Zur Lage der pastoralen Berufe im deutschsprachigen RaumWirklich ein Priestermangel?

Die pastoralen Berufe – Priester, Diakone, Pastoralreferenten und Pastoralreferentinnen – sind im deutschsprachigen Raum soziologisch gut erforscht. Unter jenen, die heute einen pastoralen Dienst ausfüllen, sind beachtlich viele, die persönlich eine Berufung zum Priesteramt in sich verspüren. Wer diesen Blick einnimmt, kann keinen wirklichen Priestermangel erkennen.

Die Kirchen im deutschsprachigen Raum (Deutschland, Schweiz, Österreich) gehören zu den reichen der katholischen Weltkirche. Das gibt ihnen die Möglichkeit, im Vergleich zu anderen Kirchenregionen viele Menschen beruflich in Dienst zu nehmen. Das macht die katholische Kirche zu einem respektablen Arbeitgeber mit einer Vielfalt von Berufen, darunter auch „die pastoralen Dienste“, wie die deutschen Bischöfe sie in der Ordnung von 1977 nannten.

Diese pastoralen Berufe sind im deutschsprachigen Raum gut erforscht (vgl. schon Gerhard Schmidtchen, Priester in Deutschland. Forschungsbericht über die im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz durchgeführte Umfrage unter allen Welt- und Ordenspriestern in der Bundesrepublik Deutschland, Freiburg 1973). Im Jahre 2000 fand eine Erhebung statt unter Priestern in Deutschland, der Schweiz, in Österreich, aber auch in Kroatien, Polen und in der Ukraine, wo griechisch-katholische Priester befragt wurden (Paul M. Zulehner, Priester im Modernisierungsstress. Forschungsbericht der Studie Priester 2000, Ostfildern 2001; zusammen mit Anna Hennersperger: „Sie gehen und werden nicht matt“ [Jes 40,31]. Priester in heutiger Kultur, 2. Aufl., Ostfildern 2001). 2002 regten die Verantwortlichen für die Diakone in der Diözese Rottenburg-Stuttgart eine Befragung von Diakonen an (Zulehner, Dienende Männer – Anstifter zur Solidarität. Diakone in Westeuropa, Ostfildern 2003; zusammen mit Elke Patzelt, Samariter – Prophet – Levit. Diakone im deutschsprachigen Raum. Eine empirische Studie, Ostfildern 2003).

Schließlich ist es gelungen, 2006 im deutschsprachigen Raum PastoralreferentInnen zu befragen (Zulehner und Katharina Renner, Ortsuche. Umfrage unter Pastoralreferentinnen und Pastoralreferenten im deutschsprachigen Raum, Ostfildern 2006). Nicht untersucht wurden bislang die GemeindereferentInnen. In Österreich ist für 2009 überdies eine Umfrage unter Ehrenamtlichen in den Pfarreien in Vorbereitung.

In allen Studien kam eine enorme Vielfalt an Berufsbildern zum Vorschein. Und dies innerhalb der jeweiligen Berufsgruppe. Priester ist nicht gleich Priester, Diakon nicht Diakon und auch Pastoralreferentin nicht Pastoralreferentin. Diese bunte Vielfalt wurde über eine Typenbildung sichtbar.

Unter den Priestern gibt es demnach zeitlose Kleriker, zeitoffene Gottesmänner, zeitnahe Kirchenmänner, zeitgemäße Gemeindeleiter. Diese Benennungen lassen bereits erkennen, dass mehrere Aspekte bei der Bestimmung der bunten Typen von Priestern eine Rolle spielen: Deren innerkirchliche Positionierung (eher in der Gemeinde die Gemeindeleiter, der Gemeinde mehr gegenüber die Kleriker) ist dabei ebenso wichtig wie das Weltverhältnis (hier reicht die Skala von weltabgewandt über weltzugewandt hin zu weltgewandt und weltverwandt). Je nach Land, aber auch nach Alter, variieren die Verteilungen. Die in die Studie einbezogenen osteuropäischen Länder Kroatien und Polen haben Priester, die mit den in Österreich 1970 untersuchten sehr verwandt sind.

