Geschichte und Gegenwart katholischer FrauenverbändeZwischen Tradition und Emanzipation

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts hat sich im Rahmen des sozialen und politischen Katholizismus ein differenziertes Frauenverbandswesen entwickelt. Der springende Punkt im gesellschaftlichen und kirchlichen Wandel ist es, jeweils die Lebenswirklichkeit von Frauen zu treffen, Plattformen gemeinsamen Engagements zu schaffen und sonst schwach organisierten Anliegen Gehör zu verschaffen.

Für katholische Frauenverbände sind „Gerechtigkeit für Frauen und die gerechte Teilhabe von Frauen an Macht und Verantwortung in Kirche und Gesellschaft eine gemeinsame Zielsetzung“. Programmatisch heißt es in der Präsentation der Arbeitsgemeinschaft katholischer Frauenverbände, sie seien gemeinsam dem Ziel verpflichtet, „Ungleichbehandlungen von Frauen zu benennen und gegen deren Benachteiligung aktiv zu werden, die weltweite Situation von Frauen zu berücksichtigen und die Nähe zu allen christlichen Kirchen zu suchen“ (vgl. www.frauenseelsorge.de).

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts hat sich im Rahmen des sozialen und politischen Katholizismus ein differenziertes Frauenverbandswesen entwickelt, das bis in die Gegenwart eine konstruktiv-kritische Kraft kirchlicher Praxis und gesellschaftlichen Engagements von Katholikinnen bildet. Das Spektrum (vgl. die Mitgliederliste der Arbeitsgemeinschaft katholischer Organisationen in Deutschland [AGKOD]) umfasst neben den großen Verbänden Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd) und Katholischer Deutscher Frauenbund (KDFB) eine Reihe kleinerer Organisationen mit spezifischen Programmatiken, vor allem im Bildungssektor und im karitativen Bereich sowie verschiedene Berufsvereinigungen. Die Schwerpunktsetzungen spiegeln die geschichtlichen Dynamiken der konfessionellen Frauenbewegung und repräsentieren zentrale Felder des kirchlichen und gesellschaftlichen Engagements von Frauen.

Die beiden größten Verbände haben unterschiedliche Wurzeln und folgten in ihrer Frühzeit verschiedenen Leitbildern, was die Rolle der Frau und die Aufgabe der Vereinigungen betrifft. Die kfd hat sich aus den seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstandenen „Müttervereinen“ entwickelt, die sich nach und nach als pfarrlich organisierte „Jungfrauen- und Müttervereine“ in den Diözesen etablierten und der geistlichen Leitung durch Kleriker unterstellt waren (www.kfd-bundesverband.de). Die Frauengemeinschaften der kfd in 5300 Pfarreien bilden die Basis des mit einer halben Million Mitgliedern größten katholischen Verbands – und größten Frauenverbands – in Deutschland. Anders als die kfd heute vertraten die „Jungfrauen- und Müttervereine“ keinen politischen und emanzipatorischen Anspruch.

Eben dies ist dem im Jahr 1903 gegründeten KDFB als pfarreiunabhängigem konfessionellem Frauenverband, in dem geistliche Beiräte (nur) beratende Funktion hatten, von jeher eigen. Nicht zufällig war der „Katholische Frauenbund“ (so der ursprüngliche Name) in der Weimarer Zeit Heimat wichtiger Zentrumspolitikerinnen, unter anderem Hedwig Dransfeld und Helene Weber. Bis heute sind immer wieder aktive Politikerinnen Präsidentinnen des Verbands gewesen. Der KDFB – mit etwa 200 000 Mitgliedern, die zum größten Teil in den 2000 Zweigvereinen organisiert sind – bezeichnet sich als „unabhängiger, moderner Bildungsverband“ (www.frauenbund.de) und fokussiert damit ein zentrales Motiv der konfessionellen Frauenbewegung von Anfang an.

