„Filme sind für die Massen das, was für eine Elite die Theologie ist“. Mit dieser berühmt gewordenen Sentenz eröffnete der Jesuit Neil J. Hurley sein sehr einflussreich gewordenes Buch „Theology Through Film“ (New York 1970). In diesem Buch wollte er zeigen, wie Filmerzählungen das Nachdenken über die großen Fragen des Menschen und des Glaubens auf eindringliche, oftmals sehr originelle Weise und immer auf Augenhöhe mit den je gegenwärtigen Befindlichkeiten bereichern. Die bewegten Bilder, so Hurleys Grundoptionen, seien ein „bedeutsamer Modus religiösen Bewusstseins“, in vielen Filmen könnten die Zuschauer „transzendentale Fähigkeiten wie Einsicht, Unterscheidung und Staunen üben“, weil man dort „transzendentale Werte wie Freiheit, Gewissen, Schuld, Tod oder erlösende Liebe“ verhandele. So werde es den Zuschauern möglich gemacht, „sich selbst und die Welt um ihn herum in einer größeren Tiefe zu entdecken“.
Aus detaillierten Einzelanalysen ausgewählter Filme, besonders solcher aus dem Bereich des so genannten Arthouse-Kinos, entwickelt Hurley zu den eben genannten Werten und anderen Themen, wie Gnade, Eros, Zukunft und das Böse, jeweils eine kleine, wie er sie nennt, „Cinematic Theology“.
1971, also kurz nach Hurleys Buch, erschien das bis heute maßgebliche Mediendokument der katholischen Kirche: die Pastoralinstruktion „Communio et Progressio“. Nach „Inter Mirifica“, dem in mancherlei Hinsicht defizitären, weil defensiv, restaurativ und bewahrpädagogisch gespurten Konzilsdekret „über die sozialen Kommunikationsmittel“, wird erst durch diese, bereits in „Inter Mirifica“ angekündigte und im Auftrag des Konzils herausgegebene Instruktion die kirchliche Haltung gegenüber den Medien auf die Höhe des neuen Geistes des Zweiten Vatikanums gebracht.
Der Film findet in ihr einige Beachtung, und zwar nicht nur, was praktische Fragen der kirchlichen Medienarbeit und -pädagogik angeht, sondern auch hinsichtlich der religiösen und theologischen Valenz des Mediums. Der Film gilt „Communio et Progressio“ als unstrittiger Teil der Künste, ja auf ihn wird sogar im ihnen gewidmeten Kapitel am eingehendsten Bezug genommen (Nr. 57–58): Wie „jedes echte Kunstwerk“ – was immer für dieses ‚echt‘ bestimmend sein mag – vermag auch ein Werk der Filmkunst „das menschliche Sein bis in seine Tiefen widerzuspiegeln, kann durch die Wahrnehmung der Sinne allen die geistige Wirklichkeit zugänglich machen und den Menschen zu einem tieferen Selbstverständnis führen“ (Nr. 55).
Dabei erfährt gerade das fiktionale Erzählen, das ja (neben dem Roman) eine der großen Domänen des Kinos ist, besondere Wertschätzung, gebe doch auch dieses Erzählen auf seine Weise „ein Bild der Wahrheit“. Viele der einer „lebhaften Einbildungskraft“ entsprungenen Geschichten „reichen bis in die tiefen Gründe menschlicher Kraft und Leidenschaft. Sie vermögen diese so aufzuhellen, dass feinfühlige Menschen darin die Umrisse künftiger menschlicher Entwicklungen sich abzeichnen sehen und sie in ihrem Denken vergegenwärtigen.“ (Nr. 56)
Wie Neil Hurley hat die Pastoralinstruktion die Filmkunst als potenziell wertvollen „locus theologicus“ erkannt und endgültig die Abwehrkämpfe gegen das oftmals als sittenverderbend und glaubensfern gegeißelte Medium beendet.
Es gab freilich schon sehr früh bemerkenswert positive Annäherungen an den Film, die nicht nur auf seine Bedeutung für die kirchliche Praxis, sondern auch für die theologische Reflexion abgehoben hatten. In der jüngsten englischsprachigen Literatur zum Dialog von Film und Theologie erinnert man sich heute gerne an den bereits 1910 erschienenen Traktat „The Religious Possibilities of the Motion Picture“ aus der Feder von Reverend Herbert A. Jump als die wohl „früheste theologische Apologie des Films“ (Jolyon Mitchell, Theology and Film, in: David F. Ford [Hg.], The Modern Theologians. An Introduction to Christian Theology since 1918, 3. Auflage, Oxford 2005, 736–759, hier: 737).