Aber auch in den deutschsprachigen Ländern, und hier wieder in den einzelnen Diözesen, sind die Verteilungen verschieden. Der Klerus in den alten Bundesländern ist anders zusammengesetzt als jener in den neuen. Die kommunistische Vergangenheit hat den Fortbestand eines eher traditionellen Priesterbildes begünstigt – eine Beobachtung, die man bei Europäischen Priesterversammlungen gut beobachten kann, wenn Priester aus West- und aus Osteuropa zusammentreffen.

Auch die Diakone verstehen sich selbst verschieden. Samariter wollen unmittelbar helfen, wo Not ist. Neben diesen gibt es die von uns so genannten Propheten, weil sie nicht nur Opfer des Unrechts versorgen, sondern Opfer des Unrechts vorbeugend verhindern möchten. Sie sind also an der Veränderung ungerechter Strukturen in Gesellschaft und Kirche interessiert. Schließlich finden wir eine beachtlich starke Gruppe, die ursprünglich Priester werden wollten, um zu heiraten aber auf das Amt des Diakons ausgewichen sind. Sie wären aber jederzeit bereit, sich ordinieren zu lassen. Es sind also Diakone „im presbyterialen Standby“. In der Schweiz zählen zwei Drittel zu diesem Typ (Chur: 56 Prozent; St. Gallen: 67 Prozent). Anders ist die Lage in Salzburg (12 Prozent) und Berlin (8 Prozent).

Die Verteilung dieser drei Diakonstypen ist in den untersuchten Diözesen sehr verschieden. Das macht eine recht unterschiedliche Diakonatspolitik in den einzelnen Diözesen erkennbar. Vielleicht waren, vor allem nach der Einführung des Ständigen Diakonats, nicht wenige Diözesanleitungen der Meinung, dass sich die Kirche auf dem Weg der Öffnung des Priesteramts auch für Verheiratete befindet und wollten sich schon im Voraus einen tauglichen Pool von Kandidaten schaffen. Andere Diözesen wiederum blieben zurückhaltend und setzten dafür lieber auf die gut ausgebildeten PastoralreferentInnen. Sie meinten dies auch damit begründen zu können, dass manche Diakone mehr zum Altar strebten denn zu den Armen und ein Teil von ihnen sich klerikaler gebärdete denn manche Priester.

Eine enorme Bandbreite weisen die PastoralreferentInnen im deutschen Sprachraum auf. Angetreten waren ja viele – und auch die offiziellen Berufsbildumschreiben weisen in diese Richtungen – dass es sich bei diesem relativ jungen pastoralen Beruf um hauptamtlich berufstätige Laien im pastoralen Dienst handelt. Dass sie dabei eine besondere Weltkompetenz und darüber hinaus eine Ehe- und Familienkompetenz mitbringen, wird ihnen nachgesagt. Solch ein Stereotyp stört aber die gar nicht wenigen Unverheirateten in dieser Berufsgruppe. Zudem ist es nach unseren Studien ebenso unhaltbar, den Priestern eben eine solche pastorale unverzichtbare Weltkompetenz generell abzusprechen und sie ausschließlich auf der Seite der PastoralreferentInnen anzusiedeln.

Bei der Typologiebildung spielte, was in der derzeitigen Situation nicht überrascht, das Verhältnis der PastoralreferentInnen zu den Presbytern eine gewichtige Rolle. Auf Grund des Priestermangels überrascht es nicht, dass es eine Art „Sog“ auf die freiwerdenden Priesterstellen gibt. Dieser „Sog“ wird durch einen „Drang“ dorthin verstärkt: Denn Priester haben in der Gesellschaft und auch innerhalb der kirchlichen Gemeinschaften ein Sozialprestige, das sie durch besondere pastorale Leistungen gar nicht verdienen, schlimmstenfalls freilich schnell verspielen können. Priester genießen also eine Art geschenktes zuvorkommendes Sozialprestige, das sich die jungen Laienberufe erst erarbeiten müssen. Und weil der Grund für das den Priestern gewährte Sozialprestige eher die Figur des „heiligen Außenseiters“ ist, des (rituellen) Fahrzeuglenkers hinein in einer bergende göttliche Welt, und Priestern dies von der Kirche durch Weihe und Lebensform augenscheinlich zugewiesen wird, wird es für Laien generell nicht leicht sein, sich ein solches Prestige zu erwerben.

