Warum Jesus Christus Indien fasziniertNicht die Doktrin, der lebendige Christus

Jesus Christus hat auf indische Denker eine große Faszination ausgeübt: als der ontologische Christus, der die Dimensionen des Göttlichen und des Geschichtlichen in sich vereinbart, als der interkulturelle Christus und als der befreiende Christus. Im Zentrum steht seine Entäußerung.

Der Focus indischer Denker christlicher und hinduistischer Provenienz ist immer Jesus Christus gewesen. Dabei war stillschweigend ein grundlegendes, dem indischen Genius entsprechendes Prinzip am Werk, wie es der Philosoph und Staatsmann Sarvepalli Radhakrishnan (1888–1975) formuliert hat: „Der absolute Charakter der theologischen Doktrin ist mit dem mystischen Charakter der religiösen Wahrheit nicht zu vereinen.“ Diese negative Formulierung dient sowohl als Warnung wie auch als Wegweiser. Warnung, weil die Gefahr, den Bereich der religiösen Wahrheit der Vernunft zu unterwerfen nach wie vor sehr aktuell ist. Wegweiser, weil man im indischen Subkontinent seit eh und je der Überzeugung ist, dass dem göttlichen Geheimnis nur auf dem Weg der „mystischen Erfahrung“ zu begegnen ist. Während „Lehre“ im Sinne von Doktrin für die gläubigen Inder keine besondere Anziehung hat, spricht eine mystische Erfahrung alle an, egal welcher Herkunft sie auch sein mag. Die Faszination, die Jesus Christus auf die indischen Denker ausübt, ist nicht zu übersehen in ihrer Wirkungsgeschichte. Darin bergen sich drei Hauptanliegen: Der ontologische Christus, der die Dimensionen des Göttlichen und des Geschichtlichen in sich vereinbart; der interkulturelle Christus, der das missionarische Anliegen der Inkulturation ausdrückt und schlussendlich der befreiende Christus, der zum sozialen, kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Einsatz bewegt, damit die Ankunft des Gottesreiches Wirklichkeit wird. Alle drei Anliegen werden in Raimon Panikkars „kosmotheandrischen Christus“ integriert (Kosmos, Theos und Aner – Welt, Gott und Mensch).

In jedem wahren Brahmanen ist Christus, der Sohn Gottes

Erstaunlicherweise beginnt die christologische Bewegung mit einem aufgeklärten, vom strengen Monotheismus des Islams beeindruckten und von den englischen Unitaristen stark beeinflussten Sozial-Reformer, dem Hindu Ram Mohan Roy (1772–1833). Obwohl Roy die ethische Lehre Jesu hervorhob und dessen Göttlichkeit und trinitarische Beziehung wegen seines islamischen Einflusses und seines upanischadischen Hintergrundes ablehnte, behauptete er dennoch, dass „(Jesu) Leben gemäß der Schrift makellos wie das Licht (war), unschuldig wie ein Lamm, unentbehrlich für das ewige Leben wie das Brot für das zeitliche Leben, groß wie die Engel Gottes, ja sogar größer als sie“. Roy bat die Christen, „an Gott zu glauben als den einzigen Anbetungswürdigen, an den Sohn, durch den sie als Christen ihre Anbetung verrichten sollten, und auch an den heiligen Einfluss Gottes, von dem sie Anweisung auf dem Pfad der Gerechten erwarten sollten“. Nicht so sehr durch seinen Sühnetod, sondern durch seine erhabene Lehre bewirkte, so Roy, Jesus die Erlösung. Die Christen, die auf die früh-kirchliche Doktrin fixiert und bar jedweden Verständnisses für die kulturellen Barrieren waren, reagierten heftig dagegen.

