Naturwissenschaftliches Denken als Herausforderung für den GottesglaubenParadigma unserer Zeit

Viele Religionskritiker heute wollen Glaubenssätze und theologische Aussagen auf dem Seziertisch empirischer Analyse sehen. Was sind die Grundlagen dieser für die Theologie eher befremdlichen naturwissenschaftlichen Denkweise? Und wie sollte man mit dieser Herausforderung umgehen?

Der unter dem Label des Neuen Atheismus emotional geführten Debatte um die Existenz Gottes und die Sinnhaftigkeit des Glaubens an ihn lässt sich bei nüchterner Analyse (vgl. dieses Heft, 2 ff.) leicht einige heiße Luft entnehmen. Richard Dawkins’ „Gotteswahn“ ist durchsetzt von Zirkelschlüssen, Missverständnissen und vor allem zu wenig Differenzierung. Dass er dennoch hohe Auflagenzahlen und zahlreiche Übersetzungen erfahren hat, deutet darauf hin, dass seine ideologische Ausrichtung in unserer Zeit auf Anerkennung stößt. Offensichtlich greift der Neue Atheismus Paradigmen unserer Zeit auf, die von der Theologie einerseits kritisch zu reflektieren sind und andererseits auch positiv aufgegriffen werden müssen, wenn sie nicht weiter an Relevanz verlieren möchte.

Das Kernanliegen, wie es von Dawkins oder – deutlich vorsichtiger und auch redlicher – etwa von Daniel Dennett vertreten wird, liegt darin, religiöse Aussagen sowie Phänomene empirisch zu überprüfen (vgl. HK, Mai 2010, 254 ff.). Es geht ihnen zentral also nicht um den Wahrheitsgehalt, um ein Abwägen logischer Argumente und damit um einen philosophischen Zugang zur Frage nach Gott, sondern um eine empirische Herangehensweise. Sie wollen Religion auf dem Seziertisch naturwissenschaftlicher Analyse sehen. Was sind die Grundlagen dieser für die Theologie eher befremdlichen naturwissenschaftlichen Denkweise?

Das aktuelle naturwissenschaftliche Verständnis von Verursachung

Die Eigenart des modernen naturwissenschaftlichen Denkens kann anhand des Verständnisses von Ursache und Wirkung sowie von Entwicklung verdeutlicht werden. Mit ihnen sind zwei zentrale Eckpfeiler der Naturwissenschaften benannt, die zu einer Veränderung des gesamtgesellschaftlichen Weltbildes beigetragen haben.

Der auf ein Ziel ausgerichtete Blick in die Zukunft hat wie überhaupt menschlich-geistige Verursachung in diesem Denken keinen Platz. Die für uns Menschen selbstverständliche Rede von Intentionen, Wünschen und Plänen kann so nicht erfasst werden, genauso wenig kann eine Sinnperspektive eingenommen werden. Menschliches Handeln wird nicht durch Zielsetzungen hervorgebracht, sondern durch die Vorgaben vorausgehender Ereignisse – so die naturwissenschaftliche Denkweise. Es ist daher im Prinzip nicht anders zu analysieren und bewerten wie Veränderungen bei Pflanzen oder auch unbelebter Materie.

Um zu verstehen, warum sich dieses dem Selbstverständnis des Menschen widersprechende Denken in den modernen Naturwissenschaften durchsetzen konnte, lohnt ein Blick auf seine Entstehung. Wiederum an Aristoteles lässt sich der vormoderne Ansatz nachvollziehen. Die gängige Einteilung seines Schriftkorpus sieht drei große Bereiche vor: die theoretische, die praktische und die hervorbringende Wissenschaft.

Für die empirische Wissenschaft gibt es gerade keine eigene Kategorie, die Naturdarstellungen des Aristoteles werden dem theoretischen Bereich zugerechnet. Entsprechend hielt Aristoteles die Naturwissenschaften vor allem für ein denkerisches Unterfangen. Wesentlicher als die empirische Beobachtung erschien ihm offensichtlich die denkerische Erfassung von Sinn und Zweck eines Objekts. Dem entspricht, dass in der Antike zwar die Naturbeobachtung, aber nicht das wissenschaftliche Experiment gängig war.