Der Priestermangel ermöglicht es nun aber hauptamtlichen Laien, über den Weg der Gemeindeleitung zumindest teilweise am Sozialprestige der Priester teilzuhaben. Das modifiziert natürlich die Laienberufe, wie sie sich in Zeiten ausreichend verfügbarer Priester entwickelt haben und auch frei entwickeln konnten. PastoralreferentInnen „presbyterialisieren“, heißt es in der Studie. Ein Teil der befragten Pastoralreferentinnen, so die Typenbildung, kann als virtuelle Presbyter bezeichnet werden, andere sind es wohl schon real. Die Kirche hat damit den theologisch fragwürdigen Fall von „ungeweihten Laienpriestern“, ein Zustand, der – so schon Ferdinand Klostermann – nur als „heilsamer Unsinn“ definiert werden kann.

Allerdings enthält diese „Notlösung“ eine enorme destruktive Dynamik. Denn einerseits macht sie die Weihe überflüssig: Es zählt dann nur noch fachliche Kompetenz – was natürlich für alle Berufe gilt, aber nicht ausreicht. Andererseits macht es auch sowohl den Priester- wie die Laienberufe kaputt, weil die „realen Presbyter“ unter den Laientheologen weder das eine noch das andere sind. Dass sich dann manche der LaientheologInnen auf solchen presbyterialen Handlungsfeldern (natürlich gehört hierher auch die Taufe, die ja ursprünglich dem Bischof vorbehalten war!) selbst als vom Volk faktisch geweihte Priesterinnen und Priester verstehen – ist zwar rührend, aber widerspricht dem ekklesialen Charakter des Ordo. (Die auf dem Donauschiff geweihten Frauen hatten für die Weihe keine Kirche, in der die Ordination stattfinden hätte können: deren Weihe war daher alles andere als ekklesial, vielmehr heidnisch-magisch.) Es verdient vermerkt zu werden, dass sich durch diese Entwicklung katholische Diözesen auf einen Weg begeben, den die katholische Kirche mit Blick auf die Diskussionen über das kirchliche Amt in Lima 1982 stets als Irrweg gegeißelt hat. Konsens war seinerzeit: „Um ihre Sendung zu erfüllen, braucht die Kirche Personen, die öffentlich und ständig dafür verantwortlich sind, auf die fundamentale Abhängigkeit von Jesus Christus zu verweisen und dadurch innerhalb der Vielfalt der Charismen für die Einheit zu sorgen.“ Dieses Amt ist „konstitutiv für Leben und Zeugnis der Kirche. Es wird seit frühester Zeit und weithin in allen christlichen Kirchen durch Ordination übertragen“ (Kommission für Glauben und Kirchenverfassung des Ökumenischen Rates der Kirchen, Konvergenzerklärungen zu Taufe, Eucharistie und Amt, hier: Amt, Nr. 8).

Die Verteilung der PastoralreferentInnen im deutschsprachigen Raum ist markant verschieden. Vor allem in der Schweiz presbyterialisiert diese Berufsgruppe mächtig. Es gibt kein Kirchengebiet, in dem so viele Laien in der Gemeindeleitung sind, predigen und taufen, wie in Schweizer Diözesen. Das heißt aber auch, dass es in diesen Schweizer Diözesen keinen Priestermangel, wohl aber einen notorischen und fatalen Weihemangel gibt.

