Eine Standortbestimmung theologischer GenderforschungVon der Frauenfrage zum Geschlechterdiskurs

Die immer noch ungelöst erscheinende Frage nach der „Stellung der Frau in der Kirche“ hat etwas Unzeitgemäßes. Mit Blick auf aktuelle Konzeptionen der theologischen Geschlechterforschung kann man nicht mehr so ungebrochen von „der Frau“ oder „den Frauen“ sprechen. Außerdem wird man das Th ema auf die Frage nach Geschlechtersensibilität und Geschlechtergerechtigkeit insgesamt hin weiten und sich dabei nicht mehr nur auf das Verhältnis von den Frauen und der Kirche konzentrieren müssen.

Im Jahr 1962 hatte die Schweizer Katholikin Gertrud Heinzelmann in ihrer Eingabe „Frau und Konzil – Hoffnung und Erwartung“ an die vorbereitende Kommission des Zweiten Vatikanischen Konzils die Gleichstellung von Frauen in der katholischen Kirche und insbesondere die Zulassung von Frauen zu den kirchlichen Weiheämtern gefordert; 1964 erschien der von ihr herausgegebene programmatische Band „Wir schweigen nicht länger!“

54 Jahre später erscheint ein Herder Korrespondenz Spezial zum Thema „Die Kirche und die Frauen“. Dazwischen liegen Jahrzehnte der Diskussionen um die sogenannte „Frauenfrage“, liegen theologische Frauenforschung und feministische Theologie, liegen Fort- und Rückschritte, Verkrustung und Aufbruchsversuche in Sachen „Stellung der Frau in der Kirche“. Mit Blick darauf überraschen denn auch gegenwärtige päpstliche Verlautbarungen, in denen eine neue „Theologie der Frau“ angemahnt und eingefordert wird, so als ob es diese jahrzehntelangen Diskussionen und theologischen Forschungen gar nicht gegeben hätte.

Weniger überrascht ist man darüber, dass auch 54 Jahre nach Heinzelmanns Vorstoß das Thema „die Kirche und die Frauen“ diskutiert wird, denn die „Frauenfrage“ ist zumindest in unserem gesellschaftlichen und kulturellen Kontext für viele Zeitgenossinnen und -genossen, ob katholisch oder nicht, Kennzeichen kirchlichen Reformstaus. Das Thema hat also augenscheinlich an Aktualität nichts eingebüßt. Doch wenn man die Perspektive über diese eher binnenkirchliche Sicht hinaus auf das Feld der Geschlechterforschung hin weitet, zeigt sich, dass die angestammte, stets noch ungelöst erscheinende Frage nach der „Stellung der Frau in der Kirche“ etwas Unzeitgemäßes hat, ja ein wenig verstaubt anmutet.

Ein Perspektivwechsel in der Anthropologie der Geschlechter

Denn erstens wird man im Blick auf aktuelle Konzeptionen der (theologischen) Geschlechterforschung nicht mehr so ungebrochen von „der Frau“ oder „den Frauen“ sprechen können, somit im Übrigen auch nicht mehr von einer „Theologie der Frau“, so wohlmeinend dies auch formuliert sein könnte. Und zweitens wird man das Thema auf die Frage nach Geschlechtersensibilität und Geschlechtergerechtigkeit insgesamt hin weiten und sich dabei nicht mehr nur auf das Verhältnis „Frauen – Kirche“ konzentrieren müssen.

Hintergrund dieses Perspektivwechsels sind zwei grundlegende Entwicklungen in der Anthropologie der Geschlechter. Die erste Entwicklung vollzog sich bereits in Konzeptionen feministischer Theorien, die Kritiken an essentialistischen Anthropologien rezipierten. Nicht nur die Voraussetzung eines unveränderlichen „Wesens des Menschen“ beziehungsweise einer fest definierten „menschlichen Natur“ wurde hier aufgegeben, sondern auch die Vorstellung einer ebenso fest vorgegebenen „männlichen“ und „weiblichen“ Natur.

