Man kommt nicht umhin, mit ihm zu beginnen: Kein anderer Jesusfilm hat in der Geschichte des Genres, das so alt ist, wie das Kino selbst, mehr Menschen in die Filmtheater gelockt als Mel Gibsons „Die Passion Christi“ (2004). Nach jüngsten Angaben spielte der Film weltweit 612 Millionen Dollar ein, die ebenfalls enorm erfolgreichen DVD-Editionen nicht eingerechnet. Mithalten können hier im Langzeitvergleich nur Epen wie „Ben Hur“ oder „Quo Vadis“, in denen die Figur Jesu allerdings lediglich am Rande auftaucht. Die Zeit der „Biblical Blockbuster“ diesen Zuschnitts scheint jedoch endgültig abgelaufen: Das monumentale Remake von „Quo Vadis“ (2001), das der einstmals wegen seines Films „Mutter Johanna von den Engeln“ (1960) verfemte Jerzy Kawalerowicz als teuersten polnischen Film aller Zeiten realisiert hatte, blieb nach seiner Vatikan-Premiere in Anwesenheit des Papstes außerhalb Polens völlig unbeachtet. Zurück zu Gibson: Nicht nur sein Kinoerfolg machte seinen Jesusfilm zu einem Ereignis; kein anderer hatte auch jemals heftigere Diskussionen ausgelöst. Ein vergleichsweise schwaches Nachbeben waren jüngst die Proteste, die seine fast zeitgleiche Fernsehpremiere im diesjährigen Karfreitagsprogramm von Pro 7 und ORF 2 begleiteten. Besonders in Österreich gingen die Wellen hoch, weil sich hier das öffentlich-rechtliche Fernsehen engagierte. Die zuständige Abteilungsleiterin Andrea Bogad-Radatz verteidigte den Film als handwerklich „sehr gut gemacht“ und verstieg sich zu der Bemerkung, Gibson zeige Szenen, deren Bildkraft sie an die Sixtinische Kapelle erinnerten. Durch ein Rahmenprogramm sollte, so die Wiener Tageszeitung „Der Standard“, „der öffentlich-rechtliche Anstrich“ für die Ausstrahlung der „Blutoper“ gewahrt werden. Die massiven Proteste der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Deutschland und Österreich sowie der Israelitischen Kultusgemeinde Wien blieben folgenlos und wurden von den Traditionalisten hinter „kath.net“ als „nervöse“ und sachlich unbegründete Stimmungsmache abgetan (27.3.2007).
Man mag es grundsätzlich begrüßen, wenn ein Film Kontroversen auslöst und in diesem Fall das Nachdenken über Jesus Christus befeuert. Nur hat Gibson nicht allein in Sachen expliziter Gewalt die Schmerzgrenze überschritten (wobei es nicht unwichtig ist, welche der zwischen 155 und 170 Minuten Spiellänge variierenden Versionen man sieht!). Mit den ultrabrutalen Bildern, die auch das fragwürdige Markenzeichen von Gibsons neuem, im Kino durchgefallenen Maya-Epos „Apocalypto“ (2006) sind, hat der Passionsfilm keine neuen Maßstäbe in Sachen Realismus gesetzt, sondern das Genre auf Augenhöhe mit dem heutigen Horrorfilm gehievt. Mit der tendenziösen Verzeichnung der jüdischen Gegner Jesu hat er als andere Schmerzgrenze diejenige zum Antijudaismus überschritten. Wobei es jetzt ebenso problematisch ist, dass die berechtigte Empörung von jüdischer Seite vielfach immer noch nicht anerkennt wird und wieder Gräben aufgerissen oder offen gehalten werden, gegen die die Päpstliche Bibelkommission mit ihrem wichtigen Dokument „Das jüdische Volk und seine Heilige Schrift in der christlichen Bibel“ (2001) und jetzt auch Benedikt XVI. mit seinem Jesus-Buch so eindringlich angeschrieben haben. Um die Vorwürfe zu verifizieren, sollte man nicht auf die durch die Tagespresse gegangenen antisemitischen Ausfälle Mel Gibsons rekurrieren, als er bei einer Trunkenheitsfahrt in eine Polizeikontrolle geriet. Dazu genügte allein schon die (mit Hilfe der DVD leicht mögliche) Feinanalyse der Bild- und Handlungsstrukturen in der Sequenz um das Verhör vor dem Hohen Rat (zu den Kriterien vgl. meinen Beitrag: Antijüdische Tendenzen im Jesusfilm, in: Communicatio Socialis 30 [1997] 227–246). Derart