GesellschaftNur mit Wertekonsens

Muslim mit Jackenaufschrift
© KNA

Dialog statt Zusammenprall der Zivilisationen ist eine Maxime, die auch für die Debatte über Migration gilt. Zum Dialog der Kulturen gehört es, die Geschichte zu kennen und aus ihr Lehren für die Zukunft zu ziehen. Die islamisch-europäische Geschichte ist vierzehn Jahrhunderte alt. Muslime kamen zweimal als Eroberer nach Europa: im 8. Jahrhundert von Südwesten (Eroberung Spaniens) und im 14. und 15. Jahrhundert von Südosten (Eroberung des Balkans). Während der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat eine dritte Welle des Vordringens des Islam nach Europa begonnen. Diese vollzieht sich im Rahmen globaler Migration und ist bisher friedlich verlaufen. Dabei ist der Islam aber nicht europäisch geworden – dies bleibt ein Ziel. Nur eine erfolgreiche Integrationspolitik und die Institutionalisierung eines Euro-Islam können gewährleisten, dass Migranten und Einheimische auch in Zukunft friedlich zusammenleben.

Kann Europa heute die islamischen Migranten derart integrieren, dass sie Europäer werden, jedoch ohne sie, wie es einst die Rückeroberer Spaniens während der Reconquista mit den verbliebenen Muslimen und Juden taten, zwangsweise zu assimilieren? Ist es möglich, eine islamische Identität und das Konzept einer europäischen citoyennité miteinander zu verbinden? Afrikaner haben nach dem Übertritt zum Islam dieser Religion einen afrikanischen Charakter gegeben. Die Folge dieser Adaption des Islam ist, dass er in einer ihm fremden Gesellschaft einheimisch wurde. Er wurde dadurch zum Afro-Islam. In ähnlicher Weise haben die Südasiaten einen Indo-Islam entfaltet, der auf dem indischen Subkontinent heimisch ist. Dass der Islam in Europa fremd bleibt, liegt gleichermaßen an Europäern wie Muslimen.

Große Teile der europäischen Jugend lehnen es in unserer Zeit ab, die etablierte Lebensweise weiterzuführen und traditionelle westliche Werte und Normen zu akzeptieren. Intellektuelle und Wissenschaftler kultivieren diesen Trend zu einer Denkweise des „Postmodernismus“, der jede Objektivität und jeden Wertekonsens infrage stellt und praktisch in einer Wertebeliebigkeit resultiert. Doch unter den Bedingungen der Zuwanderung von Menschen aus anderen Kulturen ist Integration und somit innerer Friede gerade ohne einen Wertekonsens nicht möglich.

Gleichzeitig bringen Migranten aus nicht-westlichen Kulturen eigene Werte und Anschauungen mit, die oftmals aus ihrer religiösen Zugehörigkeit resultieren. Die liberalen Gesellschaften des Westens, in die diese Migranten aus Asien und Afrika einwandern, haben ein Verständnis des Menschen als eines Individuums, welches im deutlichen Gegensatz zur kollektiven Identität dieser Migranten steht. Denn letztere greifen auf eine Tradition der Homogenität und des ethnisch-religiösen Zusammenhalts zurück und verkörpern somit jeweils ein Kollektiv. Daraus folgt, dass die Migranten lernen müssen, mit Vielfalt im pluralistischen Sinne zu leben. Real hat es stets Vielfalt in der islamischen Geschichte gegeben, aber es gibt keine geistige Tradition, die diese Vielfalt pluralistisch legitimiert.

Gegen die Potenziale einer kulturellen Balkanisierung, die die in derselben Gesellschaft lebenden Menschen auseinanderdividieren würde, schützt nur ein demokratisch-pluralistischer Wertekonsens, der für alle in einem Gemeinwesen Zusammenlebenden gleichermaßen Verbindlichkeit besitzt. Demokratische Integration muslimischer Einwanderer verspricht im Kampf gegen Terrorismus mehr als jede Sicherheitspolitik. Dafür braucht es allerdings eine europäische Leitkultur, die den Rahmen für einen Wertekonsens und für Integration bietet.

Selbst ein ethnisch Nicht-Deutscher, der im Sinne von citoyen Wahleuropäer geworden ist, trete ich für die zivilisatorischen europäischen Werte wie säkulare Demokratie, individuelle (nicht kollektive) Menschenrechte, Zivilgesellschaft, Toleranz sowie religiösen und kulturellen Pluralismus als eine Leitkultur ein, die Migranten sich in Deutschland europäisch fühlen lässt. Um dieses Ziel zu erreichen, besteht Bedarf an einer Diskussion über eine wertebezogene Grundlage für ein friedliches Zusammenleben in einem kulturell vielfältigen, jedoch auf einem Wertekonsens beruhenden, also ohne Parallelgesellschaften bestehenden, demokratischen Gemeinwesen. Wenn dies gelingt, können Fremde ein Zugehörigkeitsgefühl in Bezug auf Deutschland entwickeln. Dies wäre eine gelungene Integration und sie ist für das 21. Jahrhundert für Deutschland zu wünschen.

Beide Parteien haben eine Bringschuld. Muslimische Migranten können nur im Rahmen von einem von ihnen zu erbringenden Reformislam ohne Scharia und ohne Djihad integriert werden, nur so werden sie integrationswillig. Die deutsche Gesellschaft muss sich von der ethnischen Bestimmung des Bürgers befreien und stattdessen ein Citoyen-Verständnis in die deutsche politische Kultur einführen. Nur so werden die Deutschen integrationsfähig. Gelingt beides nicht, dann sind Parallelgesellschaften als tickende Bombe die Folge.

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