Die Beziehungen zwischen Christentum und Maya-ReligionDas Wort Gottes ist Indígena geworden

Die an Macht und kulturelle Dominanz gewöhnte katholische Kirche Lateinamerikas ist herausgefordert, im Prozess der Inkulturation und des interkulturellen Dialogs Veränderung und Bereicherung nicht nur auf Seiten der Indígenas zu erwarten. Sie muss dies auch in sich selbst zulassen.

Gemeinsam ziehen sie in die Kirche. Mit langsamen Schritten treten sie in zwei Reihen in den kühlenden Schatten des Sakralraums ein. Männer und Frauen, Kinder und Alte. Die gerade nach „tseltal-Ritus“ vollzogene Versöhnung im Rahmen eines katholischen Gottesdienstes wird feierlich bestätigt. Damit lassen die Gläubigen die brennend heiße Sonne hinter sich und auch den Konflikt, der sie über Wochen gespalten hatte. Es war ein Konflikt, der für die Region typisch ist.

Wir befinden uns in Agua Azúl, einem kleinen Dorf im Dschungel von Chiapas, in dem die Indígenas vom Volk der Tseltales leben. Die Tseltales sind einer der vielen Stämme der Maya, die im Süden Mexiko und im Norden Guatemalas beheimatet sind. Sie leben noch weitgehend nach ihren Bräuchen und Riten und pflegen ihre Sprache, Kleidung und Kultur. Der Konflikt in Agua Azúl war wirtschaftspolitischer Natur. Die Kirchengemeinde von Agua Azúl war gespalten, der Konflikt überschattete das pastorale Handeln der Gläubigen und machte das Zusammenleben und gemeinsame Feiern im Geiste Jesu beinahe unmöglich.

Welche Lösungswege sehen Liturgie, Pastoral- und Sakramententheologie vor, um einen sozialpolitischen Konflikt zu bereinigen, die Gemeinde zu einen und wieder bereit zu machen, gemeinsam vor den Altar Gottes zu treten (Mt 5,23 f.)? Das Sakrament der Versöhnung und die in Lateinamerika noch übliche Ohrenbeichte würden dem Ausmaß des Konfliktes nicht gerecht werden. Die katholische Gemeinde von Agua Azúl hat einen Weg des Konfliktmanagements gefunden, der den kulturellen Traditionen der Tseltal-Indígenas vom Volk der Maya entspringt. Dass die Konfliktparteien am Ende gemeinsam und versöhnt in die Kirche haben einziehen können, ist Frucht eines langen Prozesses gelungener und dialogischer Inkulturation des christlichen Evangeliums in die Kulturwelt der Tseltales. Es ist das Ergebnis jahrzehntelanger gemeinsamer Arbeit von Tseltal-Katechetinnen und Katecheten, Tseltal-Diakonen und den Jesuiten der Missionsstation von Bachajón.

Unter Inkulturation wird der Prozess der Übersetzung und Einwurzelung christlicher Werte und Inhalte in eine bestimmte Kultur verstanden. Die Balance zwischen der Universalität des christlichen Glaubens und der Partikularität der jeweiligen kulturellen Ausformung der Inhalte neigte sich besonders in den letzten beiden Jahrhunderten auf die Seite der Universalität. Dabei wurde die Universalität des katholischen Glaubens oft mit Uniformität gleichgesetzt und gerade in der später folgenden Evangelisierung des amerikanischen Doppelkontinents mit Zwang, Unterdrückung und Mord verknüpft. Von Dialog konnte keine Rede sein.

Durch die Neuorientierung und Öffnung der katholischen Kirche im Zweiten Vatikanischen Konzil wurde die alte Glaubenswahrheit wieder hervorgehoben, dass nichtchristliche Religionen und Kulturen den „Samen des Wortes Gottes“ (logos spermatikos) schon vor jeder expliziten Berührung mit dem Christentum in sich tragen. Durch das Erkennen und Leben humanisierender Werte der eigenen Kultur und „des Guten in der eigenen Religion“ (Justin) bringen indigene Völker diesen vorchristlichen Samen im Entwickeln ihres christlichen Glaubens zum Wachsen. Die je verschiedene kulturelle Prägung einzelner Orts- und Teilkirchen konstituiert die Katholizität der Kirche, die nur in den Teilkirchen und aus ihnen heraus besteht (Lumen Gentium 23). Karl Rahner sprach in diesem Zusammenhang vom anonymen Christentum.

