Seit dem inoffiziellen Startschuss waren ziemlich genau zwölf Jahre vergangen, bis der Würzburger Bischof Friedhelm Hofmann, der damals als Weihbischof in Köln zusammen mit Winfried Vogel als Sekretär, Projektleiter für das neue Gebet- und Gesangbuch wurde, in feierlicher Weise im Januar 2013 in der Druckerei Beck in Nördlingen den roten Knopf zum Andruck des Buches betätigen konnte, das bis zum Frühherbst in einer Startauflage von knapp vier Millionen Exemplaren in 24 verschiedenen Ausgaben für jetzt 40 Diözesen vorliegen soll, damit das neue Gotteslob pünktlich zum 1. Adventsonntag des Jahres 2013, einem 1. Dezember, in den Gemeinden eingeführt werden kann.
Die Eckdaten zur Geschichte des Buches sind schnell aufgezählt. 2002 hat sich die entsprechende Unterkommission der Liturgiekommission der Deutschen Bischofskonferenz mit ihren stimmberechtigten Gästen aus Österreich konstituiert. Seit 2003 tagen die Diözesanvertreter, welche für die Erstellung ihrer Diözesan- beziehungsweise Regionalteile zuständig sind, das Werden des Stammteils aus ihrer Sicht kritisch begleiten sollten und dann für die Einführung des Gesamtwerkes in den jeweiligen Diözesen sorgen müssen. 2004 haben zehn Arbeitsgruppen ihre Tätigkeit zur Erarbeitung der konkreten Inhalte des Buches aufgenommen.
Am Tag der Approbation konnten sich alle als Sieger fühlen
Ihnen konnten bereits die Ergebnisse der „Akzeptanzerhebung“ des alten Gotteslobs mitgegeben werden, welche 2003 durchgeführt worden ist. Die Ergebnisse der Erhebung der „Stimme des Volkes“ war für die Fachleute nicht frei von Überraschungen, sie hat jedenfalls sehr geholfen, getrost auf Altes zu verzichten und „kundenorientiert“ sich an neue, gewünschte Inhalte zu wagen. Auf die Zehn Arbeitsgruppen waren die Bereiche Lieder, Gesänge, Psalmodie, Begleitbücher (Orgel- und Klavierbuch), Gebete, katechetische Texte, künstlerische Ausgestaltung, Sakramente und Sakramentalien, Ordo Missae, Tagzeitenliturgie, Wort-Gottes-Feier und Andachten aufgeteilt.
Die Bestellung der Mitglieder der Arbeitsgruppen sorgte mitunter für Erstaunen, die Gruppen hatten jedoch schnell zusammengefunden und entwickelten anhand der gestellten Aufgaben oft ein erstaunlich profundes fachliches Profil, auf das auch ein Universitätsinstitut stolz sein könnte. Es soll nicht verschwiegen werden, dass einige der Arbeitsgruppen, vor allem die AG1, Lieder, oft große Energien in die Forschung investieren mussten, um zu verantwortbaren Ergebnissen zu kommen. Diese „Nebenprodukte“ bei der Erstellung eines Gemeindebuches werden hoffentlich in geeigneter Form der „scientific community“ zur Verfügung gestellt werden und auch so für die große Nachhaltigkeit dieses riesigen Projektes sorgen.
Andere Arbeitsgruppen mussten vor allem kreative Prozesse anstoßen, indem sie neue Kompositionen beauftragten oder über geladene Wettbewerbe zu akquirieren versuchten, diese dann evaluieren und oftmals auch verwerfen mussten. Gerade im Bereich der Kehrverse und Gesänge (zum Beispiel deutsche Ordinarien) werden sich bei den Quellenangaben viele Jahreszahlen finden, die mit einer „2“ beginnen, also Schöpfungen aus jüngster Zeit darstellen. Zu den Arbeitsgruppen kam später noch die Projektgruppe „Kehrverse“ dazu, die sowohl manche im Arbeitsprozess aufgetretene Ungereimtheiten beseitigen musste, vor allem aber dieses umfangreiche Feld des heutigen Liturgiegesangs zu koordinieren und zu komplettieren hatte.
2007 wurde eine Probepublikation fertig gestellt, mit welcher zwischen Dezember 2007 und Pfingsten 2008 ausgewählte Gemeinden in jeder der beteiligten Diözesen die inzwischen neu erarbeiteten Gebete, Lieder, Gesänge und Feiergestalten praktisch austesten sollten. Die Auswertung der Ergebnisse, die – grob gesagt – aufgeteilt auf Kirchgänger, Kirchenmusiker und pastorale Mitarbeiter erfolgte, brachte wieder so manche Überraschungen, unvermutete Ablehnungen und unerwartete Zustimmungen, sodass die Arbeitsgruppen mit zum Teil geänderten Aufträgen an die Fertigstellung ihrer Materialien gehen konnten. Im Jahre 2010 begann die Endredaktion des Stammteiles, es kam die Stunde der Wahrheit, was hat denn nun wirklich im neuen Gotteslob Platz, das keinesfalls dicker werden durfte als das alte. Da in 699 Nummern (die Nummern 700 bis 999 sind für die Diözesanteile reserviert) nicht alles unterzubringen war, was gut und wünschenswert ist, kamen die unvermeidlichen und schmerzlichen Prozeduren des Streichens und Aussonderns.