Der nächste große von Christus faszinierte Inder war Keshab Chandra Sen (1838–1884). Er bekannte Christus und den dreifaltigen Gott öffentlich. In seinem Büchlein That Marvellous Mystery – The Trinity(1882) schrieb er: „Ich habe Gott in seinem dreieinen (triune) Wesen gesehen und erlebt.“ Sen war der erste, der die altehrwürdige indische trinitarische Formel Saccidånandam (Sein, Bewusstsein und Wonne), auf die christliche Dreifaltigkeit anwendete. Für Sen war diese Formulierung Ausdruck einer neuen indischen Erfahrung des dreifaltigen Geheimnisses. „Die Dreifaltigkeit der christlichen Theologie entspricht in auffallender Weise dem Saccidånandam des Hinduismus. (...) Nicht drei Götter, sondern ein Gott. Ob allein, oder der im Sohn Geoffenbarte, oder der als heiliger Geist die Menschheit Belebende, es ist immer derselbe Gott, dieselbe identische Gottheit, deren Einheit trotz der Vielfalt der Manifestationen unteilbar besteht.“ Und vom göttlichen Sohn sagt er: „Der Logos war der Anfang der Schöpfung und auch ihre Vollendung war der Logos – der Höhepunkt der Menschheit war der göttliche Sohn (...) Wenn es die Sohnschaft gibt, dann sollte sie sich nicht in einem einzigen Menschen, sondern in der ganzen Menschheit entfalten. Fürwahr ist eine universelle Erlösung das Ziel der Schöpfung!“ Ferner: „Christus ignorierte und negierte sein Selbst gänzlich. (...) Er vernichtete sein Selbst. Und in dem Maße, wie das Selbst abnahm, flutete der Himmel in die Seele (...) daher, wenn die Seele frei vom Selbst ist, erfüllt die Göttlichkeit diese Lücke. Genauso war es mit Christus. Der Geist Gottes erfüllte ihn und deshalb war alles in ihm göttlich.“ Nicht weniger erstaunlich sind folgende Aussagen Sens: „Christus ist in Euch schon gegenwärtig (...) Denn Christus ist ,das Licht, das jeden in die Welt kommenden Menschen erleuchtet’ (...) Er wird zu Dir in Gestalt der Selbstverneinung, der Askese, des Yoga, des göttlichen Lebens im Menschen, der gehorsamen und einfachen Sohnschaft kommen.“ Noch mehr: „In jedem wahren Brahmanen, in jedem treuen Vedagläubigen am heiligen Gangesufer ist Christus, der Sohn Gottes (...) Das heilige Wort, der ewige Veda wohnt in jedem von uns (...) Steige in die Tiefe Deines eigenen Bewusstseins und Du wirst den innewohnenden Logos entdecken (...) Die wahre Anerkennung von Christus hat in Indien (schon) stattgefunden (...) es bleibt nur noch die Anerkennung nach dem Namen.“ Der große Widerstand seitens der christlichen, meistens nicht-indischen Theologen nahm keine Rücksicht auf Sens den chalcedonensischen Formulierungen fremden kulturellen Hintergrund. Dann kam Bhawani Charan Banerji (1861–1907), ein hochbegabter Sanskrit-Gelehrter und Schriftsteller. Er trat zuerst in die anglikanische und später in die römisch-katholische Francis X. D’Sa (geb. 1936 in Gokak Falls, Kirche ein. Bei seiner Bekeh-rung entschied er sich für den Sanskrit-Namen Brahmabandhav (= Theophilus, derje-nige nämlich, der das Wort Dreifaltigkeit geprägt hatte) gründete er das Institute for Upadhyay. Der begeisterte Christ Brahmabandhav bleibt eine tragische Figur – Symbol einer Zeit, die dazu neigte, die Wahrheit auf Glaubenssätze zu reduzieren. Brahmabandhav war fest dasitäten Innsbruck, Frankfurt/ von überzeugt, dass der gebildete Hindu keine große Schwierigkeit mit dem Christsein haben würde, würde man ihm dies in indischer Kleidung (sprich in Gestalt des Vedanta-Systems) den Hindus vorstellen. Konkret brachte er seinen Glauben in zwei einmaligen und bahnbrechenden Sanskrit Hymnen Vande Saccidånandam (Anbetung der Dreifaltigkeit) und Jaya deva narahare (Heil dem Gott-Menschen) zum Ausdruck. Das erste Lied ist auch unter Hindus bekannt und geschätzt, das zweite weniger. Vande Saccidånandam stellt einen Anfang der Inkulturation dar, weil es die klassische chalcedonensische Trinitätslehre in upanischadische Sprache übersetzt. Das Lied spricht von dreifacher Beziehung von Sein, Bewusstsein und Wonne. Der Refrain besingt das Absolute, welches Einheit in der Dreiheit ist, ohne dabei das hinduistische Absolute einzuführen. In jeder der drei folgenden Strophen, die die Eigenart der trinitarischen Personen zum Thema haben, führt Brahmabandhav geschickt hinduistisches Gut in die christliche Glaubenswelt ein. Verständlich, dass konservative Hindu-Gelehrte diesen Hymnus ohne weiteres annehmen. Auch im zweiten Hymnus Jaya deva narahare bleibt Brahmabandhav dem klassischen Glaubensausdruck treu, aber er bedient sich reichlich des Wortschatzes der herkömmlichen christlichen und hinduistischen Traditionen.

