Es war anlässlich einer Kardinalserhebung, als der Apostolische Palast vor Jahren ausnahmsweise für das breite Publikum geöffnet wurde. Gratulanten, Freunde und Angehörige der neuen Purpurträger sowie schaulustiges Volk wogten durch die sonst verschlossenen Renaissance-Säle. Ein Prälat, Mitarbeiter des Staatssekretariats, deutete mit sanfter Hand auf die prachtvollen Fresken und raunte: „Stellen Sie sich erst mal vor, wie das ist, wenn man hier jeden Morgen zum Büro geht, und alles menschenleer.“
Die Kurie – das geheime Herz der katholischen Kirche: Selbst Beschäftigte, die täglich aus und ein gehen, können sich der Aura des Überzeitlichen oft nicht entziehen. Eigentlich besteht die Aufgabe der Kurie schlicht in der administrativen Unterstützung des Papstes bei der Leitung der 1,3 Milliarden Katholiken weltweit. Aber in ihren Räumen, Strukturen und Gebräuchen hält sie vielfach Erinnerungen an den päpstlichen Hof und den untergegangenen Kirchenstaat lebendig. Wie das biblische Gleichnis vom neuen Flicken auf dem alten Kleid lehrt, neigt das zu Spannungen.
Besonders seit dem Pontifikat von Franziskus sind die Dinge wieder in Bewegung. Schon vor seiner Wahl im März 2013 war der Wunsch zu vernehmen, die Zentrale in Rom solle stärker im Dienst der Ortskirchen arbeiten. Der unkonventionelle Jesuitenpapst aus Argentinien stieß in die gleiche Richtung und sprach sich für eine harmonischere, effizientere und transparente Zusammenarbeit in der Kirchenleitung aus, verbunden mit dem Ziel der „Synodalität und Kollegialität“.
Seither entstanden etliche Neuerungen und Baustellen. Als Schlüsselzug erwies sich die Berufung eines eigenen Kardinalsrats mit Vertretern aller Kontinente – er ermöglicht dem Papst, Reformentscheidungen durch ein Gremium zu legitimieren, sie formell an die Kirche in den unterschiedlichen Weltteilen anzukoppeln und wie mit einem Bypass bestehende Kurieneinrichtungen zu umgehen.
Zu den Früchten des Kardialsrats, dem auch der Deutsche Reinhard Marx angehört, zählen (neben der Erarbeitung der neuen Kurienordnung) die Neuordnung des Ressorts Finanzen und Controlling mit Wirtschaftssekretariat, Wirtschaftsrat und Revisionsstelle (Februar 2014), die Kinderschutzkommission (März 2014), die Bündelung der Medienaktivitäten (ab Juni 2015), die Zusammenlegung früherer Räte zu einem neuen Dikasterium für Laien, Familie und Leben sowie eine entsprechende Behörde für Entwicklungs- und Menschenrechtsfragen, die beide 2016 ins Leben gerufen wurden.
Klein und doch schwer zu durchschauen
Lag über dem Schaltwerk hinter den Vatikanmauern, in den Palazzi längs der Via della Conciliazione und in ein paar weiteren Außenstellen in der Stadt Rom immer schon der Hauch des Mysteriösen, so ist es im Gang der aktuellen Reform teils noch undurchschaubarer geworden. Dabei ist der Personalumfang gemessen an den Zuständigkeiten relativ schmal: Aktuell 2.485 Angestellte zählt der (von den Einrichtungen des Vatikanstaats zu trennende) Heilige Stuhl laut dem Wirtschaftssekretariat – inklusive Pförtner, Fahrer, Mitarbeiter in den diplomatischen Vertretungen bei 183 Staaten weltweit. Zum Vergleich: Beim Auswärtigen Amt in Berlin stehen 11.650 Namen auf der Gehaltsliste.
