TiertheologieVon Lämmern, Drachen, Würmern

Ein Sehvergnügen bietet dieses Buch: Die Fotos von Stephan Kube laden ein zum Versinken in Details. So scheint das Lausbubenlamm in einer Zeichnung aus dem 15. Jahrhundert fast schon genervt zu überlegen, den Finger Johannes des Täufers einfach mal anzuknabbern. Eine Holzstatue der Margarethe von Antiochien könnte mühelos als Modell für die Drachenkönigin in der Fantasyserie „Game of Thrones“ durchgehen. Insgesamt findet man sich Aug’ in Aug’ mit Heiligen und Tieren vergangener Jahrhunderte wieder.

Die drei Autoren analysieren die Meisterwerke mittelalterlicher Kunst, die im Kölner Museum Schnütgen ihr Zuhause gefunden haben. Der Theologe Gregor Taxacher widmet sich den Zeichen, als die Tiere dienten; es gehe nicht „um die Tiere als Tiere“, sondern um eine durchaus zwiespältige Symbolsprache. Animalisches symbolisiere einerseits das Wilde, Unmenschliche, gleichzeitig könnten Tiere für das Gute, Göttliche stehen. Elegant der Sprung zur Erlösung, in die das Wilde verwandelt, hineingenommen werden müsste.

Der Theologe Thomas Ruster schließt sich an mit dem „am häufigsten dargestellten Tier in der christlichen Kunst“: dem Drachen. Das Fabelwesen stehe für die Tierheit schlechthin, die für den Menschen fremd und bedrohlich ist. In den bekanntesten Legenden findet Ruster weithin Unbekanntes, so den von der Königstochter gezähmten Drachen, der keine Gefahr mehr darstellt und dennoch von Georg getötet wird. Warum setzt sich im kollektiven Gedächtnis der sinnlos tötende Ritter als Held durch, statt sich der Drachenflüsterin zu erinnern? Die Theologin Simone Horstmann schließlich analysiert Fressen und Gefressenwerden, die erbarmungslose Nahrungskette. Niemals findet sich das Motiv eines Menschen als Futter von Raubtieren. Umgekehrt erscheinen Lämmer, Hühner, Widder als ganz natürliche Nahrung des Menschen. Dann aber zeigt noch ein „Tödlein“ das wuselige Treiben von Würmern und Insekten bei der Zersetzung einer Leiche. „Essbarkeiten neu verhandeln“, fordert Horstmann.

Karnivoren unter den Lesern mögen zwar an der ein oder anderen Stelle die Augen verdrehen. Bilder und Auslegungen hinterfragen jedoch gekonnt Seh- und Denkgewohnheiten – und sollten in aller Ruhe genossen werden.

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Thomas Ruster, Simone Horstmann, Gregor Taxacher

Krallen Federn DrachenblutTiere in der Kunst des Mittelalters

Greven Verlag Köln 2025, 160 S., 40,00 € (D)