Der gebildete Hindu hat mit Jesus Christus keine Schwierigkeiten

Eine ganz andere Gestalt war Sadhu Sundar Singh (1889– 1929), ein Sikh-Junge, der von seiner Mutter in der Bhakti(Liebe Gottes) Tradition erzogen war und der sich in jungen Jahren auf Grund von mystischen Begegnungen mit Christus taufen ließ und als Weltentsagender gelegen und ungelegen Christus überall verkündete. Seine Weisheit sowie seine Lebenstransparenz – Frucht seiner häufigen Entrückungen – waren beeindruckend. Seine „Christologie“ lässt sich vielleicht in seinen eigenen Worten ausdrücken: „Wir Inder brauchen keine Doktrin, am wenigsten eine religiöse Doktrin (...) Wir brauchen den lebenden-und-lebendigen Christus (Living Christ). Indien braucht Leute, die nicht nur predigen und lehren, sondern Arbeiter sind, deren ganzes Leben und Naturell eine Offenbarung von Jesus Christus ist.“

Aiyadurai Jesusdasen Appasamy (1891–1976), Bischof der Kirche von Südindien, war einer der ersten, die sich für eine inkulturierte Christologie einsetzten. Fasziniert vom Weg der Liebe (Bhakti-Mårga) sah er die Beziehung zwischen Vater und Sohn in der Harmonie der Liebe, nicht in der Einheit einer Substanz. Appasamy entschied sich für die Welt der Bhakti, weil sie die Zweiheit der Personen sicherstellte. „Bleibt in meiner Liebe“ war das Leitmotiv der Auslegung Appasamys. Dabei bediente er sich der Sprache der Hindu-Traditionen, wie beispielsweise Bhakti (= Liebe zu Gott), Avåtara (Herabstieg des Höchsten in die Welt), Antaryåmin (der im Innern Wohnende), um Christus den Hindus verständlich zu machen. Beim Gebrauch vom Avåtara machte er deutlich, dass er damit etwas anderes meinte als die Hindus. Avåtara scheint lediglich hier eine hinduistische Übersetzung für das Wort Inkarnation zu sein. In späteren Jahren schrieb er die Antaryåmin-Beschaffenheit dem Heiligen Geist zu. Hingegen fand Pandipeddi Chenchiah (1886–1959), ein Hindu-Konvertit, den Bhakti-Mårga ungenügend. Er betonte das gänzlich Neue, die Neuschöpfung in Jesus. Mit seinem Hindu-Hintergrund lehnte Chenchiah die Formulierungen der frühen Kirche, besonders den Ausdruck „wahrer Gott und wahrer Mensch“ als für die Hindus unverständlich und irreführend ab. Gleichermaßen hatte er für die institutionalisierte Kirche wenig übrig: „Es soll klar sein, dass wir nichts akzeptieren außer Christus“.