Entsprechend wurde zwischen einer natürlichen Geschlechtsidentität (Sex) und einer sozialen Geschlechtsidentität beziehungsweise Rollenidentität (Gender) unterschieden und dabei festgehalten, dass viele als „weiblich“ apostrophierte Eigenschaften und Rollenmuster eben nicht in einer angeblich vorgegebenen „weiblichen“ Natur wurzeln und auch nicht in direktem Zusammenhang mit Sex stehen, sondern auf soziale Prägung zurückgehen, also auf Konstruktionen von Gender. Sex wurde nicht mehr essentialistisch verstanden, sondern als biologische Gegebenheit, aus der sich weder Definitionen einer „weiblichen“ oder „männlichen“ Substanz „der“ Frauen oder „der“ Männer ableiten lässt noch ethische Folgerungen darüber ziehen lassen, was richtiges oder falsches, gutes oder schlechtes „männliches“ oder „weibliches“ Verhalten und Handeln ist. Denn diese Versuche der Ableitung ethischer Positionen aus anthropologischen Thesen verstricken sich, so die Kritik, im sogenannten naturalistischen Fehlschluss von einem Sein auf ein Sollen. Allerdings waren schon in diesen „klassischen“ feministischen Konzeptionen einer Anthropologie der Geschlechter die Grenzen zwischen Sex und Gender durchaus fließend, denkt man etwa an Simone de Beauvoirs berühmte Formulierung: „Man wird nicht als Frau geboren, man wird es.“

In den Fokus rückt hier nicht mehr primär die Frage nach dem Verständnis von Sex, sondern die kritische Analyse der vielfältigen sozialen Konstruktionen von Gender und deren gesellschaftliche und politische Funktionen. Dies gilt im Übrigen auch für poststrukturalistisch beeinflusste Theorien der sexuellen Differenz, die dem feministischen Gleichheitsparadigma eher skeptisch gegenüberstehen, und die teilweise auch in bestimmten katholischen Geschlechteranthropologien rezipiert werden.

Zwar interpretieren diese Theorien – prominent vertreten von der französischen Philosophin und Psychoanalytikerin Luce Irigaray und der italienischen Philosophinnengruppe „Diotima“ – die sexuelle Differenz zwischen Mann und Frau als Ursprungskategorie und sprechen von einer genuin weiblichen Identität und Freiheit, einem weiblichen Denken, Begehren, welches von einer „männlichen“ Identität grundlegend unterschieden sei. Dieses „Weibliche“ wird ebenso wie das „Männliche“ aber keinesfalls biologistisch oder essentialistisch verstanden, denn es wurzelt nicht in einer vorgegebenen Biologie oder Natur, sondern in einer symbolischen Ordnung als die Lebenspraxis bestimmende Matrix (vgl. Luce Irigaray, Speculum – Spiegel des anderen Geschlechts, Frankfurt 1980; Genealogie der Geschlechter, Freiburg 1989; Diotima [Hg.]: Die Welt zur Welt bringen, Frankfurt 1999).

Genau hier setzt die zweite Entwicklung an, die für den Perspektivwechsel in der Anthropologie der Geschlechter entscheidend gewesen ist: das Aufkommen von Geschlechtertheorien, die häufig unter dem Label „Gender-Theorien“ firmieren – ein Label, das manchmal ebenso verkürzend und pauschalisierend gebraucht wird wie ehedem das Label „Feminismus“. Ebenso wenig wie „den“ Feminismus beziehungsweise „die“ feministische Theorie oder Theologie gibt es „die“ Gender-Theorie, vielmehr existieren diese Theorien nur im Plural unterschiedlicher Richtungen und Konzeptionen.

Gender-Theorien haben in je unterschiedlich weitreichender Weise darauf aufmerksam gemacht, dass auch vermeintliche Aspekte von Sex der Dimension von Gender zuzurechnen sind und damit als sozial erzeugt, als performativ hervorgebracht zu verstehen sind (vgl. Judith Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt 1991; Körper von Gewicht, Frankfurt 1997; Die Macht der Geschlechternormen und die Grenzen des Menschlichen, Frankfurt 2009). Das gilt insbesondere dann, wenn man etwa davon ausgeht, dass das Verständnis der sexuellen Differenz durch die „Arbeit am Symbolischen“ entsteht. Dann aber, so etwa Butler gegen Irigaray und andere Differenztheoretikerinnen, macht es keinen Sinn, die sexuelle Differenz als Ursprungskategorie aufzufassen und von einer vorgängigen „weiblichen“ Identität zu sprechen, aus der alle weiteren Bestimmungen folgen.

