In Veröffentlichungen zur Ökumene spielen Zitate des Theologen Joseph Ratzinger durchwegs eine gewichtige Rolle. Die von ihm noch während des Konzils formulierte Überzeugung, an die Stelle der Hoffnung auf Konversionen würde nun „die Idee der Einheit der Kirchen treten, die Kirchen bleiben und doch eine Kirche werden“ (vgl. Die Kirche und die Kirchen. Das ökumenische Problem in der zweiten Session des gegenwärtigen Konzils, in: Reformatio 1964, 85–108, hier 105), scheint dem nahezukommen, was insbesondere in lutherischer Tradition als „Versöhnte Verschiedenheit“ propagiert wird. Damit ist jedenfalls die Vorstellung von Einheit als „Rückkehr nach Rom“ verabschiedet. Die Vielfalt der Konfessionen wird nicht nur als Übel, sondern auch als Reichtum gesehen, der nicht einer Einheitlichkeit oder gar einer zentralistischen Kirchenregierung geopfert werden darf.
Besonders häufig zitiert wird Ratzingers Grazer Rede über „Prognosen für die Zukunft des Ökumenismus“ von 1976, die er auch noch als Kardinal in den Sammelband „Theologische Prinzipienlehre“ (München 1982, 203–214) aufnehmen ließ. Hier heißt es zur Versöhnung mit den Kirchen der Orthodoxie, „Rom muss vom Osten nicht mehr an Primatslehre fordern, als auch im ersten Jahrtausend formuliert und gelebt wurde“ (209). Als Begründung führt er an, „dass nicht heute christlich unmöglich sein kann, was ein Jahrtausend lang möglich war“.
So ist nach Ratzingers Überzeugung für eine Einigung der Christenheit nicht gefordert, dass der Osten die Dogmen des Ersten Vatikanums übernimmt und sich römischer Jurisdiktion unterwirft. Vielmehr würde es genügen, dass „der Osten darauf verzichtet, die westliche Entwicklung des zweiten Jahrtausends als häretisch zu bekämpfen“ und der Westen „die Kirche des Ostens in der Gestalt, die sie sich bewahrt hat, als rechtgläubig und rechtmäßig anerkennt“ (209).
Diese Vorstellung hat in ökumenisch aufgeschlossenen Kreisen der Orthodoxie weitreichende Erwartungen erweckt, dass Rom das altkirchliche System eigenständiger Patriarchate akzeptieren könnte, die in Gemeinschaft miteinander lebten, aber faktisch nie unter römischer Jurisdiktion standen. Doch auch die Kirchen der Reformation fühlten sich angesprochen, denn es ist offensichtlich, dass sich ihr Protest gegen Rom an den Entwicklungen des Papsttums des zweiten Jahrtausends entzündet hatte.
Die ökumenische Methodologie befruchtet
Aus dem gleichen Vortrag Ratzingers stammt die Formulierung, die inzwischen besonders die Überlegungen zur ökumenischen Methodologie befruchtet hat, „nicht die Einheit bedarf der Rechtfertigung, sondern die Trennung“ (211). Dies gilt, wie der Autor ausdrücklich betonte, auch für das Verhältnis zu den Kirchen der Reformation, weil „die Einheit ein vordringliches Gut ist, das Opfer verlangt, während die Trennung gerechtfertigt werden muss in jedem einzelnen Fall“ (213). Es war Ratzingers Vorschlag, diesen Grundsatz in der Studienarbeit anzuwenden, aus der 1986 die Lehrverwerfungsstudie hervorging (Karl Lehmann und Wolfhart Pannenberg, Lehrverwerfungen – kirchentrennend?, Bd. I, Freiburg/Göttingen 1986).
Sie konzentrierte sich darauf zu untersuchen, ob die Verwerfungen des 16. Jahrhunderts heute noch die ökumenischen Partnerkirchen treffen und das mit kirchentrennender Kraft. Sofern dies nicht der Fall sei, besteht die Vermutung der Einheit und nicht der Trennung. Und tatsächlich wurde in dieser Studie ein „differenzierter Konsens“ erzielt, wie man ihn dann bezeichnete. Man formulierte einen Grundkonsens in der Lehre von der Rechtfertigung, vom Amt und den Sakramenten, der durch die unterschiedlichen konfessionellen Ausgestaltungen, etwa in der Verhältnisbestimmung von Glaube und Werken, der Ausdifferenzierung des Amtes in den Ämtern und der Deutung der Realpräsenz im Herrenmahl nicht widerlegt wurde.
