Verfolgt man die Diskussionen der letzten Jahre im Bereich der Hirnforschung, lässt sich eine Kluft zwischen der großen Zuversicht von Neurowissenschaftlern und -wissenschaftlerinnen in Bezug auf die noch zu lösenden Probleme einerseits und der Realität der empirischen Forschung andererseits feststellen. Ebenso gibt es eine starke Spannung zwischen den weltanschaulich motivierten Erklärungsansprüchen vieler Hirnforscher und den diesen Ansprüchen zugrunde liegenden empirischen Befunden. Symptomatisch für die geschilderte Situation im Bereich der Hirnforschung ist das 2004 in der Zeitschrift „Gehirn & Geist“ veröffentlichte „Manifest“, in welchem sich elf führende deutsche Neurowissenschaftler und -wissenschaftlerinnen zur Gegenwart und Zukunft der Hirnforschung äußern: Hannah Monyer, Frank Rösler, Gerhard Roth, Henning Scheich, Wolf Singer, Christian E. Elger, Angela D. Friederici, Christof Koch, Heiko Luhmann, Christoph von der Malsburg (Gehirn & Geist Nr. 6/2004, 30–37). Im Manifest wird zunächst ausführlich von den bisherigen Errungenschaften berichtet, aber auch auf die großen Schwierigkeiten und prinzipiellen Probleme verwiesen, mit denen sich die Hirnforschung gegenwärtig konfrontiert sieht. Zu den „erstaunlichen Erkenntnissen“ der Hirnforschung wird zum Beispiel die Entdeckung gerechnet, dass – entgegen einer weit verbreiteten Meinung – die Gehirnentwicklung nicht in der Jugend zum Abschluss kommt, sondern sich auch im Alter neue Nervenverbindungen und sogar neue Nervenzellen bilden können (33).
Die Entdeckung der Spiegel-Neuronen
Weiter wird auf die Erkenntnis verwiesen, dass im menschlichen Gehirn neuronale und bewusst erlebte geistig-psychische Zustände aufs Engste miteinander zusammenhängen. Auf der Erkenntnis, dass sämtliche Bewusstseinszustände mit neuronalen Prozessen einhergehen, beruht auch die so genannte Neurotheologie: Insofern religiöse Erfahrungen bewusst erlebt werden, muss es dafür auch spezifische neuronale Aktivitäten geben, die mit ihnen einhergehen (vgl. ds. Heft, 60 ff.). Wie unser gesamtes Erleben ist auch religiöse Erfahrung von einem funktionierenden Gehirn in einem funktionierenden Organismus abhängig. Während die Neurotheologie aufgrund der wenig überraschenden Ergebnisse und der dünnen Faktenlage im interdisziplinären Dialog zwischen Hirnforschung, Religionsphilosophie und Theologie wahrscheinlich keine große Rolle spielen wird, gibt es andere Ergebnisse, die für die zukünftige Diskussion von größerer Relevanz sein dürften. Dazu ist sicher die Entdeckung der so genannten Spiegel-Neuronen (mirror neurons) zu rechnen. Die italienischen Neurowissenschaftler Vittorio Gallese und Giacomo Rizzolatti machten Ende der achtziger Jahre bei experimentellen Studien zu den neuronalen Korrelaten zielgerichteter Handlungen von Primaten (zum Beispiel des Nach-Futter-Greifens) eine überraschende Entdeckung: Eine bestimmte Gruppe von Neuronen im motorischen Kortex (F5) war nicht nur – wie erwartet – bei der eigenen Ausführung der Handlung des Nach-Futter-Greifens aktiv, sondern „feuerte“ in fast derselben Intensität und Qualität bei der Wahrnehmung einer fremden Handlung desselben Typs zum Beispiel durch den Versuchsleiter oder einen Artgenossen. Streng genommen unterscheidet sich die handlungswirksame neuronale Aktivität von F5 von einer „gespiegelten“ nur dadurch, dass im ersten Fall ein zielgerichtetes Verhalten folgt, während im zweiten Fall dieses Verhalten unterbleibt. Entsprechende Neuronengruppen wurden inzwischen auch beim Menschen nachgewiesen (Giacomo Rizzolatti u. a., The mirror system in humans, in: Maxim I. Stamenov und Vittorio Gallese Neurowissenschaften [Hg.], Mirror Neurons and the Evolution of Brain and Language, Amsterdam 2002). Indirekte Evidenz dafür, dass beim Wahrnehmen und Ausführen von Handlungen zum Teil ein und derselbe neuronale Mechanismus involviert ist, liefern auch pathologische Fälle des so genannten „imitation behavior syndroms“: Patienten, die unter bestimmten Schäden des Vorderhirns leiden, imitieren andauernd die Gesten ihrer Mitmenschen, selbst wenn diese Körperbewegungen sozial unerwünscht und von den Patienten selbst gar nicht gewollt sind. Nach der Auffassung verschiedener Fachleute ist bei diesen Patienten jener Bereich des Kortex beschädigt, der für das Unterbinden (Inhibition) der entsprechenden Verhaltensweisen in den Fällen sorgt, in denen das neuronale Geschehen lediglich durch die Beobachtung einer Handlung hervorgerufen wird.
