Religionskritik ist für die Kirchen von heute so etwas wie eine ständige, provozierende Begleiterin ihrer Botschaft, ihrer religiösen Praxis und ihrer Funktion in der Gesellschaft. Die geisteswissenschaftliche Literatur wie das Feuilleton wimmeln von Beiträgen, welche die Unhaltbarkeit „religiösen Glaubens“ an Gott in einer wissenschaftlich aufgeklärten Welt darzulegen versuchen. Die Medien lassen kaum einen problematischen Vorgang innerhalb der Kirchen aus, der belegen soll, dass „Religion“ unserer Gesellschaft nicht zugute kommt.
Noch viel nachhaltiger als die Religionskritik, die in der akademischen Welt und in den Medien laut wird, aber setzt den Kirchen die in großen Teilen der Bevölkerung gelebte Religionskritik zu. Denn sie findet ihren Ausdruck in der Abkehr der Menschen von den Kirchen. Sie lässt das Leben der Menschen, die ohne eine institutionalisierte Religion leben, zu einem Argument von eigenem Gewicht werden. Kaum ein religionskritischer Beitrag versäumt, darauf hinzuweisen, dass die Kirchen laufend Mitglieder verlieren.
Es braucht eine religionskritische Sensibilität
Der Grund dafür verdankt sich sicherlich nur auf weitläufige Weise der Beschäftigung der „konfessionslosen“ Bevölkerung mit den Argumenten, die gegen die Religion aufgeboten werden. Im Osten Deutschlands zum Beispiel zeigt das konfessionslose Milieu, dem etwa 80 Prozent der Bevölkerung angehören, gar kein Interesse daran, an die Kritik der Religion irgendwelchen Schweiß zu verschwenden. Hier gilt das Ergebnis der Religionskritik, wie es der Marxismus-Leninismus der Bevölkerung einmal eingetrichtert hatte, faktisch als ausgemacht: Da es keinen Gott gibt, ist Gott auch „kein Gesprächsthema“ (Rita Kuczynski, Was glaubst Du eigentlich? Weltsicht ohne Religion, Berlin 2013, 12). Ich nenne dieses Phänomen deshalb „Gottesvergessenheit“.
Weiter westlich, wo religionskritische Überzeugungen von Menschen noch unmittelbarer auf eigene (schlechte) Erfahrungen mit den Kirchen zurückbezogen sind, stellt sich die gelebte Religionskritik differenzierter dar. Einerseits verstehen sich die, die hier keiner Kirche angehören, durchaus nicht alle als „nicht-religiös“. Sie distanzieren sich nur von der Religion, wie sie in den Kirchen gelebt und praktiziert wird. Andererseits bilden die atheistisch gesinnten Menschen hier nicht ein derartig geschlossenes gesellschaftliches Milieu wie im Osten. Entsprechend der Individualisierung religiöser und weltanschaulicher Überzeugungen in der pluralistischen Gesellschaft hat die gelebte Religionskritik hier ein individuelleres, bunteres Gesicht.
Doch sei es nun so oder so: Gerade die Religionskritik, welche den Gemeinden durch die Menschen begegnet, macht das Eingehen auf diese Kritik zu einer unabweisbaren Aufgabe aller kirchlichen Lebensäußerungen. Was Menschen an dieser Botschaft abstößt und befremdet, muss heute in allem, was die Kirchen tun und lassen, sorgfältig berücksichtigt werden. Ist das nicht der Fall, dann befördern die Kirchen selber die Abkehr der Menschen vom Gottesglauben. Nötig ist eine religionskritische Sensibilität, welche die Gründe ernst zu nehmen vermag, die Menschen dem Glauben an Gott entfremden.
Eine solche Sensibilität ist dem Christentum eigentlich von Hause aus in die Wiege gelegt. Denn es ist von seinen Ursprüngen her – modern gesprochen – eine religionskritische Religion. Mit seinem Glauben sind wenigstens drei wichtige religionskritische Impulse verbunden.
