Heute an das Handeln Gottes glaubenDurchbrochene Naturgesetze?

Es gibt verschiedene Modelle, das Handeln Gottes theologisch zu denken, ohne Gott dabei auf einen einzigen Schöpfungsakt zu beschränken oder ihm eine Allwirksamkeit zuzuschreiben, wie sie die Volksfrömmigkeit kennt. Wie lässt sich am besten vom Wirken Gottes sprechen, ohne in Konflikt mit naturwissenschaftlichen Theorien zu kommen?

„Der Mensch von heute baut darauf, dass der Lauf der Naturund Geschichte, wie sein eigenes Innenleben und sein praktisches Leben, nirgends vom Einwirken übernatürlicher Kräfte durchbrochen wird“, schrieb Rudolf Bultmann 1964in seinem Aufsatz „Jesus Christus und die Mythologie“. Wenn überhaupt von einem „Handeln“ Gottes gesprochenwerden kann, dann besteht es nach Bultmann in der Veränderung des Existenzverständnisses des Menschen. Der Mensch, der sich von Gott her versteht, versteht auch seinenatürliche und geschichtliche Lebenswelt von Gott her. Er erkennt Qualitäten in ihr, die der Nichtglaubende, der sich von „der Welt“ her versteht, nicht „sieht“. In der Sicht des Glaubens bekommen die Dinge einen überempirischen Mehrwert. Das ist nicht im Sinne einer Projektion zu verstehen, sondern als Sehen in der Gott-Perspektive. Gott handelt demnach nicht interventionistisch zwischen den Ereignissen der Welt, in dem er ihren Kausalnexus unterbricht, sondern in ihnen, ohne ihre Eigendynamik außer Kraft zu setzen und ohne spontankausal neue Ereignisketten zu starten. Er führt keine äußeren Veränderungen herbei, sondern schafft innere Qualitäten, die sich jedoch nur vom Vorverständnis des christlichen Glaubens her erschließen. So wie es die Wirklichkeit nicht „an sich“, sondern immer nur „für mich“ gibt, so gibt es auch das Handeln Gottes nicht in einem objektiven, naturwissenschaftlich beschreibbaren Sinn, sondern immer nur als ein Beziehungsgeschehen, dem sich die Welt „als“ Schöpfung Gottes zeigt.

Das naturalistische Wirklichkeitsverständnis von Rudolf Bultmann

Bultmann hat dieses Verständnis nicht als kritischer Religionsphilosoph, sondern als Neutestamentler – nicht zuletzt an den Wundererzählungen des Neuen Testaments – entwickelt. Er bringt damit nicht nur das Immanenz-Postulat des naturwissenschaftlichen Weltbildes, das jegliche transzendent-extramundane Wirkursache ausschließt, zur Geltung, sondern auch zentrale exegetische Einsichten: etwa die Einsicht, dass es sich bei den neutestamentlichen Wundererzählungen nicht um sachliche Berichte objektiver Geschehnisse, sondern um Glaubenswunder handelt, die Glauben voraussetzen, im Glauben erlebt werden und Glauben stärken. Es gibt sie nicht „an sich“, sondern nur in einem Geschehenszusammenhang, der sich auch atheologisch wahrnehmen und beschreiben lässt.

Als glaubendes „Sehen-als“ ist die Bezeugung des Handelns Gottes an einen Bezugsrahmen des Glaubens gebunden. Diese Einsicht ist für jedes Verständnis des Handelns Gottes von Bedeutung – auch wenn sie sich von Bultmann distanziert. Damit ist durchaus nicht einem theologischen Subjektivismus das Wort geredet, sondern wird nur daran erinnert, dass die Wirklichkeit und Wirksamkeit Gottes nur in Form glaubender Erschließungserfahrungen wahrgenommen werden kann. Bultmanns „existentiale Interpretation“ der christlichen Glaubensinhalte hat ihm den Vorwurf eingetragen, das Wirken Gottes aus Natur und Geschichte herauszudrängen. Hans Jonas, der bei Bultmann studiert hatte und ihm freundschaftlich verbunden blieb, warf ihm vor, dem „modernen Immanenzaxiom“ zu viel Raum gegeben zu haben. In einem 1976 vorgetragenen und 1977 in einem Band zum Gedenken an seinen Lehrer Bultmann veröffentlichten Vortrag kritisiert er die philosophischen Voraussetzungen der Theologie seines theologischen Lehrers. Diese seien zu sehr einem naturalistischen Wirklichkeitsverständnis verpflichtet, das spezifische Handlungen Gottes ausschließe. Doch schon an der menschlichen Handlungsfreiheit werde sichtbar, dass nichtphysische Impulse in Gestalt von Willensentscheidungen zu spezifischen physischen Ereignissen führen können. Dabei würden keineswegs die Naturgesetze verletzt oder durchbrochen. Diese stellten vielmehr einen Rahmen von Bedingungen dar, innerhalb dessen freies Handeln möglich sei. Was aber für menschliches Handeln gelte, könne für göttliches Handeln nicht von vornherein geleugnet werden.

