In der Theologiegeschichte hatte die Kosmologie immer mit Gott zu tun. Das gilt für die Bibel und war noch so bei Thomas von Aquin und seinem „kosmologischen Gottesbeweis“. Der Kosmos erweckt in uns den Gedanken an die Unendlichkeit. Aber sowohl die Bibel als auch Thomas gehen von einer Prämisse aus, von der wir heute weit abgerückt sind: Sie unterstellen eine finale Weltordnung. Bevor die moderne Naturwissenschaft entdeckt wurde, kannte man gar nichts anderes als finale Ordnungssysteme. Plato nennt mechanische, afinale Zusammenhänge „irrational“ und bei Aristoteles kommen sie nur am Rande vor und werden nicht weiter beachtet. Wenn Thomas von „Ordnung“ (= „ordo“) spricht, meint er immer eine finale Ordnung; auch sein kosmologischer Gottesbeweis beruht ganz auf diesem Fundament.
Für Immanuel Kant, der als Erster die wissenschaftliche Revolution philosophisch vollständig ernst nimmt, ist die Ordnung der Natur rein kausal. Sie hat keinen Verweischarakter mehr: Wenn er in einem Atemzug vom „gestirnten Himmel“ und vom „moralischen Gesetz“ spricht, so denkt er nur noch an eine entfernte Analogie. War bei Thomas die „lex naturalis“ nicht nur das Naturgesetz, sondern zugleich auch das Sittengesetz, so hat für Kant das Sittengesetz mit dem Naturgesetz überhaupt nichts mehr zu tun. Was wir tun sollten, folgt nicht aus der Natur, sondern aus der praktischen Vernunft und beide sind nur noch insofern analog, als der kategorische Imperativ unsere Maximen ebenso bestimmt (oder bestimmen sollte), wie das Newtonsche Kraftgesetz die Bewegungen der Planeten. In einer solchen Sichtweise ist der Weg zu den Gottesbeweisen verbaut und insbesondere Thomas’ erster Gottesbeweis aus der Bewegung verliert seine Plausibilität. „Quidquid movetur ab alio movetur“ wird nun durch das Trägheitsgesetz außer Kraft gesetzt. Bewegungen müssen überhaupt nicht mehr erklärt werden, sondern nur noch Änderungen von Bewegungen.
In der Fluchtrichtung der modernen Physik liegt keine wie auch immer geartete Metaphysik
Der Übergang von Thomas zu Kant markiert eine Wasserscheide des Denkens, hinter die wir nicht mehr zurückkönnen. Das Problem der Existenz Gottes muss jetzt neu formuliert werden – auch wenn es zunächst wie verschwunden scheint. Der Physiker und bekennende Atheist Steven Weinberg sagt am Ende seiner Einführung in die physikalische Kosmologie: „Je begreiflicher uns das Universum wird, umso sinnloser erscheint es auch. Doch wenn die Früchte unserer Forschung uns keinen Trost spenden, finden wir zumindest eine gewisse Ermutigung in der Forschung selbst. (...) Das Bestreben, das Universum zu verstehen, hebt das menschliche Leben ein wenig über eine Farce hinaus und verleiht ihm einen Hauch von tragischer Würde“ (Die ersten drei Minuten. Der Ursprung des Universums, München 1980). So pathetisch können Physiker sein. Zunächst einmal ist hier nur von Bedeutung, dass nach Weinberg Verstehbarkeit und Sinnhaftigkeit umgekehrt proportional sind („Verstehbarkeit“ ist für ihn offenbar dasselbe wie „Berechenbarkeit“). Weinberg hat in einer Hinsicht Recht: In der Fluchtrichtung der modernen Physik liegt keine wie auch immer geartete Metaphysik, Mystik oder Spiritualität, sondern höchstens eine bessere Physik – entgegen allem, was uns Autoren wie Carl-Friedrich von Weizsäcker einzureden versuchten (vgl. Die Einheit der Natur, München 1971; Aufbau der Physik, München 1985). Wir können den Kosmos auf- und abkonjugieren, vom Urknall bis zum „big crunch“, wir können Überlegungen über ein inflationäres Universum anstellen, über dunkle Materie, negative Energien, über Vakuumfluktuationen und das Verhältnis von Materie zu Antimaterie, über die Existenz von Parallelwelten, Zeitreisen und Wurmlöchern, an keiner Stelle stoßen wir auf etwas Metaphysisches. Das war bei Thomas anders. In der Fluchtrichtung seiner „Physik“ lag die Metaphysik. Wer teleologisch denkt, der wird immer Neigung haben, sich eine Hierarchie von Werten vorzustellen, die in einem summum bonum gipfelt, das wir dann mit Gott identifizieren. Die Physik verlängert sich dann zwanglos hinein in die Metaphysik.