Erstens: Das Christentum teilt mit dem monotheistischen Gottesglauben Israels die Kritik an Religionen, die – wie der Vielgötterglaube – Gott oder das Göttliche als Dimensionen des Wirkens der Natur oder irdisch-weltlicher Vorgänge verehren. Der Glaube Israels an einen außerweltlichen Gott hat die Welt „entgöttert“. Sie ist ein echtes Gegenüber zu Gott. Sie ist kein Ausfluss und Anhang des Göttlichen. Sie ist nicht durchwaltet von Dämonen und Geistern. Damit ist schon der Grundansatz aller theologisch-christlichen Religionskritik gegeben. Er besteht in der Unterscheidung von Gott und Welt. Darum unterliegen alle Formen von Gottesverehrung der Kritik, die Gott beziehungsweise die Götter als dem Natur- und Weltgeschehen immanente Größen verstehen.
Es gibt zwar heute eine ziemlich verbreitete Kritik dieses Grundansatzes aller christlichen Religionskritik. Sie unterstellt, dass die Verneinung der polytheistischen Religionen die Wurzel von „Intoleranz, Gewalt und Ausgrenzung“ in der Religions- und Weltgeschichte sei (vgl. etwa Jan Assmann, Die mosaische Unterscheidung oder der Preis des Monotheismus, München 2003, 28). Unter dem Eindruck dieses Arguments wird dem Christentum deshalb geraten, den Anspruch auf die Wahrheit seines Gottesglaubens aufzugeben (vgl. Ulrich Beck, Der eigene Gott. Frankfurt 2008, 239–245). Doch das ist ein Ratschlag, der das religionskritische Potenzial verkennt, welches gerade im christlichen Verständnis der Wahrheit steckt.
„Religion“ ohne Offenheit für die Zukunft erstarrt in absolut gesetzten Exerzitien der Vergangenheit
Zweitens: „Wahrheit“ ist im Sinne des christlichen Glaubens nicht eine religiöse Richtigkeit, über die Menschen verfügen können und die mit weltlicher Macht durchgesetzt werden kann. Wo sie so gehandhabt wurde und wird, handelt sich um einen Missbrauch des biblischen Wahrheitsverständnisses. Denn Wahrheit ist im biblischen Sinne das Ereignis oder die Geschichte der Zuwendung Gottes zur Menschenwelt. Auf sie können sich Menschen unbedingt verlassen, obwohl sie darüber nicht wie über weltliche Sicherheiten verfügen. Sie vermittelt Menschen aber die Gewissheit, von Gott definitiv bejaht und geliebt zu sein. Wahrheit ist in diesem Sinne der Halt eines Lebens, das für die Liebe Gottes geöffnet ist. Es ist ein von dieser Offenheit geprägtes Leben.
Von daher unterliegen alle Versuche, Gott im Gefüge menschlicher Zwecke zu funktionalisieren, der Kritik. Diese Kritik bezieht sich nicht nur auf die archaische Inanspruchnahme von Gewalt in der Geschichte Israels. Sie betrifft alle religiöse Praxis, die nicht von der Liebe Gottes geleitet ist. Allem voran gilt sie der christlichen Religion selbst. Das Christentum ist aus diesem Grunde eine eminent selbstkritische Religion. Sie kritisiert nichts an Menschen anderer Religionen, was sie nicht an erster Stelle bei sich selbst kritisiert. Sie kritisiert auch nichts an der Lebensführung von Menschen, die Gott vergessen haben, was sie nicht im Leben der Glaubenden kritisiert.
Drittens: Die Offenheit des christlichen Glaubens für das immer neue Ereignen der Liebe Gottes stellt das Leben jedes Menschen und der Welt in den Horizont einer Zukunft, für die Gott gut steht. Der Glaube an Gott ist darum zugleich Hoffnung auf Gott. Alles, was Menschen in diesem Glauben tun, denken und urteilen, hat von daher den Stellenwert eines „Vorletzten“. Das alles kann bestenfalls „Wegbereitung“ (Dietrich Bonhoeffer) für die Zukunft sein, die von Gott erhofft wird.
Diese Einsicht aber hat für alle Verwirklichungen des menschlichen Lebens eine wesentliche Konsequenz. Sie können nichts „Absolutes“ oder „Totales“ sein. „Religion“ ohne Offenheit für die Zukunft erstarrt in absolut gesetzten Exerzitien der Vergangenheit. Kein Wunder darum, dass sich – wenn das der Fall ist – die argumentative und gelebte Religionslosigkeit an dieser Vergangenheit orientiert. Kein Wunder darum auch, dass diese Religionskritik, wenn sie zum kämpferischen Atheismus wird, selber in der Gefahr ist, sich als absolute Wahrheit zu verstehen. „Die Lehre von Marx und Engels ist allmächtig, weil sie wahr ist“, konnte man zu DDR-Zeiten auf Spruchbändern lesen.