In der römischen Kirchenzentrale verteilen sich die Beschäftigten auf eine Vielzahl von Einzelorganen unterschiedlichen Profils und Gewichts: Die neu geschaffenen Behörden „Laien, Familie und Leben“, „Dienst an der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen“ und „Kommunikation“ nennen sich Dikasterien; hinzu kommt das einflussreiche neue Wirtschaftssekretariat. Daneben gibt es die klassischen neun Kongregationen, die eigene Normen aufstellen können, und fünf (statt früher elf) Päpstliche Räte, deren Äußerungen eher orientierenden Charakter haben, ferner die drei Gerichtshöfe und fünf Päpstliche Kommissionen (darunter die Kinderschutz-Kommission). Unter 17 weiteren Einrichtungen sind das aufgewertete Synodensekretariat und der Wirtschaftsrat unter Leitung von Kardinal Reinhard Marx hervorzuheben. Zehn Päpstliche Akademien sorgen darüber hinaus für die Pflege der Wissenschaft und Kultur.
Landläufig gilt die Glaubenskongregation als wichtigste Kongregation – seit Pius X. (1903–1914) hängt ihr der Titel Suprema („die Oberste“) an. Auch wenn natürlich die Behörde unter Leitung des spanischen Jesuiten und Kardinals Luis Ladaria weiter über Glaube und Sitten wacht und dafür die Hilfe eines Stabs theologischer Berater in Anspruch nimmt, hat sich ihre Stellung etwas abgeschwächt. Abgesehen davon, dass wie andernorts die Musik eher dort spielt, wo Personalentscheidungen getroffen und Finanzen kontrolliert werden, scheint im Unternehmensleitbild der Kirche das Gewicht auf die Evangelisierung überzugehen.
Die Glaubenskongregation findet derzeit mit ihrer Disziplinarabteilung mehr Aufmerksamkeit: Seit 2001 für „schwerwiegende Delikte“ zuständig, arbeiten die Kirchenjuristen im Palazzo del Sant’Ufficio die nicht unerhebliche Zahl von Missbrauchsfällen ab. Verfahren gegen vertuschende Bischöfe fallen übrigens in die Komptetenz jener Kongregationen, die allgemein bischöfliche Personalfragen behandeln, also die Bischofs-, Missions- oder Ostkirchenkongregation (analog die Ordenskongregation für Ordensobere) – ein bisschen Verwirrung muss sein.
Wo die Fäden zusammenlaufen: das Staatssekretariat
Organisatorisch laufen die Fäden im Staatssekretariat zusammen. Hier, im Apostolischen Palast, offenbaren sich Stärke und Schwäche der schlanken Struktur: Theoretisch können Informationen in wenigen Hierarchieschritten von der Basis an die Spitze gelangen; die Wege im Staatssekretariat sind kurz, viele Mitarbeiter der unterschiedlichen Sprachabteilungen und Ressorts kennen sich persönlich. Andererseits verteilt sich die Last der inhaltlichen Aufgaben auf kaum 150 Sachbearbeiter. Ihnen kommen außer internen Vorgängen Anliegen aus aller Welt auf den Tisch, aber auch Anfragen der beim Heiligen Stuhl akkreditierten Botschafter, von denen allein 89 in Rom residieren; damit gerät der eigentlich lächerlich kleine Personalstamm hinsichtlich Arbeitskraft, Fach- und Sprachkompetenz leicht an Grenzen.
Neuerdings berichten Prälaten von einem neuen Gespenst in den Gängen des Staatssekretariats: Sparzwang. Seit der Peterspfennig nicht mehr so reichlich regnet, werden frei gewordene Stellen nicht unbedingt nachbesetzt. Vorerst sucht man Spielräume bei den unteren Gehaltsklassen auszuschöpfen – Portieren und Hausmeistern etwa. Auch soll es Überlegungen geben, die Beschäftigungszeiten höherer Dienstgrade – meist Geistliche internationaler Bistümer und Ordensgemeinschaften – so zu befristen, dass sie keine vollen Pensionsansprüche im Vatikan erwerben.