Die Kritik Jonas’ an Bultmann kommt jedoch über die Behauptung der Möglichkeit eines Handelns Gottes nicht hinaus. Die Frage, wie ein solches Handeln zu denken sei, bleibt offen. Und offen bleibt auch die Frage, ob der Begriff des „Handelns“ überhaupt sinnvoll auf Gott angewendet werden kann. Dieser ganz auf den tätigen Weltbezug des Menschen bezogene Begriff enthält eine Reihe von Implikationen, die seine Übertragung auf Gott höchst problematisch erscheinen lassen. Diesen kategorialen Unterschied bringt Jonas nicht ausreichend zur Geltung und läuft damit Gefahr, Gott und sein Wirken zu anthropomorphisieren.

Handelt Gott im Rahmen der naturgesetzlichen Ordnung?

Im Unterschied zum bloßen Verhalten ist Handeln verbunden mit Intentionalität, es steht also in der Differenz von Wollen und Tun, Zwecksetzung und Zweckverwirklichung. Es ist eingebunden in die Polarität von Freiheit und Notwendigkeit, das heißt, es vollzieht sich immer im Rahmen von Bedingungen, die dem Handeln vorgegeben sind und von ihm nicht geändert werden können; dazu gehören auch die naturgesetzlichen Regelmäßigkeiten. Es besteht im Hervorbringen spezifischer Veränderungen von Zuständen und ist zeitlich – in einer Handlungssequenz – verfasst, die von einer weiteren Handlung oder von einer Phase des Nichthandelns gefolgt werden kann. Beim instrumentellen Handeln kann man zwischen Zwecken und Mitteln unterscheiden.

Jede einzelne dieser vier Implikationen des Handlungsbegriffs ist problematisch in der Anwendung auf Gott. Das muss dazu führen, diesen Begriff auszudehnen oder ihn für ungeeignet zu erklären. Man kann ihn ausdehnen, indem man etwa das direkte vom indirekten, mediaten Handeln unterscheidet und Gottes Handeln als ein vermitteltes darstellt: Gott handelt mittelbar – wie Salomo, der den Tempel baute, obwohl er vermutlich keinen Finger dafür gerührt hat, sondern die Arbeit durch seine Ingenieure, Handwerker und Sklaven verrichten ließ. Gott ist demnach die primäre Ursache, die vermittelt durch die sekundären Ursachen wirkt. Die Transzendentalursache wirkt – gewissermaßen als „Weltseele“ – durch die „leiblichen“, geschöpflichen Kategorialursachen, ohne dass man ein kausales Bindeglied angeben könnte; so wie man auch kein kausales Bindeglied zwischen einem Willensentschluss und einer Handbewegung angeben kann. Das Supersubjekt wirkt durch Subsubjekte. Die priesterschriftliche Schöpfungsüberlieferung (Gen 1, 1–2,4a) deutet die ältere Erzählung (Gen 2, 4b–25) in diesem vergeistigenden Sinne um. Gott „macht“ nicht die Schöpfung wie ein Handwerker, er handelt vielmehr durch sein Wort und ruft damit ins Sein. Nach Gen 1, 24 sprach er: „Die Erde bringe hervor lebendiges Getier.“ Die Erde ist das Medium des Wirkens. Ähnlich liest man es in Gen 1, 11. Das bedeutet dann allerdings auch, dass Gott in der Regel „secundum ordinem“, das heißt im Einklang mit der von ihm gesetzten Naturordnung, wirkt. Im Blick auf die biblischen Überlieferungen von den singulären Machttaten Gottes – der Herausführung Israels aus Ägypten etwa oder den Wundern, von denen das Neue Testament berichtet – unterschied man schon in der Scholastik zwischen dem regulären und dem extraordinären Handeln Gottes. In der Regel handelt Gott – gemäß seiner „potentia ordinata“ – im Rahmen der naturgesetzlichen Ordnung. In Ausnahmefällen kann er aber seine Allmacht gebrauchen, um „supra“ und sogar „contra ordinem“ zu handeln. Unter diesem Vorbehalt konnte man biblische Erzählungen wie Jos 10,12f.einordnen, die von einer Durchbrechung der Naturgesetze sprachen.