Theologische Religionskritik muss Feuerbach ernst nehmen
Eine Christenheit, die im „Vorletzten“ lebt, ist dagegen in der Lage, Einsichten von gestern über Gott, die Welt und die Menschen im Lichte neuer Erfahrungen zu korrigieren und neu zu fassen. Das gilt beispielsweise für das vorneuzeitliche Weltbild, mit dem der Glaube an den Schöpfer einmal zum Ausdruck gebracht wurde. Das gilt für „mythologische“ Erklärungen des Weltzustandes und der Geschichte, die nicht mehr wie gleichsam historische Berichte verstanden werden können. Das gilt auch für ethische Werte, die mit einer aus heutiger Sicht begrenzten Erkenntnis des Menschen verbunden waren.
Der kritische Umgang mit dem allen, der in der Theologie nun schon seit über 200 Jahren gang und gäbe ist, kommt jedoch bis heute aber weder in den Gemeinden wirklich an noch wird er von der atheistischen Religionskritik zur Kenntnis genommen. Die „Neuen Atheisten“ etwa, die sich durch eine wilde Art der Auseinandersetzung mit dem Christentum auszeichnen, haben ein Christentum vor Augen, in dem sich kaum jemand wiedererkennen kann, der seinen Glauben an Gott bewusst unter den Bedingungen unserer Zeit verantwortet. Atheisten wie Richard Dawkins in seinem Buch „Der Gotteswahn“ (Berlin 72007) können sich allerdings auf Strömungen in der Christenheit berufen, die sich dem kritischen Umgang mit der Einbettung des christlichen Glaubens in weltbildhafte und ethische Orientierungen der Vergangenheit verweigern. Triebkraft des „Neuen Atheismus“ ist nicht zufällig der Fundamentalismus in den USA und anderswo, der „Vorletztes“, das in den Ausdruck des christlichen Glaubens in der Vergangenheit eingeflossen ist, für Letztes hält.
Theologische Religionskritik kommt dieser atheistischen Kritik seit langem zuvor. Sie hat sich seit der Aufklärungszeit als Kritik des so genannten metaphysischen Verständnisses des Gottesglaubens entwickelt. In diesem – die Physik überschreitenden – Verständnis galt Gott aufgrund von (freilich unzureichender) Weltbeobachtung als der vernünftig erweisbare Grund und Lenker des Kosmos und der Geschichte. Die Erde ruhte demnach – umschlossen von Himmelssphären – gewissermaßen in Gottes Umarmung. Diese Überzeugung war im Mittelalter so selbstverständlich, dass Atheismus als eine Art Dummheit galt, die auf nicht hinreichenden Vernunftgebrauch zurückgeführt wurde. Dieses religiöse Weltverständnis ist jedoch durch das Aufkommen der Naturwissenschaften unmöglich geworden – zu Recht unmöglich geworden, sagt theologische Religionskritik.
Denn das Werden und Bestehen des Kosmos und des Lebens kann erklärt werden, ohne Gott als „Arbeitshypothese“ in Anspruch zu nehmen. Es soll so erklärt werden, weil der von der Welt unterschiedene Gott diese Welt zur freien Erforschung ihrer besonderen Rätsel frei gegeben hat. Gott darf dabei gar nicht wie ein „beweisbares“ Faktum in Anspruch genommen werden. Denn ein in Naturgesetzlichkeiten zu definierender Gott wäre überhaupt nicht Gott in seinem für Menschen unverfügbaren Geheimnis. Deshalb ist die atheistische Forderung nach einem „Beweis“ Gottes unsinnig. Gott ist nur dort erfahrbar, wo alle Gesetzmäßigkeiten des Kosmos und der Geschichte von uns mit Bewusstsein begabten Menschen „transzendiert“ (überschritten) werden. Das aber geschieht in den Erfahrungs- und Erlebniszusammenhängen unseres Leben, die nicht auf objektivierbare Fakten zu reduzieren sind. Zu ihnen gehört auch „Religion“ als Wahrnehmung und Berührung von einem Geheimnis unserer Welt und unseres Daseins.