Diese Vorstellung wirkt besonders bei katholischen Autoren bis heute nach. Sie projizieren die thomistische Vorstellung in die moderne Physik und ziehen sie legitimatorisch wieder heraus. Der polnische Priester und Physiker Michal Heller(diesjähriger Hauptpreisträger der Templeton-Foundation) widerspricht in seinem Buch „Der Sinn des Lebens und der Sinn des Universums“ (Frankfurt 2006) der These Weinbergs. Die physikalische Weltkonstruktion sei von sich aus ein Hinweis auf den Plan Gottes vor Erschaffung der Welt. Er gesteht zwar zu, dass „der Terminus ,Sinn‘ im Wortschatz der Physik nicht vorkommt“, schreibt aber ausdrücklich: „Die Welt ist indem Sinne ,wertvoll‘, dass sie wertenden wissenschaftlichen Maßnahmen zugänglich ist.“ Ein Stern könne für mich Sinn als Objekt meiner Forschung haben. Nun ist aber klar, dass es dem Stern ganz gleichgültig ist, wenn ich seine Erforschung sinnvoll finde. Der subjektive Sinn des Forschenden überträgt sich nicht auf die von ihm erforschten Objekte; und den Nachweis, die Formeln der Physik enthielten den Plan Gottes, bleibt uns Heller durchweg schuldig. Nirgends zeigt er uns, was sich zum Beispiel Gott bei der Wellenfunktion der Quantentheorie gedacht hat. Es wäre auch ziemlich absurd. In Deutschland vertritt Dieter Hattrup eine ähnliche Position. Er sagt: „Die Quantentheorie ist der beste Gottesbeweis, den es je gegeben hat. Die Quantentheorie zeigt die Endlichkeit der Natur und die Gegenwart einer Wirklichkeit an, die nicht Natur ist.“ Allein die Tatsache, dass 99,9 Prozent aller Physiker die Quantentheorie nicht als Gottesbeweis lesen, sollte uns jedoch stutzig machen (vgl. ds. Heft, 36 ff.). Solche Versuche katholischer Autoren sind stets gut gemeint: Gott soll sichtbar gemacht werden (vgl. auch Jean Guitton, Grichka und Igor Bogdanov, Gott und die Wissenschaft. Auf dem Weg zum Metarealismus, München 1993). Wenn Gottjedoch irgendwo nicht sichtbar gemacht werden kann, dann in der physikalischen Weltkonstruktion. Diese ist viel zu formal und schließt mit ihrer Mathematisierung finale, das heißt Sinnkategorien apriori aus.