Theorien der sexuellen Differenz bleiben in dieser Perspektive quasi auf halbem Wege stecken. „Geschlecht“ wird in den eher am Verständnis von Gender denn an Sex und sexueller Differenz ansetzenden Theorien dagegen noch stärker als in gesellschaftlich wirksame Machtdiskurse verstrickt interpretiert, in deren Zentrum normative Codes stehen, die auf den Körper bezogen sind, und die konkrete Körperbilder sowie Funktionszuschreibungen erzeugen. Dazu gehören normative Codes hinsichtlich der Vorstellung von „Geschlecht“ und ein binäres Denken, das „Geschlecht“ stets unter dem Aspekt der sexuellen Differenz betrachtet, und auch durch diese auf Konstruktionen von „männlich“ und „weiblich“ bezogenen Codes legitimierten gesellschaftlichen Platzanweisungen, Rollenmuster und Identitätszuschreibungen, die auf ein konkretes Verständnis von „Geschlecht“ rekurrieren. Essentialistische Geschlechteranthropologien und mit ihnen verknüpfte Ethiken wie Politiken werden auf diese Weise als Teil hegemonialer Körperdiskurse markiert und kritisiert.

In diesem Zusammenhang wurde auch betont, dass von der Hegemonie normierender Codes nicht nur Frauen betroffen sind, sondern auch Männer, wenn auch auf unterschiedliche Art und Weise. Aus diesem Grund rückte zum Beispiel neben die etablierten Women’s Studies die neue Richtung der Critical Men’s Studies. So wird die altbekannte Gleichung „Geschlechterthema gleich Frauenthema gleich Feminismus“ ebenso unterlaufen wie die traditionelle Gleichung „Geschlechterpolitik gleich Frauenpolitik“.

Das hat Auswirkungen auch auf die theologischen Debatten: Aus der „Frauenfrage“ werden Diskurse um das Verständnis von „Geschlecht“ und dessen Bedeutung und Funktion insbesondere auf der Ebene von Gender. Es geht somit nicht mehr um die „Stellung der Frau in der Kirche“ und die damit verbundenen nur allzu bekannten „Reizthemen“, sondern um hegemoniale Geschlechterdiskurse in Theologie und Kirche und deren Wirkung auf Glaubens- und Lebenspraxen, auf pastorales Handeln, auf kirchliche Strukturen. Diese Fragestellung setzt gleichsam tiefer an als die Frage nach „der Kirche und den Frauen“, und vor allem öffnet sie die Perspektive, weil auch Männer Subjekt wie Objekt jener Fragestellung sind. Gleichwohl ist sie wie ehedem die feministischen Theologien politisch und parteilich ausgerichtet, denn sie speist sich aus dem Eintreten für Geschlechtergerechtigkeit.

Theologische Gender-Diskurse

Jener Perspektivwechsel hat mittlerweile in den verschiedenen theologischen Disziplinen und den in ihnen verorteten Geschlechterdiskursen Einzug gehalten. Schon frühzeitig haben ihn praktisch-theologische Konzeptionen aufgenommen, etwa religionspädagogische Überlegungen zur Bedeutung von Gender in Bildungsprozessen und an konkreten Bildungsorten wie dem schulischen Religionsunterricht sowie der Erwachsenenbildung, oder pastoraltheologische Reflexionen zum Zusammenhang von Gender und Pastoral (vgl. etwa Annebelle Pithan, Silvia Arzt, Monika Jakobs und Thorsten Knauth [Hg.], Gender – Religion – Bildung. Gütersloh 2009; Andrea Qualbrink, Annebelle Pithan, Mariele Wischer [Hg.], Geschlechter bilden. Gütersloh 2011).

