Jenseitsvorstellungen in den WeltreligionenGericht und Wiedergeburt

Wer nach dem Tod fragt, fragt nach dem Leben. Und so unterschiedlich wie das Leben sind auch die Antworten der Weltreligionen auf den Umgang mit dem Sterben und dem, was danach kommt. Während der Islam das Gericht betont, stehen im Hinduismus und im Buddhismus die Erlösung von der Wiedergeburt im Vordergrund.

Buddhistische Wiedergeburtsfeier
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Wer nach dem Tod fragt, fragt nach dem Leben. Aus dem Verständnis des Lebens und seiner Begrenzung resultiert das Verhältnis zum Tod und seiner Gestaltung, und auch das Nachdenken über die Zeit nach dem Tod. Diese Einsicht bestätigt sich an vielen Stellen im Denken und Glauben asiatischer Religionen und im Islam. Der erste Kaiser von China, Qin Shihuangdi (gestorben 210 v. Chr.), ließ sich im Grabmal von einer Armee aus lebensgroßen Terrakotta-Soldaten beschützen, da er befürchtete, noch nach dem Tod angegriffen zu werden.

Denken über den Tod ist geprägt von Vorstellungen über Zeit und Raum

Das Denken über den Tod und das, was danach kommt, ist von zwei Komponenten geprägt: die Befindlichkeit des Menschen in der Zeit und die Frage nach der Ethik. Das Leben in einer überschaubaren, gezählten Zeit, nicht im Fluss einer amorphen Zeit-Masse: Auch der Beter des alttestamentlichen 90. Psalms bittet um Einsicht in das Eingeteiltsein der Zeit und das Gezähltsein der Tage, um mit seinem Leben in kluger Weise umgehen zu können.

Zeit wird für das Leben des einzelnen Menschen und für das Kollektiv festgemacht an natürlichen Vorgängen: am Lauf der Sonne und des Mondes, an den Jahreszeiten und den Gezeiten. Die Lebenszeit des Menschen wird dagegen metaphorisch beschrieben: Zenit des Lebens, Lebensabend.

Bei der ethischen Komponente geht es um Vorstellungen über das, was sich aus dem menschlichen Verhalten im Diesseits für das Jenseits ergibt: Gerichtsvorstellungen, karmische Prozesse, Aufarbeitungen in verschiedenen Stufen, Himmel und Paradies oder Hölle als Resultate guten oder schlechten Handelns. Die Wiederkehr in das irdische Leben stellt eine Chance dar, ein besseres Leben zu führen. Die ethische Komponente lässt die Vorstellungen darüber, was den Menschen im Jenseits erwartet, zu ethischen Impulsen für das Diesseits werden.

Im Islam werden die ethischen Vorstellungen und ihre Konsequenzen in einer mythologisch geprägten Sprache ausgedrückt: Bereits im Sterbeprozess wird der Mensch von Engeln über seine guten und schlechten Taten aufgeklärt. Das Leben ist als eine Zeit der Bewährung zu betrachten, die dem Menschen von Gott gegeben wird. Das Glaubensbekenntnis soll das Letzte sein, das der Mensch vor seinem Tod sagt, oder das Letzte, das ihm zugesprochen wird, wenn er es selbst nicht mehr sprechen kann.

Nach dem Tod gelangt er in eine Zwischenzeit (barzah), die ihm mit einer Barriere die Rückkehr in das irdische Leben versperrt. Hier erwartet ihn ein erster kurzer Prozess, der ihm anhand eines vorläufigen Urteils eine Vorstellung davon vermittelt, was weiterhin mit ihm geschehen wird.

Die Seelen der Menschen werden von den Körpern getrennt und vom Todesengel Azra’il zu Gott gebracht. Seelen, deren Lebenswandel in der Vorverhandlung von Gott als gerecht bewertet wird, kehren in den Körper zurück und gelangen direkt ins Paradies. Sie können dem letzten Gericht gelassen entgegensehen. Die anderen müssen auf das Gericht mit unbekanntem Ausgang warten. Laut mythologischen Beschreibungen können Menschen mit einem guten Lebenswandel von ihrer Grabstätte aus in das ihnen offen stehende Paradies schauen, während die Frevler aus ihrem unterirdischen Abgrund durch einen schmalen Spalt auf die für sie geöffnete Höllenpforte sehen müssen.