Stetig intensivierter Dialog von Theologie und Film
Jump vergleicht das filmische Erzählen mit den Parabeln Jesu: Natürlich extrem verdichtet biete beispielsweise das Gleichnis vom Barmherzigen Samariter wie ein Film „eine dramatische Geschichte aus dem gegenwärtigen Erfahrungsbereich und mit spannenden Charakteren, (…) zeige es einerseits negative Momente wie Verbrechen, Widerfahrnis, Ignoranz oder Schuld und empfehle sich so als lebensnah“, lasse das Negative am Ende aber den positiven Werten unterliegen. Man brauche, so Jump, der Erzählung nur einen neuen Titel wie „Die Abenteuer eines Händlers aus Jerusalem“, um sie in einen potenziell erfolgreichen Film zu verwandeln (zitiert nach Mitchell und Brent Plate [Hg.], The Religion and Film Reader, New York-London 2007, 17).
War Jump zu seiner Zeit noch ein Solitär, so wurde Hurleys vom Geist des Zweiten Vatikanums beflügelter Vorstoß zum Auftakt eines sich seither stetig intensivierenden Dialogs von Theologie und Film. Die besonders seit der Jahrtausendwende kaum mehr überschaubare Vielzahl der Publikationen (vgl. für Deutschland allein die mittlerweile zwanzig Bände der stark expandierenden Reihe „Film und Theologie“ im Schüren-Verlag, Marburg) wird geeint durch die Überzeugung, dass das Kino entschieden mehr ist als nur ein Raum der bloßen Unterhaltung, des Nervenkitzels oder eines „fröhlichen Regredierens“, sondern ein Raum, der für die Theologie große Ressourcen an „Wirklichkeitszufuhr“ (Leo Karrer) bereithält und sie in Kontakt mit all dem bringt, was Menschen heute bewegt und wie sie damit umgehen.
Lässt man einmal all die vielen Arbeiten außer Acht, die das praktische Potenzial von Filmen für die schulische und außerschulische Bildungsarbeit oder für pastorale Kontexte sondieren, und konzentriert sich auf die vielen Studien, die den Film als originären „locus theologicus“ zu erschließen suchen, zeigt sich ein großer Pluralismus an methodischen und hermeneutischen Zugängen.
Versuchsweise sind drei große „Lager“ zu unterscheiden: eine Gruppe von Arbeiten, die das Kino als theologische Probebühne begreift, eine zweite, die es als Erkenntnisort würdigt, und eine dritte, die es zumindest gelegentlich zum religiösen Erfahrungsraum werden sieht.
Neil Hurley hatte Filmen zwar die Qualität zugeschrieben, zum „Stimulus theologischer Reflexion“ werden zu können, aber in der praktischen Durchführung lief dies bei ihm weithin darauf hinaus, dass er vorgegebene theologische Konzepte an Filmen illustrierte und erprobte. Bei seinen – häufig unter Abblendung ästhetischer Aspekte – stark inhaltsanalytisch und themenzentriert angelegten Analysen werden die Filme in einem mehr oder weniger fertigen theologischen Gedankengebäude verortet und dienen als erzählerische Ausfaltungen dazu, bestimmte theologische Denkfiguren zu veranschaulichen und mit der heutigen Lebenswelt zu vermitteln.
Den Primat der Theologie macht Hurley ganz unverhüllt dadurch sichtbar, dass er, wie er rückblickend auf seine Vorgehensweise sagt, „stets mit den theologischen Konzepten begonnen hatte und um diese herum dann einige ausgewählte Filme als ‚verbildlichende‘ [imaging] Referenzen arrangierte“.
Es gibt bis heute sehr viele Arbeiten, die offen oder eher verdeckt dieser Spur gefolgt sind: offen dann, wenn beispielsweise die einzelnen Sätze des Credos mit passenden Filmen ausgeleuchtet werden (wie bei Bryan P. Stone, Faith and Film, St. Louis 2000; oder, ergänzt um literarische Werke, bei John May, Nourishing Faith through Fiction, Franklin [WI] 2001, und David Cunningham, Reading is Believing, Grand Rapids [MI] 2002) oder etwa die Gebote des Dekalogs und die einzelnen Lesungen der Lektionare zu den Lesejahren (so in der Buchserie „Lights, Camera … Faith“ von Peter Malone und Rose Pacette, Boston 2001 ff.; weitere Bände zu den Seligpreisungen und den „sieben Todsünden“ sind angekündigt).
