Seit diesem Jahr lebt ein kleines Mädchen in Ägypten und heißt „Facebook“. Die Geschichte ging als liebenswerte Anekdote rund um den Erdball: Die Eltern, engagiert im nationalen Befreiungskampf gegen das Mubarak-Regime, wollten sich mit der Namensnennung für ihr Baby bei jener Institution bedanken, ohne die der Aufstand niemals geglückt wäre – dem sozialen Netzwerk „Facebook“. Hier hatte man den Radar der offiziellen Nachrichtenzensur unterfliegen können und sich gegenseitig mobilisiert. Hier aber hatte man auch die Weltöffentlichkeit informiert über das, was während der Revolution auf dem Kairoer Tahrir-Platz geschah. Barrikaden kann man einreißen, Redaktionen schließen und Radiosender stürmen – aber man kann nicht jedem Bürger das Fotohandy wegnehmen, seine Tastaturen zertrümmern oder die Kabelverbindungen kappen. Und darum waren unsichtbar und unhörbar Millionen von Augen und Ohren in Kairo dabei: Beteiligt durch „Youtube“-Videos, Blog-Einträge, Fotos auf „flickr“, Tweets auf „Twitter“, Status-updates auf Facebook, Liveaudiofiles und „rss-feeds“. Das Regime kämpfte gegen gleich mehrere, gegen Hunderte Öffentlichkeiten – und musste weichen. Bald wird die kleine Facebook laufen und springen können – und sicher fragt sie bald ihre Eltern, wann sie ihr erstes „iPhone“ bekommt.
Rasanter technischer Wandel
Keine Frage, die Neuen Medien haben unser Kommunikationsverhalten und damit unsere Welt verändert. Und es sieht nicht so aus, als würde der digitale „Hype“ sich in Zukunft abschwächen. Lesegeräte wie das „iPad“, neue Möglichkeiten wie „Augmented reality“-Anwendungen auf Smartphones und natürlich auch solche Politskandale wie „Wikileaks“ oder der schnelle Fall des Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg sorgen weiter zuverlässig dafür, dass wir uns modern fühlen, wenn wir surfen – nicht, wenn wir anderen dabei zusehen.
Es ist dabei müßig, mit Zahlen zu argumentieren. Heute spricht man von etwa 600 Millionen Menschen, die ein Konto im sozialen Netzwerk „Facebook“ unterhalten. Man hört von etwa 300 000 mobilen Applikationen für Smartphones (so genannte „Apps“) und von einer nahezu kompletten Sättigung des Handy-Marktes bei jungen Leuten im Alter von 12 bis 19 Jahren (vgl. Uwe Hasebrink / Claudia Lampert, Kinder und Jugendliche im Web 2.0, in: Aus Politik und Zeitgeschichte Nr. 3/2011, 3 ff.). Aber was bedeutet das schon? Übermorgen schon werden die Zahlen sich rapide verändert haben.
Was man begründet vermuten kann, ist nur: Die Zahlen werden weiter steigen. Und das so rasant schnell, dass man zum Greis mutiert, wenn man die Jüngeren darauf hinweist, dass Telefone früher noch Kabel hatten und man noch den Geschmack von gummierten Briefmarken auf der Zunge kannte. Wie lang das her ist? Soziale Netzwerke, SmartPhones und „YouTube“ gibt es erst vier Jahre. Trotzdem scheint es undenkbar, die gelernten Routinen zurückzuschrauben.