Frauenbildung als Schlüssel zur gesellschaftlichen und politischen Beteiligung zu ermöglichen und zu fördern, ist ein Hauptmotiv in der katholischen Frauenverbandslandschaft. Der 1885 gegründete „Verband katholischer deutscher Lehrerinnen“ war selbst Ausdruck erfolgreicher weiblicher Bildungsbeteiligung. Er hatte als Berufsvereinigung in der Formierungsphase der konfessionellen Frauenbewegung maßgeblichen Anteil an der Gründung des KDFB, der wiederum „soziale Frauenschulen“ unterhielt und deren Professionalisierung vorantrieb (vgl. www.vkdl.de/der_verein/unsere-geschichte). Der Verberuflichung weiblich konnotierter Sorgetätigkeiten als einem Weg zu deren gesellschaftlicher Anerkennung stand der Einsatz für Mütter zur Seite: Die Gründung von Mütterschulen (Vorgänger der heutigen Familienbildungsstätten) in der Weimarer Zeit und die Gründung des Müttergenesungswerks nach dem Zweiten Weltkrieg (beides Projekte des KDFB) können exemplarisch für diese Anliegen stehen.

Die Felder, in denen (berufliche) Bildung von Frauen – auch durch die Schaffung neuer Institutionen – aktiv gefördert wurde, blieben lange Zeit einem aus heutiger Sicht traditionellen, der Ausrichtung an einer normativ verstandenen „Natur“ der Frau verpflichteten Frauenbild verhaftet. Gleichwohl zeigt sich im Konkreten, dass die Grenzen eines Frauenbildes, das auf Fürsorge, „weibliche“ Tugenden und Unterordnung unter die patriarchale Autorität fokussiert war, sowohl in der Ausweitung der Bildungsbeteiligung für Frauen als auch im politischen Engagement durchbrochen beziehungsweise unterlaufen wurden.

Die historische Bedeutung des Zusammenschlusses von Mädchen und Frauen im Kontext von Bildungseinrichtungen und -biografien spiegeln die Genese des „Bundes deutscher katholischer Akademikerinnen“ (www.bkda.de) aus dem Verband katholischer Studentinnenvereine (gegründet 1913) ebenso wie der „Heliand“, der 1926 als Gemeinschaft katholischer Schülerinnen an Gymnasien gegründet worden war.

Obwohl diese Verbünde bis heute bestehen, sind die ursprünglichen Motive des Zusammenschlusses durch die modernen Entwicklungen – die Angleichung der Bildungsbeteiligung sowohl der Mädchen und Frauen als auch der Katholik(inn)en an die der Gesamtbevölkerung – obsolet geworden. Ob genuin konfessionelle Assoziationen in diesem Feld für die Gegenwart noch relevant sind, ist daher eine berechtigte Frage. Einige Verbände nehmen das Merkmal Konfession denn auch in der Beschreibung ihres Selbstverständnisses oder jedenfalls bei den Mitgliedschaftsbedingungen eher zurück.

Aus den Anfangsimpulsen wuchsen in der Gegenwart aber auch innovative Initiativen. So erlebt etwa der kleine, 1907 gegründete „Hildegardisverein“, der älteste Verein für Frauenstudien in Deutschland, eine Renaissance: Im Zeichen der Inklusion werden dort neue Felder der Förderung studierender Frauen erschlossen, nicht zuletzt Mentoring- und Tandem-Programme für Frauen mit Behinderung (www.hildegardis-verein.de).

Frauenbildung und karitatives Engagement gehören historisch wie aktuell in der katholischen Frauenverbandslandschaft eng zusammen. Der 1899 von Agnes Neuhaus in Dortmund gegründete „Sozialdienst katholischer Frauen“ (SkF) hat sich die Bearbeitung frauenspezifischer Not- und Konfliktsituationen zur Aufgabe gemacht (www.skf-zentrale.de). Mit „In Via“, der historisch ersten überregionalen katholischen Organisation auf dem Gebiet der Frauenfürsorge und Mädchensozialarbeit, die sich ursprünglich allein reisenden jungen Frauen (Arbeitsmigrantinnen) widmete, wurde zugleich die erste internationale katholische Frauenvereinigung überhaupt gegründet (www.invia-deutschland.de). Beide gehören als Fachverbände dem Deutschen Caritasverband an. Die Beispiele zeigen einmal mehr, wie sich die katholische Frauenbewegung als Antwort auf jeweils neue Erfordernisse der Zeit formierte.