denunzierende, alte antijüdische Klischees wiederbelebende Bilder fand man zuletzt in den „Passion Plays“ der Stummfilmzeit. Ihnen ist Gibsons Film bei aller technischen Raffinesse und trotz seines elaborierten Sounddesigns strukturell auch in anderer Hinsicht verwandt: In der Konzentration auf die letzten Tage Jesu, im durchaus geschickten Zitieren von Meisterwerken der bildenden Kunst, in der Auslagerung der Dialoge auf Untertitel und nicht zuletzt in seinem missionarischen Impetus. Wofür hier freilich geworben wird, das gehört theologisch in weit vor konziliare Zeiten: ins frühe 19. Jahrhundert einer Anna Kathatrina Emmerick und eines Clemens Brentano, ja mehr noch in die spätmittelalterliche Passionsfrömmigkeit (vgl. die Ergebnisse eines Symposiums an der Katholischen Fakultät Münster: Reinhold Zwick/Thomas Lentes [Hg.], Die Passion Christi. Der Film von Mel Gibson und seine theologischen und kunstgeschichtlichen Kontexte, Münster 2004). Bei all seiner Körperlichkeit kehren mit Gibsons Film mittlerweile überwunden geglaubte christologische Varianten mit Macht auf die Kinoleinwand und von dort in die religiösen Vorstellungen breiter Kreise zurück, in denen die Menschwerdung primär für ein quantifizierendes Verständnis von der alles überbietenden Größe des Opfers funktionalisiert wird (vgl. den pointierten Beitrag von Jürgen Werbick in dem Sammelband).
In der ersten Hälfte seiner langen Geschichte war der Jesusfilm freilich überhaupt ein großes Residuum einer Christologie von oben, die einseitig auf die Göttlichkeit des Herrn abhob und sich weithin unbeeindruckt zeigt von den Aufbrüchen der Leben-Jesu-Forschung oder der Entmythologisierungs-Programmatik. Im selben Jahr als Rudolf Bultmann seine „Geschichte der synoptischen Tradition“ publizierte, ließ der erste deutsche Jesusfilm einmal mehr einen aller Erdenschwere ledigen, ätherischen Erlöser über die Kinoleinwände wandeln („Der Galiläer“, 1921). Erst einige Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg kamen die Dinge in Bewegung, zunächst in Nicholas Rays Remake (1960) des Cecil B. DeMille Klassikers „King of Kings“ (1927), dessen juveniler Jesus sich quer zu dem entrückten Christus des Vorläufers stellte. Die eigentliche Schnittstelle war dann das Jahr 1965, als mit Pier Paolo Pasolinis „Das erste Evangelium – Matthäus“ und Georg Stevens’ „Die größte Geschichte aller Zeiten“ zwei Filme in die Kinos kamen, die unterschiedlicher nicht sein konnten. Während Stevens die alte Passionsspieltradition auf die grandiose Naturbühne der Grand-Canyon-Landschaft überführte und streckenweise ganz im Stil eines liturgischen Weihespiels nochmals einen absolut hoheitsvollen Christus präsentierte, setzte Pasolini – ohne den „wahren Gott“ zu bestreiten – auf den gesellschaftlich engagierten, leidenschaftlichen Mann aus Nazareth. Sein in einer Sondervorstellung von vielen Konzilsvätern gefeierter Jesus war der Jesus des Zweiten Vatikanischen Konzils und er wurde mit seiner Neubesinnung auf den „wahren Menschen“ wegweisend. Während die traditionelle Hoheitschristologie in Franco Zeffirellis großem Fernsehvierteiler „Jesus von Nazareth“ (1976) ihren letzten Höhepunkt erreichte (und bezeichnenderweise mit „Das Leben des Brian“ dann selbst schon zum Gegenstand der Satire wurde), ging das befreite Nachdenken über den Menschen Jesus weiter. Nachdem der kirchliche Einfluss auf das Filmwesen in den sechziger Jahren zusehends geschwunden war und sich gleichzeitig die staatliche Zensur lockerte, konnten sich einige Filme macher sehr ungeniert mit dem Mann aus Nazareth und seiner Glaubensgestalt auseinandersetzen. Während 1976 das auf der Sexfilm-Welle schwimmende Skandalprojekt des Dänen Jens Jörgen Thorsen mit dem Arbeitstitel „Die Liebesaffären des