Christus als der immerwährende Avatara

Jesus war Gottes Sohn, weil Gottes Geist ihn beseelte. Er war Menschen Sohn, weil er von der Frau – Mutter der Menschen – geboren war. Bei der Erlösung betonte Chenchiah weniger die Freiheit von der Versklavung der Sünde als die Teilhabe an der Fülle des Lebens. Daher ist nicht so sehr die Kirche wichtig als das Etablieren des Gottesreiches. Dies geschieht weniger durch den gesetzlichen Weg als durch eine Wiedergeburt durch Jesus. Der Christ muss durch den Heiligen Geist geboren werden.„Christentum ist primär keine Heilslehre,sondern die Ankündigung des Advents einer schöpferischen Ordnung in Jesus.“ Darin besteht auch die Befreiung vom Karma-Gesetz.Chenchiah betonte den Yoga des Geistes.„Der Geist ist die neue kosmische Energie, das Gottesreich die neue Ordnung; Gottes Kinder sind der neue Menschen-Typus.“ Man wird Chenchiah verstehen, wenn man sein Anliegen, die Vermittlung von Christus an die Hindus, versteht.

Ein ähnliches Anliegen hatte Vengal Chakkarai (1880–1958), auch ein Hindu-Konvertit. Er suchte keine neue Formulierung des Alten, sondern Antworten auf die Fragen der Zeit. Für Chakkarai war authentisches Wissen von Gott nur durch ein persönliches Christus-Widerfahrnis möglich. Jesus ist der wahre Mensch, der sich voll und ganz entäußerte; er ist der wahre, aber immerwährende Avåtara (Herabstieg Gottes), dessen Bedeutsamkeit in der Geschichte immer zunimmt und sich vertieft, indem er im Leben der Menschen weiterlebt. Aus der indischen Perspektive sieht Chakkarai dort die Rolle des Heiligen Geistes, der die Hauptfigur der Heilsgeschichte ist. Denn das Wirken und Wesen von Jesus Christus in den Menschen ist der Heilige Geist. Durch das innere Erleben dieses Geistes können wir den geschichtlichen Jesus kennen lernen. Nur durch Leiden können wir die Einheit mit Gott realisieren, wenn wir durch den Geist in Jesus vereint sind. Das Kreuz ist wichtig nicht nur im Leben Jesu, sondern im Leben der Menschen, denn es ist der Weg der Selbst-Entäußerung.

Sebastian Kappen (1924–1993) ist eine Ausnahme unter den indischen Theologen, insofern sein Interesse exklusiv dem geschichtlichen Jesus ohne jedwede kultische, dogmatische und institutionelle Wucherung gilt. Nicht den mystischen Christus, der den Hindu-Gottheiten gleicht, sondern Jesus, den eigentlichen Befreier der Unterdrückten Indiens, findet Kappen relevant. Kappen kritisiert sowohl die christlichen Traditionen wie auch den Marxismus, unter dessen Einfluss er stand, und dessen Beitrag er im Großen und Ganzen als positiv anerkannte. Kappen beabsichtigt eine Theologie, welche die Offenheit aller Religionen in Bezug auf die menschlichen Bedürfnisse und Nöte anspricht. Das Göttliche, das sich in Jesus offenbarte und am Werk war, offenbart sich auf zweifache Weise: Als Gabe und als Aufgabe. Als Gabe offenbart sich es in der Liebe, in der Wahrheit, in der Gemeinschaft, usw. Als Aufgabe begegnet man dem Göttlichen in den geschichtlichen Ereignissen und Herausforderungen. Die Entstehung einer Befreiungstheologie geschieht in einer theandrischen Praxis, die vom Licht des Evangeliums überflutet ist. Für Kappen ist Jesus der wahre Mensch, der echte Prophet, dessen authentische Humanität seine eigentliche Göttlichkeit darstellt. Jesu Menschsein ist nicht ambivalent, denn in ihm offenbarte sich sowohl das Göttliche über den Menschen als auch das Göttliche im Menschen. Daher rührt Jesu Ruf nach Ganzheit. Die Jesus-Gemeinschaft in Indien hat die Aufgabe, mit den positiven Elementen der indischen Tradition (wie der Immanenz des Absoluten, der Entdeckung des eigentlichen Selbst und der kontemplativen Einstellung der Umwelt gegenüber, vor allem aber der Einheit des Kosmischen, des Menschlichen und des Göttlichen) Dialog zu führen. Denn die prophetische Vision Jesu kann Lebenssinn erhellen und ganzheitliche Befreiung in Indien und Asien einführen.