In Deutschland, wo die Bischofskonferenz den Einsatz der Laientheologen in Pfarrgemeinden nicht als Regel vorsieht, ist die Lage deutlich anders. Es gelingt aber nur einem Teil, diese Regel auch faktisch einzuhalten, wie die Verteilung der vier Typen in den deutschen Diözesen zeigt. Denn manche Diözesen verfolgen offenbar einen anderen Weg und stellen PastoralreferentInnen für die Gemeinden ein. Dies wohl auch unter dem wachsenden Druck der schwer überlasteten eigenen Seelsorgepriester, deren Hauptsorge darin besteht, aus Seelsorgern (so waren sie primär ausgebildet worden und das wollen viele eigentlich auch weiterhin sein) Pastoralmanager in seelsorglichen Großräumen zu werden. Wegen des Priestermangels nicht mehr Seelsorger zu sein, wird von 85 Prozent der befragten Priester beklagt – und diese Klage steigt mit der Anzahl der zu betreuenden Pfarreien an.

Können die Einseitigen voneinander lernen?

In allen drei Großstudien gab es ein gemeinsames Paket an Fragen zum Priesterbild. In der Priesterstudie wurde damit das Selbstbild der Priester eruiert. In den Studien unter den Diakonen und den PastoralreferentInnen sollte das Fremdbild der Priester erkennbar gemacht werden. Das jeweilige Priesterbild (und wie alle Studien zeigen, das damit eng verwobene Bild der Laien und der Kirche insgesamt) beeinflusst das Verhältnis und die Zusammenarbeit der verschiedenen Berufsgruppen in den Pfarreien, Seelsorgeräumen und Diözesen nachhaltig.

Das sind die einzelnen Testitems: Das priesterliche Amt ist von Christus eingesetzt; ist Repräsentation Christi; beansprucht das ganze innerste Leben seines Trägers; dient dem geistlichen Wachstum der Kirche; hält die anvertraute Gemeinde in der Spur des Evangeliums; ist Repräsentation der Gemeinde; sorgt sich darum, dass die vom Evangelium geformten Gemeinden mit der Ortskirche verbunden bleiben; dient primär der Schlichtung von Konflikten, dem menschlichen Zusammenleben in der Gemeinde; ist Dienst an der Gemeinde; ist Ausdruck persönlicher Berufung; ist ausschließlich Schöpfung der frühen Gemeinden; gründet nicht in einer besonderen Weihe; ist Ergebnis eines geschichtlichen Prozesses.

Dieses Instrumentarium zur Erhebung des Priesterbilds wurde erstmals in der Studie der Deutschen Bischofskonferenz 1973 eingesetzt. Damals war es unter der Mitwirkung der Theologen Karl Lehmann und Walter Kasper entwickelt worden. In den einzelnen Aussagen zum Priesterbild wird einerseits die Beziehung zu Christus angezielt, andererseits die Beziehung zur Gemeinde. Eingebaut war in die Fragebatterie die moderne Amtstheologie mit deren Doppeldimension der synchronen und der diachronen Einheit: Das Amt hält die anvertraute Gemeinde in der Spur des Evangeliums und (katholisch) im Verbund mit den anderen Evangeliumsgemeinschaften.

Priester, Diakone und PastoralreferentInnen favorisieren ihr je eigenes Priesterbild. Für PastoralreferentInnen ist der Priester vorab Gemeindeleiter. Für die Priester selbst eher Kleriker. Für die Schweizer PastoralreferentInnen (58 Prozent) ist der Priester genau das, was sie selbst leben: Der Priester ist Gemeindeleiter, braucht dazu eher keine Weihe, muss sich nicht „total“ mit seinem Beruf identifizieren, weil dies auch nicht das Innerste der Existenz beansprucht. Das bedeutet aber zugleich: Wenn diese Eigenschaften das priesterliche Amt ausmachen, was steht dann ihrem Wunsch entgegen, dass sie in dieser Weise selbst als Priester beziehungsweise Pfarrer anerkannt werden? Ganz anders sehen dies die Priester in Osteuropa; hier ist nur für 3 Prozent der Priester „Gemeindeleiter“. In dieser Kirchenregion dominiert das Bild vom Priester als zeitlosem Kleriker (62 Prozent).