Dieses Verfahren hat zweifelsohne seine Meriten, hilft es doch, abstrakte theologische Modelle zu amplifizieren, sie mit Lebenswirklichkeit aufzuladen und mitunter auch, die Modelle punktuell zu variieren und fortzuschreiben, um so – in der Mediensprache formuliert – ein kleines Update für sie zu besorgen. Nachdem in diesem bis heute stark besetzten Lager zumeist auf Filme ohne explizit religiöse Stoffe oder Charaktere ausgegriffen wird – denn das sind in aller Regel die interessanteren Gegenstände –, werden die einschlägigen Analysen oftmals zu durchaus spannenden Bewährungsproben auf die Sprachfähigkeit und Plausibilität der den Filmen zugewiesenen theologischen Konzepte im Horizont gegenwärtiger Erfahrungen und Herausforderungen.
Der Nachteil bei all dem: Nach dem Urbild der alten Funktionszuschreibung an die Kunst als „Ancilla theologiae“, als „Magd der Theologie“, hält man sich am Ende doch eher überraschungsresistent und wird der Film instrumentalisiert, das heißt in vorgegebene Denkformate „eingepasst“, statt dass diese durch ihn wirklich in Bewegung gebracht würden oder gar ein umfassenderer Relaunch angestoßen werden könnte.
Etliche am Film interessierte Theologen sehen im Kino freilich mehr als nur eine Probebühne für vorgängig ausgearbeitete Konzepte, so bereichernd die Auseinandersetzung mit einzelnen Filmen dabei auch sein kann – bereichernd nicht allein für die Theologie, sondern auch für die Filmschaffenden selbst, die hier oftmals die ihnen angelegenen Tiefendimensionen ihrer Arbeit angemessen gewürdigt sehen (eine regelmäßige Erfahrung bei den jährlichen Regisseurbegegnungen in der Reihe „FilmForum“ an der Katholischen Akademie in München).
Besonders seitens der Biblischen und der Systematischen Theologie werden Filme zusehends auch als originäre Quelle theologischen Erkennens entdeckt. Im Hintergrund steht beide Male eine rezeptionsästhetisch formatierte Auffassung von Wirkungsgeschichte, die Sinn- und Bedeutungsstrukturen gegenüber dem früheren Pathos der Vereindeutigung geöffnet und dynamisiert hat.
Noch immer gilt, was die Päpstliche Bibelkommission in ihrem wichtigen Dokument „Die Interpretation der Bibel in der Kirche“ (1993) zur Relevanz der Wirkungsgeschichte auch für das Verstehen der biblischen Überlieferung selbst geschrieben hat: Der wirkungsgeschichtliche Zugang beruhe „auf zwei Grundtatsachen: a) ein Text wird nur dann zum literarischen Werk, wenn er Leser findet, die ihn lebendig werden lassen, indem sie ihn sich zu eigen machen; b) diese Aneignung des Textes, die individuell oder gesellschaftlich und in verschiedenen Bereichen (Literatur, Kunst, Theologie, Aszetik und Mystik) stattfinden kann, trägt zum besseren Verständnis des Textes selbst bei.“ Die Berücksichtigung der Wirkungsgeschichte erlaube es, „alle Sinndimensionen“ biblischer Texte „besser zu erfassen“ und mache es „möglich und nützlich, den Sinn einer Perikope (…) im Lichte der im Lauf der Kirchengeschichte durch sie ausgelösten Impulse zu interpretieren.“ (Abschnitt C.3; alle Hervorhebungen R.Z.) – wobei hier im Geiste des ersten Zitats hinzuzunehmen wäre: „im Lauf der Kunstgeschichte“, und zwar aller Künste, auch der des Films.
Einer der Pioniere dieses Denkens für den Bereich „Bibel, Literatur und Film“ ist der britische Exeget Larry J. Kreitzer. Angefangen mit „The New Testament in Fiction and Film“ (Sheffield 1993) hat er inzwischen vier Bände vorgelegt, in denen er für eine „Umkehrung der hermeneutischen Bewegung“ (so jeweils der Untertitel) wirbt. Damit meint er, dass der Dialog zwischen der Exegese und einem Film (oder literarischen Text) nicht nur zu einem besseren Verständnis des Films hilfreich sein kann, sondern auch für das Verstehen des biblischen Textes selbst, auf den der fragliche Film anspielt, den er bearbeitet oder zitiert, oder dem womöglich nur strukturell affin ist.
Fokussiert auf die paulinische Theologie begann der amerikanische Exeget und Paulusexperte Robert Jewett ein ähnliches Projekt. In den beiden Bänden „Saint Paul at the Movies“ und „Saint Paul Returns to the Movies“ (Louisville [KY] 1993 und Grand Rapids [MI] 1999) befragte er populäre Filme amerikanischer Provenienz nicht nur auf die Präsenz und Bearbeitung von Momenten des paulinischen Denkens, wie es im Paradigma des Kinos als Probebühne geschieht, sondern hielt sich dafür bereit, dieses Denken durch Filme besser und tiefer verstehen zu lernen.