Schöpfung durch Evolution denken

Dieses schon von Thomas von Aquin favorisierte Modell der doppelten Ursächlichkeit bietet die Möglichkeit, am Glauben an Gottes Handeln in Natur und Geschichte festzuhalten, ohne Gott zu einer Handlungsinstanz auf gleicher Ebene mit den geschöpflichen Handlungsinstanzen zu erklären, wie es der Fall wäre, wenn sein Handeln als direkte Intervention vorgestellt würde. Damit vermeidet dieses Modell ein massives Problem, das sich stellt, wenn die Weltwirksamkeit Gottes nach der Vorstellung des menschlichen Handelns konzipiert wird: Es kommt zu einer Konkurrenz zwischen dem Wirken Gottes und dem der geschöpflichen Agenten. Und diese Konkurrenz bringt die relative Handlungsfreiheit des Menschen ebenso in Gefahr wie die Selbstorganisation der Naturprozesse und die Eigendynamik geschichtlicher Prozesse.

Das Modell des mediaten Handelns stellt demgegenüber nicht vor die Alternative: Schöpfung oder Evolution, sondern ermöglicht, Schöpfung durch Evolution zu denken. Nicht Heilung durch Gottes Kraft oder durch medizinische Behandlung, sondern Heilung durch Gottes Kraft unter Inanspruchnahme der ärztlichen Kunst. Der Gedanke der Inanspruchnahme bildet das Vermittlungsglied zwischen menschlichem und göttlichem Wirken. Gott ist nicht eine Ursache in der Welt, sondern die Ursache der Welt. „Ursache“ aber nicht im Sinne von physischer Wirkkausalität, sondern als tragender Konstitutionsgrund der Welt und aller Geschehnisse in ihr, ohne sie direkt und unmittelbar zu verursachen.

Mit dieser Unterscheidung zwischen der meta-physischen causa prima, die durch die physischen causae secundae wirkt, lässt sich die theologische Weltdeutung und die naturwissenschaftliche Wirklichkeitserklärung gut zusammen denken. Diese liegen auf verschiedenen Ebenen und kommen nicht in Konflikt miteinander. Gott wirkt formativ und teleologisch, nicht kausal in einem physikalisch, chemisch oder biologisch beschreibbaren Sinn. Deshalb hat es keinen Sinn, sein Wirken im Kausalitätsgefüge der Wirklichkeit lokalisieren zu wollen. Biologisch lässt sich die Entstehung eines Menschen vollständig durch die Verschmelzung von Ei- und Samenzelle erklären. Und trotzdem ist es berechtigt zu sagen, Gott habe dieses Kind ins Sein gerufen. Mediates Handeln ist kommunikatives Handeln. Es vollzieht sich nicht durch unmittelbaren Eingriff in einen Zustand oder eine Ereigniskette, sondern durch Beauftragung, durch das „Wort“, durch ein Gebot, das andere Handlungsinstanzen ausführen. Alle Formulierungen in der biblischen Überlieferung, die davon sprechen, dass Gott etwas geschehen „lässt“, weisen darauf hin. Dabei ist dieses aktive Entstehenlassen zu unterscheiden von einem passiven Geschehenlassen oder einem Zulassen.

Während diese erste Ausdehnung des Handlungsbegriffs durch Unterscheidung zwischen immediatem und mediatem Handeln aus der menschlichen Erfahrungswelt durchaus vertraut ist, geht die zweite darüber hinaus. Sie besteht in der Zuschreibung der Allwirksamkeit. Die Vorstellung, dass Gott Einzelnes, Spezifisches, Besonderes wirkt, wirft die Frage auf, warum er gerade dieses und nicht anderes wirkt und warum er hier wirkt und dort nicht. Es stellt sich die Theodizeefrage, die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes: Wenn er die Israeliten durch die Flut des Schilfmeers retten konnte, warum hat er es nicht auch in Auschwitz getan? Konnte er nicht oder wollte er nicht? Im ersten Fall steht seine Allmacht in Frage, im zweiten seine Güte. In drastischer Deutlichkeit brachte der anglikanische Bischof David Jenkins diesen Einwand in einer Rede vor der Generalsynode der Church of England am 6. Juli 1986 zum Ausdruck: Ein Gott, der Wunder zu wirken in der Lage sei, aber nichts tue, um Auschwitz, Hiroshima, Hungersnöte und Apartheid zu überwinden, „must be the very devil“.

