Wer Israel erklären will, sieht sich einer höchst komplexen und im wahrsten Sinne des Wortes explosiven Gemengelage gegenüber. Der Israel-Palästina-Konflikt beherrscht die Weltpolitik. Der Historiker Moshe Zimmermann schafft nun das Kunststück, die Geschichte Israels bis in die Gegenwart mit Blick auf die Zukunft verständlich aufzudröseln. Kontextualisieren statt relativieren lautet sein durchaus mutiger Anspruch.
Der Nationalismusforscher mit Hamburger Wurzeln wendet sich an ein deutschsprachiges Publikum und beginnt mit einer kurzen Erläuterung von Begriffen wie Palästina und Israel beziehungsweise Eretz Israel, Land Israel, Groß- oder Ganz-Israel. Schon auf diesen drei Seiten wird klar: Missverständnisse und Fehleinschätzungen von deutscher Seite aus sind programmiert.
Der 7. Oktober habe den Staat Israel in seinen Grundfesten erschüttert, stellt Zimmermann fest, und erläutert, wie die Terrororganisation Hamas mit ihren Gräueltaten das Sicherheitsversprechen Israels untergraben hat. Der linksliberale Forscher verteidigt den Zionismus als jüdisches, säkulares Emanzipationsprojekt der Selbstbestimmung, und er wendet sich zugleich vehement gegen vereinnahmende, religiös-verbrämte Absolutheitsansprüche der Siedlerbewegung. Auch das zweite Volk auf demselben Gebiet müsse selbstbestimmt leben können. Die rechtsextreme Regierung unter Benjamin Netanjahu kritisiert Zimmermann aufs Schärfste, da sie seit langem auf eine Eskalation des Konflikts hingearbeitet habe. Sie sei eine „Kakistrokratie“, eine Herrschaft der Schlechtesten. Als Ausweg hält er an einer „Zweistaatenlösung, etwas anders“ fest; schon in Ermangelung von Alternativen.
„Pessimistisch, aber konstruktiv“ versteht Zimmermann selbst seinen Versuch zum sachlichen Umgang mit der von Hass getränkten Lage. Persönliche Erinnerungen, eine Brise schwarzer Humor, etwas Bitterkeit mit Blick auf frühere Kassandra-Rufe und Sorge um seine Enkel lassen das Büchlein zu einem eindringlichen Appell an die Vernunft werden, der Spirale der Gewalt endlich ein Ende zu setzen, und sei es mit dem Mut der Verzweiflung.
Das Buch ist nominiert für den Deutschen Sachbuchpreis, der am 11. Juni verliehen wird. In der Jurybegründung heißt es: „Perspektivenreich und hilfreich für alle, die sich gern erst informieren, bevor sie urteilen.“ Dem ist nur zuzustimmen.