Leben im Geist der ignatianischen SpiritualitätLieben und Dienen

Die Welt wird beherrscht von unzähligen Geistern, nicht nur vom Heiligen Geist. Auf die Unterscheidung der Geister, der konstruktiven von den destruktiven, fokussiert sich die ignatianische Spiritualität.

Spirituell leben heißt sein Leben vom Spiritus Sanctus prägen lassen. Seit dem Anfang der Schöpfung durchwirkt dieser die universale Wirklichkeit. Wer aus der ignatianischen Spiritualität lebt, wendet sich daher der Welt zu, um in allen Lebensbereichen Gott zu suchen und zu finden. Kein Bereich ist ausgeschlossen, bis hin zur Technik, die vielen unspirituell erscheint, bis hin zur Unterhaltungsindustrie und Politik, wo sich die Geister von Narziss und Selbstbehauptung besonders munter tummeln.

Die Wirklichkeit ist tatsächlich nicht nur vom Heiligen Geist geformt. Unzählige Geister, denen es nur um sich selbst geht, beherrschen sie. Auch destruktive Kräfte sind omnipräsent. Doch kein Zurückschrecken. Gefragt ist die Unterscheidung der Geister: Die Welt so nüchtern wie möglich wahrnehmen und zugleich in sich selbst hineinhorchen, um zu erfassen, welche Dynamiken untergründig am Werk sind, um zu erkennen, worauf sie heimlich hinauslaufen. In diesem Sinn das Leben bebeten, vorurteilslos im Licht Gottes betrachten und innerlich Stellung beziehen. Das tägliche Gebet der liebenden Aufmerksamkeit richtet so alle Bereiche auf Gott aus, stärkt die schöpferischen Kräfte und bietet der Kleingeistigkeit, der ängstlichen Selbstbezogenheit und der Lust am Niedrigen die Stirn.

Die Unterscheidung der Geister muss eingeübt werden, weil ein oberflächlicher Blick oft trügt. Gut gemeinte Initiativen sind zum Beispiel immer auch mit Eigeninteressen vermischt. Das ist zunächst nicht schlimm. Doch es braucht Motivationsreinigung und Erhöhung der Frustrationstoleranz, um nachhaltig und selbstlos den Lebenszusammenhängen zu dienen. Darum geht es der ignatianischen Spiritualität: lieben und dienen. Besteht das Lehrlingsstück darin, konstruktive und destruktive Geister zu scheiden, so das Meisterstück darin, gute von besseren zu unterscheiden. Aus den vielen Handlungsmöglichkeiten, die die Lebensgestaltung gerade in einer global-offenen Gesellschaft bereithält, gilt es diejenigen auszuwählen, die zur eigenen Biographie passen. „Was ist der Wille Gottes für mich?“, lässt Ignatius von Loyola als geistlicher Meister die Menschen fragen.

Der Mensch ist im Abbild Gottes geschaffen und zur Imitatio Christi gerufen. Daher soll der Mensch seine Berufung finden und das eigene Charisma entdecken. Nur so kann er fruchtbar Verantwortung in Kirche und Welt übernehmen. Biographiearbeit, die innere Wunden verheilen lässt und in der angehäufte Schuld Vergebung findet, ist dazu unerlässlich. Nur radikale Selbsterkenntnis vor Gott macht frei von ungeordneten Anhänglichkeiten. Denn wer seine psychischen Muster nicht kennt, projiziert sie auf seine Umwelt. Wer sein Inneres nicht in der Gegenwart des Einen sammelt, bleibt fixiert im rivalisierenden und neidbeladenen Nachäffen von Mitmenschen. Im Dschungel der Seelenregungen bleibt er verstrickt. Innere Freiheit aber hilft, die eigene Kernverletzung im Schmelztiegel göttlicher Barmherzigkeit zur Kernkompetenz transformieren zu lassen.

Wenn Papst Franziskus sagt, er sei als Sünder auf den Stuhl Petri berufen, drückt er diese tiefe Überzeugung aus. Der Mensch muss weder perfekt noch fehlerfrei sein. Vielmehr ist ihm aufgetragen, sich als Persönlichkeit von Gott her formen zu lassen, ihm im Lebensvollzug ähnlich zu werden und den göttlichen Willen im eigenen Leben zu suchen. Im Menschsein Jesu erneuert, lässt er sich vom Auferstandenen, der die verklärten (!) Wunden an sich trägt, in die Welt senden.

Ignatianisches Leben ist von einem Sendungsbewusstsein getragen, weil es die Erfahrung von Tod und Auferstehung Christi in sich aufgenommen hat, und diese drängt zur Gestaltung. Es nimmt an Christi Sendung teil, heilend und versöhnend, Gerechtigkeit schaffend und Frieden stiftend, Aufklärung bringend zu wirken. Diese vita activa ist ein Ruhen in Gottes Handeln an dieser Welt. Ein in actione contemplativus gelingt aber nur, wenn der Mensch immer wieder Distanz zum Alltag sucht, den Raum des Schweigens und Hörens betritt. Dazu hat Ignatius das Exerzitienbuch verfasst. Er gibt es Seelenführer und Seelenführerinnen an die Hand, die in solchen Tagen begleiten. Das Buch beginnt mit dem „Prinzip und Fundament“. Ignatius fordert die Übenden auf, sich „indifferent“ zu machen. Nicht gesellschaftliche Wertvorstellungen oder Kräfte sollen bestimmend sein; allein das Ziel, zu dem der Mensch im Leben unterwegs ist. Diese Haltung bedeutet innere Freiheit und Engagiertheit, allein zur größeren Ehre Gottes zu leben. Ignatius weiß mit der apophatischen Theologie jedoch darum, dass der Wille Gottes nie ganz erkennbar ist. Gott ist immer größer. Daher ist das menschliche Leben dynamisch von einem „mehr“ getragen, in dem der Mensch über sich hinauswächst, sich auf Gott hin transzendiert.

Anzeige: Ich bin, wie Gott mich schuf von Sabine Estner und Claudia Heuermann

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