Drei Frauen haben das Frauenbild der Kirche am stärksten geprägt, vor allem in der patriarchalen Auslegungstradition: Eva, Maria und Maria Magdalena. Eva ist die „Zweiterschaffene und Erstverführte“, die aus der Rippe von Adam Erschaffene, die zuerst vom Baum der Erkenntnis isst. Sie war für die Kirchenväter der Beleg für die Unterordnung und Minderwertigkeit der Frau gegenüber dem Mann. Maria dagegen, die „reine Magd“, erscheint als idealistische Überhöhung der Frau in ihrer Mutterrolle, dank Jungfrauengeburt losgelöst von Erotik und Sexualität. Durch die aufmüpfige Eva kam die Sünde in die Welt und durch die ergebene Maria kam die Erlösung. Maria Magdalena schließlich ist die Sünderin und Geächtete, die Jesus mit ihren Haaren die Füße säubert, die er gewähren lässt und von der er sich berühren lässt. Die drei Frauenbilder dienten immer auch dazu, die untergeordnete Rolle der Frau in der Kirche – früher auch in der Ehe und in der Gesellschaft – und ihren Ausschluss von kirchlichen Ämtern zu rechtfertigen.
Verführte Verführerin, Heilige oder Hure – keines dieser Frauenbilder hat auf den ersten Blick viel mit mir oder dem Leben der meisten real existierenden Frauen zu tun. Zumindest in der patriarchalen Auslegung sind es Rollenklischees, mit denen ich mich nie identifizieren wollte. Erst später habe ich versucht, einen eigenen, unvoreingenommenen Blick auf diese biblischen Frauengestalten zu werfen.
Eva lässt sich verführen, genauso wie Adam sich verführen lässt. Einen moralischen Unterschied kann ich in der Tatsache, dass die eine sich von dem als Schlange getarnten Satan, der andere sich von seiner Frau verführen lässt, beim besten Willen nicht erkennen. Beide treffen sie eine Entscheidung, für die sie die Verantwortung übernehmen müssen. Sie treten damit heraus aus einem glücklichen Urzustand, aus einem Stadium der Unschuld. Sie werden schuldig und müssen sich fortan entscheiden zwischen Gut und Böse. Das ist die conditio humana – mit Geschlechterfragen hat das für mich wenig zu tun.
Maria, die Mutter Jesu, mit ihrem gefolterten, toten Sohn im Schoß ist für mich Urbild der Trauer über das Böse in der Welt. Früher, als Jugendliche, hat sie mir leidgetan, weil ihr Leben ihr scheinbar so stark widerfahren ist: als junges Mädchen von einem Engel zu hören, dass sie den Messias gebären soll, obwohl sie mit keinem Mann zusammen lebt, dann die Beinahe-Verstoßung durch ihren Verlobten Josef, die Flucht nach Ägypten. Meine Vorbilder waren damals allesamt männliche Helden der Weltliteratur, die ihr Schicksal in die Hand nehmen. Maria, die vermeintlich Passive, blieb mir lange fremd. Später erst habe ich an ihrem Beispiel angefangen zu begreifen, was Demut tatsächlich ist. Ein furchtloses Annehmen dessen, was Gott für uns bereithält.
Maria Magdalena ist durch das Musical „Jesus Christ Superstar“ in mein Leben getreten. „I don’t know how to love him“ habe ich als 16-jährige mit Ergriffenheitstränen beim Abendbrot geschmettert. Für mich ist sie Sinnbild für eine Frau, die sich ihren Gefühlen stellt; eine Frau, die zu ihrer Sinnlichkeit und Sexualität steht. Und eine Frau, die zugleich mehr als andere aus der Gefolgschaft Jesu begreift, dass die Liebe zu Jesus Christus, die sie empfindet, etwas fundamental Anderes ist: etwas, das ihre gewohnten Raster, auch die gewohnten Geschlechterverhältnisse aufbricht. Sie, die Ehebrecherin und damit sowohl in der jüdischen Gesellschaft als auch nach kirchlicher Lehre eine Sünderin – sie erkennt Jesus, ihr Herz ist offenbar rein genug dafür.
Eva, Maria, Maria Magdalena werden heutzutage nicht mehr herangezogen, um die untergeordnete Rolle der Frauen in der Kirche zu begründen. Moderne Theologie und das Zweite Vatikanische Konzil haben uns ein großes Stück vorangebracht. Das Verhältnis zwischen den Geschlechtern wird seitdem als eines der Partnerschaftlichkeit verstanden, der Frau wird ausdrücklich eine aktive gesellschaftliche Rolle zugestanden. Die patriarchale Auslegung ist allerdings nicht verschwunden.
Viele Frauen in der Kirche reiben sich, völlig zu Recht, an der kirchlichen Hierarchie, die nicht mehr so sehr durch ein bestimmtes Frauenbild genährt wird, aber sehr wohl noch durch ein bestimmtes Männerbild, nämlich das des Klerikers. Damit werde ich meine Lebenszeit nicht zubringen. Vielleicht auch deshalb, weil es in der Gesellschaft endlich so viele Gestaltungsmöglichkeiten für Frauen gibt, dass ich gar nicht einsehe, meine Kräfte in Strukturen zu verausgaben, in denen Frauen auch heute noch Ämter vorenthalten werden.
Wenn die Kirchenmänner nicht ernsthaft auch ihre Macht(erhaltungs)strukturen in Frage stellen, dann kommt die Kirche nicht aus der Vertrauenskrise heraus, in der sie seit Jahren steckt. Warum sind denn Gemeindereferentinnen in vielen Bistümern mittlerweile Mangelware? Weil es einer modernen Frau schon sehr viel Selbstverleugnung abverlangt, innerhalb solcher Strukturen zu arbeiten.
Das Frauenpriestertum ist dabei nicht die einzig entscheidende Frage: mindestens genauso wichtig ist es, dass die Kirche die Ämter, die mit Entscheidungsmacht verbunden sind, nicht nur an ehrgeizige Männer vergibt, die die Kirche als Karriereleiter nutzen, sondern an diejenigen, die Seelsorger sind, die glaubwürdig Zeugnis von der Liebe und Barmherzigkeit Gottes geben. Ich wünsche mir Priester, die wissen, dass auch sie Sünder sind, wie Eva und Maria Magdalena. Und die sich an der hinhörenden Demut von Maria ein Beispiel nehmen.