Allein die schiere Quantität des Phänomens kann als ein erster Grund dafür genommen werden, das Netz als einen auch pastoral „heißen“ Ort zu respektieren. Zwar gehen hier die Meinungen über die fälligen Strategien stark auseinander. Aber dass man als Kirche im Netz geschaltet sein sollte, leuchtet doch den Meisten ein. Zumal der Papst vorangeht: Benedikt XVI. nutzt seit einigen Jahren den jährlich am 24. Januar (Todestag von Franz von Sales) terminierten katholischen „Welttag der sozialen Kommunikationsmittel“, um für das „Web“ als Evangelisierungschance zu werben. Dabei bedient er sich durchaus kämpferischer Rhetorik: 2009 hieß es, die jungen Christen sollten den „digitalen Kontinent“ missionarisch erobern; 2010 wurden den Priestern die Aufgabe zugewiesen, „dem Kommunikationsstrom des Internet eine Seele zu geben“; und in diesem Jahr forderte der Papst die Christenheit auf, im Netz selber kulturwirksam zu werden und eine eigene „christliche Stilpräsenz“ zu kreieren.
Zwei Dinge fallen an diesen Botschaften auf: Erstens gilt manchem wegen solcher Sätze Benedikt XVI. sogar schon als „Papst des Internet“, der den „Papst der Bilder“, Johannes Paul II., in guter Weise beerbt habe. Zwar weisen Journalisten süffisant darauf hin, dass er weltweit erst knapp 1000 „Freunde“ auf seinem vatikanischen „Facebook“-Account verzeichnen kann, „die Päpstin“ aber fast 20 000 und Lady Gaga als Publikumsabräumerin Nummer eins fast 27 Millionen. Aber trotzdem: Unter Benedikt XVI. hat der Vatikan seine Internetpräsenz massiv ausgebaut, einen eigenen mehrsprachigen „„YouTube“-Channel“ mit dem Namen „vatican“ eröffnet, diesen mit den sozialen Netzwerken und einem „E-Card-Service“ an Priester verlinkt und sogar eigene „Apps“ fürs iPhone entwickeln lassen, die unter „www.pope2you.net“ zu finden sind (vgl. HK, Mai 2010, 236 ff.).
Muss der digitale Kontinent missioniert werden?
Das Zweite ist vielleicht ebenso programmatisch: Das „Web“ wird kirchlicherseits vor allem als Sphäre angesehen, der man etwas zu geben habe. Der Papst – und mit ihm eine Vielzahl pastoraler Stimmen – argumentiert im Zuwendungsparadigma: Da ist ein neuer Kontinent, der braucht jetzt eine Seele und einen christlichen Stil. Aus diesen Worten spricht sicher keine missionarische Goldgräberstimmung. Aber implizit wird doch ausgedrückt, dass das „Web“ sich selbst überlassen sozusagen auswuchert, aus sich heraus wenig ethische Selbstkorrektur aufbringt, irgendwie wild und stil- und seelenlos sei und viele Gefahren berge.
Dieses eher vorsichtige Abschätzen und der sofort einrastende Ethik- und Pädagogikreflex ist seltsam typisch für kirchliche Erst- und Zweitreaktionen auf mediale Neuerungen, seien dies TV, Kino, Privatfernsehen, PC oder eben jetzt Web 2.0. Fast schon klassisch stehen sich mit Medien und Religionsgemeinschaften zwei ungleiche Schwestern gegenüber. In seinem Buch „Ende der Vorstellung – Die Poesie der Medien“ hat der Germanist Jochen Hörisch gezeigt, dass die Buchreligionen seit jeher skeptisch sein müssen angesichts der Entdeckung, „wie elegant sich jenseits der Buchstabengitter Wirklichkeit einfangen und schalten lässt“. Denn: „Wer Grund zu dem Glauben hat, das ‚Reale‘ aufzeichnen sowie weiter- und wiedergeben zu können, ist auf tradierte (…) Formen der Vorstellung des Nichtpräsenten nicht mehr so sehr angewiesen wie zuvor.“ (Frankfurt 1999, 26 f.; vgl. auch 11 ff.).
Die einschlägig verfügbaren Zahlen bestätigen diesen defensiven Umgang mit den neuen Möglichkeiten. Der im Sommer letzten Jahres erschienene Trendmonitor „Religiöse Kommunikation 2010“ der MDG Medien-Dienstleistung GmbH (ein Institut der DBK) untersucht das Medienverhalten deutscher Katholiken ab 16 Jahre. Hier wird zunächst festgestellt, dass die Katholiken im Internetverhalten voll im Bundesdurchschnitt liegen, hier ihre -„E-Mails“ laden, sich informieren und vor allem einkaufen (vgl. HK, Juli 2010, 344 ff.)