In bewusster Absetzung von Theologen, die „Filme als Illustrationen etablierter Lehrmeinungen gebrauchen“, will Jewett sich Filmen auf der Basis der Annahme annähern, „dass sie eigenständig Wahrheit erschließen (disclose truth in their own right) und sich so als valide Gesprächspartner im Dialog mit den Paulusbriefen qualifizieren“ (1993, 7). Im Zuge dessen gelangte er beispielsweise durch die Beschäftigung mit Lawrence Kasdans „Grand Canyon“ (1991), einem Film über Menschen, denen „das Gesetz ins Herz geschrieben“ (Röm 2,15; vgl. Jewett 1993, 66) zu sein scheint, zu einem tieferen Verständnis der Rechtfertigung der Heiden in Röm 2 (65–76). Die Früchte seiner auch durch die Auseinandersetzung mit Filmerzählungen geschärften, inspirierten und vorangetriebenen Paulusexegese hat Jewett dann in seinem in der Reihe „Hermeneia“ erschienenen großen Kommentar zum Römerbrief (Minneapolis 2007) gesammelt.
Exegetisch interessant sind Filme aber nicht nur mit Blick auf biblische Denkfiguren und Strukturen, sondern auch für die Exegese einzelner Textstellen. Angesichts des generell hohen Anteils von Leerstellen in den biblischen Erzähltexten, den schon Erich Auerbach in seinem epochalen Werk „Mimesis“ herausgestellt und als an den Rezipienten adressierten Appell zu kreativer Mitwirkung an Bedeutungsaufbau und Veranschaulichung positiv gewürdigt hatte, können Konkretisierungen dieser Leerstellen bei Bibelverfilmungen zu interessanten, so zuvor noch nicht bedachten Vorstellungs- und Deutungsangeboten werden.
Das ließe sich exemplarisch sehr gut an Pier Paolo Pasolinis „klassischer“ Verfilmung des Matthäusevangeliums („Il Vangelo Secondo Matteo“, 1964) demonstrieren, die im Zuge einer bei meist dicht an der Vorlage orientierten Umsetzung viele originelle Sehweisen bereit hält und den von einer entschiedenen Option für die Armen durchformten befreiungstheologischen Richtungssinn dieses Evangeliums freigelegt hat.
So wie Filme biblische Überlieferungen reinterpretieren und neu zum Sprechen bringen können, dass sie für Exegese und Biblische Theologie interessant werden (vgl. den reichen Sammelband: George Aichele und Richard G. Walsh [Hg.], Screening Scripture, Harrisburg [PA] 2002), gilt dies analog auch für viele, ja recht besehen am Ende wohl alle Traktate der Systematischen Theologie, bis hinein in spezielle Felder wie Angelologie oder Dämonologie. Die filmische Auseinandersetzung mit Themen der systematischen Theologie kann explizit geschehen, etwa wenn Martin Scorsese mit seiner Nikos-Kazantzakis-Verfilmung „Die letzte Versuchung Christi“ (1988) ein dezidiert christologisches Anliegen verfolgt, indem er gegenüber einer einseitigen Christologie von oben den „wahren Menschen“ Jesus neu zur Geltung bringen möchte, wenn in einem Film wie Terrence Malicks in Cannes mit der „Goldenen Palme“ ausgezeichneten „The Tree of Life“ (2011) explizit vor einem schöpfungstheologischen Horizont die Theodizeefrage und das Verhältnis von Natur und Gnade verhandelt werden, oder wenn in Bela Tarrs 2011 in Berlin prämierter düsterer Parabel „Das Turiner Pferd“ in Umkehrung des Sechs-Tage-Werks die Schöpfung wieder in Finsternis versinkt.
Vielfach geschieht dies auch indirekt, und nicht selten auch nicht-intendiert, jedenfalls ohne ausdrücklichen Rekurs auf theologische Zusammenhänge, aber oftmals doch so, dass eine für die Kunst sensible Theologie derartige Zusammenhänge ausmachen und für ihr je neues Durcharbeiten der Glaubensbestände fruchtbar machen kann. Der Bogen spannt sich hier von der Anthropologie, etwa von der narrativ-visuellen Reflexion auf Körper und Eros (vgl. etwa Stefanie Knauß, Transcendental Bodies, Regensburg 2008) bis hin zu den „letzten Dingen“ und Jenseitsvorstellungen.