Praktisch-theologisch erwünscht wäre der zeitoffene Gottesmann. Dieser versteht sich „pontifikal“. Er achtet die Rückbindung an Christus wie die Einbindung in den Gang der eigenen Kirche durch die Zeit. Er ist jener Priestertyp, der zwischen Auftrag und Situation vermittelt; die zeitlosen Kleriker flüchten eher in die Tradition, die Gemeindeleiter beugen sich eher der Situation. Die Kleriker dienen, wie sie sagen, dem Kyrios. Die Gemeindeleiter dem Kairos. Die Gottesmänner versuchen, dem Kyrios im Kairos zu dienen.

Die Buntheit in den pastoralen Berufen der katholischen Kirche ist Ausdruck des Reichtums an Möglichkeiten. Sie lehrt aber auch, dass die oder der Einzelne nie in der Lage ist, das gesamte weite Spektrum der pastoralen Berufung zu leben. Die Möglichkeit bestünde, dass die Einseitigen voneinander lernen.

Sobald sich aber Lager von Gleichgesinnten bilden, kann es zu unseligen Belagerungen kommen. Ist dann einer Gruppe zudem die Neigung zum „Autoritarismus“ eigen, also zu einer Art Persönlichkeitsschwäche, die sich in Unterwerfungsbereitschaft äußert, dann kann es zu aggressiven Auseinandersetzungen zwischen den Lagern kommen.

Verschließt sich die Kirche der Welt gegenüber?

Menschen in einem pastoralen Dienst brauchen eine hohes Maß an Pluralitätstoleranz (Hermann Stenger). Diese ist etwas anderes als Standpunktlosigkeit oder Beliebigkeit. Denn die Welt, in der heute die Kirchenmitglieder leben, ist überaus vielfältig. Die Menschen bewegen sich auf einer Skala von modern bis traditionell. Dazwischen finden sich höchst unterschiedliche Milieus, die sich heute in den Kirchen in teuren Erhebungen feststellen lassen, aber in der alltäglichen Kirchenpraxis viel zu wenig zur Kenntnis genommen werden.

Milieu-Empathie bedeutet Zeitoffenheit, die bei einem Teil der Priester (den zeitlosen Klerikern), nur schwach ausgeprägt ist. Moderne Zeitgenossen beteiligen sich folglich sich immer weniger am kirchlichen Leben: Und das oft nicht, weil sie keine spirituelle Erwartungen haben, sondern weil die Stilisierung des kirchlichen Lebens im Widerspruch zu ihren Alltagserfahrungen steht. Es gibt einen von Trägern kirchlicher Berufe selbst verschuldeten Kommunikationsabbruch mit modernen Menschen und deren Lebenswelt. Die derzeit praktizierte Ernennung konservativer Bischöfe in einigen Kirchengebieten wie zum Beispiel in Bayern erschwert die Lage.

Die Gefahr, dass sich die Kirche bei einem Teil ihrer beruflichen Repräsentanten der Welt gegenüber neuerlich verschließt, ist akut. PastoralreferentInnen und mit ihnen die „Samariter“ unter den Diakonen und die „zeitoffenen Gottesmänner“ wären unverzichtbare Garanten einer „kairologischen Sensibilität“ (vgl. Zulehner, Qualität und Farbe. Zum Ort der Pastoralreferenten in der Kirche, in: Lebendige Seelsorge Nr. 4/2007, 210–213). Von hier aus kann man das Klagen eines Großteils der PastoralreferentInnen über die derzeitige Grundstimmung in der katholischen Kirche verstehen. Sie hegen mehrheitlich (73 Prozent) den Verdacht, dass der Kirchenleitung die Nähe zum alltäglichen Leben und Leiden der Menschen fehle. Mit erdrückender Mehrheit mutmaßen sie, dass diese sich der Welt annähernden Reformen des Konzils heute, wenn überhaupt, viel zu langsam und nur halbherzig, ja mutlos vorangingen (84 Prozent) – verschwindende 3 Prozent sehen das nicht so.

