Das vorislamische Arabien war vorwiegend polytheistisch und verehrte Götzenstatuen, wobei Mekka eine der wichtigsten Pilgerstätten in dieser Zeit bildete. Gottheiten in Form von Statuetten oder aufgetürmten Steinen wurden hier verehrt. In diesem Zusammenhang ist auch Vers 90 der fünften Sure des Korans als Bilderverbot interpretiert worden.
Keine klar definierte Grundlage für das Bilderverbot
Für das Bilderverbot gibt es freilich keine klar definierte Grundlage, weil es hier um ein Abgrenzen und Bekämpfen eines Polytheismus geht. Die islamischen Rechtsgelehrten (ʿulamā) sehen dennoch mehrheitlich Bilder als unrein an, und sakrale Räume müssten für das Ritual reingehalten werden. In den Hadithsammlungen Sahih al-Bukhārīs finden wir darüber hinaus Textstellen vor, in denen es um die alleinige Schöpfungskraft Gottes geht – die Erschaffung von Bildnissen stünde mit dieser im Konflikt und erhebe sich über diesen göttlichen Schöpfungsakt.
Ein absolutes Verbot ist das freilich nicht. Es geht vielmehr um den Umgang mit dem Bild und die daraus resultierenden Konsequenzen. Gerade in der Kalligrafie konnte auf dem Gebiet der Islamischen Kunst diese Einschränkung umgangen werden, indem das Bild durch einen Buchstaben oder ein Wort ersetzt wurde. Ab dem 9. Jahrhundert kann man dann langsam beobachten, wie Darstellungen von Tier und Mensch im profanen Raum Einhalt finden – besonders in den Keramik- und Metallarbeiten dieser Zeit. Diese Objekte waren oftmals Auftragsarbeiten mit figurativen Elementen und einer reichen und kultivierten Oberschicht vorbehalten. Hinzu kommt eine Entwicklung zu geometrischen Motiven, die vor allem in der Ausschmückung islamischer Sakralbauten ihren Einzug findet.
Vom 13. bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts nimmt die Miniaturmalerei bei den Ilkhaniden, die später zum Islam konvertieren, einen besonderen Stellenwert ein. Die Shāhnāme-Illustrationen speisen sich aus den Legenden und Mythen des vorislamischen Iran, die der Poet Abd Qasem Ferdowsi in jahrzehntelanger Arbeit zusammengetragen hatte (vgl. Robert Hillenbrand u.a. [Hg.], Ferdowsi, the Mongols and the history of Iran. Art, literature and culture from early Islam to Qajar Persia, London, New York 2013).
Islamische Kunst: Ein Begriff mit Klärungsbedarf
Ein Jahrhundert später entstehen im damaligen Herāt (Afghanistan) unverschleierte Darstellungen des Propheten, dessen Körper von einem goldenen Feuerball umgeben ist (vgl. Darstellungen aus der Sammlung des Mir Haydar, Mira‘j-nameh; Herāt Afghanistan, 1436, komplett einsehbar auf der Seite der Bibliothèque Nationale de France: http://expositions.bnf.fr/islam/grand/isl_049.html). Im 18. Jahrhundert entstehen im osmanischen und indischen Raum dann verschleierte Abbildungen des Propheten.
Künstlern aus islamisch sozialisierten Gesellschaften wird heute fast selbstverständlich der Stempel Islamische Kunst aufgedrückt. Die „Islamische Kunst“ ist allerdings ein modernes Konzept und wurde seit dem 19. Jahrhundert zu einen Forschungsfeld. Heute umschreibt der Begriff alle Kunstformen in Gesellschaften, in denen der Islam eine übergeordnete Rolle spielt oder die Religion derer war, die zu dem Zeitpunkt herrschten. Islamische Kunst beinhaltet nicht nur religiöse Kunst oder Architektur, sondern umfasst alle Kunstformen, die in der islamischen Welt hergestellt wurden.
Nur von sakraler Kunst auszugehen, wäre daher zu restriktiv. Unter der Islamischen Kunst befanden sich oftmals auch Auftragsarbeiten einer Elite, von der man nicht mit Sicherheit sagen kann, ob diese muslimisch war. Islamische Kunst entstammt auch nicht per se aus der Hand muslimischer Künstler, Architekten oder einem muslimischen Kunstgewerbe. Islamische Dynastien und Reiche hatten eine überaus große geografische Spannweite, erstreckten sich teilweise von Spanien bis ins westliche China. Besonders am Beispiel Syriens ist bekannt, dass der Großteil der Gesellschaft im 12. Jahrhundert hauptsächlich aus Christen bestand. Künstler aus dieser Zeit in Syrien würden ihre Arbeiten höchstwahrscheinlich vielmehr als syrisch oder damaszenisch einordnen.
Gerade die Schwierigkeit in Bezug auf die Kategorisierung in Islamische Kunst veranlasst in heutiger Zeit Museen, wie das Metropolitan Museum of Art in New York, diesen Begriff nicht weiterzuverwenden oder ihre Bereiche auf den regionalen Stil und eigenständige Kultur zu benennen.