Ebenso hat die Exegese den Wechsel von der Frauenforschung zur Geschlechterforschung vollzogen; sie sucht nicht mehr „nur“ nach den oftmals vergessenen Frauentraditionen in der Bibel oder kritisiert misogyne Perikopen beziehungsweise deren Interpretation und Wirkungsgeschichte, sondern analysiert hegemoniale Geschlechterdiskurse und das Aufkommen von bestimmten Konstruktionen von Gender im Alten und Neuen Testament (vgl. Irmtraud Fischer, Gender-faire Exegese. Münster 2004; Renate Jost, Gender, Sexualität und Macht in der Anthropologie des Richterbuches. Stuttgart 2006).

Auch in der Systematischen Theologie kommt dieser Perspektivwechsel inzwischen zum Ausdruck. In der Theologischen Ethik existieren neben kritischen Analysen des Gender-Diskurses der katholischen Lehrtradition und der lehramtlichen Verkündigung, die häufig immer noch ein essentialistisches Verständnis von „weiblich“ (und „männlich“) voraussetzen und daraus eine Ethik der Geschlechter ableiten (vgl. Marianne Heimbach-Steins, „nicht mehr Mann und Frau“. Regensburg 2009), detaillierte Auseinandersetzungen mit hegemonialen Körper-, Sexualitäts- und Geschlechterbildern der ethischen Tradition, in denen vor allem auf den Zusammenhang mit naturrechtlichem Denken und dessen Problematik hingewiesen wird, sowie auf die Inanspruchnahme essentialistischer Anthropologien und schöpfungstheologischem Ordo-Denken. Zugleich werden neue Konzeptionen einer gender-sensiblen theologischen Ethik vorgestellt, die sich an phänomenologischen und/oder transzendentalen Philosophien sowie an Theorien der Verkörperung orientieren (vgl. Regina Ammicht-Quinn, Körper, Religion und Sexualität, Mainz 2004; und als Herausgeberin: „Guter Sex“, Paderborn 2013; Stephan Goertz, Das nicht festgestellte Verhältnis, in: Konrad Hilpert und Bernhard Laux [Hg.], Leitbild am Ende? Freiburg 2014, 227-243; Saskia Wendel, Sexualethik und Genderperspektive; in: Konrad Hilpert, Zukunftshorizonte Katholischer Sexualethik, Freiburg 2011, 36-56).

In der Sozialethik wird mittlerweile explizit das Thema der Geschlechtergerechtigkeit diskutiert (vgl. Heimbach-Steins, Die Gender-Debatte. Herausforderung für Theologie und Kirche, Mönchengladbach 2015; Verantwortung ermöglichen, Generationen- und Geschlechtergerechtigkeit fördern, in: Jahrbuch für Christliche Sozialwissenschaften 53 [2012] 75-106; Herta Nagl-Docekal, Geschlechtergerechtigkeit, in: Theologische Quartalschrift 195 [2015] 75-94).

Ähnlich zentral sind Überlegungen zu einer gender-sensiblen theologischen Anthropologie, die zum einen die bereits erwähnten essentialistisch ausgerichteten Anthropologien kritisieren, zum anderen ausgehend von Theorien der Verkörperung und der Bedeutung performativer, also wirklichkeitssetzender Akte auch für Symbolisierungen des Körpers über den Zusammenhang von Performanz und Geschlechtsidentität nachdenken.

Dabei wird Sex nicht, wie manche vermuten, gänzlich in Gender aufgelöst. Zum einen werden – wie auch schon Butler betont hat – keineswegs anatomische Gegebenheiten bestritten, und zum anderen kann Sex jenseits der Engführung seiner Bedeutung auf die Bezeichnung sexueller Differenz das Vermögen des Begehrens bezeichnen, welches jeder verkörperten Existenz eigen ist. Dieses Begehren wird unter den Bedingungen von Gender diskursiv bestimmt und erhält so in performativen Akten seinen materialen Gehalt und seine Bedeutung etwa in Bezug auf den Gebrauch der Prädikate „männlich“ und „weiblich“ (vgl. Wendel, Subjekt statt Substanz, in: Hilge Landweer [Hg.]: Philosophie und die Potenziale der Gender Studies, Bielefeld 2012; vgl. HK, März 2009, 135-140).