Das Potenzial wird nicht ausgeschöpft

Ein Moment an der Neubestimmung des Weltverhältnisses scheinen die schleichende Abwertung und der Rückzug der Gemeinden aus der Diakonie zu sein. Natürlich sind die Kirchen in Westeuropa (und nicht nur hier) spirituell erschöpft. Eine Stärkung der spirituellen Kraft des kirchlichen beziehungsweise kirchengemeindlichen Lebens steht dringlich an. Sonst werden die Kirchen keine gute Adresse für die wachsende Zahl der spirituellen Wanderer (Ernst Bochinger) in den gleichfalls erschöpften Feldern säkularen Lebens werden. Was aber dabei nicht wachsen sollte, ist eine Wellnessspiritualität der fromm verdrehten Augen. Abendmahl und Fußwaschung zu trennen, Mystik von der Politik, Kontemplation von der Aktion entspräche einer völlig unjesuanischen Trennung von Gottes- und Nächstenliebe.

Eine Lesehilfe für den wachsenden Rückzug eines beträchtlichen, oft des jüngeren Teils der Priester aus der modernen Welt könnte die neue Lust an der traditionellen Priesterkleidung sein. Die in Umfragen sichtbar gewordenen statistischen Zusammenhänge sind diesbezüglich klar und erdrückend. Dabei ist gegen Identität und Erkennbarkeit in Zeiten der Diffusion nichts einzuwenden. Aber den Neokonservativen geht es nicht um die Erkennbarkeit des Evangeliums, sondern der traditionellen Kirchengestalt und um die Zähmung ihrer eigenen Weltverunsicherung. So lassen sie ihre schwach ausgebildete Persönlichkeit hinter einer erstarrten Rolle verschwinden, aus der Person wird der Funktionär. Die ethisch einzig zulässige kritische Loyalität kippt in blinden Gehorsam.

Diese Unterwerfungsbereitschaft ruft dann nach neuen (geistlichen) FührerInnen: Diese sind aber von einer ganz anderen Art als die noch mehr erforderlichen geistlichen Meister. Bei solchen Entwicklungen geht das seelsorgliche Urkapital heutiger Evangelisierung verloren: die Authentizität. Was zählt denn auch schon das Zeugnis eines bezahlten Propheten? Mangel an Glaubwürdigkeit kann durch erstarrt-aggressiven Autoritarismus nicht wettgemacht werden.

Diese Beobachtungen bilden eine Brücke vom Weltverhältnis zum Kirchenbild, oder im Sinn des Zweiten Vatikanischen Konzils, von „Gaudium et spes“ zu „Lumen Gentium“. Bei einem Teil der Träger der pastoralen Berufe ist das Konzil umstrittener denn in den zwar stürmischen, aber dennoch gedeihlichen Entwicklungszeiten gleich nach dem Konzil. Die derzeitige Kirchenleitung ermutigt auch nicht zu einer konsequenten Realisierung der Konzilsbeschlüsse, sondern tendiert dazu, scheibchenweise Reformen rückgängig zu machen. Dass es sich dabei vor allem um liturgische Reformen handelt, ist nicht zufällig. Denn die Reformen des Konzils haben aus dieser Mitte heraus begonnen.

So ist anzunehmen, dass in den nächsten Jahren erneut die Rolle der Laien, auch der Laienberufe, in der Liturgie und damit in der Kirche neu bestimmt werden wird – um es neutral zu sagen. PastoralreferentInnen können schon ein Lied davon singen, ganz gleich ob es um die Mitwirkung an der Gemeindeleitung geht, um die Auslegung des Evangeliums in einer Eucharistiefeier, um die Taufe (zumindest dann, wenn ein Priester nicht in Ruf- und Reichweite ist).