Mit Blick auf letztere beispielsweise werden in vielen Filmerzählungen je neu die Vorstellungsräume von „Himmel“ und „Hölle“ ausgemessen oder wird die von vielen längst verabschiedete Vorstellung eines „Fegefeuers“ reaktualisiert und wieder zum Bedenken aufgeben (vgl. zu diesem Komplex jetzt: Chris Deacy, Screening the Afterlife, London 2012; sowie Deacy und Ulrike Vollmer [Hg.], Blick über den Tod hinaus, Marburg 2012; vgl. HK, September 2009, 481 ff.).
Das Kino als religiöser Erfahrungsraum
Das Kino gibt natürlich nicht nur zu denken, sondern ist zuallererst ein Raum des intensiven Wahrnehmens, eines Sehens und Hörens, das durch den Rhythmus der Bildfolgen derart sensibilisiert oder aufgeladen sein kann, dass das Kino zum Raum einer religiösen Erfahrung werden kann. Von solchen Erfahrungen, bei denen die Bilder, das Gezeigte transparent wird auf eine größere Tiefe des Seins hin, erzählen viele der Theologen, die sich mit dem Film beschäftigen (vgl. Robert K. Johnston, Theological Approaches, in: John Lyden [Hg.], The Routledge Companion to Religion and Film, New York-London 2009, 310–328, hier: 320), und für manche von ihnen waren solche Erfahrungen gewissermaßen die „Urszene“ für ihre nähere Beschäftigung mit diesem Medium.
Ihre in Spitzenmomenten nicht selten als religiös oder hierophan erlebte und beschriebene Erfahrungsintensität gewinnen Filme weniger aus den Geschichten, die sie erzählen, als aus spezifischen Qualitäten ihrer Ästhetik: zuvorderst aus der Organisation der Blicke und der Bearbeitung der Zeit, denn die Filmkunst ist – hierin der Musik verwandt – mehr eine Zeitkunst, eine „Skulptur der Zeit“ (Andrej Tarkowskij), denn eine Raumkunst. Die Anfänge einer darauf abhebenden theologischen Ästhetik des Films liegen bereits in den fünfziger Jahren: in den Arbeiten des bekannten Filmpublizisten André Bazin (1918–1958), der in immer neuen Anläufen seine Überzeugung von der offenbarenden Kraft des Filmblicks auf die Wirklichkeit entfaltet hatte, und in den Arbeiten seines Freundes und Weggefährten Amédée Ayfre (1922–1964), eines hierzulande immer noch zu wenig bekannten Theologen und Filmwissenschaftlers, der mit seiner Dissertation „Dieu au Cinéma“ (1953) die erste, in seinem Fall phänomenologisch gespurte theologische Ästhetik des Films vorgelegt hatte (dazu jetzt verschiedene Beiträge in Peter Hasenberg, Reinhold Zwick und Gerhard [Hg.], Zeit BILD Theologie. Filmästhetische Erkundungen, Marburg 2011; viele der wichtigsten Texte Ayfres sind versammelt in dem Band: Un cinéma spiritualiste, Paris 2004).
Ayfre inspirierte später maßgeblich die immer noch sehr wichtige Arbeit des Filmkritikers, Drehbuchautors und Regisseurs Paul Schrader über einen spezifischen, von ihm aus den Filmen von Yasujiro Ozu, Robert Bresson und Carl-Theodor Dreyer erhobenen „Transcendental Style in Film“ (Berkeley 1972), die dann ihrerseits wieder verschiedene, primär auf die Filmästhetik fokussierte Reflexionen über revelatorische oder sakramentale Dimensionen des Films anregen sollte – so beispielsweise Peter Frasers „The Sacramental Mode in Film“ (Diss. 1990) oder, ungleich bekannter, Andrew Greeleys „God in Popular Culture“ (London 1988).
Es lohnt sich für Theologinnen und Theologen also, ins Kino zu gehen – besser ins Kino als in die Videothek, denn nur im Kino als Raum der konzentrierten Wahrnehmung kann ein Film sein ästhetisches und semantisches Potenzial entfalten.
In Filmerzählungen findet die Theologie aktuelle Reformulierungen und neue Kontextuierungen von Glaubenstraditionen, Filme tragen neue Fragestellungen und tastende Antworten an sie heran; Filme markieren ebenso Plausibilitätsprobleme und Vermittlungsdefizite der Theologie, die dieser dann zu bearbeiten aufgegeben sind, wie sie umkehrt auch Ressourcen für theologische Einsichten und ein Verstehen und theologisches Sprechen auf Augenhöhe mit der Gegenwart sein können. Filme machen sehend – und geben zu denken.