Aus seiner bewegten Geschichte vereint das Staatssekretariat Züge von Staatskanzlei, Außen- und Innenministerium. Der Mann an der Spitze, seit Oktober 2013 der italienische Kardinal Pietro Parolin, ein erfahrener Diplomat, hat damit eine Machtfülle wie kein anderer nach dem Papst. Er gilt gegenüber dessen Reformanliegen als aufgeschlossen, ohne sie sonderlich voranzutreiben. Faktisch hält der Kardinalstaatssekretär das Steuer der Kurie; nach außen dient er als politisches Sprachrohr des Papstes. Darum führen Staats- und Regierungschefs auf Vatikanbesuch in der Regel auch eine Unterredung mit Parolin, der üblicherweise von seinem Außenamtsleiter begleitet wird. Was der Vatikan anschließend als Gesprächsinhalte verlautbart, bezieht sich ununterscheidbar auf das Treffen mit dem Kardinalstaatssekretär wie auf die Audienz beim Papst.
Unter Parolin amtiert in der Rolle eines Außenministers, wenngleich ohne echte Ressorthoheit, der britische Kurienerzbischof Paul Richard Gallagher. Neben seiner Sektion für die Beziehungen mit den Staaten, die beispielsweise für Konkordate und bilaterale Abkommen zuständig ist, gibt es die Sektion für Allgemeine Angelegenheiten. An ihrer Spitze steht mit dem Titel eines Substituten seit Oktober der Venezolaner Edgar Peña Parra, ebenfalls im Rang eines Erzbischofs. Seine Abteilung ist ähnlich einer Staatskanzlei für die Koordinierung der Regierungsarbeit zuständig, aber auch für die Veröffentlichung päpstlicher Dokumente und unterschiedlichste Anfragen aus der Weltkirche. Etwa 40 Prozent der Arbeitszeit, so ein Mitarbeiter, gehen allein in Übersetzungstätigkeit. Eine frühere Aufgabe der Abteilung, der Kontakt zum diplomatischen Personal, wurde inzwischen in eine neugeschaffene Dritte Sektion unter dem Polen Erzbischof Jan Romeo Pawłowski ausgelagert.
In der Entscheiderebene dominieren Kleriker im Rentenalter
Der Leiter der Allgemeinen Sektion besitzt einen nicht unerheblichen Einfluss auf Personalentscheidungen und Finanzen. Peñas Vorgänger Giovanni Angelo Becciu sagte man hier ein besonderes Gespür nach; er wurde vergangenen Juni zum Kardinal erhoben und, da kein Kardinal unter einem anderen dient, mit der Leitung der Heiligsprechungskongregation betraut. Der 59-jährige Peña gilt als einer, der frischen Wind bringt, ein Organisator, der durch die Büros geht und die Arbeit optimieren will. Viele Kurienchefs hingegen scheuen vor solchen Relaunchs zurück, schon gar vor dem Einsatz professioneller Organisationsberater.
Das wirft Licht auf ein systemisches und menschliches Problem. Franziskus predigte wiederholt gegen Eitelkeiten und Karrieredenken in der Kurie; er erinnerte seine Mitarbeiter an den Dienstcharakter ihrer Ämter und versprach, mit der alten Praxis des promoveatur ut amoveatur, der Beförderung als Mittel zur Entfernung untauglicher Amtsinhaber, Schluss zu machen. Tatsächlich aber schleppt die Kurie nicht nur ihr höfisches Erbe mit, sondern spiegelt auch die eigentümliche Verquickung der sakralen und der irdisch-organisatorischen Seite der Kirche wider, so dass nach wie vor bestimmte Leitungsfunktionen bestimmte geistliche Würden verlangen und Sachkompetenz mithin nicht als erstes Kriterium für eine Berufung gilt.
In der Entscheiderebene dominieren Kleriker im Rentenalter, denen Innovation, vernetztes Denken und neue Führungskonzepte oft eher fremd sind. Die Dikasterien in sich weisen eine streng hierarchische Ordnung auf. Auskunftsbefugt sind allein die Behördenleiter, nicht aber Fachreferenten. Personalentwicklung ist praktisch unbekannt; die allgemeine Kurienordnung gesteht Mitarbeitern, gleich ob geweihten Standes oder Laie, sechs Tage jährlich Sonderurlaub für geistliche Exerzitien zu, aber keine Fortbildungen. Möglichkeiten einer individuellen Arbeitsgestaltung wie Gleitzeit oder home office fehlen.