Theologische Konzentration auf die Religion als Feld, auf dem sich der Gottesglaube bildet, ist freilich auch nicht ohne Probleme. In der evangelischen Tradition ist diese Konzentration zu Beginn des 19. Jahrhunderts durch den Berliner Theologen Friedrich Schleiermacher in seinen „Reden über die Religion an die Gebildeten unter ihren Verächtern“ (1799) begründet worden. „Religion“ ist demnach weder ein Wissen um Naturgesetzlichkeiten noch – wofür der Philosoph der „Aufklärung“ Immanuel Kant plädiert hatte – ein Vehikel von Moral. „Religion“ ist vielmehr ein unmittelbares Selbstbewusstsein, in dem Menschen sich nicht als frei erfahren können, ohne sich von einem Woher dieser Freiheit – von Gott – abhängig zu wissen. Selbstbewusstsein ohne Gottesbewusstsein ist darum eigentlich nicht möglich. Jeder Mensch ist unausweichlich „religiös“, wenn er sich selbst verstehen will.
Es darf aber nicht vergessen werden, dass diese Religionstheorie auch zu den Anlässen der so genannten „Projektionstheorie“ von Ludwig Feuerbach gehört. Diese Theorie ist bis heute das Grundmodell atheistischer Kritik der Religion. Nach Feuerbachs Kritik des „Wesens des Christentums“ kommt Religion dadurch zustande, dass Menschen die Eigenschaften der Gattung Mensch „an den Himmel“ projizieren. Sie tun das, um die Erfahrung der Entfremdung von sich selbst in ihrem Leben zu überwinden. Sie verehren mit Gott auf illusionistische Weise sich selbst beziehungsweise schaffen sich Gott nach ihrem Bilde. Die Ansicht, dass „Religion“ ein Werk von Menschen ist, mit dem sie sich Illusionen über sich selbst und die Welt machen, ist von daher ein Grundpfeiler des europäischen Atheismus geworden. Karl Marx hat ihn gestützt, indem er Religion als „Opium des Volks“ in ungerechten gesellschaftlichen Verhältnissen verstand. Nach Friedrich Nietzsche handelt es sich bei der Gottes-Erfindung um einen Aufstand der „Schwachen“ und „Minderwertigen“, nach Sigmund Freud um eine „Neurose“ und nach Richard Dawkins um eine „Fehlfunktion der Evolution“. Wo immer sich Menschen als Atheisten verstehen, treffen wir auf eine Argumentation auf dieser Linie.
Theologische Religionskritik muss die von Feuerbach angestoßene Destruktion von Religion ernst nehmen. Denn in alle Religion flossen und fließen zweifellos immer auch menschliche Wünsche, Ideale, Ziele und Zwecke ein. Sie lassen es fraglich erscheinen, ob Menschen hier wirklich in der Öffnung für den ihnen unverfügbaren Gott leben. In der so genannten „dialektischen Theologie“ zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat diese Frage zu einer schroffen Entgegensetzung des Glaubens, der durch den in Christus begegnenden Gott begründet wird, und der Religion als einer menschlichen Handhabung Gottes geführt. Religion war im Deutschen Kaiserreich zu einer Funktion der damaligen Kulturwelt geworden, die durch den Ersten Weltkrieg in eine tiefe Krise stürzte.
Religion wurde darum von Karl Barth in seinen Auslegungen des Römerbriefes von 1919 und 1921 unter dem Einfluss des dänischen Philosophen Søren Kierkegaard als ein „maßloses Verkennen der Distanzen“ zwischen dem ewigen Gott und dem endlichen Menschen kritisiert. Auch als Barth den Ton später mehr auf die Inanspruchnahme der Religion durch Gott gelegt hat, ist er bei dem Urteil geblieben, das lautet: „Religion ist Unglaube; Religion ist eine, man muß geradezu sagen: die Angelegenheit des gottlosen Menschen“ (Die Kirchliche Dogmatik I/2, Zollikon-Zürich 1948, 327).