Dieses Denken änderte sich in der Neuzeit. Als ein Vater der modernen Naturwissenschaften darf René Descartes gelten. Seine radikale Trennung von Geist (res cogitans) und Materie (res extensa) erwies sich als fruchtbare Basis für die Aufteilung der Disziplinen auf die beiden Bereiche. Die Naturwissenschaften mit ihrer empirischen Arbeitsweise untersuchen lediglich die eine Seite der Welt und des Menschen. Alles Geistige, also die menschliche Selbsterfahrung, seine Gefühle, die Ethik und auch die Frage nach Gott wurde den Disziplinen überlassen, die auf der anderen Seite der cartesianischen Einteilung stehen, allen voran Theologie und Philosophie. Die Naturwissenschaften treten also mit einer Selbstbeschränkung an: Sie tun so, als ob es die geistige Ebene nicht gibt beziehungsweise als ob sie keinen Einfluss auf die physische Welt nimmt.

Entsprechend werden die Prozesse der Welt ausschließlich in der Hinsicht beschrieben, dass eine kausale Abhängigkeit des einen Zustands vom vorherigen angegeben wird. In allen Naturwissenschaften liegt so eine funktionale Erklärung der Welt vor. Wenn William Harvey dank naturwissenschaftlicher Analyse das Herz als Pumpe beschreiben kann, dann bleibt er auf einer rein funktionalen Ebene. Der Erfolg der Naturwissenschaften, der uns komplizierte Formeln und faszinierende Anwendungen beschert hat, tritt dadurch ein, dass die Welt funktional betrachtet wird.

Der durchschlagende Erfolg der Naturwissenschaften drängt die Frage auf, ob es neben dem funktionalen Zugang zur Welt überhaupt noch einen zweiten braucht. Der Nobelpreisträger Francis Crick etwa bemängelte unverblümt, dass die Philosophie keinerlei greifbare Erkenntnisse hervorgebracht habe, und zieht daraus ein negatives Urteil über ihre Qualität beziehungsweise überhaupt Sinnhaftigkeit.

Die Behauptung, dass auf philosophischer Ebene kein Fortschritt stattgefunden habe, kann zwar kaum stehen bleiben, wird man im Allgemeinen etwa der Entwicklung von Demokratie und Menschenrechten doch einigen Wert zusprechen müssen. Allerdings ist dem heutigen Menschen intuitiv plausibel, was Crick mit dem durchschlagenden Erfolg der naturwissenschaftlichen Methode meint, da seine Manifestationen im Alltag in Form von Autos, Mikrowellen und Waschmaschinen greifbar sind.

Das Crick’sche Argument besitzt jedoch auch über die Alltagsplausibilität hinaus eine tiefergehende logische Schärfe. Wer unvermindert an der Verschiedenartigkeit des philosophisch-theologischen und des naturwissenschaftlichen Zugangs an die Welt im cartesianischen Sinne festhält, sieht sich in einer Konkurrenzsituation: Er wird zugeben, dass es nicht sinnvoll ist, in Bereichen, in denen die Naturwissenschaften lückenloses Wissen besitzen, ein zusätzliches geistiges Wirkprinzip zu behaupten. Es ist nicht plausibel, einen auf das Gehirn einwirkenden freien Willen zu postulieren, wenn die Neurowissenschaften die Funktionsweise des Gehirns allumfassend analysieren können. Genauso wird es schwierig, an dem Wirken Gottes in der Welt festzuhalten, wenn die Naturwissenschaften alle Naturgeschehnisse lückenlos beschreiben können.

Manche gehen deshalb auf die Suche nach Lücken, die ihnen die Naturwissenschaften lassen. Nach dem aktuellen Stand der Naturwissenschaften ist dies jedoch ein schwieriges Unterfangen. Die – naturwissenschaftlich – kausale Geschlossenheit der Welt ist zwar, wie Hans-Dieter Mutschler zu Recht betont, lediglich eine Interpolation der vorliegenden Gesetzmäßigkeiten. Es ist davon auszugehen, dass die Naturwissenschaften nie ein kausal geschlossenes System vorlegen werden. Allerdings muss auch gesehen werden, dass die Naturwissenschaften auf keinerlei Indizien für ein einwirkendes Geistprinzip gestoßen sind. Nach dem aktuellen Stand der Naturwissenschaften ist das Votum für ein selbstständiges Geistprinzip daher – vorsichtig formuliert – gewagt. Hieraus zieht der Reduktionismus, der die Existenz von einem eigenständigen und kausal wirksamen Geistprinzip ablehnt, seine Kraft. Auch der Naturwissenschaftler, der sich nicht als Reduktionist sieht, ist mit dieser Herausforderung konfrontiert.