Das dreiteilige Weltbild des Islams war auch Juden und Christen bekannt

Diese Vorstellungen sind einem dreiteiligem Weltbild verpflichtet, das bis ins Mittelalter hinein auch dem Judentum und dem Christentum bekannt war: Über der siebenteiligen Erde wölbt sich der Himmel, der ebenfalls aus sieben Ebenen besteht, und die darunterliegende Hölle ist in sieben übereinander liegende Höfe mit Toren eingeteilt. Der Mensch befindet sich in den Berei-chen, die seinem Zustand entsprechen. Er geht einen individuellen Weg, der Bestandteil des Heilsplans Gottes ist. Dieser Plan hat mit der Schöpfung begonnen und beinhaltet auch das Sterben und den Tod als integralen Bestandteil.

Die Bestattung soll im Islam innerhalb von 24 Stunden nach dem Eintreten des Todes erfolgen. Zuvor wird der Leichnam gewaschen, Männer von einem Imam, Frauen von weiblichen Angehörigen. Der Tote wird in ein weißes Leinentuch (Kefen) eingeschlagen und nicht eingesargt. Nach der Freisprechung von seinen Sünden wird er zum Grab getragen und mit dem Gesicht zur Kaaba in Mekka bestattet. Bestattungen dieser Art sind inzwischen auf vielen deutschen Friedhöfen möglich.

In den hinduistischen Traditionen findet sich seit den vedischen Zeiten der Glaube an eine Wiedergeburt. Seit ungefähr 600 v. Chr. ist er fester und selbstverständlicher Bestandteil der Religiosität. Die Wiedergeburt dient auch als Erklärung für Phänomene des menschlichen Lebens wie beispielsweise Erinnerungen, die nach dieser Vorstellung nur aus früheren Leben stammen können. Wie im Buddhismus ist in den verschiedenen Strömungen des Hinduismus das menschliche Leben eines in einer langen Reihe von Leben. Diese Reihe setzt sich fort, solange der Mensch nicht aus dem Kreislauf erlöst wird.

Sterben und Tod können dem Wunsch des Menschen entsprechen, wenn es sich um den asketischen Tod eines weisen Hindu um seiner karmischen Reinheit willen handelt. Denn der Tod bedeutet das Erlöschen aller Begierden, die die Ursache der Verunreinigung des Menschen sind, und damit Entsagung aller weltlichen Belange bis zum Verzicht auf das Leben. Der Tod ist in diesem Fall der Übergang des Menschen aus seinen karmischen Verflechtungen in die Erlösung. Dies ist das Ziel eines Sannyasin, eines Hindu, der sich ganz diesem Anliegen gewidmet hat.

Wenn es um das Sterben eines „normalen“ Hindus geht, stellt der Tod einen Übergang zur karmischen Bearbeitung seines Schicksals und zu einem nächsten Leben dar. Die Bestattung des Verstorbenen wird mit umfangreichen Riten begangen, weil der Tod über den religiösen Glauben hinaus auch ein Abschied aus der Gemeinschaft der Lebenden ist.

Die Zeit unmittelbar vor dem Tod ist ein Augenblick karmischer Konzentration. Die Familie, die Angehörigen und die Gemeinschaft begleiten den Sterbenden darin und tragen ihn durch das Dorf. Dieser gemeinschaftliche Abschied und die letzten Gedanken des Sterbenden sind für dessen zukünftige Existenz entscheidend.

Bei der Bestattung ist die Anwesenheit eines brahmanischen Priesters erwünscht. Die traditionelle Einäscherung ermöglicht dem feinstofflichen, spirituellen Leib, sich vom physischen Körper zu trennen. Kurz bevor das Feuer des Scheiterhaufens endgültig abgebrannt ist, hat der älteste Sohn die Aufgabe, den Schädel des Toten mit einer Bambusstange zu spalten, so dass die Seele austreten kann. Die Berührung des Leichnams gilt als verunreinigend, alle Betroffenen müssen sich einer anschließenden rituellen und physischen Reinigung unterziehen.