Gärtner und Gärtnerinnen des Samens des Wortes, die seinen Wachstumsprozess in einer bestimmten Kultur – und auch in einem bestimmten interreligiösen Kontext – hegen und pflegen, können nur die Vertreter und Vertreterinnen der indigenen Völker selber sein. Denn nur Indígenas, die sowohl in ihrer Kultur als auch im Christentum verwurzelt sind, haben die Fähigkeit, beide Kulturen – und Religionen – in einen konstruktiven Dialog zu bringen.

Darüber schreibt die mexikanische Bischofskonferenz 1988: „Es reicht nicht, unseren Glauben mit indigenen Symbolen und Formen auszudrücken. Es ist notwendig, dass sie ihren Glauben angemessen ausdrücken – ausgehend von ihren Modellen der Welterklärung (Kosmogonie) und ihren Gottesvorstellungen (Theogonie).“ Damit wurde die Teología India in ihrem Kern bestätigt.

Teología India ist eine ganzheitliche Theologie. Sie geht aus vom Verständnis, dass Religion und Kultur keine Parallelwelten sind, sondern einander durchdringen. Daher ist sie auch keine akademische Theologie, sondern hat ihren Ursprung und ersten Ort im Leben der Menschen, in der Praxis alltäglicher Gotteserfahrungen. Diese Erfahrungen werden wiederum nicht primär an Universitäten reflektiert, sondern an Institutionen für die Aus- und Weiterbildung von indigenen Katecheten und Katechetinnen, Laienmitarbeitern, Priestern, Ordensleuten und Diakonen.

Der frühere Bischof von Oaxaca, Bartolomé Carrasco, erklärte dazu: „Die Teología India (…) ist nicht kategorisiert im westlichen Sinn des Wortes. Sie ist eine Gotteserfahrung, die sich in der Transzendenz und im Kosmos ausdrückt. Diese wissenschaftlich erklären zu wollen, wäre gleichzustellen mit dem Versuch, die Freude zu kategorisieren, die mir der Anblick eines Tautropfens auf einer Blume beschert, das Gefühl, das mir ein Sonnenuntergang oder der Tagesanbruch bereitet, die majestätische Weite, mit welcher mich das Meer oder die Berge erfüllen.“ (www.sjsocial.org/ crt/ articulos/ 756carrasco.htm).

Die Entwicklung der Teología India befindet sich nach wie vor in ihren Anfängen und hat unter vielen Anfeindungen zu leiden. Der Rassismus, die Abwertung der Indígenas und alte Vorurteile gegenüber nichtchristlichen Religionen sind auch heute in vielen katholischen Kirchen und kirchlichen Institutionen auf dem Kontinent spürbar. Aber nicht nur die externe Abwertung ist problematisch. Als „indio“ bezeichnet zu werden, ist immer noch ein Schimpfwort („¡No seas un indio!“, „Sei kein Indio“ meint: „Sei kein Dummkopf, Trottel, Blödmann!“).

Die über Jahrhunderte eingeimpfte Negierung der kulturellen und spirituellen Reichtümer der eigenen Kultur macht es notwendig, den Selbstwert der Indígenas zu heben. Parallel zur eigenständigen Entwicklung einer Teología India, die von Vertretern und Vertreterinnen indigener Kulturen und Religionen als Subjekte des Glaubens formuliert wird, ist es notwendig, Indígenas zu ermächtigen, selbst aus dem Leben im Untergrund heraus zu gehen, um als Subjekte des Glaubens Akteure und Interpretinnen des katholischen Glaubens indigener Prägung zu sein. Dieser Dialog der Inkulturation, der besser als Inter-Kulturation bezeichnet werden sollte, wird besonders seit den sechziger Jahren an einzelnen Orten Mexikos und auch Guatemalas zwischen sensibilisierten Vertretern der katholischen Kirche und der Maya-Religion geführt.

Als ermächtigte Subjekte der Interpretation und Gestaltung ihres christlichen Glaubens sind die Gläubigen von Agua Azúl zu erleben. In Absprache mit dem Priester haben die Diakone der umliegenden Gemeinden die Versöhnungsfeier vorbereitet und leiten die Feier wie selbstverständlich. Es sind fünf Männer, die von ihren Gemeinden für den Dienst als Diakone ausgewählt worden waren, da sie sich als verantwortungsvoll und für die Gemeinde engagiert sowie fest verankert im christlichen Glauben erwiesen haben. Auf Vorschlag der Gemeinden wurden diese Männer, die, wie ihre Ehefrauen, bereits lange Jahre als Katecheten und Wortgottesdienstleiter tätig waren, auf das Diakonat vorbereitet. Nun erfüllen sie bereits mehrere Jahre ehrenamtlich ihren Dienst, tatkräftig unterstützt und begleitet durch ihre Ehefrauen, die ebenfalls theologisch weitergebildet sind.