Die meisten haben dies sportlich genommen, und am Tag der Approbation konnten sich eigentlich alle als „Sieger“ fühlen. Das Approbationsverfahren mit der Einarbeitung der bischöflichen Modi wurde 2011 durchgeführt. Danach folgte die Phase der Recognitio durch die römische Gottesdienstkongregation, die – was aufgrund von Indiskretionen in großen deutschen Medien breit getreten wurde – nicht frei von Spannungen gewesen ist. War ursprünglich befürchtet worden, dass es mit den im deutschen Sprachraum beliebten und nicht weg zu denkenden, aber seit 2001 von Rom aus explizit verbotenen Ordinariumsparaphrasen (zum Beispiel der „Schubertmesse“, an der auch der emeritierte Papst Benedikt XVI. sehr hängt) Probleme geben könnte, so entzündete sich laut Medienberichten ein Streit an den Liedern von Huub Oosterhuis, bei denen es nicht um doktrinäre, sondern um kirchenpolitische Fragen ging.
Die am Projekt beteiligten Bischöfe haben eine gesetzeskonforme, gütliche Lösung gefunden, welche den Anliegen aller Seiten Genüge tut und den Gemeinden nichts wegnimmt, woran sie hängen. Im letzten Moment sind zum neuen Gotteslob noch die Diözesen Lüttich und Luxemburg dazu gestoßen, allein der Erzbischof von Vaduz konnte sich für seine 12 Pfarren nicht dazu entschließen.
Bei diesem Stand der Dinge wurde inzwischen angedruckt, und seither laufen die Rotationsmaschinen und Buchbinderbetriebe. Bereits Mitte Februar wurde ein einfacher Schwarz-weiß-Vorabdruck in der bestellten Stückzahl an die Diözesen ausgeliefert, sodass alle, die sich dafür interessieren, bereits jetzt Einsicht in alle Details des Buches nehmen können. Die Serie der Schulungen, Präsentationen und Einführungsveranstaltungen ist in vielen Diözesen längst angelaufen, das Interesse am Buch ist enorm. Zeitgleich mit dem Gotteslob werden auch ein Orgel- und Klavierbuch in der Verantwortung der Unterkommission erscheinen.
Das Klavierbuch ist eine absolute Novität. Während in den USA Klavierbegleitung von Gemeindegesang längst Standard ist, wird nun im deutschen Sprachgebiet die immer stärker werdende Nachfrage von Materialien für das Klavier (oder Keyboard) mit diesem Buch befriedigt, denn: ein Orgelsatz ist kein Klaviersatz und umgekehrt. Beiden Instrumenten sind bestenfalls schwarze und weiße Tasten gemeinsam. Die Klaviersätze sind eher anspruchsvoll und richten sich an Spieler mit einem gewissen technischen Niveau.
Eine notwendige Ergänzung zum Gotteslob ist das Kantorenbuch. Diese Aufgabe wird in Absprache mit der Unterkommission das „Münchener Kantorale“ erfüllen, dessen Band zum Lesejahr A pünktlich im Herbst 2013 da sein wird. Die österreichischen Diözesen, Bozen-Brixen und München-Freising werden eine gemeinsame Sonderausgabe erhalten, in der auch die jeweiligen regionalen Proprien eingearbeitet sind, die Standardausgabe ist für den Rest Deutschlands bestimmt. Für Chorbücher zum Gotteslob hat ein dafür einschlägig bekannter privater Verlag längst alle Vorbereitungen getroffen. Es ist auch mit anderen Verlagsaktivitäten zur Aufbereitung des neuen Gebet- und Gesangbuchs zu rechnen. Dem Vernehmen nach ist auch ein „Orgelbuch der Domorganisten“ geplant.
Welche Wünsche und Hoffnungen haben sich erfüllt?