Die Handlungen fremder Personen verstehen und Mitgefühl für andere empfinden
Es scheint so zu sein, dass mit diesen Entdeckungen eine entscheidende neuronale Grundlage für unsere Fähigkeit gefunden wurde, die Handlungen fremder Personen zu verstehen und auch Mitgefühl für andere zu empfinden. Der Neurobiologe und Psychotherapeut Joachim Bauer spricht von einer biologischen Grundlage für Nächstenliebe und zeigt auf, dass die Fähigkeit zur Empathie einen entscheidenden Überlebensvorteil in den evolutionären Selektionsprozessen darstellt (Joachim Bauer, Warum ich fühle was du fühlst, Hamburg 2005; demnächst erscheint in der Edition Unseld zu diesem Thema von Giacomo Rizzolatti und Corrado Sinigaglia:Empathie und Spiegelneurone. Die biologische Basis des Mitgefühls, Frankfurt 2008). Rezipiert wird die Entdeckung der Spiegelneuronen derzeit auch in jenen Bereichen von Theologie und Religionswissenschaft, die der mimetischen Theorie René Girards verpflichtet sind. Nach Girard sind mimetische Mechanismen, die noch vor der bewussten und intendierten Nachahmung ablaufen, ein zentraler Steuerungsfaktor menschlichen Verhaltens. Aus der vielfältigen Einbettung dieser Mimesis in verschiedene soziale Zusammenhänge lasse sich letztlich auch die Entwicklung der Religion als Phänomen der Menschheitsgeschichte verständlich machen.
Neurobiologische Basis für die mimetische Theorie?
Durch die biblischen Schriften, aber auch durch die reflektierende Theologie würden unter anderem jene Gewaltmechanismen offengelegt, die auf mimetischen Strukturen beruhen (vgl. dazu Wolfgang Palaver, René Girards mimetische Theorie im Kontext kulturtheoretischer und gesellschaftspolitischer Fragen, Münster 2003). Neuere Arbeiten bringen die mimetische Verhaltenstendenz mit den Spiegelneuronen in Verbindung und geben ihr damit eine neurobiologische Basis. Um dies näher zu erforschen, wird derzeit ein Templeton Advanced Research Programme an der Fuller Graduate School of Psychology durchgeführt (vgl. COV&R Bulletin, Nr. 29, Oktober 2006, 9). Während bei den eben geschilderten Studien ein tatsächlicher Dialog zwischen Religionswissenschaft, Theologie und Neurowissenschaft stattfindet, wird von bestimmten Fachleuten die Entdeckung von Spiegelneuronen auch einseitig im Sinne einer Naturalisierung religiöser Phänomene interpretiert. Vor allem jene Deutungen, in denen bereits von einer wissenschaftlichen Entlarvung der christlichen Tugend der Nächstenliebe als subtile Waffe im Kampf ums Überleben gesprochen wird, zeigen das bekannte Muster naturalistischer Erklärungsstrategien: Einzelne Erkenntnisse aus dem Bereich der Neurowissenschaften werden verabsolutiert und ohne weitere Differenzierungen auf lebensweltliche Zusammenhänge übertragen. Zweifellos handelt es sich bei der Entdeckung der Spiegelneuronen um eine bahnbrechende Erkenntnis, die faszinierende Einblicke in die neuronalen Grundlagen des zwischenmenschlichen Verhaltens bietet. Diese neuronalen Aktivitätsmuster stellen aber nur einen Teil jenes komplexen Systems von neuronalen, kognitiven, sozialen und kulturellen Zusammenhängen dar, die gemeinsam für das verantwortlich sind, was man gemeinhin unter der Tugend der Nächstenliebe versteht. Die menschliche Nächstenliebe ist nicht auf das Feuern einer Gruppe von Neuronen im motorischen Kortex reduzierbar, sondern kann nur im Zusammenhang mit jenen Fähigkeiten angemessen beschrieben werden, die allgemein als typisch menschlich angesehen werden: Selbstbewusstsein, die Fähigkeit, über die eigenen und fremden mentalen Zustände nachzudenken und daraus mittels des Vernunftgebrauchs die richtigen Schlüsse zu ziehen.