Eine zweifache Herausforderung für die Theologie

Für die Theologie bedeutet dies auf zwei Feldern eine Herausforderung: Der reduktive Naturalismus, der nur den naturwissenschaftlichen Zugang zur Welt akzeptiert, lässt Gott keinen Platz mehr im Hier und Jetzt. Ein Wirken Gottes ist dann entweder nur noch deistisch als einmaliger Schöpfungsakt zu Beginn der Weltgeschichte verstehbar oder als Wunder im Sinne eines Hinwegsetzens über die Naturgesetze. Letzteres kann ein Reduktionist logisch nicht ausschließen, er wird jedoch hinter jedem Wunder eine natürliche Erklärung vermuten und diese suchen. Auch hier steht dann die Plausibilität der Wunderinterpretation gegen den naturwissenschaftlichen Ansatz, der bereits viele mysteriöse Ereignisse einer natürlichen Erklärung zuführen konnte. Geschehnisse als Wunder zu deuten, hat für den heutigen Menschen daher an Reiz verloren.

Zum anderen wird mit der Ablehnung eines Geistprinzips der Mensch auf seinen Körper reduziert, auf seine objektiv messbare Seite. Menschliches Fühlen, Denken und Verhalten wird von der Hirnforschung auf ein neuronales Geschehen reduziert. Eine über verobjektivierbares, neuronales „Feuern“ hinausgehende Ebene subjektiver Bedeutung und Sinnhaftigkeit wird nicht erreicht und daher von einigen im öffentlichen Fokus stehenden Vertretern der Hirnforschung rundweg abgelehnt.

 „Die Formel lautet: Der Geist ist nichts anderes als ein bestimmter Hirnzustand“, fasst Alexander Loichinger das Programm des Reduktionismus zusammen, wie es in Deutschland publikumswirksam von Gerhard Roth oder Wolf Singer vertreten wird. Für die theologische Gotteslehre mag diese Herausforderung der Naturwissenschaften zunächst sekundär erscheinen, sie führt jedoch direkt zu einem weiteren, dritten Problem: Wenn das menschliche Gehirn – wie die gesamte Natur – auf naturwissenschaftliche Kausalität reduziert wird, dann hat die Sinnperspektive keinen Platz mehr. Wenn Kausalität grundsätzlich nur mit Blick in die Vergangenheit analysiert wird, dann kann keine Ausrichtung auf die Zukunft passieren. Jede Form von Teleologie verliert ihre Berechtigung.

Die Natur kenne keine Zielgerichtetheit, betont etwa Bernulf Kanitscheider. Die christliche Hoffnung auf zumindest einen innerweltlichen Sinn lässt sich damit nicht vereinen. Und ob sinnvoll von einem außerweltlichen Sinn gesprochen werden kann, wenn er aus innerweltlicher Perspektive prinzipbedingt nicht festgestellt werden kann, bleibt zumindest fraglich. Entsprechend dem Reduktionismus besitzt der Mensch keinen Geist, der sich selbst transzendieren kann, der sich außerhalb der Naturdeterminanten stellen kann, der eine Form von Bedeutung und Sinn kennt, der über die empirisch feststellbaren Kausalitäten hinausgeht.

Mit der Diskussion um eine Gerichtetheit wird die zweite große Säule erreicht, auf der unser heutiges naturwissenschaftliches Denken basiert: dem Entwicklungsgedanken. Während die erste, gerade geführte Diskussion um das Kausalitätsverständnis eher in der Physik verortet wird, führt die Vorstellung von Entwicklung eher in die Biologie. Der Erfolg der Darwinschen Evolutionstheorie stellte sich dadurch ein, dass sie eine Reihe bemerkenswerter Phänomene erklären konnte, insbesondere die Ähnlichkeiten und die Unterschiede zwischen einzelnen Arten auf verschiedenen Teilen der Welt. Durch die spätere Kombination mit anderen Forschungszweigen, etwa der Mendel’schen Vererbungslehre sowie der gesamten Genetik, gewann die Evolutionstheorie weiter an Tiefgang und damit Erklärungswert.