Zwei Lesarten des Anthropischen Prinzips
Das Problem wird auch deutlich in Bezug auf die Diskussion um das so genannte Anthropische Prinzip (vgl. John D. Barrow und Frank J. Tipler, The Anthropic Cosmological Principle, Oxford 1986). Dieses Prinzip geht von der Beobachtung aus, dass die Naturkonstanten wie Elementarladung, Lichtgeschwindigkeit, Planck’sches Wirkungsquantum usw. faktisch ganz bestimmte Werte haben, die auch anders sein könnten. Versucht man sich eine Welt vorzustellen, in der diese Werte nur geringfügig von den jetzigen abweichen, so kommt man zu dem überraschenden Resultat, dass dann komplexere Elemente, wie der Kohlenstoff, nicht existieren, somit kein Leben und erst recht kein menschliches. Es folgt also, dass die Werte der Konstanten notwendig so sein müssen, wie sie sind, wenn es uns geben soll. Der Mensch scheint nach zahlreichen Etappen der „Desanthropomorphisierung“ plötzlich wieder im Mittelpunkt zu stehen. Das Anthropische Prinzip kommt in zwei Lesarten vor. In einer schwachen besagt es, dass für die Existenz des Menschen die notwendigen physikalischen Bedingungen gegeben sein mussten. In seiner starken Lesart besagt es, dass der Kosmos in gewissem Sinn „gewusst“ hat, dass es uns geben werde und dass er die Konstanten zu diesem Zweck so festgelegt hat, wie sie nun einmal sind. Nun ist aber das Anthropische Prinzip weder anthropisch noch Prinzip, zudem in seiner schwachen Lesart trivial und in seiner starken falsch. Es ist nicht anthropisch, weil es sich gar nicht auf den Menschen, sondern auf den Kohlenstoff bezieht. Und es ist auch kein Prinzip, denn es sagt nichts Neues. In seiner schwachen Lesart drückt es einfach die von niemand bestrittene Forderung aus, dass für gegebene Phänomene die notwendigen Bedingungen erfüllt sein müssen. Wer hat das jemals bestritten? In seiner starken Version ist das Prinzip zirkulär, denn nur wenn ich die Existenz Gottes bereits voraussetze, erscheint mir die „Wahl“ der Konstanten als ein Mittel zum Zweck Gottes, den Menschen hervorzubringen. Wenn ich Gottes Existenz aber erst begründen will, ist dieser Gedanke untauglich.
Anders argumentieren Autoren wie der Physiker und Theologe John Polkinghorne (Science and Creation, London 1988). Nach Polkinghorne gibt es unendlich viele mögliche Welten, in denen die Konstanten anders sind, in denen es also keine Menschen gibt. Dass sie in unserer Welt so sind, wie sie sind, ist ein unwahrscheinlicher, erklärungsbedürftiger Zufall, der nach einer finalen Deutung schreit, vor allem weil die Alternative, die Vielweltentheorie, noch viel unwahrscheinlicher ist. Setzt man, dass es sehr viele, kognitiv und ontologisch nicht verbundene Welten gibt, so wird wohl eine darunter sein, in der die Konstanten die für uns günstigen Werte haben, und in dieser leben wir zufällig. Polkinghorne hat Recht, wenn er diesen Ausweg ablehnt, denn er ist im schlechten Sinne spekulativ, weil empirisch unüberprüfbar. Aber dass die Zufälligkeit der Naturkonstanten eine Erklärung fordert, ist nicht einzusehen. Suche ich nach einer Erklärung, wenn ich sechs Richtige im Lotto habe? Es hätte jeden treffen können, aber es traf mich. Vielleicht werde ich Gott danken, vielleicht hat er mich auch gestraft oder es gibt ihn überhaupt nicht. Eine entsprechende Erklärung ist jedenfalls nicht zwingend. Vielleicht hat die Menschheit in der kosmischen Lotterie sechs Richtige. Dann möge sie sich ihrer Existenz erfreuen. Der Gläubige möge Gott dafür danken, aber ein Gottesbeweis ist das noch nicht. Daraus folgt also der für einen gläubigen Menschen ernüchternde Schluss, dass der physikalisch begriffene Kosmos in Termen unseres Glaubens nicht interpretierbar ist. Liegt es da nicht nahe, mit Weinberg atheistische Konsequenzen zu ziehen? Das wiederum ist ebenfalls nicht zwingend. Nicht nur wird der Kosmos umso sinnloser, je genauer wir ihn berechnen können, zugleich saugt der Physiker aus diesen Berechnungen den Honig persönlichen Trostes und persönlicher Sinnerfüllung. Aber wie kann das zugleich wahr sein? Wie kann in der Wüstenei eines bloß faktisch existierenden Kosmos ein Wesen entstehen, das hofft, leidet, sich freut und Sinnerfüllung findet?
Der physikalische Kosmos ist nicht die ganze Wahrheit
Die Schlussfolgerung daraus kann nur eine sein: Der Kosmos, wie ihn die Physik beschreibt, ist nicht die ganze Wahrheit. Der Physiker beschreibt den Kosmos, wie er unter Rücksicht seiner Berechenbarkeit erscheint. Er spart damit eine Dimension aus, zu der seine eigenen geistigen Vermögen gehören. Immerhin hat dieser Kosmos auch den Menschen hervorgebracht, der über ihn reflektiert. Sollte dies keine Eigenschaft des Kosmos selbst sein? Aber wie müssten wir ihn dann beschreiben, um dieser Tatsache gerecht zu werden?