Freiheit ist mehr als Wahlfreiheit
Großes Aufsehen bei christlichen Denkern haben in den letzten Jahren freilich vor allem neurowissenschaftlich inspirierte Thesen erregt, wonach der freie Wille des Menschen eine bloße Illusion sei. Die Auseinandersetzung mit den experimentellen Studien zur Willensfreiheit hat in der philosophisch-theologischen Diskussion zu einer intensiven Diskussion des christlichen Freiheitsverständnisses geführt. Dabei wurde auch deutlich, dass die Freiheit des Menschen gerade nicht in bloßer Wahlfreiheit besteht, sondern vielmehr in der Möglichkeit, zu den eigenen handlungsleitenden Gründen und Präferenzen nochmals zustimmend oder ablehnend Stellung zu nehmen. Auf der anderen Seite wird aber heute mehr und mehr deutlich, dass die dramatischen Konsequenzen für unser alltägliches Verständnis von Freiheit, die von einigen Neurowissenschaftlern angekündigt wurden, zum großen Teil auf einer Überinterpretation der experimentellen Ergebnisse und auf Defiziten in der Durchführung der Experimente beruhen. Dies trifft vor allem für die so genannten Libet-Experimente zu, welche von einigen Neurowissenschaftlern – wie zum Beispiel von Gerhard Roth – immer noch als Beleg dafür herangezogen werden, dass der freie Wille eine Illusion sei. Neuere Experimente lassen eher darauf schließen, dass das von Benjamin Libet gemessene Bereitschaftspotenzial lediglich eine unspezifische Handlungsbereitschaft signalisiert, jedoch noch keine inhaltlich bestimmte Handlung generiert (Christoph S. Herrmann u.a., Eine neue Interpretation von Libets Experimenten aus der Analyse einer Wahlreaktionsaufgabe, in: Christoph S. Herrmann u. a. [Hg.], Bewusstsein. Philosophie, Neurowissenschaften, Ethik, Frankfurt 2005, 120–134). Selbst Hirnforscher, die von der neurobiologischen Determiniertheit unseres Verhaltens überzeugt sind, gehen gerade vor dem Hintergrund der neueren Erkenntnisse inzwischen davon aus, dass eine neurowissenschaftliche Vorhersage unserer Handlungen prinzipiell unmöglich ist. So gesteht der Neurobiologe Franz Rösler in einer eigenen Glosse zum Manifest zu, dass das Gehirn „in seiner Komplexität niemals vollständig beschreib- und verstehbar“ ist, auch wenn es deterministisch funktioniert (Es gibt Grenzen der Erkenntnis – auch für die Hirnforschung! Die Individualität und Plastizität des menschlichen Gehirns macht eine genaue Vorhersage des Verhaltens einer einzelnen Person prinzipiell unmöglich, in: Gehirn & Geist Nr. 6/2004, 32). Zahlreiche Erkenntnisse der neueren Hirnforschung lassen sich deshalb auch so interpretieren, dass vereinfachende Sichtweisen revidiert und auf diese Weise bestimmte voreilige Schlussfolgerungen der „älteren“ Neurowissenschaft wieder zurückgenommen werden. Auch weisen die Hirnforscher im Manifest auf eine Erklärungslücke hin, welche durch die neuen Erkenntnisse im neurophysiologischen Bereich nicht kleiner, sondern eher größer wird. Es handelt sich um die Kluft zwischen den Beschreibungen auf der untersten neuronalen Ebene und jenen Beschreibungen, welche „das Zusammenspiel verschiedener Hirnareale darstellen, das uns kognitive Funktionen wie Sprachverstehen, Bilder erkennen, Tonwahrnehmung, Musikverarbeitung, Handlungsplanung, Gedächtnisprozesse sowie das Erleben von Emotionen ermöglicht“ (Manifest, 31). Nach Auffassung der Autoren des Manifests herrscht eine „erschreckende Unkenntnis“ über die mittlere Ebene, auf der sich das „Geschehen innerhalb kleinerer und größerer Zellverbände“ abspielt. Da diese Ebene letztlich den Prozessen auf der obersten Ebene zu Grunde liegt, stellt sie die Verbindung her zwischen der fundamentalen Ebene der neurophysiologisch beschreibbaren neuronalen Prozessen und den kognitiven Funktionen der höchsten Ebene.