Wenn man nun annimmt, dass Gott nicht das einzelne Geschehen unmittelbar wirkt, dann ist er auch nicht unmittelbar verantwortlich dafür. Wenn er nicht das Einzelne, sondern den „Gesamtakt“ der Schöpfung ins Sein ruft, erhält und auf ein Bestimmungsziel ausrichtet, und wenn in den einzelnen Geschehensabläufen innerhalb des Gesamtaktes relative Freiheit für die Selbstentfaltung der Schöpfung herrscht, dann wird es denkbar, dass vieles geschieht, das nicht dem Willen Gottes entspricht. Etliche biblische Überlieferungen geben Zeugnis davon. An der Kontinuität und Beständigkeit des Wirkens Gottes und damit an der Treue Gottes gegenüber seinen Verheißungen ändert das nichts. Allwirksamkeit bedeutet dann nicht, dass Gott alles wirkt – das würde auf einen theologischen Determinismus hinauslaufen –, sondern dass er über allem und in allem wirkt.

Zwischen Deismus und Volksfrömmigkeit

Die vier bisherigen Modelle des Schöpfungswirkens Gottes sind partiell kombinierbar: das Modell des existentialen Glaubenswirkens, das davon ausgeht, dass Gott primär einen sinnstiftenden Bezugsrahmen kreiert, der die Welt als Schöpfung erschließt; das Modell des Handelns, demzufolge Gott einzelne Ereignisse willentlich hervorbringt; das Modell der Primär- und Sekundärursächlichkeit, das die Vermitteltheit des Wirkens Gottes betont und damit der relativen Freiheit des Menschen und der Eigendynamik von Natur und Geschichte Raum gibt; das Modell der Allwirksamkeit, das von einem Gesamtwirken ausgeht, das sich über und in allem Einzelnen vollzieht. Alle diese Ansätze positionieren sich zwischen den zwei entgegengesetzten Extremen des Deismus und der Alleswirksamkeit. Das deistische Modell, das in der Frühneuzeit, als die Naturwissenschaften aufzublühen begannen, Hochkonjunktur hatte, wendet sich scharf gegen die Vorstellung einer handelnden Intervention Gottes. Demgegenüber sieht es Gott als perfekten Uhrmacher, der seine Uhr so vollkommen konstruiert hat, dass sie keiner weiteren Nachjustierung bedarf. Würde Gott in den Gang des kosmischen Prozesses eingreifen (müssen), so wäre das ein Indiz für eine Unvollkommenheit der Schöpfung. Im Hintergrund steht der Glaube an die Unverbrüchlichkeit der naturgesetzlichen Ordnung. Würde das Naturgesetz nur an einer einzigen Stelle durchbrochen, so würde das den Gesetzescharakter insgesamt aufheben.

Auf der anderen Seite steht das Modell der Alleswirksamkeit, wie es etwa im Okkasionalismus, aber auch in weiten Teilen der katholischen und reformatorischen Theologie, vor allem aber in der Volksfrömmigkeit begegnet. Während der deistische Ansatz die Erklärung der natürlichen Wirklichkeit ganz den Naturwissenschaften überlässt, dabei aber in Konflikt mit der biblischen Überlieferung und der theologischen Tradition kommt, muss das Modell der Alleswirksamkeit die Gültigkeit, zumindest die Letztgültigkeit der immanentistischen naturwissenschaftlichen Wirklichkeitserklärungen bestreiten.