In der analytischen Philosophie herrscht seit längerer Zeit ein strenger Materialismus. Danach besteht die Welt hauptsächlich aus Atomen, Elementarteilchen, Quarks usw. und alles, was es in ihr gibt, ist nur eine besondere Anordnung solcher Teilchen. Das Problem mit dieser Auffassung ist der Mensch. Es gelingt nicht, Eigenschaften wie etwa seine spezifischen Erlebnisqualitäten in einer solchen Ontologie unterzubringen. Daher haben Autoren wie Thomas Nagel, Greg Rosenberg, Galen Strawson und andere vorgeschlagen, das „Inventar der Welt“ um eine psychische oder geistige Komponente zu erweitern. Die Materie als solche gibt es danach überhaupt nicht. Die Physik mag zu ihren Zwecken von einer solchen Modellvorstellung ausgehen, metaphysisch gesehen sind wir aber aus Konsistenzgründen genötigt anzunehmen, dass das Weltall – und zwar durchweg – eine psychische oder geistige Innenseite hat, wenn auch nur der Möglichkeit nach. Wohlgemerkt sind all diese Autoren überzeugte Materialisten, sie können also nicht im Verdacht stehen, dem Christentum ideologisch vorarbeiten zu wollen. Sie denken nur zu Ende, was es bedeutet, dass der Mensch über emergente Qualitäten verfügt, die sich naturwissenschaftlich nicht beschreiben lassen. Allerdings kann man sich fragen, ob ein Materialismus, der geistige Qualitäten im ganzen Universum unterstellt, überhaupt noch ein Materialismus genannt werden darf. So ist diese radikale Erweiterung der Ontologie auch höchst umstritten. Sie erzeugt gravierende Folgelasten. Wenn es eine geistige Komponente im Universum gibt und wenn sie real ist, muss sie kausale Kraft haben. Was nicht wirkt, ist auch nicht wirklich. Man muss also versuchen, das materiell-kausale Geflecht der Welt um eine andere Art von Kausalität zu erweitern. Insbesondere Rosenberg hat diese Frage in den Mittelpunkt seiner Überlegungen gestellt. Das Christentum impliziert neben einer anspruchsvollen Ethik auch eine sehr anspruchsvolle Ontologie. Ersteres ist allgemein anerkannt, Letzteres nicht. Aber wenn Gott die Welt erschaffen hat und wenn Gott Geist ist, muss es zumindest Spuren von Geist in ihr geben. Und wenn die Physik dafür nicht zuständig ist, muss es eine andere Instanz geben. Michal Heller hat Pierre Teilhard de Chardin dafür gerügt, dass er ein geistiges Moment in die Evolution hineinlegte (seine „radiale Energie“). Aber nur wenn wir den Kosmos als einen ansehen, der imstande ist, Geist hervorzubringen, ist dieser Kosmos theologisch interpretierbar – von der Physik jedenfalls führt kein direkter Weg zur Theologie.