Die optimistischen Verheißungen stehen im Gegensatz zu den tatsächlichen Forschungsleistungen
Obwohl also die tatsächlichen Erkenntnisfortschritte im Bereich der Hirnforschung von den Fachleuten selbst eher nüchtern bewertet werden, schließt das Manifest mit dem bekannten naturalistischen Bekenntnis, wonach eine zureichende wissenschaftliche Antwort auf die „großen Fragen“ von der Hirnforschung „in absehbarer Zeit, also in den nächsten 20 bis 30 Jahren“, erwartet werden kann: Man „wird widerspruchsfrei Geist, Bewusstsein, Gefühle, Willensakte und Handlungsfreiheit als natürliche Vorgänge ansehen, denn sie beruhen auf biologischen Prozessen“ (36). Diese optimistischen Verheißungen in Bezug auf eine zukünftige Neurowissenschaft stehen in einem auffallenden Gegensatz zur nüchternen Bilanz der tatsächlich erbrachten Forschungsleistungen und können daher nur als weltanschaulich motivierte Deutungen der eigenen wissenschaftlichen Arbeit verstanden werden. Auch die im Manifest verkündete Erschütterung unseres Selbstverständnisses und die damit motivierte Notwendigkeit eines neuen Menschenbildes ist nur auf der Basis der naturalistischen Weltsicht, die von den meisten Hirnforschern geteilt wird, nachvollziehbar. Ausgehend von den tatsächlichen neurowissenschaftlichen Befunden lässt sich keine Revision unserer alltäglichen Überzeugungen in Bezug auf Willensfreiheit, Bewusstsein und Handlungssteuerung ableiten. Es gibt jedoch einen Bereich, in dem die Hirnforschung tatsächlich eine Herausforderung vor allem für die in unserer Alltagswelt vorherrschenden ethischen Bewertungsmuster darstellt. Im Manifest werden als Errungenschaften moderner Hirnforschung auch die neuen Möglichkeiten genannt, mittels hochselektiver Psychopharmaka therapeutische Erfolge bei neurodegenerativen Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson zu erzielen. Auch ist die Rede von Neuroprothesen und Gehirngewebsimplantaten, mit welchen man die Funktion beschädigter Gehirnbereiche in absehbarer Zukunft wiederherstellen könnte. Derartige Eingriffe „in das Innenleben, in die Persönlichkeit des Menschen“ sind – wie die Autoren des Manifestes weiter ausführen – „mit vielen ethischen Fragen verbunden, deren Diskussion in den kommenden Jahren intensiviert werden muss“ (36). Tatsächlich werden solche Fragen heute im Bereich der Neuroethik intensiv diskutiert. Seit längerem werden durch Psychopharmaka gezielt psychische Störungen (Depressionen, Schizophrenie usw.) behandelt. In den letzten Jahren erlangen jedoch mehr und mehr – bisher nur theoretisch diskutierte – operative Eingriffe in das menschliche Gehirn die klinische Reife. Bereits seit einiger Zeit werden so genannte Neuroprothesen erfolgreich zur Behandlung von Morbus Parkinson eingesetzt. Dabei werden Elektroden in das Gehirn eingepflanzt, um so die betroffenen Gehirnregionen durch Stromimpulse zu stimulieren (tiefe Hirnstimulation). Auf diese Weise konnte zum Beispiel das durch die Parkinson-Krankheit verursachte Zittern erheblich reduziert werden. Die großen Fortschritte bei der Herstellung von Schnittstellen zwischen Elektroden und Nervenzellen haben auch dazu geführt, dass heute zahlreiche gehörlose Menschen durch Cholea-Implantate ihr Hörvermögen – zumindest teilweise – wiedererlangt haben. Auch hier bedient man sich implantierter Mikroelektroden, welche die Nervenzellen im Innenohr stimulieren.