Dabei weht in den einzelnen Dikasterien ein durchaus unterschiedlicher Geist. Da gibt es als Präfekten der Gottesdienstkongregation den eher in sich gekehrten Kardinal Robert Sarah, dessen Publikationstätigkeit und häufige Abwesenheit zu Vortragsreisen seine Mitarbeiter nach eigenem Bekunden nicht daran hindern, selbstständig und effizient ihrer Arbeit nachzugehen. Da ist der kuriose Fall des Wirtschaftssekretariats: Sein erster Chef, Kardinal George Pell, der 2014 als Aufräumer der Vatikan-Finanzen antrat, kam sich alsbald mit dem ähnlich einflussreichen Substituten Becciu ins Gehege. Im Juni 2017 musste Pell sich für den Missbrauchsprozess in seiner australischen Heimat beurlauben lassen, im Februar 2018 wurde sein Vize Alfred Xuereb als Nuntius nach Ostasien entsandt, und niemand scheint irritiert, dass die Behörde, die eigentlich als Schlüsselressort im Rahmen der Kurienreform gegründet worden war, mittlerweile von ihrem dritten Mann Luigi Mistò dauerprovisorisch verwaltet wird.
Auf der anderen Seite stehen nach außen sehr präsente Behördenleiter wie Kardinal Peter Turkson oder Kardinal Gianfranco Ravasi: Turkson, an der Spitze des zwei Jahre alten „Dikasteriums für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen“, tritt regelmäßig mit prominent besetzten internationalen Konferenzen zu Themen wie Recht auf Trinkwasser, Rassismus und Populismus oder Korruption in Erscheinung. Sein für die Sektion „Migration und Flüchtlinge“ zuständiger Untersekretär Michael Czerny mischte als Vatikanvertreter intensiv bei der Vorbereitung des UN-Gobalpakts für Migration mit. Der gewandt und eloquent auftretende Ghanaer Turkson leistet sich auch – ungewöhnlich für den Vatikan – eine eigene aktive Pressearbeit. Ravasi, seit 2007 Leiter des Päpstlichen Kulturrats, pflegt ebenso medienwirksam Kontakte zu Kulturschaffenden und Nichtglaubenden und zählt mit seinen 76 Jahren zu den wenigen Kurialen, die gewandt und mit Esprit in sozialen Netzwerken agieren.
Traditionelle Diskretion oder neue Offenheit?
Im Ganzen zeigt sich die Kurie noch unentschlossen, ob sie sich auf den Marktplätzen der Welt offener präsentieren oder ihre althergebrachte Diskretion pflegen soll. Bisweilen ist es die unauffällige, leise Graswurzelarbeit eines Päpstlichen Rats für interreligiösen Dialog, die einer historischen Papstreise auf die Arabische Halbinsel voraufgeht, oder die „Kulturdiplomatie“ der Vatikanischen Museen, die über Ausstellungsprojekte Kontakte nach Moskau oder Peking knüpft. Auch die Tagungen der Päpstlichen Akademien der Wissenschaften und Sozialwissenschaften mit oft hochkarätigen Gästen scheinen Teil der Strategie der Kirchenleitung, das Gespräch mit nichtkatholischen Akteuren zu suchen und für gemeinsame Anliegen zu werben.
Vor gut zwei Jahrzehnten tat der Vatikan den Schritt ins Internet, mit drei Servern, die nach den Erzengeln Gabriel, Michael und Raphael benannt waren. Natürlich diente der Verkündigungsengel Gabriel als Patron für den Mailverkehr, während der Paradieshüter Michael über die Firewalls zu wachen hatte. Die Kurie nahm die neue Technologie durchaus nicht mit offenen Armen an. Noch vor wenigen Jahren konnten Mitarbeiter der Bildungskongregation von Dienstrechnern nicht auf die eigene Internetseite zugreifen: Weil dort von Gefahren der Kinderpornografie die Rede war, wurden die Inhalte, Sankt Michael sei Dank, automatisch blockiert.
Inzwischen verfügen praktisch alle Amtsstellen über einen mehr oder weniger uneingeschränkten Internet- und E-Mail-Zugang. Gleichwohl hält sich für die interne und externe Kommunikation weiterhin die traditionelle Papierform. Auch telefonische Anfragen werden häufig mit der Bitte beantwortet, doch einen Brief oder ein Fax zu senden.