In Agua Azúl stehen die Diakone der umliegenden Gemeinden gemeinsam der Feier vor. Ihre Anwesenheit und die Übernahme von Verantwortung für die benachbarte Gemeinde weist auf die soziopolitische Dimension des Konfliktes in Agua Azúl hin. Es ist den umliegenden Gemeinden nicht egal, was in Agua Azúl passiert. Die Gemeinschaft ist der tragende Grund einer indigenen Kultur. Probleme sind nicht individueller, sondern gemeinschaftlicher Natur. Daher werden auch die Lösungswege in Gemeinschaft gesucht. Die Harmonie des Subjektes mit sich selbst sowie die Harmonie mit der Mitwelt und mit der geistigen Welt sind in der Kosmovision der Tseltales nicht zu trennen. Das „Glück hier auf Erden“ ist, so Eugenio Maurer, für die Tseltales auch heute noch essentiell im Leben (Das Tseltal-Christentum, in: Thomas Schreijäck [Hg.], Die indianischen Gesichter Gottes, Frankfurt 1992, 34 –81).

Das wird in Agua Azúl auch durch die Anwesenheit von Menschen aus den Nachbargemeinden sichtbar. Sie begleiten die Feier nicht als Zaungäste, sondern als Brüder und Schwestern, denen die Harmonie in Agua Azúl am Herzen liegt. Frauen und Männer, ganze Familien sind von weit her gekommen, um diesen wichtigen Moment der gemeinschaftlichen Versöhnung gemeinsam zu begehen. Der Prozess, der dieser Feier vorausgegangen ist, war lange und mühsam. Die Versöhnungsfeier ist lange und besonders für die Kinder auch langweilig. Aber es stört niemanden, dass sie neben den Erwachsenen spielen. Kinder stören nie.

Die Feier der Versöhnung beginnt unter dem großen Kreuz vor der Kirche. In ihren dunklen Hosen, weißen Hemden wirken die Diakone schlicht und unterscheiden sich nur durch ihre Stola, die mit den typisch bunten Motiven der Tseltal-Trachten bestickt sind, von den anderen anwesenden Gläubigen. Die Autorität, mit der sie die Feier leiten, die Evangelientexte verkünden und – natürlich auf tseltal – interpretieren, macht ihre Autorität und Vollmacht im Umgang mit dem Wort Gottes spürbar.

Die Texte vom verlorenen Schaf und vom Auftrag, nicht nur sieben Mal, sondern sieben mal siebzig Mal zu verzeihen, bekommen angesichts der konkreten Konfliktsituation eine neue, das wirkliche Leben herausfordernde Bedeutung. Die Diakone sind sehr ernst und mit großer Konzentration dabei. Ein gemischter Chor begleitet die Feier. Die beiden Konfliktparteien stehen sich gegenüber. Einfache Männer und Frauen, die sich für diesen Anlass ihre Sonntagstrachten angelegt haben. Sie sind sich der Tragweite ihres Konfliktes und der anstehenden Versöhnung bewusst. Und sie begehen diese Feier unter der Anrufung Gottes, dass er beziehungsweise sie als Vater und Mutter, als Herz des Himmels und als Herz der Erde die letzte Etappe dieses steinigen Weges mit ihnen gehe.

Mit der Neubetonung des gemeinsamen Priestertums und der Vollmacht aller Christen und Christinnen durch die Taufe (Lumen Gentium 10) legt das Zweite Vatikanische Konzil einen dogmatischen Schwerpunkt auf die Autorität der Gesamtheit der Gläubigen, die als Volk Gottes Subjekte des Glaubens sind und in ihrem Glaubenssinn nicht irren können. Als Volk Gottes sind die gläubigen Tseltales eine ekklesiologische Größe. Sie sind nicht nur Kirche als Teil der Gesamtkirche, vielmehr ist durch sie die Katholizität der einen universellen und geschwisterlichen Kirche erst gegeben.

Die Interkulturation kann nur von den Mitgliedern einer Kultur selbst vollzogen werden

Sie sind aber auch eine theologische Größe. Als Subjekte des Glaubens ist es die Aufgabe der katholischen Indígenas, den Prozess der Inkulturation weiterzuführen und das Wort Gottes in ihre Lebenswelt zu überführen. Diese inkarnierende Inkulturation kann nur von den Mitgliedern einer Kultur selbst vollzogen und gelebt werden. Als Subjekte, die in und aus ihrer Kultur heraus leben, sind sie aufgefordert, die Reichtümer des christlichen Glaubens mit ihren religiösen und kulturellen Reichtümern in Dialog zu bringen.

