Die „Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage“Einzig wahre Kirche

Während die Mitgliederzahlen der Mormonen in Deutschland stagnieren, wächst die Gemeinschaft weltweit. Ihr exklusives Heils- und Selbstverständnis zieht auch zweifelhafte Praktiken nach sich.

Tempel der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage
© Pixabay

Die „Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage“ (HLT) hat ihren Ursprung in Amerika und ist in Deutschland seit 1843 vertreten. Mit etwa 40.000 Mitgliedern in 148 Gemeinden gehört sie hierzulande zu den kleineren religiösen Gemeinschaften. Weltweit hat die Gemeinschaft etwa 17 Millionen Mitglieder und verzeichnet ein beständiges Wachstum, in Deutschland dagegen stagniert die Mitgliederzahl. Den Missionaren, jungen Männern und Frauen, die seriös gekleidet sind und schwarze Namensschilder tragen, begegnet man auf den Straßen und Plätzen größerer Städte oder wenn sie an der Haustür klingeln.

Synkretistische Neureligion

Die Gruppierung versteht sich selbst als „die einzig wahre und lebendige Kirche auf der ganzen Erde“, die erst 1830, nach hunderten von Jahren des Niedergangs der christlichen Kirchen, wiederhergestellt worden sei. Aus Sicht der ökumenisch verbundenen christlichen Kirchen handelt es sich bei den Mormonen jedoch nicht um eine christliche Konfession, sondern um eine eigenständige, amerikanisch geprägte synkretistische Neureligion, die grundlegende Überzeugungen der christlichen Kirchen nicht teilt.

Der Gründer der Mormonen ist der Amerikaner Joseph Smith (1805–1844). Auf der Suche nach der einen, wahren Kirche sollen ihm im Alter von 14 Jahren in einem Wald Gottvater und Jesus Christus erschienen sein. Gott habe ihm mitgeteilt, dass in seinen Augen die Glaubensbekenntnisse aller Kirchen ein Gräuel seien und Smith sich keiner dieser Kirchen anschließen solle. In den darauffolgenden Jahren sei ihm, so Smith, mehrmals ein Engel namens Moroni erschienen.

Der Engel habe ihm im Jahr 1827 einen Stapel goldfarbiger Platten übergeben, die in einer geheimnisvollen Schrift verfasst und mehrere hundert Jahre versteckt gewesen sein sollen. Mithilfe einer besonderen Brille, die bei den Platten lag, sei es ihm gelungen, den Text zu übersetzen. Die Platten habe er, entsprechend der Weisung des Engels Moroni, wieder zurückgeben müssen. Den übersetzten Text veröffentlichte Smith 1830 als „Das Buch Mormon“, von dem sich auch die Bezeichnung „Mormonen“ ableitet.

Im selben Jahr gründete Smith eine neue Kirche, die seit 1838 „Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage“ heißt. Smith sah sich als „Oberster Priester, Seher, Prophet und Offenbarer“ zugleich. 1844 wurde er wegen der von ihm eingeführten und praktizierten Vielehe gelyncht. Unter Leitung seines Nachfolgers Brigham Young (1801–1877) zogen die Mormonen 1846/47 nach Westen in das Salzseetal der Rocky Mountains. Ihr Siedlungsgebiet wurde 1896 als Bundesstaat Utah in die USA aufgenommen. Hauptstadt des Staates und weltweiter Hauptsitz der Mormonen ist seitdem Salt Lake City.

Heute gibt es mehrere voneinander unabhängige Mormonenkirchen. Die größte und wichtigste ist die „Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage“. Sie ist hierarchisch organisiert. An ihrer Spitze steht der Präsident, der nun die Ämter des „Obersten Priesters, Sehers, Propheten und Offenbarers“ innehat. Er verfügt über eine direkte, exklusive Verbindung zu Gott. Der Präsident, seit 2018 Russell M. Nelson, ist der Dienstälteste von 15 „Aposteln“, die wiederum das höchste Gremium, die „Erste Präsidentschaft“, und das zweithöchste Gremium, das „Kollegium der zwölf Apostel“, bilden. Die örtlichen Gemeinden werden von Bischöfen geleitet. Mehrere Gemeinden beziehungsweise Zweige bilden einen „Pfahl“.

Die „Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage“, die nur relativ wenige hauptamtliche Mitarbeitende beschäftigt, finanziert sich durch Spenden. Die meisten Ämter und Aufgaben werden ehrenamtlich ausgeübt. Die „Kirche“ legt großen Wert auf ein intensives Familienleben. Wöchentliche Familienabende, der sonntägliche Gottesdienst, soziales Engagement auch außerhalb der Gemeinschaft sowie zahlreiche weitere Versammlungen bilden feste Bestandteile des Alltags. Eine Besonderheit ist der religiös begründete Verzicht auf schwarzen Tee und Kaffee sowie auf Alkohol und Nikotin. Bis 1890 war es Mormonen erlaubt, bis zu zehn Frauen zu heiraten, seitdem ist die Polygamie verboten.

Für Mormonen stellt das Buch Mormon als „ein weiterer Zeuge für Jesus Christus“ die Grundlage ihres Glaubens dar. Darin wird unter anderem Amerika als Gelobtes Land geschildert, in dem Jesus Christus nach seiner Auferstehung erschienen sei, um hier eine Kirche zu gründen. Zusammen mit dieser Gründungsurkunde bilden die Bücher „Lehre und Bündnisse“ und „Die köstliche Perle“, in denen weitere Visionen Smiths und seiner Nachfolger gesammelt sind, den Kanon der Heiligen Schriften der Gruppierung, zu dem auch die Bibel gehört. Sie gilt als fehlerhaft überliefert und muss daher durch die bereits genannten göttlichen Offenbarungen ergänzt und berichtigt werden. Dazu gehören auch die Offenbarungen, die der Präsident der „Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage“ als „lebender Prophet“ empfängt und die alle bisherigen Offenbarungen fortführen, auch die des Buchs Mormon.