Jesus Christus“ wegen massiver Proteste eingestellt wurde, konnte wenig später Herbert Achternbusch seine heftige Abrechnung mit dem Christus des Glaubens und der Volksfrömmigkeit realisieren („Das Gespenst“, 1982). Weitaus unpolemischer, in der Sache aber kaum weniger provokant (Jesus als uneheliches Kind eines römischen Soldaten, die Auferstehung „nur“ als Weitergehen der Sache Jesu etc.) war dann Denys Arcands „Jesus von Montreal“ (1989). Während dieser Film für einige Jahre zum Hit des Religionsunterrichts avancierte, sah sich fast zeitgleich Martin Scorsese bei seinem ernsthaften Bemühen, durch die Betonung des „wahren Menschen“ die in seinen Augen zugunsten der Überbetonung der Göttlichkeit verloren gegangene christologische Balance von Chalcedon wiederherstellen zu helfen, heftigsten Anfeindungen ausgesetzt („Die letzte Versuchung Christi“, 1989). Nach Arcand und Scorsese war es dann, jedenfalls was das Kino und den expliziten Jesusfilm angeht, recht still um Jesus bestellt. Die oft von evangelikaler Seite betriebene Produktion für das Fernsehen und für katechetische Zwecke lief hingegen weiter. Noch am interessantesten war hier Roger Youngs „Jesus“ (1999), gedreht im Rahmen der vielteiligen, heute in den kirchlichen Medienstellen bereitgehaltenen Fernseh-Bibel; über andere, zum Teil unsäglich biblizistische Bebilderungen breitet man besser den Mantel des Schweigens (Informationen hierzu, leider ohne klar durchgehaltene Wertungsmaßstäbe, finden sich jetzt in: Thomas Langkau, Filmstar Jesus Christus, Münster 2007; vgl. grundsätzlich auch: Richard Walsh, Reading the Gospels in the Dark. Portrayals of Jesus in Film, Harrisburg 2003).
Kindheitsgeschichten einmal mehr zu einer Evangelienharmonie verschliffen
Dann kam eben wie ein Paukenschlag Gibsons Film, und das Thema „Jesus“ war massiv wie kaum zuvor auf der Bühne der medialen Aufmerksamkeit zurück. Wer sich allerdings im Sog dieses Welterfolgs einen neuen Boom an Jesusfilmen erwartet oder von Produzentenseite darauf gesetzt hatte, wurde enttäuscht, obwohl oder vielleicht auch gerade weil gleichzeitig religiöse Sujets und christomorphe Momente in Mainstream-Filmen Hochkonjunktur hatten und haben (vgl. HK Spezial „Renaissance der Religion“, Oktober 2006, 45 ff.). Die aufwändige Kindheitsgeschichte „Es begab sich aber zu der Zeit...“ (The Nativity“), die letztes Jahr im Weihnachtsprogramm startete, spielte weltweit nur enttäuschende 45 Millionen Dollar ein (davon ganze 8 Millionen außerhalb der USA). Gefilmt im von Pasolini entdeckten und von Gibson „reanimierten“ süditalienischen Matera und dem in Bibelfilmen schier unvermeidlichen marokkanischen Quarzazate war die malerisch bebilderte Geschichte zu behäbig und auch ästhetisch zu sehr in altvertrauten Bahnen erzählt, um die Kinogänger mobilisieren zu können. Die Erwartung, dass die durch bemerkenswerte Jugendfilme hervorgetretene Regisseurin Catherine Hardwicke „die vorstellbare Bilderbuch-Version des Films gegen den Strich bürstet“, so der Produzent Wyck Godfrey (Presseheft), hat sich nur in Ansätzen erfüllt. Von exegetischer Seite wird man zudem bedauern, dass die höchst bedeutsamen Eigenprofile der beiden so verschiedenen Kindheitsgeschichten des Matthäus und Lukas einmal mehr zu einer Evangelienharmonie verschliffen und ihre theologische Kraft einer – am Ende im Soundtrack expliziten – „Stille Nacht“-Seligkeit geopfert wurde. Auch die detailverliebte Historisierung behinderte eher das Vorhaben einer Einfühlung in die Protagonisten, wie diese ehedem Jean-Luc Godard in seiner völlig zu Unrecht der Blasphemie bezichtigten Transposition der matthäischen Kindheitsgeschichte in das Schweizer Kleinbürgermilieu unserer Tage so überzeugend gelungen war („Maria und Joseph“, 1983).