Allerdings sorgt die mit der quantitativen Empirie verbundene qualitative Milieuperspektive sogleich für ein differenziertes Bild: Es sind vor allem die modernen, technik-affinen Lebensstile wie die der „Modernen Performer“ oder der „Etablierten“, die das Medium aktiv nutzen und mehr daraus machen als ein Schwarzes Brett, einen Postkasten oder einen regenfreien Einkaufsbummel. Das Problem: Diese „jungen Wilden“ sind leider eher kirchenfern. Der Monitor formuliert lakonisch: „Das Online-Nutzerpotenzial von Personen mit hohem Interesse an religiösen Themen kann wegen der (bislang noch) geringen Affinität dieser Personengruppe zum Internet nur zum Teil ausgeschöpft werden“ (vgl. Medien-Dienstleistung GmbH, MDG-Trendmonitor Religiöse Kommunikation 2010, 2 Bän-de, München 2010).
Ein Medium sucht seine Benutzer. Nur 1 Prozent (!) aller Katholiken besucht die Angebote ihrer Kirche im Internet „häufig“, weitere 10 Prozent „ab und zu“. Umgekehrt stellt man interessanterweise fest, dass genau diejenigen Katholiken eine hohe Internetaffinität haben, die sich vom traditionellen Medienangebot der Kirche nicht erreichen lassen – dies allerdings auch nicht, um sich nun im Netz über religiöse Themen zu informieren.
Es gibt offenbar durchaus eine beträchtliche Anzahl surfender Katholiken, die aber im Netz nichts passendes Katholisches für sich finden, weil der typisch traditionelle Katholik seine Mediendistanz pflegt und religiöse Interessen lieber über die alten Medien, wie religiöses Buch oder katholische Zeitschrift, absättigt. Junge, moderne und kirchenkritische Zielgruppen werden über das Internet bisher so gut wie gar nicht erreicht.
Dabei zeigt die differenzierte Analyse des Projektes zum Beispiel, dass experimentalistisch geprägte Zeitgenossen ein überdurchschnittlich hohes Surf-Interesse an Sinnfragen und an Lebenshilfe haben, allerdings ebenso weit überdurchschnittlich gerade der Kirche nicht zutrauen, Relevantes für sie aussagen zu können. Das Internet bietet noch enorm viel pastorale Gestaltungsfläche: Auf „YouTube“ werden zum Beispiel pro Minute etwa 35 Stunden Filmmaterial eingestellt. Trotzdem äußert nur ein einziges mageres Prozent von Katholiken im Alter von 16 bis 29 Jahren Interesse an Online-Videos mit religiösem oder kirchlichem Inhalt.
Folgerichtig endet der „Trendmonitor“ mit dem Hinweis: „Bei der Interpretation dieser ernüchternden Befunde ist allerdings in Rechnung zu stellen, dass es bislang ein breites Angebot religiöser Videos im Netz nicht gibt, die Befragten bei der Beantwortung der Frage trotz der Nennung von Beispielen (Gottesdienstaufzeichnungen, Worte zum Tag, Nachrichten aus der Kirche, geistliche Musik usw.) auch kaum konkrete Vorstellungen gehabt haben dürften, was genau sie sich unter ‚Videos mit kirchlichem oder religiösem Inhalt‘ vorzustellen haben und wie attraktiv ein solches Angebot sein kann.“ Man ist versucht zu sagen, dass die magere Antwortrate eventuell nicht trotz, sondern wegen der Nennung der Beispiele so ausfiel.
All dies zeigt einen dreifachen Ansatzpunkt: Das Netz wartet erstens offenbar nicht auf katholische Impulse, sondern schafft längst eigene sinnhafte Welten. Das Vermissungserlebnis liegt – hoffentlich – bei uns, nicht bei den Anderen.