Nicht nur der Erklärungswert der Evolutionstheorie, sondern auch ihre Auswirkungen auf das allgemeine Weltbild können nicht hoch genug eingeschätzt werden. Das vormals eher statische Denken wurde im Rahmen der Ausführungen zu Aristoteles bereits angedeutet. Wenn Naturwissenschaft eher als denkerische Herausforderung gesehen wurde, deren Ziel die Angabe des Wesens oder der Substanz von Objekten war, dann war der Blick mehr auf einen überzeitlichen und damit unwandelbaren Kern als auf die Veränderungen innerhalb der Zeit gerichtet. Der Fokus lag gerade nicht auf Entwicklung, was sich auf vielen verschiedenen Ebenen auswirkte und sowohl in der philosophischen Reflexion als auch dem konkreten Alltagsdenken der Menschen niederschlug.

Für die philosophisch-theologische Reflexion bringt der Entwicklungsgedanke eine Reihe von Herausforderungen mit sich. Wenn man gerade nicht mehr apodiktisch (nämlich auf ontologischer und damit der Empirie unzugänglicher Ebene) die Unterschiede zwischen Mensch, Tieren, Pflanzen und unbelebter Natur behaupten kann, muss man naturwissenschaftliche Kriterien finden, nach denen unterteilt wird. Es ist kein Zufall, dass sich die Systematik der Biologie kontinuierlich verändert, und zwar nicht nur im Rahmen von geringfügigen Grenzverschiebungen. Selbst die Frage nach der Einteilung im Großen (den biologischen „Reichen“) wird im Verlauf der Jahrzehnte unterschiedlich behandelt.

Auch die Frage, wann Leben beginnt – und damit der Zuständigkeitsbereich der Biologie – wird kontrovers diskutiert. Konsensfähig ist die Feststellung, dass Leben dann vorliegt, wenn Stoffwechsel, Fortpflanzung und damit die Möglichkeit von Mutationen feststellbar sind, da damit die Grundprinzipien der biologischen Evolution benannt sind. Nur wenn Mutationen entstehen, kann der biologische Prozess der Selektion, also der Konkurrenz und Bewährung von Merkmalen, ablaufen. Es setzt sich dann immer das Lebewesen durch, das sich besser an die Umgebung angepasst hat oder eine geeignete Nische gefunden hat. Schon auf dieser rudimentären Ebene des Evolutionsprozesses taucht die Frage auf, in der das Kausalitätsverständnis kulminierte: Kann in diesem evolutiven Geschehen eine Teleologie, eine Zielgerichtetheit, entdeckt werden, oder handelt es sich um ein blindes „Zufalls“-Geschehen?

Um ein Ziel auszumachen, muss eine qualitative Entwicklung innerhalb der Evolution gesehen werden können. Der Biologie selbst fehlt die Möglichkeit zur qualitativen Unterscheidung. Evolutiv betrachtet gibt es kein höherwertiges Wesen. Allen Lebewesen ist gemeinsam, dass sie eine bestimmte ökologische Nische besetzen und daher eine Besonderheit aufweisen. Die Frage ist lediglich, wie lange sie ihre Nische behaupten können.

Als naturwissenschaftlich anschlussfähiges Kriterium für eine qualitative Unterscheidung zwischen den Lebewesen bietet sich zwar das Kriterium der Komplexität an, doch führt dieses nur beschränkt zu einer klaren Grenzziehung. Komplexität ist kein Alles-oder-Nichts-Kriterium, sondern liegt in verschiedenem, noch dazu schwer bestimmbarem Umfang vor. Eine radikale Unterscheidung zwischen dem mit Würde ausgestatteten Menschen und einem davon abgesetzten Tier gelingt nur beschränkt. Auch Tiere kennen mitunter Sozialverhalten, Werkzeuggebrauch und moralische Maßstäbe: also Kennzeichen, die lange Zeit nur dem Menschen zugesprochen wurden.

Zur Bestimmung des „Rubikon der Hominisation“ (Ulrich Lüke) und damit zur Begründung der Gottebenbildlichkeit des Menschen blieb bislang noch seine Religiosität übrig. Aber auch hier setzen reduktive Naturalisten mit ihrer Kritik an, etwa Daniel Dennett, der behauptet, dass Religiosität nicht kulturübergreifend zum Menschen gehört und damit als Ausschließlichkeitskriterium ausfällt und umgekehrt Vorformen von Religiosität genauso beim Tier auszumachen sind.