Besondere Aufmerksamkeit finden heute Zitate vor allem aus frühen Schriften Ratzingers, die Möglichkeiten zu Reformen der katholischen Kirche und ihrer Ordnung andeuten, insbesondere deswegen, weil ihr Autor nachdrücklich betont, seinen theologischen Positionen getreu geblieben zu sein und jede Unterscheidung eines „frühen“ von einem „späten Ratzinger“ geradezu ärgerlich zurückweist. In seiner Schrift „Die christliche Brüderlichkeit“ beruft er sich auf Rudolf Bultmann und auf die Dialektische Theologie, wenn er einem „falschen Hierarchismus und Hochwürdigkeitskult des Judentums die eine, unterschiedslose Brüderlichkeit der Christen“ gegenüberstellt (82) und ein Bild der frühkirchlichen Gemeinden zeichnet, das „alle äußeren Unterschiede, auch die faktischen Unterscheidungsformen innerhalb der Kirche selbst, immer wieder in die Krise“ führt (87).
Einer einseitigen Zentrierung auf Rom steht die Formulierung entgegen, „Katholisch sein heißt (...) in Querverbindungen stehen“ (Das neue Volk Gottes, Düsseldorf 1969, 215). Nicht die Pyramide, sondern das Netz illustriert hier einen Katholizismus, in dem jede Ortskirche ganz Kirche, aber nicht die ganze Kirche ist, und somit in die Gemeinschaft der Ortskirchen eingebunden sein muss. Innerhalb dieses Netzes hat die Ortskirche von Rom eine qualifizierende Bedeutung für die universale Einheit, aber sie ist nicht „die Weltkirche“. Die Apostolizität der Kirche bedeutet nach Ratzinger nicht eine mechanistisch verstandene Amtssukzession.
Die Amtsnachfolge stellt vielmehr „die Gestalt der Überlieferung“ (Karl Rahner und Joseph Ratzinger, Episkopat und Primat, Freiburg 1963, 49), also die formale Seite der Apostolizität der Kirche als communio und ihrer Verkündigung dar. Und auch in der Frage der konkreten Gestaltung der kirchlichen (Dienst-) Ämter hat Ratzinger die Möglichkeit neuer Entwicklungen angedeutet, die Chancen für eine ökumenische Anerkennung der Ämter erschließen könnten.
Der Theologe Ratzinger bezeichnete Konvergenzen im Amtsverständnis als Scheinlösungen
Das sind nicht einfach aus dem Zusammenhang gerissene Zitate, mit denen sich heute ökumenische Veröffentlichungen zieren oder ihre Positionen als rechtgläubig erweisen wollen. In seinen autobiographischen Notizen „Aus meinem Leben“ machte Joseph Ratzinger deutlich, dass er, spätestens mit seiner Habilitationsarbeit über die Geschichtstheologie Bonaventuras, in den Geruch eines Modernisierers kam und als Professor in Bonn, Münster und Tübingen und auch noch in Regensburg, vor allem aber als Konzilstheologe nicht unwesentlich dazu beitrug, die katholische Theologie aus der Engführung eines neuscholastischen Thomismus zu befreien und biblische und frühkirchliche Traditionen aufzugreifen, die unter dessen Dominanz kaum Beachtung gefunden hatten. Die Ökumene, so eine verbreitete Hoffnung, hatte im Theologen Joseph Ratzinger einen wortmächtigen Fürsprecher.
Aber es gibt auch andere Zitate, die wesentlich weniger zuversichtlich stimmten. Hierzu zählen etwa seine Aussagen bezüglich einander ausschließender Grundentscheide der katholischen und der evangelischen Kirche. Sie tauchten auf, als in ökumenischen Dokumenten ein Maß an Gemeinsamkeit formuliert wurde, das Konsequenzen für eine offizielle Annäherung der Kirchen möglich zu machen schien.