Stellte „The Nativity“ dem vom selben Verleih („New Line Cinema“) vertriebenen Film Mel Gibsons gleichsam eine „Vorhalle“ voran, so will ihn ein anderes, in Produktion befindliches Projekt explizit über das leere Grab hinaus fortschreiben: der von „Sony Pictures“ ursprünglich bereits für Ostern 2007 angekündigte, jetzt auf nächstes Jahr verschobene Film „The Resurrection“ (Arbeitstitel). Nach einem Drehbuch des Fernsehroutiniers Lionel Chetwynd, den US-Präsident George W. Bush zum Berater in Sachen Kunst und Geisteswissenschaften erkoren hatte, sollen die vierzig Tage zwischen Auferstehung und Himmelfahrt (vgl. Apg 1,3) als Sequel zu Gibsons Film und für dieselbe Zielgruppe gestaltet werden. Nachdem als Produzent Tim LaHaye fungiert, der mit Jerry B. Jenkins als Autor für die präapokalyptischen „Left Behind“-Romane verantwortlich zeichnet, steht eine fundamentalistische Inszenierung zu erwarten, die bei einem so heiklen Sujet wie den Auferstehungs- und Erscheinungserzählungen einiges befürchten lässt. Gleich drei weitere angekündigte Filme haben die bis dato noch nicht selbständig im Film bearbeitete Auferstehung als Stoff entdeckt: „Risen – The Story of the First Easter“ (Produktion: „Hyde Park Entertainment“) will die Zeit bis Pfingsten aus der Perspektive des Petrus erzählen; das deutsch-kanadische Projekt „The Sword of Peter“ will laut dem Branchenblatt „Variety“ von Galiläa bis zu den neronischen Verfolgungen führen; und bei dem bereits auf Festivals gezeigten „L’Inchiésta“ („The Inquiry“; Regie: Giulio Base) handelt es sich um ein italienisches TV-Remake von Damiano Damianis „Und sie erkannten ihn nicht“ (1986), mit Gibsons Pilatusdarsteller Hristo Shopov in der nämlichen Rolle und Max von Sydow, dem einstigen Jesus von George Stevens, als Kaiser Tiberius (vgl. biblefilms.blogspot.com, dort weiterführende Links).
Zwei Filme aus iranischer Produktion
Waren alle bislang genannten Filme einer eurozentrischen Perspektive und der westlichen theologischen Tradition verpflichtet, so zeigt sich seit kurzem ein vermehrtes Film-Interesse an Jesus auch in der muslimischen Welt – vielleicht mit angestoßen durch den auch dort großen Erfolg von Gibsons Film (in dem manche Beobachter eine Bestätigung für dessen antijüdische Tendenz sehen). Noch in den Anfängen steckt in Ägypten ein Projekt des koptischen Drehbuchautors Fayez Ghali, das schon im Vorfeld auf erhebliche Widerstände seitens der Theologen an der Kairoer Al-Azhar-Universität gestoßen ist. Als orthodoxer Christ sieht sich Ghali allerdings selbst nicht an das muslimische Bilderverbot gebunden und hinsichtlich der Gestalt Jesu ist dieses auch im Islam umstritten. Das zeigt sich auch im wohl bemerkenswertesten Vorgang jüngerer Zeit: in zwei Filmen aus iranischer Produktion, die einmal Jesus, im anderen Fall seine Mutter aus der Perspektive ihres Bildes im Koran und auch in bewusster Absetzung von Gibson darstellen. „Maryam Al-Muqadasa“ (Regie: Sharian Bohrani), der Film über Maria, kann in einer englischen Version (die von den persischen Darstellern selbst mit einigem Akzent gesprochen wird) kostenfrei im Internet angesehen werden (unter: video.google.de.com; Suchbegriff: „Saint Mary“). Neben dieser Fassung mit einer Spiellänge von 154 Minuten existiert eine zehnstündige Fernsehfassung in Farsi, die auf DVD vertrieben wird. Der im Stil westlicher Historisierungen (freilich bestenfalls im B-Picture-Niveau) inszenierte und mit einer Mischung aus orientalischer und europäischer Sakral-Musik unterlegte Film basiert laut den Vorspanntiteln „auf dem Koran und islamischen Traditionen“, ist aber offensichtlich auch etwas von Matthäus und Lukas