Dadurch werden die humanisierenden Werte der eigenen Kultur gefördert und bestärkt, während sie von zerstörerischen Haltungen „gereinigt“ wird. Besonders Werte wie Gemeinschaft, Gastfreundschaft und Religiosität sind typische sozio-religiöse Dimensionen der Maya-Kultur, die durch das Christentum verstärkt werden können. Auf der Suche nach einer Teología India und einer autochthonen Kirche ist es die Aufgabe der Indígenas, das Evangelium in ihre Lebenszusammenhänge hinein zu übersetzen. Dass sie dabei von theologisch gebildeten Menschen beider Kulturen und Religionen begleitet werden, ist selbstredend.

In seiner Enzyklika „Redemptoris Missio“ betonte Johannes Paul II. im Jahr 1990, dass es die Aufgabe der Völker sei, „den Schatz des Glaubens in die berechtigte Verschiedenheit seiner Ausdrucksformen zu übersetzen“, um das Evangelium in den Kulturen der Völker lebendig werden zu lassen (53).

Dass es dazu kommt, bedarf es nicht nur der reflektierten Beheimatung der Tseltales im Christentum und der kritischen Verwurzelung in ihrer Kultur. Es braucht noch viel mehr auch des Vertrauens der nicht-indigenen Kirchenmitglieder, besonders der kirchlichen Amtsträger, in den Geist Gottes, der nicht nur weht wo er will, sondern auch diesen Kindern Gottes die Vollmacht zur richtigen Interpretation des Evangeliums gibt.

Die Tseltales als Subjekte des Glaubens ernst zu nehmen und sie in ihrem Prozess der Inkulturation des Evangeliums zu begleiten, erfordert nicht nur die Anerkennung der Gegenwart Christi in ihrer Kultur und die Achtung ihrer Kompetenzen in theologisch-religiösen Fragen auf Basis ihres gereiften Glaubens, sondern auch die respektvolle Zurücknahme des eigenen Dienstes von Seiten kirchlicher Autoritäten, um den Indígenas den notwendigen Raum zur Entfaltung ihrer religiösen und theologischen Fähigkeiten zu geben.

Den Heilsdialog im interreligiösen Dialog weiterführen

Die Fähigkeiten, den christlichen Glauben und die reiche Tradition der Tseltales zu verflechten, sind Juan auf Grund seiner reichen Lebenserfahrung, seiner praktischen Weisheit und seines tiefen Glaubens von seinem Volk bestätigt worden. Der drahtige, etwa 50-jährige dunkelhäutige Mann, aus dessen Gesicht ein Paar klare, schwarze Augen hervorblitzen, wurde von seiner Gemeinde beauftragt, als Tseltal-Richter zu dienen. Seither wird er im weiten Umkreis gesucht, um als Tseltal-Richter dafür zu sorgen, die Harmonie zwischen den Gemeindemitgliedern wieder herzustellen.

Nach der Kosmovision der Tseltales besteht Harmonie nicht im Aussetzen von Streitigkeiten. Harmonie bedeutet, so Eugenio Maurer, dass alle „ein einziges und gleiches Herz“ sind. Das Ziel eines Gerichtsverfahrens ist demnach nicht nur die Wiedergutmachung des Schadens, sondern vor allem die Wiederherstellung der Harmonie zwischen den Konfliktparteien, damit beide miteinander in Frieden weiterleben können.

Unter Anrufung der Institution des Tseltal-Richters wurde gemeinsam mit der Pfarrgemeinde von Agua Azúl und den die Gemeinde leitenden Jesuiten versucht, den Konflikt zu lösen. Die Tradition des Volkes der Tseltal sieht in einem solchen Konfliktfall vor, dass beide Parteien unter Anwesenheit des indigenen Tseltal-Richters nacheinander ihre Standpunkte darlegen können. Das geschieht so oft, bis alle Beteiligten spüren, dass der Konflikt ausgeredet ist. Die damit verbundenen verbalen Äußerungen von Emotionen und Aggressionen sind erlaubt. Sie sind Teil des Reinigungsprozesses.

Jede Streitpartei muss dabei der anderen zuhören, ohne zu unterbrechen. Jeder hat das Recht, ja die Pflicht, zu reden und gehört zu werden – und die andere Partei zu Wort kommen zu lassen und ihr zuzuhören. Die Wechselrede zwischen den Konfliktparteien wiederholt sich so lange, bis alle spüren, dass Versöhnung möglich ist. Bis dahin können, wie im Fall von Agua Azúl, Wochen vergehen. Ist es aber dann soweit, setzt der Sekretär ein Schreiben auf, das die von den Streitparteien unter Moderation des Tseltal-Richters ausgehandelten Punkte festhält.