Insbesondere Konvergenzen im Amtsverständnis bezeichnete Ratzinger mehrmals als Scheinlösungen, weil sie das „Grundproblem des Zueinander von Glaube und Kirche“ nicht thematisiert hätten. Es gehe darum, Einverständnis zu finden „über die Kirche als vollmächtigen Träger des Bekenntnisses (...) Wo dies sich ereignen wird, wird die Frage nach der rechten Gestalt des Amtes sich von selbst lösen“ (Bemerkungen zur Frage der apostolischen Sukzession, in: Karlheinz Schuh [Hg.], Amt im Widerstreit, Berlin 1973, 44 f.).
Bei aller Unbestimmtheit in der konkreten Umschreibung dieser gegensätzlichen Grundentscheide, die sich angesichts der langen Diskussion um einen katholisch-protestantischen Wesensgegensatz nahe legte, wurde dennoch deutlich, dass dieser Ratzinger zufolge in der Zuordnung von Schrift, Tradition und Kirche und damit in der Autorität der Kirche in Sachen des Glaubens liegt, weil „in katholischer Sicht Schrift und Kirche untrennbar sind, während bei Luther die Schrift zu einem selbständigen Maß von Kirche und Überlieferung wird“ (Luther und die Einheit der Christen, in: Internationale katholische Zeitschrift „Communio“ 12 [1983] 568–582, hier 576).
Mit der Ernennung Ratzingers zum Präfekten der Glaubenskongregation tauchte die Vorstellung von einer katholisch-evangelischen Grunddifferenz auch in offiziellen vatikanischen Dokumenten auf, erstmals in der Antwort der Glaubenskongregation auf den Schlussbericht der Anglikanisch-katholischen Kommission, der ein „substantial agreement“ zwischen katholischer und anglikanischer Lehre konstatiert hatte. Dagegen formulierte die Glaubenskongregation, das Dokument stelle „noch keine substantielle und explizite Übereinkunft bezüglich einiger wesentlicher Elemente des katholischen Glaubens dar“.
Höhepunkt dieser harschen Zurückweisungen reformatorischer Kirchen war das Dokument „Dominus Iesus“ vom August 2000, das die orthodoxen Kirchen als „echte Teilkirchen“ bezeichnet, während es über die reformatorischen Gemeinschaften urteilte,
sie seien „nicht Kirchen im eigentlichen Sinn“ (Nr. 17). Diese Aussage berief sich auf das Zweite Vatikanische Konzil, war aber dessen engst möglicher Interpretation verhaftet. Das Konzil hatte den Gemeinschaften der Reformation das Kirchesein zwar nicht eindeutig zugesprochen, dieses aber auch nicht mehr, wie bis dahin fast selbstverständlich, explizit verneint.
Es hat dies bewusst offen gelassen und keine Festlegung getroffen, jedenfalls nicht im negativen Sinn. Wenn das subsistit in der Kirchenkonstitution (Nr. 8), auf das sich „Dominus Iesus“ beruft, im Sinne einer Verstärkung des herkömmlichen est interpretiert wird, widerspricht das jedenfalls dem Verständnis, das die überwiegende Zahl von Konzilsvätern mit dieser Formulierung ausdrücken wollte, und das in (fast) allen theologischen Kommentaren zum Konzil als Öffnung in Richtung auf einen ekklesialen Status der betroffenen Gemeinschaften gedeutet wurde.
Um eine Überinterpretation von „Dominus Iesus“ zu vermeiden, ist jedoch auch festzuhalten, dass hier nicht schlechthin das Kirche-Sein, sondern das Kirche-Sein „im eigentlichen Sinn“ abgesprochen wurde. Auch die Mitgliedskirchen des ÖRK erkennen einander, wie es in dessen Verfassung heißt, keineswegs notwendiger Weise als Kirchen im eigentlichen Sinne an, und die Schmalkaldischen Artikel, die zu den lutherischen Bekenntnisschriften gehören, sprechen der römischen Kirche schlechthin ab, Kirche zu sein (Siehe hierzu: Peter Neuner, Was ist „Kirche im eigentlichen Sinn“?, in: Bulletin Europäische Gesellschaft für katholische Theologie 19 [2008], 131–147).
Insofern ist die Aussage in „Dominus Iesus“ nicht so exzeptionell, wie verschiedentlich empfunden. Dennoch hat sie das Verhältnis zwischen den Kirchen ohne Not erheblich belastet. Jedenfalls ist es bedauerlich, dass die ökumenischen Fortschritte, die seit dem Konzil gemacht wurden, in dieser Bewertung keinen Niederschlag gefunden haben und dass allein auf das abgehoben wurde, was noch nicht erreicht ist.