In George M. Soares-Prabhu (1931–1996) hatte die indische Kirche einen weltweit anerkannten Exegeten und kreativen Theologen. Sein Anliegen: Jesus, der Lebensspender, muss mitten in der Situation von Angst und Tod in der Dritten Welt aufs Neue gesucht werden, indem man die christliche Überlieferung mit dem Leben in der Dritten Welt konfrontiert. Bei einem derartigen Unterfangen kann sich eine Dritte-Welt-Christologie nicht einer sektenmäßigen (sectarian), von unerkannten politischen Vorurteilen befleckten hellenistischen christologischen Überlieferung bedienen. Sie muss zurück zum Neuen Testament, in dem jede echte christliche Theologie ihre Herkunft hat. Freilich ist auch das Neue Testament kulturell geprägt. Es ist überwiegend ein hellenistischer Text mit einem semitischen (aramäischen) Substrat. Dennoch ist es ein privilegierter Text, weil es das Glaubens-Widerfahrnis der apostolischen Kirche ausdrückt und als normativ und heilig von allen Christen angenommen wird. Jede Schrift des Neuen Testaments ist gleichsam eine Christologie. Weil sie eine Auslegung für einen spezifischen Kontext darstellt, bedient sie sich entsprechender Titel für das Geheimnis, das Jesus ist. Allerdings sind diese Titel funktional, nicht ontologisch wie die der ersten Konzilien. Jene suchten die Bedeutung Jesu hervorzuheben, diese aber die Struktur seines Seins. Angesichts der Pluralität der neutestamentlichen Christologien hebt Soares-Prabhu die Wichtigkeit des Kontexts hervor. Während sie sich gegenseitig ergänzen, und somit eine christologische Offenheit an den Tag legen, will die dogmatische Richtung eine einzige exklusive Christologie vertreten. Die frühkirchlichen Auseinandersetzungen zeigen, dass jedweder Versuch, dieses Geheimnis auf eine einzige Formulierung zu bringen, theologisch und pastoral stets ungenügend bleiben wird. Chalcedon, meint Soares-Prabhu, hat eine Richtung, wenn auch nicht die glücklichste eingeschlagen. Im Herzen dieser Christologien verbirgt sich ein Jesus-Widerfahrnis, das der Ausgangspunkt für eine Dritte-Welt-Christologie sein muss. Unsere Aufgabe ist es, neue Christologien zu entwickeln, indem wir den erklingenden Schrei nach (wirtschaftlichem, psychischem und geistigem) Leben der Dritten Welt mit unserem Jesus-Widerfahrnis konfrontieren. Der Jesus des Glaubens ist weder der geschichtliche Jesus der Exegeten noch der Christus des Glaubens der dogmatischen Theologie, sondern der Jesus des neutestamentlichen Bekenntnisses. Dies wird das Ergebnis der dialektischen Interaktion zwischen dem geschichtlichen Jesus der Kritiker und dem Jesus des Gemeinschafts-Glaubens sein. All das drückt sich aus in der Praxis von Freiheit, Liebe und Gerechtigkeit – Werte, die Jesus predigte und inkarnierte. Die Inkarnation ist ein Symbol der Solidarität und Verbundenheit mit den Armen dieser Welt. Das Kreuz ist kein Stilbruch, sondern das Resultat der dreifachen Herausforderung des (theologischen, religiösen und politischen) Establishments. Das Ziel des Lebens aber ist die Auferstehung. Sie ist das Leben Christi durch den Geist in unserem Leben.