Auf der Grundlage dieser Neuen Offenbarungen ist eine eigene Theologie entstanden, die sich deutlich von zentralen Glaubensüberzeugungen der ökumenisch verbundenen christlichen Kirchen unterscheidet. So sei etwa alles Sein und Werden einem unveränderlichen, universellen „Gesetz des immerwährenden Fortschritts“ (Law of eternal progression) unterworfen. Dieses Gesetz gelte auch für Gott.

Die christliche Vorstellung des einen dreifaltigen Gottes lehnen Mormonen ab. Sie erkennen in Gottvater, Sohn und Heiligem Geist nicht den einen Gott, sondern drei verschiedene Gottheiten. Gottvater war laut dieser Lehre nicht von Anfang an Gott, sondern vor unendlich langer Zeit ein unvollkommener und sterblicher Mensch, der sich durch das „Studium der kosmischen Gesetze“ zur Gottheit emporgearbeitet hat. Seine menschliche Gestalt veränderte sich dabei allerdings nicht: Gott ist immer noch ein Wesen mit einem „fühlbaren Körper aus Fleisch und Gebein“ und residiert auf dem Planeten „Kolob“. Vor ihrer Geburt leben die Menschen als Geister bei Gottvater.

Damit die Menschen wie Gott werden können, hat Gott einen Plan aufgestellt, der es den „Geistern“ ermöglicht, auf die Erde zu kommen. Während des Erdenlebens besteht für Mitglieder die Möglichkeit, durch strenges Einhalten der mormonischen Gebote das Ziel nach dem Tod zu erreichen. An den Tod schließt sich bis zur Auferstehung ein Aufenthalt in einem Zwischenreich (Geisterwelt) an. Danach leben die Menschen, die das Ziel erreicht haben, in einem vollkommenen unsterblichen Körper in der „celestialen Herrlichkeit“. Nur in der „Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage“ Getaufte können exklusiv das höchste „celestiale“ Heil erlangen.

Die Taufe anderer Kirchen erkennt die Gruppierung nicht an. Sie selbst vollzieht die Taufe bei Kindern ab acht Jahren. Wer als Erwachsener eintritt, wird ebenfalls getauft. Die Taufe kann unter bestimmten Umständen wieder aberkannt werden.

Aus ihrem exklusiven Heils- und Selbstverständnis heraus ist den Mormonen die Missionstätigkeit ausgesprochen wichtig. So sollten junge Mitglieder als Missionare eine selbst finanzierte ein- bis zweijährige Vollzeitmission in den Missionsgebieten erfüllen.

Geheime Tempelrituale

Eine mit hohem Aufwand betriebene Ahnenforschung dient dazu, die Lebensdaten von Verstorbenen zu Missionszwecken ausfindig zu machen. Dazu werden weltweit etwa 5700 Genealogie-Forschungsstellen unterhalten, 97 davon in Deutschland. Verstorbene werden nachträglich stellvertretend mormonisch getauft und so in die Gemeinschaft eingegliedert, selbst dann, wenn sie zu ihren Lebzeiten anderen Religionen angehörten. Dieses Vorgehen stößt nicht nur bei den Angehörigen anderer Religionen auf Befremden und Kritik. Nach heftigen Protesten gegen die sogenannte mormonische Totentaufe von Anne Frank erklärte man 2012, künftig keine Juden mehr post mortem mormonisch zu taufen, die im Holocaust ermordet wurden.

Die „Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage“ kennt zwei ausschließlich Männern vorbehaltene Priestertümer, das einfache „aaronische“ und das höhere „melchizedekische Priestertum“. In den Gemeindehäusern finden die sonntäglichen Gottesdienste statt. Diese stehen allen Interessierten offen. Daneben bilden die Tempel besondere mormonische Heiligtümer. Zwei davon gibt es in Deutschland, in Freiberg (Sachsen) und Friedrichsdorf (Hessen). Dort erhalten nur Mitglieder Zutritt, die einen „Tempelempfehlungsschein“ ihres Bischofs vorweisen können. Die Rituale werden geheim gehalten, außerhalb des Tempels darf darüber nicht gesprochen werden.

Zu den Tempelritualen gehören etwa das „Endowment“, das mit dem Tragen der Tempelkleidung, der „Garments“, verbunden ist, und die „Siegelung“, eine Eheschließung, die über den Tod hinaus fortbesteht. Im Tempel können Mitglieder stellvertretend sakrale Handlungen für bestimmte Verstorbene an sich vollziehen lassen, so die Taufe. Auf diese Weise sollen Menschen gerettet werden, die zu ihren Lebzeiten keine Möglichkeit hatten, mit der „einzig wahren und lebendigen Kirche auf der ganzen Erde“ in Kontakt zu kommen.

Diese und weitere Rituale gehören zum sogenannten Tempeldienst und dürfen nur dort vollzogen werden. In den geheimen Tempelritualen finden sich Anklänge an den altjüdischen Tempelkult, esoterische sowie magische und freimaurerische Elemente. Durch häufige Teilnahme an diesen Ritualen erfüllen Gläubige das „Werk“, um zur „himmlischen Herrlichkeit“ aufzusteigen.

Auch wenn zwischen den christlichen Kirchen und der „Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage“ aus Sicht der ökumenisch verbundenen christlichen Kirchen keine ökumenischen Beziehungen möglich sind, gibt es vielerorts gute Kontakte und ein gutes interreligiöses Miteinander, in das sich viele Gemeinden konstruktiv einbringen. Auch zivilgesellschaftliches Engagement ist ihnen wichtig.

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