Unterschiedliche Erwartungen an den neuen Papst
Verhältnismäßig wenig beachtet wurde der Beitrag, den Kardinal Ratzinger zum Gelingen der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre (GER) leistete. Wenige Tage nach der Zustimmung des Lutherischen Weltbundes erklärte die offizielle Antwort des päpstlichen Einheitsrates, „dass es einen Konsens in Grundwahrheiten der Rechtfertigungslehre“ gibt, forderte dann aber weitere Präzisierungen, weil „man noch nicht von einem so weitgehenden Konsens sprechen könnte, der jede Differenz (...) im Verständnis der Rechtfertigung ausräumen würde“. Die erbetene Bestätigung, dass die überkommenen Verwerfungen im Kontext der Rechtfertigungslehre die Kirchen nicht mehr trennen, wurde nicht gegeben.
Dies wurde allgemein als Rückzieher Roms und als kaum verdeckte Ablehnung des gesamten Prozesses verstanden. Insbesondere die Verantwortlichen in den evangelischen Kirchen, die vielfach gegen erhebliche Widerstände für die Annahme der GER gekämpft hatten, mussten darin eine grobe Brüskierung sehen. Man sprach von einem „ökumenischen Fehlschlag erster Ordnung“, einem „ökumenischen Desaster“ und prophezeite auf Jahrzehnte hin eine „ökumenische Eiszeit“.
Und dann kam alles ganz anders. In einem Leserbrief an die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom 14. Juli 1998 interpretierte Kardinal Ratzinger die Forderung nach weiteren Präzisierungen dahingehend, dass „der Dialog weitergehen muss“, gerade weil die verbleibenden Differenzen nicht mehr kirchentrennend seien. Ein lückenloser und umfassender Konsens sei nie angestrebt gewesen und er sei für eine Einigung der Kirchen auch nicht nötig.
Daraufhin wandte sich der emeritierte lutherische Landesbischof von Bayern, Johannes Hanselmann, an Kardinal Ratzinger, zu dem er noch aus den gemeinsamen Münchner Jahren ein gutes Verhältnis hatte. Bei einem Treffen im November 1998 im Hause Ratzingers in Pentling bei Regensburg wurde eine Interpretation gefunden, die die Unterzeichnung der GER möglich machte. Es war der erste Fall, dass trennende Lehrdifferenzen zwischen den Kirchen offiziell als überwunden erklärt wurden.
Angesichts so vielgestaltiger Vorgaben fielen die ökumenischen Erwartungen an den neu gewählten Papst sehr unterschiedlich aus. Dabei war vorherzusehen, dass weder die mutigen Formulierungen des jungen Professors, noch die kritischen Aussagen des Präfekten der Glaubenskongregation, dessen Aufgabe es war, einer Verfälschung des Glaubens zu wehren, allein die Marschrichtung bestimmen würden. Jedenfalls hat der Papst schon in der ersten Audienz nach seinem Amtsantritt die christlichen Kirchen und Gemeinschaften zum ökumenischen Dialog aufgerufen. Er sprach vom „unumkehrbaren Engagement“ der katholischen Kirche für die Einheit der Kirche und sagte, es seien „Mut, Milde, Festigkeit und Hoffnung gefordert, um das Ziel zu erreichen“.
Insbesondere die orthodoxen Kirchen zeigten sich über die Wahl Kardinal Ratzingers zum Papst erfreut. Selbst die russisch-orthodoxe Kirche, die sich gegenüber dem Vatikan besonders kritisch gezeigt hatte, bekundete ihre Hoffnung auf „Zeichen guten Willens“, die beweisen, dass „die Katholiken nicht Gegner oder Konkurrenten, sondern offen für die Zusammenarbeit sind“. Von Kirill, dem neuen Patriarchen von Moskau, kommen inzwischen versöhnliche Töne.