Gibt es eine Möglichkeit, vom Wirken Gottes zu sprechen, bei der die Engführung auf die anthropomorphe Vorstellung vom „Handeln“ mit ihren problematischen Implikationen zurücktritt und der Konflikt mit naturwissenschaftlichen Theorien vermieden wird, ohne diese zur Weltanschauung zu erheben, was sie nicht sein wollen und können? In Anlehnung an Wolfhart Pannenberg, Jürgen Moltmann, Dietrich Ritschl erscheint das aus der naturwissenschaftlichen Theoriebildung übernommene, aber über sie hinausgeführte Modell des effektiven Kraftfeldes hilfreich. Gottes Geisteskraft ist demnach wie ein morphogenetisches Kraftfeld zu denken, das über die gesamte Wirklichkeit ausgespannt ist, sie durchdringt und seinen Einfluss auf alles Geschehen darin ausübt. Der Geist Gottes wirkt nicht im Sinne einer kybernetischen „Steuerung“, sondern – im Modus des Geistes – durch „Inspiration“, das heißt nie durch determinierende Wirkkausalität, sondern durch Ausstrahlung der operativen Präsenz Gottes. Durch die Kraft seiner Gegenwart „ruft“ er Strukturen und Ordnungsmuster ins Sein, öffnet die Augen für Sinnmuster, bringt die Schöpfungsbestimmung in Erinnerung, weckt Hoffnung auf ihre Verwirklichung, führt damit aus der Verhaftung an den Status quo heraus, spricht von Verfehlungen dieser Bestimmung frei, macht auf diese Weise neue Lebensanfänge möglich und gibt Kraft zur Beharrlichkeit auf dem oft nicht erkennbaren Weg hin zu diesem Ziel.

Im Blick auf das Naturgeschehen ist Gottes Wirksamkeit zu bestimmen als Freisetzung kreativer Energie gegen die Dynamik entropischer Strukturauflösungen (theologisch kann sie „Segen“ genannt werden), als Ausrichtung dieser Energie auf den Auf- und Ausbau von Systemen, die Leben fördern, aber auch als Durchbrechung lebensfeindlicher Systemverfestigungen und -abschließungen. Diese Wirksamkeit kann also nicht einfach mit dem bloßen Aufbau von zunehmend komplexen Strukturen identifiziert werden. Sie hat eine inhaltliche Zielrichtung, die sich auch in der Störung und Zerstörung bestimmter Strukturbildungen realisieren kann. Sie zielt auf die Schaffung, Erhaltung und Erfüllung von Leben. Daher gehört zur „konstruktiven“ Wirksamkeit auch die „destruktive“: die Sprengung verfestigter, lebenshemmender, unterdrückender, todbringender Formen.

Gottes Wirken vollzieht sich weniger im Modus der Verursachung und mehr in der Art einer Formung, einer Einflussnahme auf Gestaltungsprozesse, also nicht im Sinne der aristotelischen Wirkursächlichkeit (causa efficiens) und mehr im Sinne einer metaphysischen Formursache (causa formalis), die Figurationen hervorbringt. Dass Gottes Wirksamkeit nach dem Modell des morphogenetischen Feldes auch auf den Bereich der Natur zu beziehen ist, kann jedoch nicht bedeuten, dass sie mit den dort stattfindenden Selbstorganisationsprozessen und ihrer inneren Steuerung identifiziert werden dürfe. Die Kraft seines Geistes bleibt auf einer kategorial davon verschiedenen Ebene angesiedelt. Die Selbstorganisationsprozesse lassen sich im Bezugsrahmen naturwissenschaftlicher Theorien vollständig erklären. Es bedarf in dieser Perspektive nicht der Annahme einer zusätzlichen meta-physischen Ursächlichkeit.

Erst dort, wo diese Prozesse in die Perspektive der Frage nach ihrem Sinngrund und ihrer Zielbestimmung gestellt werden, tritt die Theologie auf den Plan. Von der biblischen Überlieferung, der christlichen Tradition und dem gegenwärtigen Glaubensdenken her weiß sie sich berechtigt und beauftragt, die naturwissenschaftlich erklärte Wirklichkeit mit bekenntnishaften Prädikationen zu versehen, die ihr eine metaempirische Qualität („Schöpfung“) zusprechen und in ihr eine Einwirkung der göttlichen Geisteskraft zur Ausrichtung auf die Schöpfungsbestimmung erkennen. Aber diese Einwirkungen sind nicht objektiv beschreibbar, sondern erschließen sich nur im Interaktionsdreieck von Wirklichkeit, Erfahrung und Gottesbewusstsein. Es handelt sich um eine theologische Wiederbeschreibung der wissenschaftlich erschlossenen Wirklichkeit. Nichts anderes haben auch die Verfasser der priesterschriftlichen Schöpfungserzählung im Rahmen des naturkundlichen Wissens im babylonischen Exil getan.

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