Wanderung und Wiederkehr der Seele werden im Hinduismus in den heiligen Texten parallel zum Lauf des Wassers dargestellt: Das Wasser strömt im Regen auf die Erde und gibt der Pflanzenwelt Leben. Der Mensch nimmt mit der Ernährung den Saft und damit das Leben der Pflanzen auf und gibt es in der Zeugung weiter an einen neuen Menschen. Beim Einäschern des Toten steigt der Rauch zum Himmel und schließt damit den Kreislauf.

Seinen Ursprung hat das Wasser im Mond, der sich als ewiges Wasserreservoir immer wieder entleert und füllt. Der Mond, der als Himmelstor dient, prüft die Seelen, die im Kreislauf des Wassers zum Himmel gelangen, auf ihr Karma. Sie gehen dann entweder erlöst in den Himmel ein oder scheitern an den Fragen nach ihrem geheimen Wissen, „regnen“ auf die Erde zurück und werden wiedergeboren.

In der Bhagavadgita, der populärsten Schrift des Hinduismus, wird die Wiederkehr mit einer anderen Metapher ausgedrückt: „So wie ein Mensch abgetragene Kleider wegwirft und neue, andere anlegt, so wirft das verkörperte Selbst die verbrauchten Körper weg und verbindet sich mit anderen, die neu sind“ (2. Gesang, Vers 22).

Ein Gelehrter bereitet den Sterbenden auf den Tod vor und begleitet ihn danach

Im Buddhismus, der viele unterschiedliche Lehren zu diesem Thema kennt, kann nur mittelbar von einer Wiedergeburt geredet werden. Die Lehre des Buddha, wonach alles Gewordene vergeht, bezieht sich auch auf den Menschen und die Seele, es gibt aber keine „wandernde Seele“ wie im Hinduismus.

An der Reinkarnation besteht im Buddhismus jedoch kein Zweifel, denn die geistige Reinigung des Bewusstseins bedarf auch nach buddhistischem Glauben vieler Leben, um verwirklicht zu werden. Wie ist Reinkarnation möglich, wenn das atman, die Seele, keinen Bestand hat? Für die meisten Strömungen des Buddhismus kommt Reinkarnation aufgrund des Bewusstseins zustande, das laut Michael von Brück als Energie, Kapazität oder Möglichkeit betrachtet werden kann. Im Milindapanha aus dem Schrifttum des alten Buddhismus wird hierfür die Metapher des Feuers verwendet: Eine an einer anderen Flamme angezündete Flamme ist gleiches Feuer, aber doch eine andere Flamme. Das Bewusstsein, das im Unterschied zum hinduistischen Selbst die Eigenschaften des Nicht-Permanenten mit allem anderen Werdenden und Vergehenden teilt, ist Sammelstelle der Sinneseindrücke und eines Prinzips von Kontinuität und Wandel. Dies lässt sich aus den alten Schriften des Buddhismus bis hin zum ostasiatischen Mahayana-Buddhismus nachvollziehen.

Das Tibetische Totenbuch Bardo Thödol, dessen Kern auf den Weisen Padmasambhava im achten Jahrhundert zurückgeht und das im 14. Jahrhundert wiederentdeckt wurde, beschreibt einen fließenden Übergang von der Sterbephase in eine nachtodliche Phase. Während der ganzen Zeit werden die Toten von einem Lama, einem tibetischen Gelehrten, bis hin zu einer eventuellen Wiedergeburt begleitet. Der Lama bereitet den Sterbenden auf seinen Tod vor und begleitet ihn danach durch die sechs Zwischenstadien, die Bardos, die ihm nachträglich die Gelegenheit geben, sein Leben karmisch zu bewältigen.