Besondere Aufmerksamkeit für die Piusbrüder
In den Kirchen der Reformation bestand von Anfang an die Sorge, dass sich das ökumenische Engagement Roms so sehr auf die Orthodoxie konzentrieren könnte, dass die gemeinsamen Anliegen und Herausforderungen der abendländischen Christenheit eher in den Hintergrund treten würden. Ein Rückblick auf die bisherigen fünf Jahre des Pontifikats zeigt vor allem die Bemühungen des Papstes um eine Überwindung des Schismas mit der Piusbruderschaft. Diese entstand aus dem Protest des französischen Erzbischofs Marcel Lefebvre gegen das Zweite Vatikanische Konzil, dessen Aussagen zur Religionsfreiheit, zu den Weltreligionen und zur Ökumene er als häretisch ablehnte. Um dem alten Glauben in seinem Verständnis treu bleiben zu können, hatte er sich von der vatikanischen Kirche losgesagt, Bischöfe geweiht und eigene, streng traditionalistische Gemeinden gegründet.
Rom tat alles, was – ohne das Konzil und seine Reformen direkt in Frage zu stellen – möglich war, um das drohende Schisma zu vermeiden. Schon 1984, also noch vor der Exkommunikation Lefebvres und der von ihm geweihten Bischöfe, wurde der Pius-Bruderschaft gestattet, unter bestimmten Bedingungen die Messe nach dem vom Konzil von Trient festgelegten Ritus zu feiern, der Liturgiereform des Zweiten Vatikanums also nicht zu folgen. 1988 wurde bei Gesprächen des damaligen Kardinals Ratzinger mit Lefebvre ein Konsenstext formuliert. Demnach hätte sich die Piusbruderschaft, um wieder aufgenommen zu werden, zu einer allgemein formulierten „Treue zur katholischen Kirche und dem römischen Papst“ sowie zum Gehorsam gegenüber dem kirchlichen Lehramt, wie er in der Kirchenkonstitution des Konzils (Nr. 25) umrissen ist, verpflichten müssen.
Darüber hinaus wurde lediglich gefordert eine „Haltung des Studiums und des Austausches – unter Vermeidung jeder Polemik – über die das Zweite Vatikanische Konzil betreffenden Punkte und die anschließenden Reformen, die den Traditionalisten nur schwer mit der Tradition vereinbar zu sein scheinen“. Zudem sollten sie erklären, dass die Messe und die Sakramente, wie sie durch das Zweite Vatikanum festgelegt wurden, gültig seien. Doch dazu war Lefebvre nicht bereit, das Schisma war erfolgt.
Wenige Wochen nach seiner Wahl empfing BenediktXVI. Bischof Bernard Fellay, den neuen Generaloberen der Pius-Bruderschaft. Im Juli 2007 wurde die tridentinische Messfeier wieder zugelassen und die Piusbruderschaft feierte das als ihren Triumph. Im Dezember 2008 baten ihre Bischöfe offiziell, vom Kirchenbann befreit zu werden.
In einem „Akt der Barmherzigkeit“ hat BenediktXVI. am 21. Januar 2009 die Exkommunikation über die vier Bischöfe aufgehoben, in der Hoffnung, „möglichst rasch zu einer vollständigen Versöhnung und zu voller Gemeinschaft“ der Kirche zu kommen. Weil einer der wieder Aufgenommenen, der Engländer Richard Williamson, kurz zuvor den Holocaust geleugnet hatte, erhob sich in der Öffentlichkeit ein Sturm der Entrüstung. Zudem stellte sich die Frage, ob die Entscheidungen des Konzils noch unverbrüchlich gelten, nachdem die Wiederaufnahme erfolgt war, ohne dass die Betroffenen sich zu ihm bekannt hätten. Vielmehr erklärten sie selbstbewusst, sie wollten nun „das angemessene Heilmittel liefern, um so zu einer gründlichen Wiederherstellung der Kirche zu gelangen“.
Der Vatikan hat eindeutig klar gemacht, dass eine Versöhnung mit der Pius-Bruderschaft nur möglich ist, wenn sich diese zum Zweiten Vatikanum bekennt. Aber es ist offensichtlich, dass der Papst der Versöhnung mit den Traditionalisten hohe Priorität einräumt. Damit hat Ökumene eine ganz neue Dimension angenommen, denn die Ablehnung der ökumenischen Bemühungen, wie sie das Zweite Vatikanum wesentlich prägten, bestimmt das Selbstverständnis der Pius-Bruderschaft. Es scheint, dass die Rücksichtnahme auf diese traditionalistische Strömung derzeit eine Öffnung gegenüber den Kirchen der Reformation erheblich erschwert und dadurch die Rezeption theologischer Erkenntnisse – etwa in der Amtsfrage und in der Lehre von den Sakramenten – für den Augenblick weithin blockiert wird.