Zu den Arbeiten von Arwa Abouon
Diese Schwierigkeiten treffen auch auf zeitgenössische moderne Künstler und Künstlerinnen wie Arwa Abouon zu. Sie hat bisher in verschiedenen Kontexten international ausgestellt, sei es in den Vereinigten Arabischen Emiraten, im Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) in Karlsruhe oder in ihrem Heimatland Libyen. Sie besitzt die Fähigkeit, sich mit ihren poetischen und investigativen Arbeiten einen Weg auch zu einem Publikum zu ebnen, welches vielleicht nicht mit Symbolen und Motiven aus der Islamischen Kunstgeschichte vertraut ist. Abouon emigrierte mit ihren Eltern im Alter von einem Jahr nach Quebec, Kanada. In ihren Werken spiegeln sich persönliche Erlebnisse, die sie in ihre fotografischen Arbeiten und Installationen miteinfließen lässt.
Besonders bei der Arbeit „I’m Sorry, I Forgive you“ (vgl. dieses Heft, Coverbild) nimmt die Künstlerin den Betrachter auf eine Erfahrungsreise mit, in der er zwischenmenschliche Erlebnisse auf berührende und intime Art und Weise miterleben kann. So zeigt uns Abouon ihre Eltern in einem schwarz-weiß gehaltenen Diptychon, wie sie sich gegenseitig die Stirn küssen. Die Eltern sind zentral in einem geometrischen Geflecht eingefasst und heben sich durch den weißen Stoff ihrer Kleidung in diesem Musterwerk dennoch hervor.
Der Bildhintergrund ist durchgehend mit einem sich immer wiederholenden geometrischen Muster bedeckt. In diesem wird der Moment der Vergebung eingefangen. Die Darstellung wirkt trotz der diffusen Dynamik der geometrischen Motive in Vorder- und Hintergrund fast wie ein filmisches Standbild. Die Hände und das Gesicht der Eltern werden vom geometrischen Muster ausgespart und ziehen sofort unseren Blick auf diese intime Szene des Ehepaars. Künstlerisch wird zudem noch damit gespielt, dass die auf den Kleidern der Eltern befindlichen geometrischen Muster vom Hintergrundmotiv abweichen. Dieses den Kleidern auferlegte weitere geometrische Motiv wirkt viel ruhiger und setzt den Fokus auf diesen zwischenmenschlichen Akt.
Auf der zweiten Abbildung sehen wir die Umkehrsituation: der Kuss der Mutter auf die Stirn des Vaters. Auch in diesem geometrischen Hintergrundmotiv steht das Sternelement wieder im Zentrum und schafft eine visuelle Dynamik in dem Bild. Diesmal befindet sich auf der Kleidung der Eltern ein rhythmisiertes horizontales Bandelement, im Gegensatz zu dem vertikalen Motiv in der ersten Darstellung.
In „Mirror Mirror, Allah Allah“, einem Farbfotografie-Diptychon (vgl. Artikelbild), sehen wir die Künstlerin in einem Doppelportrait, welches an die Spiegelszene aus dem Märchen „Schneewittchen“ der Gebrüder Grimm erinnern lässt. In dem linken der beiden Bilder schaut die Künstlerin, in einem weißen jilbab, mit dazugehörigem weißem hijab, der ihre Schultern bedeckt, in ihr unbedecktes Spiegelbild. In der zweiten Darstellung steht sie in schwarzer Hose und Oberteil mit unbedecktem Haar und blanken Füßen ihrem Spiegelbild gegenüber, welches ihr in dem hijab entgegenblickt.
Die Arbeit „Mirror Mirror, Allah Allah“ eröffnet verschiedene Frage; in erster Linie zur kulturellen Selbstverortung der Künstlerin und zugleich zu ihrer eigenen religiösen Zugehörigkeit. Der Betrachter wird in den Moment der Selbstinvestigation der Künstlerin miteingeflochten und ergründet, wie auch die Künstlerin, Fragen zu Religion, Schönheit und Weiblichkeit – Themen, mit denen sich die libysch-kanadische Künstlerin oft in ihren autobiografischen Werken auseinandersetzt.
Diese Fragen werden häufig mit religiösen Symbolen und Motiven aus der Islamischen Kunst überlagert, um verschiedene Erfahrungsebenen auf emotionaler als auch auf visueller Ebene anzusprechen. Gerade diese Arbeit zeigt besonders, mit welchen Mitteln die Künstlerin Themen nachgeht, die für sie als zeitgenössische praktizierende Muslima von Wichtigkeit sind, aber viele weitere Fragen darüber hinaus aufwerfen – Fragen zur Schönheit, zur Weiblichkeit bis hin zur Erkundung der Gefühle, die der Anblick auf den hijab in uns und der Künstlerin auslöst. Arwa Abouon erschafft mit ihren poetischen Darstellungen einen Zugang zu polykulturellen Bildwelten, in denen Werte, Identität und Religion erforscht werden.