Für die Biologie ist dies anders. Als eigenständige Wissenschaft ist sie nicht reduzierbar auf Physik oder Chemie. Kristian Köchy weist in seiner „Biophilosophie“ (Hamburg 2008) darauf hin, dass Biologie eine Wissenschaft ist, die zusätzliche metaphysische Probleme gegenüber der Physik zur Folge hat. Jedenfalls ist der Kosmos, insofern er Lebendiges hervorbringt, nicht die seelenlose Maschinerie, als den ihn die Physik beschreibt. Insbesondere das empfindsame Leben wirft die Frage der Erlebnisqualitäten auf, die auch für den Menschen naturalistisch bisher nicht gelöst werden konnten. Nur so sind Bücher wie „Der Geist der Tiere“, herausgegeben von Markus Wild und Dominik Perler (Frankfurt 2005), zu erklären. Es ist nicht nur die Unreduzierbarkeit der Erlebnisqualität, die hier auf der Agenda steht, auch das alte Teleologieproblem ist – entgegen einem verbreiteten Vorurteil – nach wie vor ungelöst (vgl. Eva-Maria Engels, Die Teleologie des Lebendigen, Berlin 1982; Georg Toepfer, Zweckbegriff und Organismus. Über die teleologische Beurteilung biologischer Systeme, Würzburg 2004). Während wir in der Physik imstande waren, teleologische Prinzipien in äquivalente ateleologische zu verwandeln („Das Licht nimmt der kürzesten Weg“), ist dies in der Biologie niemals gelungen und besonders bei der Konstitution der Objekte scheinen teleologische Begriffe unhintergehbar. Das hat zur Folge, dass uns der Kosmos, insofern er Lebendiges hervorbringt, theologisch naheliegender scheint als der, den die Physik beschreibt. Sowohl theologische als auch teleologische Kategorien sind Sinnkategorien, so dass es hier eine gewisse Korrespondenz gibt. Dieser Sachverhalt erklärt zwanglos, weshalb sich Autoren wie Karl Rahner oder Teilhard de Chardin in ihren Überlegungen ausschließlich auf die lebendige Natur bezogen haben. Der Kosmos, der das Lebendige hervorbringt, hat eben eher Affinitäten zur Theologie, aber nur, wenn man den metaphysischen Preis bezahlt, dem Kosmos eine geistige Komponente zuzusprechen. Bei Teilhard ist dies die erwähnte „radiale Energie“, bei Rahner die Fähigkeit zur „Selbsttranszendenz“.
Noch weiter in seinen Überlegungen geht Alfred North Whitehead. In seiner Kosmologie geht es nicht nur darum, das Lebendige in den Weltprozess einzuordnen, sondern vor allem den Menschen mit all seinen kulturellen, moralischen, ästhetischen, aber auch religiösen Fähigkeiten. Seine metaphysische Kosmologie wird heute wieder vermehrt diskutiert (vgl. Spyridon A. Koutroufinis [Hg.]: Prozesse des Lebendigen. Zur Aktualität der Naturphilosophie A. N. Whiteheads, Freiburg 2007). Allerdings sind manche Kritiker der Meinung, dass diese Metaphysik zu voraussetzungsreich ist, um das Sperrfeuer heutiger Metaphysikkritik zu überwinden. Theologen wenden ein, dass von diesem Konzept aus die Transzendenz Gottes nicht zu halten ist – offenkundig weil sich dies von der Naturwissenschaft als einem rein immanenten Unternehmen her nahelegt.
Schon früher gab es Versuche, ausgehend von der Chaos- und Selbstorganisationstheorie, dieses geistige Moment von der Physik aus zur Geltung zu bringen. Der Physiker Erich Jantsch schrieb damals den Bestseller „Die Selbstorganisation des Universums“ (4. Aufl., München 1988). Schon früher gab es Versuche, ausgehend von der Chaos- und Selbstorganisationstheorie, dieses geistige Moment von der Physik aus zur Geltung zu bringen. Der Physiker Erich Jantsch schrieb damals den Bestseller „Die Selbstorganisation des Universums“ (4. Aufl., München 1988). Solche populärwissenschaftlichen Bücher wurden von Theologen wie Günter Altner (Die Welt als offenes System. Eine Kontroverse um das Werk von Ilya Prigogine, Frankfurt 1986) oder Alexandre Ganoczy (Chaos, Zufall, Schöpfungsglaube. Die Chaostheorie als Herausforderung andie Theologie, Mainz 1995) begierig aufgegriffen. Allerdings sind Kenner der Materie, wie Theodor Leiber,sehr skeptisch, ob es sich nicht um ungerechtfertigte Extrapolationen handelt (vgl. Kosmos, Kausalität und Chaos. Naturphilosophische, erkenntnistheoretische und wissenschaftstheoretische Perspektiven, Würzburg 1996). Es scheint eben, dass die Theologie nicht um eine tragfähige Metaphysik herumkommt, wenn sie sich zur Naturwissenschaft ins Verhältnissetzen möchte.