Pannen, die aus der Kurie nach außen dringen, lassen ahnen, was alles intern nicht rund läuft. Exemplarisch die Affäre um den Traditionalisten-Bischof Richard Williamson: Benedikt XVI. (2005–2013) hob im Januar 2009 die Exkommunikation Williamsons auf, die er sich durch seine unerlaubte Bischofsweihe zugezogen hatte. Es war als versöhnliches Signal gedacht. Nun hatte Williamson kurz zuvor in einem Interview den Holocaust geleugnet. Das Presseamt, das mit seinen zwei Dutzend Mitarbeitern eine beachtlich gute Medienauswertung betreibt, wusste davon. Es hätte also von der geplanten Rehabilitierung rechtzeitig abraten können – wenn denn das Staatssekretariat den Pressestab von dieser Planung vorab informiert hätte. Ein Beispiel für Nichtkommunikation im größten Verkündigungsbetrieb der Welt. Der Image-Schaden für die Kirche: erheblich.
Was die Kurie aus solchen Debakeln gelernt hat, ist fraglich. Das Presseamt des Heiligen Stuhls sollte so etwas wie ein Aushängeschild einer transparenteren, effizienteren, weltzugewandten Kirchenleitung werden. Die Berufung des US-Journalisten Greg Burke und der Spanierin Paloma Garcia Ovejero zum Leitungsduo 2016 versprach eine Internationalisierung und Professionalisierung. Bei vielen positiven Neuerungen blieb aber der Schwung des Aufbruchs letztlich im Dickicht der Institutionen und Instanzen stecken. Zu oft mussten Burke und Garcia Auskünfte und Stellungnahmen verweigern, weil sie offenbar selbst nicht die nötigen Informationen oder Autorisierungen erhielten. Vergangenen Silvestertag warfen beide das Handtuch (vgl. HK, Februar 2019, 9–10). Tags darauf änderte Garcia ihr Profilbild bei WhatsApp in ein Foto aus der Schlussszene der Romanverfilmung „Alexis Sorbas“. Dort fragt Anthony Quinn alias Sorbas: „He Boss – hast du jemals erlebt, dass etwas so bildschön zusammenkracht?“
Regierung ohne Kabinettssitzungen
Traditionell und unbeschadet aller Reformen ist die Kurie auf den Papst zentriert. Er ist es, der die Leiter aller Organe ernennt, entlässt, ihnen Richtlinien vorgibt und sie zu Besprechungen einberuft. In der Regel einmal wöchentlich ist der Präfekt der Bischofskongregation, Kardinal Marc Ouellet, in Personalangelegenheiten zur Audienz, ebenfalls recht häufig Kardinal Fernando Filoni, der als Präfekt der Kongregation für die Evangelisierung der Völker für die Bistümer in den ehemaligen Missionsgebieten zuständig ist. Meist alle zwei Wochen kommt Glaubenspräfekt Ladaria zum Papst, um Routinesachen abzeichnen zu lassen oder heikle Fälle zu erörtern.
Anlassbezogen treten die Spitzen einzelner Behörden – üblicherweise Leiter und Sekretäre – auch zu bilateralen Treffen zusammen. Was fehlt und von manchen als Desiderat bezeichnet wird, sind regelmäßige Kabinettssitzungen, in denen Papst und Kurienchefs aktuelle Anliegen besprechen. Eine gewisse Vernetzung der Behörden ergibt sich auch dadurch, dass die Leiter eines Dikasteriums zugleich Mitglied eines anderen sind und so an dessen turnusmäßigen Sitzungen teilnehmen. Aber das Synodalitätsprinzip, das Franziskus als Prinzip der Kirchenleitung fordert, findet innerhalb der Kurie bislang keine Entsprechung in Strukturen einer diskursiven Meinungsbildung.