und vom apokryphen Protoevangelium des Jakobus inspiriert. Die Handlung führt von der ins Jahr 16 v. Chr. verlegten Geburt Marias, über ihre unter der Ägide des weisen Zacharias im Jerusalemer Tempel verbrachten Jahre bis zur Geburt Jesu. Höhepunkt ist die Konfrontation Marias mit den in typisch antijüdischer Manier gezeichneten jüdischen Autoritäten und dem Volk im Tempelareal: Als sie mit dem neugeborenen Jesus in den Armen erscheint, wird sie der Unzucht angeklagt. Unfähig der Aufforderung des wütenden Hohenpriesters nachzukommen und etwas zu ihrer Verteidigung zu sagen, deutet Maria an, man solle sich stattdessen an das Kind selbst wenden. Das Hohngelächter des Priesters und seiner Anhänger durchkreuzt das Jesuskind, als es – eingangs mit für Christen freundlichen Varianten – die Sure Maryam 19,30–33 zu zitieren beginnt (wobei das Kind selbst niemals zu sehen ist und seine Worte von einem Erwachsenen aus dem Off eingesprochen sind): „I am Jesus, the Saviour, the Servant of God...“ Wie die Schergen in der johanneischen Getsemani-Szene stürzen die Widersacher zu Boden oder suchen panisch das Weite, während die Anhänger Marias dem Kind kniefällig huldigen und die ebenfalls eben angelangten drei Magier ihre Geschenke überreichen.
Mit fünf Jahren Produktionszeit und über tausend Akteuren ist der (mir leider nur in Szenenbildern zugängliche) Jesusfilm „The Messiah“ (2006) einer der aufwendigsten iranischen Filme aller Zeiten. Seine zweistündige Kinofassung stellte der Regisseur Nader Talebzadeh, der sein Filmstudium an der Columbia Universität absolviert und auch anschließend noch einige Jahre in den USA gelebt hatte, im Februar 2007 in einer Iran-Film-Reihe an der Universität Oxford vor. Daneben existiert noch eine TV-Fassung mit zwanzig Teilen à fünfundvierzig Minuten. Auch „The Messiah“ beruft sich auf den Koran als Quelle, ist aber ebenfalls stark der westlichen Ikonographie und der Ästhetik des Historienfilms verpflichtet. Talebzadeh scheut sich nicht, Jesus frontal ins Bild zu nehmen und zeichnet ihn im „klassischen“ Nazarenerstil – ganz in Weiß gewandet, mit weichen Zügen, Vollbart und langen braunen Locken. Am stärksten weicht der Film am Ende von der christlichen Erzählung ab: Jesus, der nicht der Sohn Gottes, sondern der letzte der Propheten Israels ist, kündet den Propheten Muhammad an, wird von Allah vor der Kreuzigung gerettet und fährt in der Nacht des Letzten Abendmahls zum Himmel auf. An seiner Stelle lässt der hier offensichtlich von gnostischen Traditionen inspirierte Regisseur Judas Iskarioth gekreuzigt werden, dessen Gesicht sich geheimnisvoll in das von Jesus verwandelt hat (vgl. www.variety.com). Der wie Gibson von einem ausgeprägt missionarischen Bewusstsein erfüllte, dessen Gewaltexzesse aber ablehnende Talebzadeh will mit seinem Film erklärtermaßen auch ein westliches Publikum erreichen und den Dialog von Christen und Muslimen befördern: ,,In meinem Film wird Jesus sehr hoch verehrt und wirkt sogar mehr Wunder als in der Bibel. Wir erwarten seine Rückkehr auf die Erde am Ende der Zeit, wenn gläubige Christen und Muslime Seite an Seite in einer gewaltigen Schlacht kämpfen werden.“