Fasst man „Kosmologie“ enger als eine rein physikalische Disziplin, dann verschärft sich, wie gesagt, der Gegensatz zur Theologie. Tatsächlich war die Physik lange Zeit die Leitwissenschaft. Das hat dann dazu geführt, dass man von ihr die Lösung aller Probleme erwartete, auch die Antwort auf religiöse Fragen. Der Physiker Paul Davies (vgl. Gott und die moderne Physik, München 1986) hat früher die Auffassung vertreten: „Es mag seltsam erscheinen, aber meiner Auffassung nach bietet die Naturwissenschaft einen sichereren Weg zu Gott als die Religion. Ob unsere Antworten richtig oder falsch sind, die Naturwissenschaft hat mittlerweile den Punkt erreicht, von dem aus ehedem religiöse Fragen auf wissenschaftlich haltbare Weise untersucht werden können.“ Er meinte dasin dem Sinn, dass die Religion durch die Physik ersetzt werden könnte. Das war vor 20 Jahren. Inzwischen hat auch er einen Templeton-Jahrespreis gewonnen und findet nun Gott eher inder Formeln der Physik, anstatt ihn – wie früher – aufgrund derselben Formeln abzuschaffen. Sowohl Davies Atheismus als auch sein Theismus beruhen auf der Meinung, die Physik sei imstande, die alte prima philosophia zu ersetzen. Wenn man ihr diese Rolle zuweist, dann gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder man schließt aus der Tatsache, dass Gott in den Formeln der Physik nicht vorkommt, auf den Atheismus, oder man ist gläubig und ist dann gehalten, ihn in den Formeln der Physik dennoch zu finden. Daraufberuhen auch die oben erwähnten Extrapolationen aus demkatholischen Bereich
Wenn man aber Gründe hat, die Physik für eine Wissenschaft unter vielen zu halten, die alle ihre je eigene, unverzichtbare Rolle spielen, dann wird man auch als Christ nicht sonderlich erschüttert sein, wenn Gott in den Formeln der Physik nicht vorkommt, weil sie ja noch nicht einmal profane Sinnperspektiven enthält. Die Physik enthält zum Beispiel keine Ethik und muss es auch nicht. Heißt das nun, dass wir nicht mehr sagen können, Gott habe den Kosmos erschaffen. Es heißt nur, dass wir keine Chancehaben, die Ergebnisse der physikalischen Kosmologie direkt zu „theologisieren“, wie das zum Beispiel Matthew Fox getan hat (vgl. Der große Segen. Umarmt von der Schöpfung, München 1991). Er beschreibt in einem Gedicht (!), wie Hadronen und Leptonen„Gerade genug Stabilität fanden / Um die ersten atomaren Geschöpfe zu gebären / Wasserstoff und Helium / Eine Milliarde Jahre des Kochens und Brodelns / Bis die Begabungen des Wasserstoffs und Heliums / Galaxien gebaren ...“. Was wir theologisch deuten können, ist nur ein mit Sinnperspektiven vermitteltes Universum, eines also, das eine geistige Komponente hat, das heißt, das ontologisch angereichert ist. Dann aber steht einer „Theologie der Natur“ nichts mehr im Wege. In diesem Sinn hat zum Beispiel Wolfhart Pannenbergdie Naturgesetze als Ausdruck der Verlässlichkeit Gottes gedeutet oder sogar das „Anthropische Prinzip“ als eine naturhafte Verlängerung des unwahrscheinlichen Heilswillen Gottes: So unwahrscheinlich es war, dass Gott das Judenvolk ausÄgypten herausführte, so unwahrscheinlich wie es war, dassdas babylonische Exil ihren Glauben stärkte, so unwahrscheinlich wie es war, dass Jesus von den Toten auferstand, so unwahrscheinlich ist unsere Existenz im Kosmos. Gott ist derjenige, der das Unwahrscheinliche wahr macht (Systematische Theologie II, Göttingen 1991). Tatsächlich fehlt uns eine Theologie der Natur mit einer starkkosmologischen Komponente. Aber sie dürfte nicht einfachdrauflosdichten wie Fox, sondern müsste metaphysisch gebrochen und doppelbödiger sein. Wir leben nicht mehr in derfinal geordneten Welt des Thomas von Aquin. Die Verweltlichung der Welt hat den Glauben zu einem riskanten Unternehmen gemacht.