Kein fragloser Nährboden für den christlichen Glauben
Unter dem Einfluss dieses Urteils hat auch Dietrich Bonhoeffer gestanden, als er 1944 in seinen fragmentarisch gebliebenen Überlegungen im Gefängnis nach der Möglichkeit eines „religionslosen Christentums“ gefragt hat, das Gott weder als „Lückenbüßer“ wissenschaftlicher Erkenntnis noch als Problemlöser von Lebensfragen funktionalisiert (vgl. Widerstand und Ergebung, DBW 8, Gütersloh 1998, 402–538). Die von ihm angedeutete Möglichkeit eines „religionslosen Christentums“, das in der Nachfolge Jesu „für Andere“ da ist, inspiriert bis heute weltweit viele Menschen, Gemeinden und Kirchen, ihr Leben vom Geist Jesu Christi und nicht von ihren eigenen religiösen Bedürfnissen her zu gestalten. Bonhoeffers Einschätzung, dass wir einer „völlig religionslosen Zeit entgegengehen“ (403), aber wird heute kaum mehr geteilt.
Religionssoziologen sagen, er sei hier von der so genannten „Säkularisierungsthese“ abhängig, nach der „wirtschaftliches Wachstum und wissenschaftlich-technischer Fortschritt zu einer Abnahme der Bedeutung von Religion“ führen müsse (Hans Joas, Glaube als Option, Freiburg 2012, 28). Diese These trifft jedoch für wissenschaftlich und technisch entwickelte Länder wie die USA oder Südkorea, die zugleich tief „religiös“ sind, offenkundig nicht zu. Sie wird heute aber auch durch die so genannte „Wiederkehr der Religion“ in Frage gestellt.
Doch gerade diese „Wiederkehr“, von der im Osten Deutschlands allerdings nicht die Rede sein kann, wird zur Frage an die Kirchen, ob sie die religionskritischen Lektionen, welche ihnen die Bibel und ihr religionskritisches Versagen in der Vergangenheit erteilen, gelernt haben. Denn das Phänomen, das sich hier zeigt, ist zweideutig. Man sagt, es werde durch die Verunsicherungen ausgelöst, welche die Modernisierungsprozesse in den Industrienationen mit sich bringen. Menschen suchen darum Halt in einer privatisierten Religiosität. Diese Religiosität setzt sich aus den unterschiedlichsten religiösen Traditionen, aber auch aus „esoterischen“, „energetischen“ und psychosomatischen Elementen zusammen. Ulrich Beck nennt sie „Bastelreligiosität“ (Beck, 103). Ingolf U. Dalferth redet von „Cafeteria-Religion“ (Gedeutete Gegenwart. Zur Wahrnehmung Gottes in den Erfahrungen der Zeit, Tübingen 1997, 10–35).
Religionskritische Sensibilität wird unsere Kirchen auf die Hut davor setzen, in dieser Religiosität einen fraglosen Nährboden für den christlichen Glauben zu sehen. Sie werden sich erst recht davor hüten, ihre Botschaft vom unverfügbar begegnenden Gott dem „Melangeregime des Religiösen“ (Beck, 165) schamlos – ich erspare mir Beispiele dafür – anzudienen. Denn jene Sensibilität macht fähig, die „Wiederkehr der Götter“, wie die neue Religiosität auch genannt wird, auch mit den Augen der Anderen zu sehen – der Anderen nämlich, denen diese Art von Religiosität nur das Vorurteil bestätigt, dass Religion eine Flucht vor den Härten des Erdenlebens in Illusionen ist.
Auf der anderen Seite kann die religiöse Unruhe, die sich in der privatisierten Religiosität meldet, aber auch zum Anstoß einer neuen Nachdenklichkeit atheistisch verhärteter Lebenseinstellungen werden. „Geduld mit Gott“ (Freiburg 62013) hat der Prager Priester Tomáš Halík die Haltung genannt, in der die christliche Kirche die Nicht-Religiösen bittet, sich nicht in der Überzeugung von der Nicht-Existenz Gottes einzugraben. Auf Geduld mit Gott ist auch die Religiosität zu verweisen, die Gottes Begegnen mit allerlei religiösen Praktiken und Aufschwüngen verwechselt. Theologische Religionskritik lehrt unsere Kirchen, diese Geduld in der Begegnung mit den religiösen und nicht-religiösen Menschen unserer Tage selbst zu üben.