Offensichtlich kann zweitens ein reines „Zuwendungsparadigma“ der Pastoral die Komplexität der Herausforderung auch nicht annähernd schultern. Nötig ist ein „Lernparadigma“, etwa unter der Leitfrage: Welche Veränderungs- und Innovationschancen bietet uns das Netz als Ort? Was können wir hier lernen? Unter welche Zustimmungsbedingungen kommen wir ins Netz, und welche bisher nicht einmal geahnten Erkenntnis- und Artikulationsgestalten unserer Gottesrede stehen uns hier ins Haus? Und nicht zuletzt, drittens: Wer Nachfrage will, sollte Angebot schaffen.
Was bietet das Netz bereits heute für Leute, die sich durch „YouTube“, „Blogs“ (Web-Tagebücher oder -Journale) und Sozialnetzwerke im Internet inspirieren und informieren wollen? Multiplikatoren wie Jürgen Pelzer (wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Religionspädagogik der Frankfurter Goethe-Universität) kommt das Verdienst zu, wichtige Vernetzungsdienstleistungen zu erbringen. Unter „www.netzinkulturation.de“ oder „www.kirche-im-web20.de/wiki“ bekommt man einen ersten katalogischen Einblick in das, was es so gibt. Auch eine Studie der „Akademie Bruderhilfe Pax Familienfürsorge“ zu kirchlichen Sinnangeboten im Web 2.0 erlaubt einen guten Überblick (www.kirche-im-web20.de/Bruderhilfe-Web20-Studie-Langfassung.pdf).
Nimmt man weitere Manegen hinzu („www.ichurch.de“ oder „frischfischen.de“), so drängt sich allerdings schon nach kurzer Zeit der Eindruck auf, den die genannten „Pages“ auch meist selbst formulieren: Man steht katholisch-kirchlich erst am Anfang, das Web als kirchlichen Ort zu entdecken. Gemessen an der kulturellen Bedeutung und der nach wie vor ja vorhandenen „Feldkraft“ der katholischen Kirche verwundert es, nur so wenige sorgfältig gepflegte, offizielle kirchliche Auftritte im Internet zu finden, die das Medium entschlossen und über mehrere Ebenen hinweg nutzen. Zwar haben natürlich inzwischen alle Bistümer eigene Homepages, und einige Bistümer wie Mainz oder Trier unterhalten auch eigene „Facebook“-Konten sowie „YouTube“-Kanäle (vgl. auch www.medien-tube.de aus dem Erzbistum Köln). Aber im Ganzen herrscht doch vornehme Zurückhaltung. Vor allem fällt auf, dass man die einzelnen Distributionskanäle prominent für Informationen nutzt. Eine wirkungsstarke und auch unterhaltsame „Performance“, die gerade bewegte Bilder ermöglichen würden, unterbleibt meistens.
Traut man dem Medium zu wenig zu? Was an Wirkung auch bei uns zu erzielen wäre, zeigt beispielhaft der sehr smarte, weil immer wieder einmal leise selbstironische Auftritt vom Bistums Osnabrück (www.bistum-osnabrueck.de). Hier unterhält man seit Neuerem einen eigenen „Bistums-blog“, man „twittert“, ist antreffbar in „Facebook“, und das vielfältige Bistumsleben wird auf der Fotoplattform „flickr“ sympathisch emotionalisiert.
Im Kleinen und ohne institutionellen Segen wird viel experimentiert
Sucht man im „App-Store“ der Firma Apple nach kirchlich geprägten Anwendungen, erbringt der Suchbegriff „Bistum“ gar keine Treffer. Dabei sind gerade die „Apps“ für Smartphones großartige Möglichkeiten sozusagen für ein „Christsein to go“. Wie prima wäre es etwa: im Zug, während einer Mittagspause, beim Spaziergang über eine „App“ der Erzabtei Beuron oder eines liturgischen Institutes den aktuellen liturgischen Texten folgen zu können, permanent die Perikopen der Einheitsübersetzung abrufbar zu haben oder das Kirchenjahr erklärt zu bekommen. Leider ist bisher wenig realisiert. Zwar werden die Lutherbibel, die Elberfelder Übersetzung und auch die „Herder-Bibel“ angeboten, allerdings kostet das gut 10 Euro. Die Volx-Bibel gibt’s gratis, genauso wie viele Übersetzungen wohl freikirchlicher Herkunft.