Das Engagement für Frauenbildung und Diakonie – gegen Armut, Ausgrenzung, sozial oder sexistisch bedingte Gefährdung von Mädchen und Frauen – konnte und kann in modernen gesellschaftlichen Kontexten nicht unpolitisch sein und bleiben. Es muss mit dem Einsatz für Frauenrechte und gesellschaftliche Beteiligung einhergehen. Die ältere konfessionelle Frauenbewegung fokussierte die rechtliche Seite weniger; im Kampf um das Frauenwahlrecht beispielsweise spielten die konfessionellen Verbände keine Rolle. Heute jedoch treten die großen Verbände, nicht selten in breiten gesellschaftspolitischen Allianzen, als christlich geprägte zivilgesellschaftliche Kräfte für sozial-, frauen- und familienpolitische, aber auch etwa für ökologische Anliegen auf (und ein), unter anderem mit Kampagnen, Petitionen, in Anhörungen in den Parlamenten. Und sie engagieren sich auch angesichts ideologisch verengter Sichtweisen für ein Verständnis von Geschlechtergerechtigkeit und Gender-Bewusstsein, das nicht nur formal gleiche Rechte, sondern die Verwirklichung real gleicher Beteiligungschancen und Anerkennungsverhältnisse trägt und politisch befördert.

Nicht zu unterschätzen sind dabei die Möglichkeiten verbandsinterner Arbeit vor Ort, in Versammlungen und Kongressen sowie in den Mitgliederzeitschriften und Broschüren, zur Bewusstseinsbildung und zur Vermittlung von Handlungsimpulsen. Die Vernetzung in der Frauenbewegung und in deren Lobbystrukturen – auf Deutschland-Ebene im „Deutschen Frauenrat“, auf europäischer Ebene seit einem Jahrzehnt über das Netzwerk „Andante“ (www.andante-­europa.net) – belegt ein in der katholischen Frauenverbandslandschaft waches politisches Selbstverständnis. Gegen jeden Verdacht eines differenzfeministischen Separatismus spricht die breite kirchliche, gesellschaftliche und politische, auch internationale Vernetzung mit unterschiedlichsten Organisationen bis hin zu den Vereinten Nationen, keineswegs nur auf der „Frauenschiene“. Mit ihrer gesellschaftlich-politischen Rolle tragen die katholischen Frauenverbände dazu bei, den christlichen Auftrag zur Gesellschaftsverantwortung konkret umzusetzen.

Zugleich zeigt sich im Engagement der katholischen Frauenverbände als Organisationsform der konfessionellen Frauenbewegung nicht nur historisch der typische Spagat zwischen Tradition und Emanzipation. Er findet auch statt zwischen einem kirchlich geprägten, über lange Zeit von naturrechtlichen Argumenten gestützten traditionellen Frauenbild, das Mutterschaft und Familienaufgaben (exklusiv) fokussierte, und dem Streben moderner Frauen nach Beteiligung und Verantwortung in den öffentlichen Sphären von Gesellschaft, Politik und Kirche. In diesem Spannungsfeld haben sich die Frauenverbände unterschiedlich positioniert. Im Zuge der Veränderungen gesellschaftlicher Geschlechterrollen und Beteiligungsmuster sowie der daran anknüpfenden gesteigerten Beteiligungserwartungen von kirchlich engagierten Frauen im Feld der Pfarreien, der diakonischen Praxis und des organisierten Laienkatholizismus (ZdK) nehmen die meisten Frauenverbände eine gestaltende, konstruktiv kritische Rolle ein und sind ein auch gesellschaftspolitisch wahrgenommener kirchlicher Akteur. In der Kirche und für sie wirken sie als Ort der Selbstvergewisserung und des Empowerment von Frauen als aktive Mitglieder und Vertreterinnen ihrer Kirche. Sie sind Sprachrohr der Lebens- und Glaubenserfahrungen von Frauen und daher auch ein Stachel im Fleisch der Institution, insofern sie fortdauernde ekklesiale Beteiligungsdefizite nicht einfach hinnehmen, sondern das Ringen um Anerkennung und gleichberechtigte Partizipation im innerkirchlichen Kontext und in den von der kirchlichen Einflusssphäre mitbestimmten Berufsfeldern als Teil ihres Auftrags begreifen.