Raimon Panikkar (geb. 1918) ist als Sohn eines indischen Hindus und einer spanischen Katholikin sowohl in Christentum, Hinduismus, Buddhismus als auch im säkularen Denken zuhause (vgl.HK,September 2001,448ff.).Möglich ist dies, weil das trinitarische Geheimnis Mensch mit keiner Etikette erschöpfend erfasst werden kann. Panikkars Schrifttum ist eine einzige, allerdings vielfältige Brücke zwischen den Religionen, denn er will die Glaubenserfahrung interkulturell auslegen. Christologie, die Lehre über den Christos, ist nur die Schwelle des Hauses, nicht das Wohnzimmer, das aus der Christophanie besteht. Christophanie ereignet sich, wenn jemandem das widerfährt, was Jesus widerfahren ist: Das Abba-Widerfahrnis. Wir alle sind wirkliche – nicht adoptierte – Kinder Gottes. Jesus, wahrer Mensch und wahrer Gott, ist der Weg zum Vater, da er offenbart, dass der Mensch ein trinitarisches Geheimnis ist. Panikkar hat das Wort „kosmotheandrisch“ geprägt, um die Einheit von Kosmos, Theos und Aner auszudrücken. Mit diesem Ansatz tritt Panikkar in die Welt des interreligiösen Dialogs ein. Der Pluralismus ist für ihn kein unlösbares Problem. Dazu unterscheidet er erstens zwischen dem Universum des Glaubens (dem Bereich der Transzendenz) und dem Pluriversum der Bekenntnisse (dem Bereich der Rezeption). Das absolute Geheimnis offenbart sich in geschichtlich bedingten Menschen. Zweitens unterscheidet Panikkar zwischen Christus und Jesus. Jesus ist der Christus, aber Christus ist mehr als Jesus. Würde man, so Panikkar, Jesus und Christus einfach gleichsetzen, so würde man das wahre Menschsein Jesu aufgeben.

Das entäußernde Leben Jesu unterbricht die Wiedergeburtskette

Damit kann Panikkar behaupten, dass das im unzugänglichen Licht wohnende Geheimnis sich immer und überall durch den kosmotheandrischen Christos (Symbol der gesamten Wirklichkeit) offenbart. Jede Kultur hat ihren Namen für diese Offenbarung. Die Christen nennen sie Christus, während die anderen sie als Krishna oder Allah, usw. ansprechen. Das bedeutet nicht, dass es hier nur um einen anderen Namen geht. Jede Offenbarung ist einmalig, weil sie ein anderes Gesicht desselben kosmotheandrischen Christos ist. Der Dialog der Religionen besteht darin, die Wahrheit einer Religion anzuerkennen, gleichzeitig aber „funktionale Entsprechungen“ zwischen den Religionen festzustellen, damit die Fülle der Wahrheit immer mehr zur Geltung kommt. Was Jesus Christus den Christen bedeutet, bedeutet Krishna den Hindus. Die Funktion, die Jesus Christus bei bekennenden Christen hat, hat Krishna bei bekennenden Hindus. Panikkar nennt dies Relativität oder Relationalität, weil die Bedeutung (und Wahrheit) des Bekenntnisses in Relation zum jeweiligen Glaubens-Universum steht. So bleibt man dem absoluten Anspruch der eigenen Tradition treu, ohne dabei den Anspruch anderer Religionen in Abrede zu stellen.

Um diese Ausführung nun auf den Punkt zu bringen, ist zu bedenken: Im Geschichtsverständnis des Christentums stehen immer bestimmte Ereignisse im Focus. Hingegen erstreckt sich die Betrachtungsweise im Hinduismus auf sämtliche Geschehnisse. Bleibt man in dieser Totalität der Geschehnisse stecken (Samsåra), so wird man wiedergeboren. Daher spricht nicht das herkömmliche Glaubensbekenntnis, sondern ein kenotisches Leben, wie das des Herrn Jesus, die Hindus an, weil es die Wiedergeburtskette unterbricht.

Anzeige: Geschichte der Päpste seit 1800. Von Jörg Ernesti

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