Welche neuen Aneignungspotenziale solche „Apps“ haben können, zeigen etwa die originellen Kreationen der Citykirche Wuppertal sowie die Anwendung von „kirche.tv“, herausgegeben von der katholischen Fernseharbeit der Deutschen Bischofskonferenz (www.kirche.tv). Hier gibt’s den Tagessegen als kleines „Movie“, einen ethischen Blick auf das aktuelle Mediengeschehen und das Video zum aktuellen Namenstag. Das katholische Rundfunkreferat NRW stellt fast unbemerkt täglich aktuelle Podcasts von kirchlichen Radiobeiträgen bereit. Leider ist die Programmierung der Seiten technisch nicht auf dem neuesten Stand und lässt die Anbindung an die Sozialnetzwerke vermissen.
Ansonsten wird viel experimentiert, aber eben eher im Kleinen und ohne institutionellen Segen: Zu nennen sind unter anderem die Kirchensuchmaschine „Diomira“, die Experimente des Erzbistums Freiburg im „Second Life“, verschiedene Adventskalender, pastorale Audio-Tagebücher, Internetkirchen wie das optisch in die Jahre gekommene, aber hochverdiente „www.funcity.de“ oder die zum Teil sehr hochwertigen Magazine wie „www.sinnstiftermag.de“, das „"www.manna-magazin"“ oder das „froh-magazin“ des Kölner Motoki-Kollektivs.
Medieninnovativ arbeitet die Aachener Jugendhauskirche „kafarna:um“. Unter „www.kafarnaum.de“ kann studiert werden, dass die neuen Medien Kulturtechniken darstellen, die tatsächlich neue pastorale Möglichkeiten erschließen. Dies gilt etwa für die Partizipationsmöglichkeiten Ehrenamtlicher, die ihren Terminkalender auf „iPod“ und Mobiltelefon mit dem der Jugendkirche synchronisieren. Kleine Werbevideos auf „Youtube“, ein magazinartig gelayouteter Newsletter mit Klickauswertung und eine über das Web einsehbare Hauskamera sorgen für die wertvolle Gewissheit, echter Teil der Gemeinde zu sein. Neue medientypische evangelisatorische Möglichkeiten erzielt die Hauskirche über virales Marketing im Netz. So kann man mit „Facebook“-Informationsbannern ganz gezielt und ganz spezifisch Zielgruppen adressieren.
Ein Beispiel: Dieses Banner soll eingeblendet werden bei 17- bis 23-Jährigen im Raum Aachen, die in ihrem Profil „Taizé“ als Interesse angegeben haben und noch nicht mit kafarna:um verbunden sind. Das sind immerhin 80 Leute, die potenziell Interesse am nächsten Taizé-Gottesdienst haben könnten und die man ohne „Facebook“ nur schwer erreicht hätte. An Gottesdienstvorlagen und Liedblättern arbeitet man von unterwegs und zuhause gemeinsam. Gemeinschaftseffekte werden auch für die erzielt, die gerade bei Aktionen nicht dabei sind, indem etwa mobile Webcams Projekte live dokumentieren, Videos von Ferienfahrten echtzeitlich auf der Homepage erscheinen, Nachrichten per iPhone mobil gebloggt werden oder die Predigt des Sonntagsgottesdienstes per „Skype“ aus Mexiko bezogen werden kann. Partizipation – Evangelisation – Gemeinschaftsbildung – das Internet erweitert medial das Handlungsspektrum für das Erreichen ganz traditioneller -pastoraler Ziele.