Geschöpfliche Gleichheit und wechselseitige Anerkennung der Würde

Unter diesem Vorzeichen sind auch die Zusammenschlüsse weiblicher Berufsgruppen in der Kirche zu nennen: Das Streben nach Sichtbarkeit, Anerkennung und Interessenvertretung spiegelt sich in Berufsvereinigungen – beispielsweise der Pfarrhaushälterinnen und der Gemeindereferentinnen –, aber auch in dem Verein „AGENDA – Forum katholischer Theologinnen“, der 1998 als Netzwerk und Lobby für Theologinnen in akademischen und anderen Berufsfeldern (www.agenda-theologinnen-forum.de), wiederum aus dem KDFB heraus, gegründet wurde.

Die innerkirchlichen Verständigungsprozesse der vergangenen Jahre – der „Gesprächsprozess“ in Deutschland und die Befragungen der Gläubigen im Kontext der beiden römischen Bischofssynoden zur Familienpastoral – wurden von den Frauenverbänden (wie auch von den Jugendverbänden) intensiv mitgetragen und als Rahmen für die Artikulation von Erfahrungen aktiv genutzt. Die Ämterfrage verfolgen die Verbände moderat, aber beharrlich – zur Zeit vor allem mit dem jährlichen Tag der Diakonin (am Festtag der Heiligen Katharina von Siena, dem 29. April), der inzwischen durch das Zentralkomitee der Katholiken insgesamt mitgetragen wird.

Wie nahezu alle Vereine und Verbände freiwilligen Engagements in der Gesellschaft bleiben auch die konfessionellen Frauenverbände von den demografischen Veränderungen und dem Wandel der Engagementformen nicht unberührt. Der Alterung (und damit Schrumpfung) der Mitgliedschaft steht die Suche nach Konzentration und Ausweitung von Arbeitsfeldern, Arbeitsformen und Beteiligungsmöglichkeiten für neue Interessentinnen gegenüber. Der springende Punkt ist es, die Lebenswirklichkeit von Frauen zu treffen, Plattformen gemeinsamen Engagements zu schaffen und sonst schwach organisierten Anliegen Gehör zu verschaffen.

Grundlage ist ein Verständnis des Geschlechterverhältnisses, das – unabhängig von Herkunft, religiöser Prägung und Lebensform – das Zusammenleben in Gesellschaft und Kirche auf geschöpfliche Gleichheit und wechselseitige Anerkennung der Würde gründet. In allen Dimensionen des individuellen und gemeinschaftlichen Lebens ist dafür einzutreten. Auf einem solchen Fundament kann das Engagement katholischer Frauenverbände auch künftig gedeihen. Es sollte vor allem Bildung und soziale Inklusion von Mädchen und Frauen in prekären Lebenslagen, in Zukunft verstärkt auch von Geflüchteten, fokussieren. Katholische Frauenverbände sollten ihre Erfahrung, ihre Strukturen und ihr personelles Potenzial vor allem für Beteiligung und Inklusion jener einsetzen, die aus Gründen der Geschlechtszugehörigkeit und der sexuellen Orientierung oder sozialer und ethnischer Diskriminierung in Gesellschaft und Kirche (!) an den Rand zu geraten drohen. Diakonische Handlungsfelder sind dafür ebenso wichtig wie politische Lobbyarbeit und die Präsenz in den kirchlichen Gemeinden, in denen die Frauenverbände seit jeher eine tragende pastorale Kraft darstellen (vgl. grundsätzlich auch: Gisela Muschiol [Hg.], Katholikinnen und Moderne. Katholische Frauenbewegung zwischen Tradition und Emanzipation, Münster 2003).

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