Entsprechend dem Grundsatz, dass Theologie auf Anthropologie basiert, halten unter Bezugnahme auf die gender-theoretischen Überlegungen im Bereich der Anthropologie auch in anderen Themenfeldern der Fundamentaltheologie und Dogmatik gender-theoretische Reflexionen Einzug. So existieren etwa religionsphilosophische Reflexionen über die Verhältnisbestimmung von Religiosität und Geschlecht beziehungsweise die wechselseitige Konstruktion von Gender und religiöser Erfahrung oder mystischem Erleben. Ebenso gibt es kritische Analysen der Konstruktion sexualisierter Gottesbilder nebst Vorschlägen zu einem gender-sensiblen Gottesverständnis, das sich dabei auch auf klassische theistische Positionen bezieht, teilweise aber auch auf prozesstheologische Gedanken (vgl. Catherine Keller, Über das Geheimnis, Freiburg 2013). Auch christologische, soteriologische, sakramententheologische und ekklesiologische Überlegungen zu den vielfältigen, kulturell und gesellschaftlich abhängigen Deutungen des Leibes beziehungsweise Körpers Christi unter besonderer Berücksichtigung der Signatur „Geschlecht“ liegen vor.

Hier konzentriert man sich vor allem auf die wirkmächtige legitimatorische Bedeutung der „Männlichkeit“ des Christuskörpers. Detaillierte Forschungen zu diesen im eigentlichen Sinne dogmatischen Themenfeldern sind allerdings gegenwärtig meist im angelsächsischen Sprachraum angesiedelt und noch kaum in der deutschsprachigen Theologie vertreten.

Ein Blick in die Zukunft theologischer Gender-Forschung

Mit Blick auf den skizzierten Stand der theologischen Gender-Forschung gibt es zukünftig sowohl für die theologische Forschung als auch für die konkrete kirchliche Praxis mehrere Anforderungen. Die Theologie wird sich in ihrer gesamten Breite noch stärker mit den Gender-Diskursen kritisch auseinandersetzen müssen, und das heißt: Sie in ihren Stärken rezipieren, etwa in ihrem dekonstruktiven Potenzial hinsichtlich der kritischen Analyse traditioneller theologischer Geschlechterdiskurse und deren Inanspruchnahme als Legitimationsdiskurse für die Praxis.

Reizvoll erscheint es hier auch, darüber hinaus in der ganzen Breite ihrer Disziplinen nach tragfähigen Konzeptionen einer geschlechtersensiblen Rede von Gott zu suchen. Dabei wird der Perspektivwechsel von der „Frauenfrage“ hin zum „Gender-Diskurs“ insofern leitend sein, dass diese Neukonzeptionen sich anders als die tradierten Positionen theologischer Frauenforschung und feministischer Theologie sich nicht mehr nur als parteilich mit Frauen verstehen, sondern deutlich pluraler aufgestellt sind, wenn gleich nicht mit weniger politischer Motivation und Engagement als ehedem feministische Theologien. Nicht das „Frausein“ steht mehr im Mittelpunkt, sondern die verkörperte Existenz und die Vielfalt ihrer Vollzüge, Praxen, und dies unter besonderer Berücksichtigung der Körperpraxis „Geschlecht“ und des damit verknüpften Vermögens des Begehrens. Dementsprechend haben sich auch schon diverse ehedem auf feministische Theologie und theologische Frauenforschung konzentrierte Forschungszentren für den Gender-Diskurs geöffnet: Statt der angestammten „Frauenfrage“ widmet man sich nun zumeist „Gender-Fragen“, statt auf Women’s Studies konzentriert man sich auf Gender Studies.