Alles nur Technik?
Das klingt alles nach Technik, nach komplizierter obendrein. Ist denn Pastoral plötzlich gleichzusetzen mit virtuoser Computerbeherrschung? Läuft das Mediale dem Personalen den Rang ab? Es wäre sehr schade, wenn dieser Eindruck eine Blockade für die entschlossene Nutzung „webbasierter“ pastoraler Kommunikation darstellen würde. Denn das Web hat nicht (nur) deswegen pastorale und theologische Bedeutung, weil viele Leute online sind und man viele raffinierte Möglichkeiten für Botschaften hätte, sondern weil hier alltäglich lebensbedeutsam kommuniziert wird. Pastoral ist ja gemäß des Zweiten Vatikanischen Konzils die Neuent-deckung der Gottesrede am gegebenen „Welt“-Ort (vgl. Gaudium et spes, Nr. 44), und das kann auch für ein a-topisches Medium gelten, das ja nur vorgeblich jeden Ortsbezug auflöst.
Sucht man nach theologischen Motiven, die dem Web 2.0 als kommunikativem Kontext gerecht werden, landet man zum Beispiel bei der Ähnlichkeit virtueller und religiöser Rede. Wie der Fundamentaltheologe Johann Ev. Hafner konzis herausgearbeitet hat, agiert christlich-religiöses Reden immer im Modus des Versprechens. In pastoralem Handeln legen wir aus, dass Gott uns etwas (genauer: sich) versprochen hat. Ein Versprechen aber liegt als Sprechakt genau zwischen Aktualität und Potenzialität: Es versetzt den, dem etwas versprochen wird, in die Lage, aktuell bereits auf etwas zu setzen, was erst in der Zukunft eingelöst werden wird. Damit aber wird religiöses Sein im originären Sinn virtuell – es lebt aus einer Kraft, die abwesend erscheint (Gottes Benutzeroberfläche. Zur Funktion religiöser Versprechen, in: Peter Roth u. a. [Hg.], Die Anwesenheit des Abwesenden: theologische Annäherungen an Begriff und Phänomen von Virtualität, Augsburg 2000, 57 ff.).
Eine innovative Rolle auch in der Sakramentenpastoral
Zur derzeit heiß diskutierten Frage nach einer Kirchenbildung aus den Charismen der Leute: Die Kernphilosophie des Web 2.0 ist ja gerade die des benutzergenerierten Inhalts: Jede und jede wird hier potenziell zum Sender, „bloggt“, „postet“, stellt Filme ein und sendet. Für eine missionarische Pastoral kann dies durchaus bedeuten, dass eine neue christliche Sprachfähigkeit gelernt werden kann. Das Web lädt ein und ermöglicht es viel mehr als bisherige Medien, jeden Einzelnen als eigene „Sendestation“ für Christsein zu verstehen und dies zu trainieren.
Im „Social Web“ wird der Begriff der „Gemeinde“ in bestimmter Weise neu konfiguriert. Es wird künftig territoriale Gemeinden geben, die durch mediale Impulse aktiviert werden. Es wird personale Gemeinden geben, deren physische soziale Kontakte durch mediale Netzwerke ausgedrückt und vitalisiert werden, und es wird rein „mediale Gemeinden“ geben, für die ein Treffen im physischen Raum keine Rolle spielt. Dabei kommt es hier zu dem ebenfalls spannenden Phänomen, dass jeder gleichzeitig zu einem Gründer beziehungsweise „Leader“ eigener Gemeinden (Communities) und zu einem „Follower“ fremder Gemeinden wird. Damit werden grundlegende Kompetenzen für ekklesiale Gemeindebildungen eingeübt.