Die Einrichtung besonderer Gemeinden und Ordinariate für Mitglieder der Anglikanischen Gemeinschaft, die die derzeitige Entwicklung ihrer Kirche, insbesondere die Frauenordination ablehnen und sich Rom anschließen, aber die Riten und Gebräuche der anglikanischen Kirche beibehalten wollen, hat die anglikanische Kirche erheblich beunruhigt. Einerseits begrüßt man es, dass eine nicht mehr integrierbare Minderheit eine religiöse Heimstätte außerhalb ihrer Grenzen findet, andererseits hätte man es für redlicher gehalten, wenn sich die Betroffenen der römisch-katholischen Kirche angeschlossen hätten und nicht in eine nach außen hin immer noch anglikanisch auftretende Gruppierung abgewandert wären.
Es bleibt abzuwarten, wie die orthodoxen Kirchen auf diesen vatikanischen Vorstoß reagieren, der dem Uniatismus überaus nahekommt, den Rom im Gespräch mit der Orthodoxie als heute nicht mehr gangbaren Weg zur Einigung der Christenheit bezeichnet hat. Zudem zeigen sich ökumenisch aufgeschlossene Kreise in der Orthodoxie enttäuscht darüber, dass von den Perspektiven, die der Professor Ratzinger hinsichtlich der Möglichkeiten einer Einigung mit der Orthodoxie formuliert hatte, bisher nichts in die Praxis umgesetzt wurde. Ja im Gegenteil: Der Papst hat den Titel eines Patriarchen des Westens offiziell abgelegt.
Damit wurde die Basis aufgegeben, auf der nach orthodoxem Verständnis eine Anerkennung des Bischofs von Rom als Patriarch des Westens denkmöglich geworden wäre. Denn nun erscheinen alle päpstlichen Äußerungen und Entscheidungen auf die Ebene eines universalkirchlichen Anspruchs gehoben, den die Kirchen des Ostens nie anerkannt haben. Es konnte der Orthodoxie keine Interpretation für den Verzicht auf diesen Titel gegeben werden, die diese Sorgen zerstreut hätte.
Mit Nachdruck weist Rom das Wort von einer ökumenischen Stagnation zurück. Tatsächlich gibt es neue theologische Dokumente, die Mut machen. Aber nicht zufällig hat der ehemalige Ratsvorsitzende der EKD, der Berliner Bischof Wolfgang Huber, die Parole von einer „Ökumene der Profile“ ausgegeben. Er verweist dabei auf Problemfelder, in denen derzeit kirchenamtlich keine Fortschritte zu erwarten sind. Ökumene erfordere jetzt, dass man sich „möglichst präzise darüber verständigt, worüber man sich vorerst nicht zu verständigen vermag“, und sich dahingehend einigt, „dass wir uns unsere bleibenden Unterschiede nicht gegenseitig vorwerfen, sondern sie als Differenzen verstehen lernen, mit denen ökumenisch zu leben unsere zukünftige gemeinsame Aufgabe ist“ (Was bedeutet Ökumene der Profile?, in: Johannes Brosseder und Markus Wriedt [Hg.]: „Kein Anlass zur Verwerfung“, Frankfurt 2007, 407, 409).
Wesentlich weniger diplomatisch hat Margot Käßmann, die inzwischen zurückgetretene Nachfolgerin Hubers im Vorsitz des Rates der EKD, formuliert, man habe in Sachen Ökumene „nichts mehr zu erwarten von diesem Papst“. „Wenn etwas zu erwarten gewesen wäre, hätte sich das bis jetzt gezeigt“. Natürlich wurde diese Äußerung zurückgewiesen und als für die Ökumene schädlich heftig kritisiert. Man verwies mit Recht auf Aussagen des Papstes etwa bei Weltjugendtagen oder zur Weltgebetswoche für die Einheit der Christen. Aber es kann nicht übersehen werden, dass Käßmanns Einschätzung die derzeitige Wahrnehmung des Pontifikats in weiten Kreisen der kirchlichen und der außerkirchlichen Öffentlichkeit kennzeichnet. Die Konzentration der Einigungsbemühungen auf extrem traditionalistische Kreise hat BenediktXVI. einen hohen Preis abgefordert.