Zum geschmeidigen und effizienten Funktionieren des Kurienapparats tragen vor allem direkte Drähte auf der Arbeitsebene bei. Solche interdikasteriellen Kontakte beruhen oft auf Eigeninitiative und auf landsmannschaftlichen Verbindungen, für die wiederum das Zusammenleben in nationalen Priesterkollegs ein wesentlicher Faktor ist. Der informelle Austausch unter Mitarbeitern einer Sprachgruppe über die Ämtergrenzen hinweg wird, so ist zu hören, von den Oberen begrüßt, wäre aber noch ausbaufähig.
Was hier zum Tragen kommt, ist die seit Johannes Paul II. (1978–2005) vorangetriebene Internationalisierung der Kurie. Das entspricht auch dem Wunsch von Franziskus, die Zentrale zu einem Ort des kontinuierlichen Austauschs mit der Ortskirche zu machen. Am ehesten funktioniert das Modell mit Geistlichen, die leicht versetzbar sind, keine hohen Gehaltsansprüche haben und billig in Ordens- und Priesterhäusern einzuquartieren sind. Der Wunsch des Heiligen Stuhls, priesterliche Kurienarbeiter mögen sich an Wochenenden in Pfarreien engagieren, hilft zudem, das seelsorgliche Angebot in der Stadt Rom solide zu halten.
Laien in der Klerikerbastion
Eine gängige Entsendungsfrist an die Kurie beträgt fünf Jahre; das erleichtert Bischöfen und Ordensoberen, einen Mitarbeiter für den Dienst in der Zentrale freizustellen, wird aber von den Betreffenden oft als zu kurz beurteilt. Um die erworbene Erfahrung und die aufgebauten Netzwerke fruchtbringend zu nutzen, wären Stehzeiten von zehn Jahren wünschenswert, heißt es. Bislang ist nicht einmal eine Einarbeitung durch den Vorgänger die Regel, sondern schlicht „ein Sprung ins kalte Wasser“, wie ein Sachbearbeiter an einer Kongregation sagt.
Franziskus hat sich auch eine stärkere Beteiligung von Laien auf die Fahne geschrieben. Hier müssten zumindest für ausländische Interessenten die Konditionen noch attraktiver werden. Das Grundgehalt für einen Abteilungsleiter, also auf der höchsten Stufe unterhalb der Chefetage, beträgt laut der Vergütungstabelle von 2014 (zwischenzeitlich gab es mehrfach einen Inflationsausgleich) rund 2.630 Euro. Als Trostpflaster kommt ein 13. Monatsgehalt hinzu, eine schlanke 36-Stunden-Woche, diverse zusätzliche Feiertage, die vatikanischen Sozialleistungen und der steuerfreie Einkauf im Vatikan-Supermarkt.
Trotzdem genügt nicht einmal Idealismus, um zu diesen Konditionen als akademische Fachkraft aus Deutschland mit Familie für fünf Jahre nach Rom zu ziehen, eine Wohnung von 1.500 Euro aufwärts zu mieten und die Kinder auf die teure deutsche Schule zu schicken. Viele müssen sich die Frage schon deswegen nicht stellen, weil das Bewerbungs-Höchstalter für Nichtkleriker im Vatikan bei 35 Jahren liegt. Es trifft zu, dass mehr Laien, unter ihnen auch zahlreiche Frauen, für den Heiligen Stuhl arbeiten – aber in der Tendenz läuft diese Entwicklung auf eine wieder stärkere Präsenz von Italienern in der Kirchenleitung hinaus.
Das Profil der Kurie hat sich in den letzten Jahren beträchtlich verändert und ist weiter im Fluss. Die Erwartung des Neuen, teils auch Beunruhigung ist unter den Beschäftigten rings um den Petersdom spürbar. Als roten Faden der Baugeschichte von Sankt Peter machte der Kunsthistoriker Horst Bredekamp das „Prinzip der produktiven Zerstörung“ aus: Nicht der Kompromiss mit dem Vorgefundenen, sondern das beherzte, manchmal dreiste Ausradieren früherer Konzepte ließ demnach die Basilika entstehen, die heute als Symbol katholischer Beständigkeit Millionen in den Bann zieht. Die ähnlich geschichtsträchtige römische Kurie folgte bislang einer gegenteiligen Maxime.