Suche nach neuen Priestertypen
Auf das anfängliche Erkenntnisinteresse der Deutschen Bischofskonferenz könnte nun eine einfache Antwort gegeben werden: Die Wahrscheinlichkeit von Berufungen steigt, je mehr Männer aus katholischen Mehrkindfamilien mit früher gottesdienstlicher und kirchengemeindlicher Prägung aufwachsen und eine persönliche Beziehung zu einem Seelsorger oder einer Seelsorgerin entwickeln. Dann werden vor allem volkskirchliche und spirituelle Priestertypen gestärkt, die Amt und Liturgie ins Zentrum stellen.
Aber diese Perspektive ist erstens schon aufgrund der aktuellen Bevölkerungsentwicklung keine realistische Option. Zieht man zum Beispiel die Ergebnisse der jüngst erschienenen Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (KMU VI) heran, so werden in den nächsten Jahren die wenigsten Kinder mit vielen Geschwistern und religiösen Eltern aufwachsen, geschweige denn kirchengemeindlich sozialisiert sein.
Zweitens scheint diese Strategie zur Berufungsförderung ekklesiogenetisch kaum sinnvoll zu sein: Diözesen erwarten von ihren Priestern schon heute – insbesondere infolge der Gemeindefusionen – Leitungsfunktionen, die vergleichbar sind mit denen in kleineren und mittleren Unternehmen. Denn gefordert werden finanzielle, strategische, personalentwicklerische, reflektive und kommunikative Kompetenzen, gesellschaftliches Engagement und Repräsentation. Dies alles lässt sich aber in der Motivation, Sozialisation und in den Ausbildungsinhalten von Priestern kaum finden.
Die kirchliche Entscheidungsebene steht somit vor einem langfristig fatalen Dilemma: Die Leitungsanforderungen verändern sich, die zukünftigen Leitungspersonen identifizieren sich aber mit teils überholten Rollenmodellen und ihre Anzahl wird immer geringer. 2022 wurden in Deutschland nur 33 Männer zum Priester geweiht, die für Juni angekündigten Zahlen für 2023 werden noch ernüchternder ausfallen.
Die Aussichten auf Verwaltungs- und Leitungsverantwortung in immer größeren Pfarreien, ohne die dafür notwendigen Qualifikationen erhalten zu haben, lässt den Beruf für die Kandidaten nicht attraktiver erscheinen. Bei der Mehrheit der neuen Priester herrscht immer noch das Berufsbild eines Pfarrers in einer Kleingemeinde vor. Selbst den gemeindeorientierten Priestern, die sich den Anforderungen der säkularen Gesellschaft stellen, liegt der soziale Nahraum am Herzen und nicht das Management einer mittelgroßen Organisation. Kurz gesagt: Die derzeit in den Ruhestand eintretende Generation der Babyboomer kann in Zahl und Berufsmotivation durch den Nachwuchs bei Weitem nicht ersetzt werden, was den organisationalen Druck auf Kirche potenziert. Die Herausforderungen für eine gewinnende Berufungspastoral sowie für eine bedarfsorientierte Priesterausbildung sind groß.
Aus den Studienergebnissen sollte daher nicht die Antwort abgeleitet werden, wie ähnliche Berufungen wie bisher gefördert werden können. Denn diese Berufungen erwachsen aus einem älter werdenden, traditionell-kirchlichen Milieu und rekurrieren damit, rein demografisch gesehen, auf eine schwindende soziale Basis.
Die Daten der Studie legen vielmehr nahe, dass die Berufungspastoral sich darauf ausrichten sollte, junge Männer zu gewinnen, die Lust und Motivation verspüren, Priester eines neuen Typs zu sein. Neue Typen, die sich aus unterschiedlichen Milieus generieren, die nicht zwingend eine familiär-katholische Sozialisation und kirchengemeindliche Prägung mitbringen, die noch kein säkulär-geschlossenes Weltbild haben und vielleicht künstlerisch-avantgardistisch, expeditiv, jugendkulturell, wirkungsorientiert und politisch engagiert sind. Es liegt an der Berufungspastoral, dafür Bilder zu entwickeln, und es liegt an den Ausbildungsstatuten der (Erz-)Diözesen, diese offen, flexibel und bedarfsorientiert zu gestalten.
Zugleich ist klar, dass auch eine große berufungspastorale Offensive den Trend abnehmender Berufungen nicht stoppen wird. Säkularisierung, Werteliberalisierung und der Rückgang von Institutionenvertrauen lassen auch den priesterlichen Dienst, als Repräsentation der katholischen Kirche, zunehmend unattraktiver werden.
Die Studie zeigt deutlich, dass ohne strukturelle Veränderungen in der Kirche und ohne Revision der normierten Lebensform die Berufungspastoral im besten Fall nur in der Lage sein wird, die Anzahl der Weihen auf einem niedrigen Niveau zu stabilisieren. Denn die beiden wichtigsten Abschreckungsfaktoren, die von befragten Priestern genannt werden, liegen nicht in der Berufungspastoral und auch nicht in der Ausbildung oder den Arbeitsinhalten.
Da ist zum einen der Pflichtzölibat: Diese Norm stößt auch in religiösen Familien potenzieller Priester nicht auf Verständnis, sondern eher auf Widerstand gegen diese Berufswahl. Sie löst bei den jungen Männern selbst Ängste vor Einsamkeit aus und führt grundsätzlich zu Zweifeln an ihrer Eignung für das Priesteramt. Zum anderen schürt der kirchliche Umgang mit sexuellem Missbrauch auf der Leitungsebene auch bei angehenden Priestern Misstrauen gegenüber der Kirche. Die Entscheidung, Repräsentanten von Kirche zu werden und somit die Verantwortung für das schlechte Image mitzutragen, empfinden junge Männer als schwierige und vor allem ungerechte Last. Das führt nicht selten dazu, dass sie sich gegen das Priesteramt entscheiden. Somit wird auch für die milieuoffene Berufungspastoral eine Reformierung mindestens in diesen beiden Themenfeldern vorausgesetzt.
Um verlässliche und wirksame pastorale Leitung zu gewährleisten, muss die kirchliche Organisation selbst Voraussetzungen schaffen und Bedingungen verändern. Es wird schon lange diskutiert, wie Kirchenleitung und Weihe entkoppelt und damit Priester von der alleinigen Verantwortung entlastet werden können: Aufgabenteilung, die Trennung von Seelsorge und Verwaltung, die Arbeit in Leitungsteams, all das sind Vorschläge für attraktivere, vielseitige und kooperative Leitungsbilder in Kirche, die eben nicht nur auf Priester fokussieren.