Nicht allein mit den iranischen Filmen zeichnet sich eine neue Art der „Globalisierung“ Jesu ab, mit der er zu einer Schlüsselfigur des interreligiösen und interkulturellen Dialogs wird. Auch ein Blick nach Indien lohnte sich: Die jüngste indische Produktion „Shanti Sandesham“ („Message of Peace“; Regie: P. Chandrasekhar Reddy), die dort im selben Jahr wie „Passion of the Christ“ in die Kinos kam, stellte unlängst der Religionswissenschaftler Freek L. Bakker in einem sehr gründlichen Beitrag für die Zeitschrift „Exchange“ (36 [ 2007] 41–64) vor und verortete sie – in einem Vergleichsgang mit dem älteren Film „Karuna Mayudu“ („Man of Compassion“, 1978) – in der indischen Christologie. Als farbenprächtiges Musical stehe „Shanti Sandesham“ in der Tradition der Bollywood „Mythologicals“ und zeige Jesus als Gottesmann nach Art eines indischen Guru. Noch interessanter als die bereits längere indische Jesusfilm-Tradition ist das für den Bereich des Films neuartige Interesse an Jesus von afrikanischer und afro-amerikanischer Seite. Vergangenes Jahr gewann beim renommierten amerikanischen Sundance Film Festival der südafrikanische Spielfilm „Son of Man“ (Originaltitel: „Jezile“, 2006) von Mark Dornford-May den Großen Preis der Jury und wurde von den Zuschauern begeistert aufgenommen. Wie schon in seiner ebenfalls preisgekrönten George-Bizet-Adaption „U-Carmen“ (2005) übersetzt Dornford-May auch in seinem neuen Film die im Plot eng den Evangelien folgende Erzählung in das Township-Milieu Südafrikas und revitalisiert so die altbekannten Traditionen inhaltlich und ästhetisch: Jesus (Andile Kosi) ist hier ein kurzhaariger Afrikaner in Jeans und buntem Hemd, der – so Matt Page in seiner ausführlichen Rezension (unter: biblefilms.blogspot.com) – in der Verbindung von Stärke und Mitgefühl überzeugt. Er fällt schließlich den um den Erhalt ihrer Macht besorgten politisch-kriminellen „Eliten“ zum Opfer, stirbt aber nicht am Kreuz, sondern wird wie viele Anti-Apartheids-Aktivisten zu Tode geprügelt und verscharrt. Doch seine Anhänger finden seinen Leichnam und stellen ihn als Fanal an einem hoch aufgerichteten Kreuz aus. Diese politische Botschaft steht am Ende, ohne dass deshalb die Göttlichkeit des Menschensohnes, die sich zuvor in Wundern und in Konfrontationen mit dem Satan gezeigt hatte, geleugnet wäre. Es ist sehr zu hoffen, dass „Son of Man“ bald im deutschen Sprachraum einen Verleih findet. Wenigstens auf DVD zu erwarten ist auch der zweite neue Film mit einem farbigen Jesus: „The Colour of the Cross“, eine amerikanische Produktion, die in den Vereinigten Staaten letzten Herbst in die Kinos kam. Der unter der Regie und auch nach einem Drehbuch des aus Haiti stammenden Jean-Claude LaMarre gedrehte Film erzählt die letzten beiden Tage im Leben Jesu, in Absetzung von Gibson Gewaltszenario aber nur bis zur Gefangennahme in Getsemani. LaMarre tut dies freilich in einer ganz ungewöhnlichen, politisch und religiös provokanten Perspektive, insofern er Jesus nicht wie in „Son of Man“ im Zuge einer Aktualisierung zum Schwarzen macht, sondern im historisierenden Modus und dabei Jesu Tod auch auf rassistische Motive zurückführt. Damit will der Regisseur aber nicht spalten, sondern Rassengrenzen überschreiten. LaMarre: „Einen schwarzen Mann auf der Leinwand zu erleben, der als Rabbi angesprochen wird, oder zu sehen, wie er an einem Seder-Mahl teilnimmt und Pessach feiert, das verwischt die Grenzen, die Schwarze und Juden in diesem Land trennen. Wir sind Teil derselben Geschichte“ (www.colourofthecross.com).
Der Mega-Erfolg der „Passion Christi“ hat also im Kino viele Spuren hinterlassen, aber erfreulicherweise mehr solche, die sich von ihm wegbewegen und Feindbilder zu überwinden suchen, statt sie neu anzuheizen. Hierin sind sie dem Mann aus Nazareth allemal näher als der Missionar Mel. Was jetzt eigentlich noch aussteht, wäre (nach „The Passover Plot“ von Michael Campus, 1975) ein neuer Jesusfilm aus jüdischer Perspektive, der die Passion beispielsweise aus der Perspektive von Geza Vermes’ Buch „Die Passion. Die wahre Geschichte der letzten Tage im Leben Jesu“ (Darmstadt 2006) erzählen könnte.