Eine letzte Herausforderung folgt aus der Evolutionslehre. Mit einigem Gewinn wird die Evolutionstheorie von Anthropologen wie Pascal Boyer inzwischen auch auf den Bereich der Kultur übertragen. Die Logik dahinter ist, dass die gesamte Entwicklung des Universums, also vom Urknall über die Entstehung des Lebens bis hin zu den kulturellen Leistungen der Menschheit, einem großen Entwicklungsparadigma zu unterstellen ist. Daher wird von Boyer das zentrale Kriterium für evolutive Entwicklung, das der Auslese nach Nützlichkeit, auch auf die Kultur übertragen.

Kulturell durchgesetzt habe sich das, was der Verbreitung der Gene dient. Kultur stelle keine neuartige Qualität im Universum dar, die die biologische Seite des Menschen übersteige, sondern nur ein besonderes Werkzeug zur Genverbreitung. Zur Erklärung religiöser Phänomene benötigt Boyer entsprechend nicht den Rekurs auf Gott und ein Offenbarungsgeschehen, sondern er gibt innerweltliche Funktionen von Religion an, etwa die Legitimation von Autorität, Recht und Macht, den Heilungseffekt von Ritualen und anderes mehr.

Die Stärke der Argumentation Boyers liegt darin, dass die genannten Eigenschaften zumindest zum Teil sicherlich tatsächlich vorliegen. Wenn der Glaube an Gott dem Menschen nicht gut täte, dann würde das ein negatives Gottesbild aufnötigen, das zumindest dem Christentum fremd sein sollte. Von daher darf der Kurzformel, dass Glaube nützt, auch vom Theologen zugestimmt werden. Problematisch ist die dahinter stehende Verkürzung. Der Glaube wird, das ist das Resümee aller bisherigen Überlegungen, in einem reduktionistisch naturwissenschaftlichen Denken auf innerweltliche Nützlichkeit reduziert, es wird die Sinnperspektive eliminiert, die Realität von Transzendenz bestritten, der Eigenwert von Kultur und von Geist ganz allgemein.

Wenn die Theologie dieser Verkürzung begegnen will, sind dazu drei wesentliche Schritte nötig. Zunächst muss sich die Theologie dem naturwissenschaftlichen Ansatz gegenüber offen zeigen und die Forschungsergebnisse positiv rezipieren. Die Forderung von Dawkins und Dennett, empirisch die Früchte des Glaubens zu überprüfen, sollte die Theologie aufgreifen. Die Theologie vergibt die Chance auf sinnvoll konzipierte Versuche und vor allem auf ihre Deutung, wenn sie sich in diesem Bereich nicht engagiert.

Positiv aufgenommen werden kann und muss der Entwicklungsgedanke, der im jüdisch-christlichen Denken von Anfang an seinen Platz hatte, etwa wenn die Rede von einer Heilsgeschichte ist. Das christliche Schöpfungs-, Welt- und Gottesverständnis sollte daher problemlos mit Entwicklungsaspekten vereinbar sein.

Kritisch gesehen werden muss hingegen der einseitig rückwärts gerichtete Kausalitätsbegriff, der die Sinnperspektive unmöglich macht. Hier besteht eine wesentliche Aufgabe darin, auf die Beschränktheit des reduktionistischen Ansatzes aufmerksam zu machen, wie es etwa Hans-Dieter Mutschler oder Ulrich Lüke tun. Damit wird die Sinnperspektive verteidigt, die im menschlichen Leben einen zentralen Stellenwert besitzt.

Die letzte – und schwierigste – Aufgabe besteht darin, nach Wegen zu suchen, wie ein Geistprinzip in der Welt wirksam sein kann, ohne im Konflikt mit den Naturwissenschaften zu stehen. Innerhalb der philosophischen Bewusstseins-Gehirn-Debatte gibt es hierzu Überlegungen etwa von Godehard Brüntrup. Derartige Gedanken lassen sich leicht auch auf die Gottesfrage übertragen, sie kranken jedoch noch daran, dass die naturwissenschaftliche Basis dünn ist. Es lassen sich durchaus einzelne Physiker finden, die ein Geistprinzip in den natürlichen Kausalzusammenhängen wirksam sehen wollen, doch stehen diese jeweils eher am Rand ihrer Disziplin. Die verstärkte interdisziplinäre Zusammenarbeit könnte helfen, sinnvolle Konzepte ausfindig und fruchtbar zu machen, und ist daher hier wie in der gesamten Verarbeitung der naturwissenschaftlichen Herausforderung unabdingbar.


Anzeige: Ich bin, wie Gott mich schuf von Sabine Estner und Claudia Heuermann

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