Nach der je neuen Artikulationsgestalt der geoffenbarten Freundlichkeit Gottes suchen
Spürbar diakonische Relevanz bekommt eine webbasierte Pastoral etwa über neue Möglichkeiten des Fundraisings in neuen Partizipationsräumen für Gehörlose und/oder Sprachbehinderte. Darüber hinaus ist es gerade die Anonymität beziehungsweise Maskierung der eigenen Person, die es marginalisierten Menschen erlaubt, in einen sonst für sie sehr erschwerten „normalen“ Kommunikationsverkehr einzusteigen. Gemeint sind Menschen, die sich hässlich finden, die psychisch behindert oder traumatisiert sind, die für „Normale“ schwer verständliche Neigungen oder Gewohnheiten haben, die an einer sozialen Phobie leiden und vieles mehr. Pastoral empfängt hier die diakonische Aufgabe, gerade für diese Personen garantiert geschützte Kommunikationsräume zu eröffnen.
Eine innovative Rolle kann eine webbasierte Pastoral in der Sakramentenpastoral spielen. Denkbar und teilweise schon erprobt sind katechetische Formate, beispielsweise „Communities“ zur Erstkommunion oder der Versand spiritueller Impulse an Firmbewerber. Zu diskutieren ist dabei, unter welchen Bedingungen auch Sakramente beziehungsweise Sakramentalien virtuell gespendet werden können, zum Beispiel die Beichte. Auch wenn sich der Päpstliche Rat für die sozialen Kommunikationsmittel im Dokument „Kirche und Internet“ aus dem Jahr 2002 hier klar dagegen positioniert hat und die jüngsten Debatten um eine „Beicht-App“ für eine Urteilsbildung sehr hinderlich waren, steht angesichts der Medienentwicklungen doch die theologische Debatte an, für wie konstitutiv man die personale Anwesenheit für den wirksamen Empfang von Segen, Absolution oder gnadenhaftem Zuspruch bewerten muss. Schließlich sind Fernsehgottesdienste mit Segens- und Ablassspendungen wie etwas das weihnachtliche „Urbi et Orbi“ ebenfalls virtuelle Veranstaltungen.
Eine bedeutende pastorale Herausforderung liegt im Datenschutz und in der Technologiefolgenabschätzung für unsere Kommunikationsroutinen. Hier geht es um die Balance zwischen einer nüchternen Problemeinschätzung, die sich aber nicht zum Generalverdacht und/oder zu einer Übersteigerung der medienkritischen Attitüde auswachsen sollte. Vielleicht kann es ja sogar gelingen, eigene avantgardistische Umgangsformen mit persönlichen Daten zu entwickeln.
Eine weitere Herausforderung besteht fast flächendeckend für die EDV-Abteilungen der Diözesen, denen bei den neuerdings eingehenden Wünschen nach Dienst-iPhones, „Kalendersharing“ und mobil installierten „Apps“ vermutlich ganz schummrig wird. Gerade hat man mit viel Mühe und teils großen Investitionen die Systeme sicher gemacht, da rufen pastorale Mitarbeiter nach ungefiltertem Netzzugang und avantgardistischen Funktionalitäten. Hier wird deutlich, dass eine Pastoral mit den modernen medialen Instrumenten schon vor ihrem Eintreffen in der seelsorglichen Praxis zu scheitern droht, bleibt sie weiterhin in ihrem gewohnten Paradigma -institutioneller Bürokommunikation.
Vielleicht wird es in Zukunft pastorale Berufe geben, die ganz im Netz arbeiten. Vielleicht sucht und findet man die aktuellen Gottesdienstzeiten der Kirche in der Nähe, weil man auf dem „iPhone“ geopositioniert ist. Vielleicht gibt es flächendeckend Bibelkreise auf „Skype“, das gemeinsame Stundengebet in virtuellen Kapellen und spannende Predigten als „Podcast“. Sicher scheint aber: Mediale pastorale Kontakte werden und wollen niemals die Ebene der personalen Konfrontation ersetzen. Und Katholizität hat schon immer bedeutet, nach der je neuen Artikulationsgestalt der geoffenbarten Freundlichkeit Gottes zu suchen. Nichts spricht dagegen, dass sein Geist auch im Netz „lebt und webt“.