Laut traditionellen Reinkarnationsvorstellungen kehrt der Verstorbene nach einer Frist von mindestens 49 Tagen in den Zwischenstadien und neun Monaten, die der Schwangerschaftszeit entsprechen, ins Leben zurück. Der Begleiter fordert ihn auf, sich die Haltung eines erleuchteten Bodhisattva anzueignen, also Liebe, Mitgefühl und das Ansinnen, allen Lebewesen zum Wohl zu verhelfen. Diese Anweisungen sind die letzten Worte, die der Sterbende zu hören bekommt.

Der Tote erhält von dem Begleiter zunächst einen Überblick über die Bardos. Kontinuierlich wird er an die Möglichkeit erinnert, durch karmische Arbeit zur Erlösung zu gelangen. Während der Verstorbene bereits eine mögliche Wiedergeburt und ihre Umstände vor Augen hat, klärt ihn der Lama immer weiter darüber auf, in welchem Stadium er sich befindet.

Gelingt die Befreiung durch das Hören auf die Worte des Lama nicht, verstreicht der Durch-gang durch die verschiedenen Stadien des Bardo ungenutzt, und der Tote wird wiedergeboren. Im Totenbuch drückt sich damit in einer im Buddhismus bis dato nicht gekannten Weise das Bedürfnis aus, noch die Toten an der Chance teilhaben zu lassen nachzuholen, was ihnen im Leben nicht gelang. Das Tibetische Totenbuch ist damit ein Beleg für den Tod als eine „weiche Grenze“, die die Kommunikation nicht abreißen lässt.

In vielen asiatischen Ländern suchen die Lebenden Rat bei den verstorbenen Ahnen

Buddhistische Toten- und Bestattungsriten können sehr aufwendig sein. In Japan beinhalten sie die Bekleidung mit einem Totengewand, die Aufbahrung mit dem Kopf Richtung Norden, die Rezitation von Sutren durch buddhistische Mönche und eine Totenwache der engsten Familienmitglieder in der ersten Nacht. Zum Totenritual gehört auch eine symbolische Mönchsweihe. Zu diesem Zweck wird symbolisch eine Tonsur vorgenommen. Der Tote wird im Sarg eingeäschert, und die Urne von der Familie bestattet.

Die Angehörigen unterziehen sich anschließend einer symbolischen Reinigung. Es folgt eine 49-tägige Trauerzeit: die Zeit der Reise ins Jenseits und der Rechtfertigung vor zehn Richtern in der Totenwelt. Diese Phase wird von wöchentlichen rituellen Handlungen begleitet und am Ende mit einer Feier abgeschlossen. Es folgen Riten nach einem, nach drei, nach sieben, nach 13 und möglichst nach 33 Jahren, nach denen man hofft, dass die Seele des Toten endgültig ins Jenseits eingegangen ist.

Ein allgemeines Totengedenken findet in Japan jährlich zum Bon-Fest im Juli oder August statt. Die japanischen Riten, insbesondere die Gedenkfeiern, sind geprägt durch buddhistische Traditionen und volkstümliche Bräuche der Kommunikation mit den Ahnen. Auch in China, Korea und in anderen asiatischen Ländern wird die Ahnenverehrung gepflegt: Die Verstorbenen bleiben Teil des sozialen Beziehungsgefüges, indem ihre Angehörigen mit ihnen kommunizieren und ihren Rat suchen. An dem Kult zeigt sich die hohe Wertschätzung für die Verstorbenen; in seltenen Fällen werden diese geradezu vergöttlicht.

Das Sterben und der Tod markieren eine Grenze des menschlichen Lebens, die auch in den dargestellten religiösen Traditionen ernstgenommen wird. Die ausdifferenzierten Jenseits-Vorstellungen sind einerseits Teil einer Erinnerungskultur für die Angehörigen. Andererseits sind sie Ausdruck des menschlichen Bedürfnisses, das Leben – und was danach kommt – ethisch zu bewerten und in das größere Narrativ der Geschichte zu stellen. In diesem Narrativ sind Sterben und Tod wichtige Markierungspunkte.

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