Erst dann stellen sich die Konfliktparteien in zwei Reihen auf. Alle, Männer und Frauen, Alte und Junge, nehmen am nun folgenden Ritual teil. Denn jeder und jede hat Schuld auf sich geladen. Jeder und jede hat die Aufgabe, jedes Mitglied der anderen Gruppe um Entschuldigung zu bitten. Und das tun sie. In langen Reihen gehen die Menschen aufeinander zu, nehmen sich bei der Hand, reden mit ruhiger, leiser Stimme, umarmen sich, nehmen sich die Zeit, mit der je andern Person den Konflikt auszusöhnen. Das dauert lange. Und die Sonne brennt. Und der Chor der Nachbargemeinden singt. Und den Kindern wird langweilig. Aber „solange du dich nicht mit deinem Bruder oder deiner Schwester ausgesöhnt hast, sollst du nicht vor den Altar Gottes treten“.

Das beschriebene Konfliktmanagement, das für die Mayakulturen typisch ist, ist gekennzeichnet durch die Dialogführung auf Augenhöhe, die eine Konfliktlösung ermöglicht, weil sich die Teilnehmer und Teilnehmerinnen als gleichwertige Subjekte anerkennen. Im interkulturellen und interreligiösen Dialog zwischen den Nachkommen des Christentums und der Maya sind diese Kriterien unumstößlich: Offenheit, Anerkennung des Subjektseins des Gegenüber, Aufgabe der selbstsicheren Dominanz und Relativierung der Definitionsmacht.

Ein Dialog darf nicht zum doppelten Monolog verkommen. Die ihre Macht und kulturelle Dominanz gewöhnte katholische Kirche Lateinamerikas ist aufgerufen, im Prozess der Inkulturation und des interkulturellen Dialogs Veränderung und Bereicherung nicht nur auf Seiten der Indígenas zu erwarten, sondern auch in sich selbst zuzulassen. Paul VI. spricht vom „Heilsdialog“, der von Gott her die unerhörte Einladung impliziert, sich mit den je eigenen Fähigkeiten in die Kirche einzubringen (vgl. die Antrittsenzyklika „Ecclesiam suam“). Diesen Heilsdialog, der von Gott initiiert ist, im interreligiösen Dialog weiterzuführen, bringt die Kirche in die Situation einer umgekehrten Mission.

Im Prozess der gegenseitigen Durchdringung wird die Kirche von der indigenen Kultur bereichert, angefragt und zu antworten aufgefordert. Diese Anfrage vom außen an das Innen der Kirche geschieht von einem Heterotopos aus (vgl. Hans-Joachim Sander, Einführung in die Gotteslehre, Darmstadt 2006, 31– 40). Ein Heterotopos, ein Anders-Ort oder Gegen-Ort, ist ein sozialer Ort, der außerhalb des gewohnten – sozialen, ideologischen oder theologischen – Zentrums liegt und als Außenort das Innen neu beleuchtet. Durch die Differenzen, die durch die dialogische Gegenüberstellung der Tseltal-Religion mit der christlich-katholischen Religion entstehen, werden Selbstverständlichkeiten relativiert, Brüche markiert und Gesagtes mit Unsagbarem konfrontiert.

Im Dialog zwischen der christlichen und der Maya-Religion und Kultur wird die Rede von Gott auf menschliche Geschichte(n) und soziale Orte bezogen. Die konkrete Geschichte, die sozio-religiöse Gegebenheit der Tseltales wird dadurch zum Ort theologischer Erkenntnis. Das Volk der Tseltales ist das zentrale Subjekt der Teología India, die aus diesem Dialog entwickelt wird. Als sozialer Außen-Ort theologischer Erkenntnis, in seinem Charakter als Heterotopos können die Reichtümer der Kultur und Religion der Tseltales als ein locus theologicus für theologische Offenbarungen markiert werden.

Das respektvolle Miteinander von katholischen und Tseltal-Autoritäten auf Basis des allgemeinen Priestertums durch die Taufe, wie es in Agua Azúl sichtbar wurde, bereichert nicht nur die Indígenas. Die Erweiterung der Sprach- und Handlungsfähigkeit der katholischen Kirche und Theologie ist möglich, wenn Indígenas aus ihrer Würde und Freiheit als Kinder Gottes das Evangelium in ihre schwieligen Hände nehmen und es zärtlich und kompetent auf Basis ihrer kulturellen Bräuche und Visionen interpretieren und in ihre Theologie und Philosophie hinein übersetzen. Dann wird das Wort Gottes lebendig, dann wird es Indígena.

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