Es ist leider auch vorhersehbar, dass die Mitgestaltungsmöglichkeiten des Kirchenvolks – des laos, also der Laien – in den Jahren vor uns nicht ausgebaut, sondern eher eingeschränkt werden. Die jungen Pfarrer tendieren eher zu einem antiquierten autoritären Leitungsstil – ein Stil der Verunsicherten – statt zum Ausbau der Kommunikation und Kooperation, zur Erweiterung der Beratung, zur Mitentscheidung. Es ist dann aber zu befürchten, dass die Suche nach Mitgliedern in den Pfarrgemeinderäten sich noch mehr erschweren wird, als dies heute schon der Fall ist. Ganz allgemein wird sich das gesellschaftliche Gesamtbild der Kirche verändern. Die Kirche schrumpft am weltoffenen Pol.

Eine letzte Beobachtung: Die Kirche leidet heute, so sagen die Kirchenführenden, unter einem epochalen Priestermangel. Das zwinge zur Errichtung von pastoralen Großräumen. Diese haben ihren Sinn, wenn sie nicht nur mutlos der Administration des Mangels dienen. Denn manche pastorale Vorgänge verlangen nach einem größeren Raum, um optimal gestaltet werden zu können: wie Jugendarbeit, Bildungsarbeit, Diakonie.

Aber hat die katholische Kirche wirklich einen Priestermangel? Zunächst ist festzuhalten, dass unter jenen, die heute einen pastoralen Dienst ausfüllen, beachtlich viele sind, die persönlich eine Berufung zum Priesteramt in sich verspüren: die Leviten unter den Diakonen, die virtuellen und realen „Presbyter“ unter den PastoralreferentInnen. Eine Umfrage unter jenen, die an der Katholisch-Theologischen Fakultät in Wien studieren, zeigt ebenfalls, dass es weit mehr Ordinationsbereite gibt, als in den Priesterseminaren und den Noviziaten leben (http://homepage.univie.ac.at/paul.zulehner/php/Paul2/index.php?id=47).

Damit ist das Potenzial längst nicht umfassend offengelegt. Joseph Ratzinger sagte 1970 in einer Rundfunkrede über die Kirche im Jahr 2000: „Sie wird auch gewiss neue Formen des Amtes kennen und bewährte Christen, die im Beruf stehen, zu Priestern weihen: In vielen kleineren Gemeinden beziehungsweise in zusammengehörigen sozialen Gruppen wird die normale Seelsorge auf diese Weise erfüllt werden. Daneben wird der hauptamtliche Priester wie bisher unentbehrlich sein“ (Glaube und Zukunft, München 1970, 122).

Der nebenberuflich tätige Priester war in der Kirchengeschichte ebenso verbreitet wie er auch heute in vielen Kirchengebieten sich aus dem Mangel an Finanzen geradezu anbietet. Warum nicht auch bei uns? Die anglikanische Kirche hat bereits vierzig Jahre weithin gute Erfahrungen damit gesammelt.

Wer sagt denn, dass es also nicht unter den vielen Ehrenamtlichen in den Gemeinde „personae probatae“, also gemeindeerfahrene Personen gibt, die – nach einer angemessenen theologisch-pastoralen Ausbildung über drei Jahre und einer guten Supervision – zu „Teams of Elders“ in einem pastoralen Großraum geweiht werden könnten (vgl. Fritz Lobinger, Team of Elders. Moving beyond viri probati, Quezon City 2007)?

Wer diesen Blick einnimmt, kann keinen wirklichen Priestermangel erkennen: Vielmehr sieht er eine Blindheit der Kirchenleitung für vorhandene Berufungen, bei Männern und bei Frauen. Die Frage ist nur, was theologisch besehen solche „subjektiv“ wahrgenommene Berufungen sind. Aber um Ratzinger zu zitieren, der dies in Blick auf nichteheliche Lebensgemeinschaften gesagt hat: Theologisch sind diese Berufungen zumindest nicht nichts. Jedenfalls könnte die Kirche damit gut wirtschaften und damit verhindern, dass sie durch weitere Ausdünnung der eucharistischen Dichte nicht nur dem Aufbau der Kirche von innen schwer schadet, sondern zugleich auch dem in jeder eucharistischen Feier sich ereignenden Umwandlung eines Teils der Welt in den österlich-kosmischen Christus (Kol 1,12–20) hinein.

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