Zugleich wird man aber auch die Grenzen ihrer theologischen Rezeptionsmöglichkeit markieren müssen, wenn es um anthropologische Konzeptionen von Subjektivität, Personalität und Freiheit und die Verhältnisbestimmung zur Ebene des Diskursiven oder um die Auseinandersetzung um eher handlungs- oder eher ereignistheoretische Optionen geht. Ebenso wird man eine elaborierte Diskussion um die ontologischen Verpflichtungen zu führen haben, die konkreten Geschlechteranthropologien zugrunde liegen, und dabei auch das Verhältnis von Sex und Gender reflektieren beziehungsweise die Bedeutung von Sex jenseits essentialistischer Paradigmata und ebenso jenseits einer Ursprungslogik, die um den Begriff der sexuellen Differenz kreist, genauer bestimmen.

Auf der Ebene der kirchlichen Praxis wiederum können sich die jeweiligen Akteurinnen und Akteure, auch inspiriert durch die skizzierten theologischen Diskurse, konkreten Praxisfeldern zuwenden, diese unter dem Aspekt der Geschlechtersensibilität analysieren und unter Voraussetzung der Leitidee der Geschlechtergerechtigkeit neu entwerfen beziehungsweise vollziehen. Das heißt aber auch, nicht mehr „nur“ nach dem Verhältnis „Kirche – Frauen“ zu fragen, beziehungsweise die „Stellung der Frau in der Kirche“ pastoral zu reflektieren, und auch nicht mehr „nur“ nach einer Praxis Ausschau zu halten, die „frauengerecht“ ist.

Dieser Perspektivwechsel fällt nicht immer leicht, weder auf der theologischen Ebene noch auf derjenigen der konkreten Praxis. Das hat auch damit zu tun, dass den Gender-Diskursen teilweise Skepsis entgegenschlägt, ja manchmal auch explizite Gegnerschaft – man denke an die aufgeheizten Debatten um den Ideologievorwurf an Gender-Theorien – die damit verbundene Konstruktion einer sogenannten „Gender-Ideologie“ und entsprechende Stellungnahmen auch von manch lehramtlicher Seite (vgl. HK September 2014, 457-462). In solch einem aufgeladenen Szenario haben es diejenigen, die sich den Wechsel von der „Frauenfrage“ zur Vielfalt von „Gender-Fragen“ vollzogen haben und darüber differenziert, an der Sache orientiert und vor allem frei von Polemik und Verachtung Andersdenkender diskutieren wollen, nicht immer leicht. Hinzu kommt, dass es ja selbst bei manchen noch auf Widerstand stößt, die altbekannte „Frauenfrage“ zu stellen – ein halbes Jahrhundert nach Heinzelmanns Eingabe.

Deutsche Katholikinnen und Katholiken jedoch, denen diese Fragen am Herzen liegen, haben durchaus auch Anlass zu zumindest leichtem Optimismus. Denn die Arbeitsstellen für Frauen- und Männerseelsorge der Deutschen Bischofskonferenz haben im Jahr 2015 gemeinsam den Flyer „Geschlechtersensibel: Gender katholisch“ herausgegeben, in dem zentrale Begriffe wie Sex, Gender und Gender Mainstreaming erklärt werden, und in dem verdeutlicht wird, dass und inwiefern Gender-Diskurse durchaus auch „katholisch“ rezipiert werden können – bis hin zu kurzen Leitideen zu einer geschlechtersensiblen Pastoral.

Dies war bis vor kurzem noch schlichtweg undenkbar und wäre sicher ohne Unterstützung aus den Reihen der Deutschen Bischofskonferenz nicht möglich gewesen. Gertrud Heinzelmanns Eingabe zum Konzil trug den Titel „Hoffnung und Erwartung“. Auch nach über 50 Jahren wurden sie in Bezug auf die „Frauenfrage“ nicht eingelöst, und ob das für „Gender-Fragen“ anders sein wird, ist noch nicht abzusehen, die Heftigkeit der Debatte, die mittlerweile geradezu kulturkämpferisches Ausmaß angenommen hat und an die Kontroversen um den „Modernismus“ erinnert, stimmt ungeachtet solcher Öffnungssignale immer noch eher skeptisch. Fest steht allerdings auch, dass diejenigen, die heute leben, unbeschadet aller notwendigen Gelassenheit in ihren Hoffnungen und Erwartungen nicht auf das Eschaton vertrösten werden möchten.

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