Elektronische und andere Implantate werfen ethische Fragen auf
Neben elektronischen Implantaten werden erste Erfahrungen mit der Implantation von Hirngewebe gesammelt. Während sich die direkte Implantation von embryonalem Gehirngewebe bei Parkinsonpatienten als therapeutisch kaum wirksam erwiesen hat (Curt R. Freed u. a., Transplantation of Embryonic Dopmanie Neurons for Severe Parkinson’s Disease, in: The New England Journal of Medicine 344 [2001], 710–719), setzt man heute vermehrt auf Nervenzellen, die aus (zum Teil embryonalen) pluripotenten Stammzellen gewonnen werden. So werden zum Beispiel Schlaganfall-Patienten aus dem Knochenmark entnommene Stammzellen implantiert, um das Gewebe in jenen Gehirnbereiche zu regenerieren, welches durch den Schlaganfall geschädigt wurde. Der Erfolg derartiger Maßnahmen ist zwar umstritten, wird aber bereits klinisch vermarktet. Einer Gruppe von Bonner Neurobiologen gelang es, Nervenzellen, die aus embryonalen Stammzellen gewonnen wurden, erfolgreich in ein Rattengehirn zu integrieren (Marius Wernig u. a., Functional Integration of Embryonic Stem Cell-Derived Neurons in Vivo, in: The Journal of Neuroscience 24 [2004] 5258–5268). Im Zusammenhang mit diesen neuen technischen Möglichkeiten ergibt sich eine Reihe ethischer Fragen, die im Bereich der Neuroethik auch ausführlich diskutiert werden (vgl. dazu Marco Stier, Ethische Probleme in der Neuromedizin, Frankfurt 2006). Da das Gehirn allgemein als Träger der Persönlichkeit des Menschen angesehen wird, stellt sich zunächst die grundsätzliche Frage, ob und inwieweit sich durch das Implantieren elektronischer oder biologischer Bestandteile die Persönlichkeit oder sogar die Person der Empfänger verändert. Nach Dieter Birnbacher ist es ethisch relevant, ob durch die Implantation lediglich die psychologischen Identität – die Persönlichkeit – eines Menschen verändert wird, oder seinenumerische Identität (Bioethik zwischen Natur und Interesse, Frankfurt 2006, 274 ff.). Eine Veränderung der numerischen Identität einer Person im Gefolge einer Implantation würde das Ende dieser Person bedeuten. Die Person würde durch den Eingriff aufhören zu existieren; obwohl derselbe menschliche Organismus weiterlebt, existiert nach dem Eingriff eine neue, numerisch verschiedene Person. Im Gegensatz dazu bedeutet eine Veränderung der Persönlichkeit eines Patienten nach einer Implantation keineswegs das Ende der Person. Eine solche Persönlichkeitsänderung kann bereits durch eine Verbesserung oder auch Verschlechterung der personalen kognitiven Fähigkeiten hervorgerufen werden. Neue ethische Herausforderungen ergeben sich nicht nur in Bezug auf die Empfänger, sondern auch in Bezug auf die Spender von aus embryonalen Stammzellen gewonnenen Hirngewebsimplantaten. Dieter Birnbacher macht deutlich, dass Ärzte sich in diesem Fall möglicherweise zu Komplizen rechtswidriger Abtreibungen machen. Diese „Komplizität“ liege dann vor, wenn Hirnchirurgen Hirngewebe verwenden, das aus rechtswidrig abgetriebenen Embryonen stammt. Auch besteht nach Birnbacher ein „ethisches Restrisiko“ darin, „dass Frauen, die eine Abtreibung vornehmen lassen wollen, möglicherweise von ihren Ärzten von vornherein als potenzielle Gewebespenderinnen gesehen werden und dass ihnen im Hinblick auf eine eventuelle Gewebeentnahme Termine und Methoden der Abtreibung vorgeschlagen werden, die nicht primär ihren persönlichen Wünschen, sondern den Erfordernissen der angestrebten Übertragung entsprechen“. (291f.) Mögliche Rechte des Embryos werden in dieser Argumentation erst gar nicht angesprochen, die ethischen Konsequenzen liegen aber auf der Hand. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die neuen technischen Möglichkeiten im Bereich der Neurochirurgie keine Revision unseres Menschenbildes und der damit einhergehendenethischen Grundüberzeugungen erfordern. Wenn Fachleute im Bereich von Naturwissenschaft, Bioethik und Philosophie unter Berufung auf den wissenschaftlichen Fortschritt eine Revision der bestehenden Wertesysteme fordern, ist dies beim gegenwärtigen Stand der Forschung nicht gerechtfertigt. Allerdings hat der derzeit rapide Wissens- und Technologiezuwachs im Bereich der Neurowissenschaft eine Verschärfung der ethischen Problematik zur Folge. Die Möglichkeit direkter operativer Eingriffe in das menschliche Gehirn erfordert eine erhöhte Sensibilität in Bezug auf ethische Fragestellungen. Ethische Grundlagenbegriffe, wie personale Identität, Autonomie, Würde usw., müssen für einen sinnvollen Gebrauch im klinischen Alltag neu formuliert werden. Dies setzt voraus, dass bisher implizite Voraussetzungen unseres Selbstverständnisses explizit gemacht werden. Neue ethische Herausforderungen ergeben sich nicht nur in Bezug auf die Empfänger, sondern auch in Bezug auf die Spender von aus embryonalen Stammzellen gewonnenen Hirngewebsimplantaten. Dieter Birnbacher macht deutlich, dass Ärzte sich in diesem Fall möglicherweise zu Komplizen rechtswidriger Abtreibungen machen. Diese „Komplizität“ liege dann vor, wenn Hirnchirurgen Hirngewebe verwenden, das aus rechtswidrig abgetriebenen Embryonen stammt. im Bereich der Neurowissenschaft eine Verschärfung der ethischen Problematik zur Folge. Die Möglichkeit direkter operativer Eingriffe in das menschliche Gehirn erfordert eine erhöhte Sensibilität in Bezug auf ethische Fragestellungen. Ethische Grundlagenbegriffe, wie personale Identität, Autonomie, Würde usw., müssen für einen sinnvollen Gebrauch im klinischen Alltag neu formuliert werden. Dies setzt voraus, dass bisher implizite Voraussetzungen unseres Selbstverständnisses explizit gemacht werden. Der Philosophie kommt bei dieser systematischen Auseinandersetzung mit zentralen Begriffen unserer Lebenswelt eine wichtige Rolle zu. Eine Klärung ethischer Grundbegriffe kann auch zu einer angemessenen Bewertung der Möglichkeit zukünftiger gehirnchirurgischer Eingriffe beitragen, die über eine bloße Therapie von psychischen oder neurologischen Schäden hinausgehen. Verschiedentlich werden bereits Zukunftsszenarien skizziert, in welchen die neuen Manipulationstechniken dazu verwendet werden, in die conditio humana selbst einzugreifen. So könnten Gehirnimplantate eingesetzt werden, um durchschnittliche menschliche Gehirne leistungsfähiger zu machen, die Informationsverarbeitung zu verbessern oder um sozial unerwünschte kognitive Prozesse zu blockieren. Ob und inwieweit in Zukunft derartige „Verbesserungen“ der menschlichen Natur tatsächlich vorgenommen werden, wird nicht zuletzt davon abhängen, ob es gelingt ethische Grundbegriffe wie Person, Individualität und Menschenwürde für den neuroethischen Diskurs fruchtbar zu machen.