Parallel zu den genannten Arbeiten haben die Diözesen ihre Diözesanteile erstellt, die nun nicht mehr „Anhang“ heißen werden, was der Dignität der Kirche vor Ort besser entspricht. In Österreich haben nach einigem Gezerre nachgeordneter Personen sich die Bischöfe entschlossen, einen gemeinsamen Österreichteil herauszugeben, der die Proprien der neun Territorialdiözesen und etliches an neuen Liedern und Gesängen enthält. Es hat sich auf empirischem Wege herausgestellt, dass landesweit die Gemeinsamkeiten die Besonderheiten so weit überwiegen, dass es keinen triftigen Grund für teure Sonderwege gibt. In den Prozess der Entstehung des Österreichteils wurde die kirchliche Basis mehrfach dezidiert eingebunden, um spätere Klagen über fehlende Lieblingslieder zu vermeiden. Das Ergebnis liest sich demnach auch wie ein „best of“ vom Neusiedler- bis zum Bodensee, wenngleich dabei das strenge liturgisch redaktionelle Konzept nicht übersehen worden ist. Die Diözesanteile dienen generell der Ergänzung mit regionalen Besonderheiten bei Liedern und Gebeten, sowie auch dem bei Bedarf durchaus gewollten „Auffangen“ von Materialien, die im Stammteil bei bestem Willen keinen Platz gefunden haben, aber dennoch eine Rolle im Leben der Gemeinden spielen.
Zunächst ist einmal festzuhalten, dass die Hoffnung, mit dem Gotteslob gleichzeitig die zweite Auflage des deutschen Messbuchs als Bearbeitung der dritten Auflage des Missale Romanum von 2002/2008, sowie die revidierte Bibelübersetzung in der Hand zu haben, sich als Utopie herausgestellt hat. Es ist mit vielen Anstrengungen angepeilt worden, Gemeindegesangbuch, Messbuch und revidierte Bibel miteinander akkordiert erscheinen zu lassen, was ja sinnvoll und notwendig ist, weil die drei Buchprojekte aufs Engste miteinander verflochten sind. Nur, die dazu notwendigen Entscheidungsprozesse liegen nicht allein in deutscher Hand.
Seit dem Erscheinen von „Liturgiam authenticam“ 2001 hat sich vieles geändert, vor allem die Art der Zuständigkeiten der Gottesdienstkongregation und deren Kontrollrechte. Vor allem die naive Hoffnung, dass nichts so heiß gegessen werde wie gekocht wird, war trügerisch. Rom setzt in manchen Bereichen die Instruktion mit Punkt und Beistrich, aber auch darüber hinaus, um. Die schwerwiegendste Veränderung war, dass durch die römischen Regelungen für die diversen Kommissionen die Geheimniskrämerei auf die Spitze getrieben worden ist und mit einem Schlag die Linke nicht mehr wusste, was die Rechte tut, es ist ja nicht einmal offiziell bekannt, wer unter der Ebene der jeweiligen vorsitzenden Bischöfe für die Sach- und Detailarbeit zuständig ist. Das erschwert notwendige Kooperation und Abstimmung, vor allem, wenn es darum geht, theologische, sprachliche und musikalische Fragen, etwa beim Cursus der Psalmenübersetzung, miteinander verbunden befriedigend zu lösen.
Beim Messbuch scheint es so zu sein, dass nach der Anfangseuphorie kirchenbeamteter Latinisten, das Rad locker neu erfinden zu können (und das in kurzer Zeit), das Projekt heute ungefähr wieder dort steckt, wo es vor zehn Jahren auch war, damals freilich unter anderen Vorzeichen. Dem Gotteslob hat das alles nichts geholfen. Der einzige Vorgriff auf beschlossene Veränderungen ist die Aufnahme der Wiedergabe des „pro multis“ in den Wandlungsworten mit „für viele“ – ein gewichtiger Wunsch des emeritierten Papstes. Eine weitere Verzögerung des Gotteslob-Projektes hätte wahrscheinlich schwerste Turbulenzen von allen Seiten her nach sich gezogen; manche haben das Projekt sogar für insgesamt gefährdet gesehen. (Man muss auch die prekäre Situation all jener Gemeinden sehen, die keine Gesangbücher mehr kaufen konnten, weil seit Jahren keine mehr nachgedruckt worden sind.)
Immerhin: An den gemeinderelevanten Teilen des Missale wird sich dem Vernehmen nach nichts Essenzielles ändern, der größere Eingriff in die liturgische Praxis wird die Umstellung auf die neue Psalmenübersetzung sein. Diese muss dann erst einmal in den Neuausgaben der Lektionare und der Stundenbücher umgesetzt werden. Es ist zu vermuten beziehungsweise damit zu rechnen, dass dieser Prozess fertig sein wird, wenn nach etlichen Jahren des Gebrauchs die erste Generation der Bücher des Gotteslob 2013 unbrauchbar geworden ist und ausgetauscht werden muss.
Der Aufreger von 1975 waren die vielen Neuerungen bei Liedern und Gesängen. Es ist vorauszusehen, dass dies diesmal ausbleiben wird. Die AG1, Lieder, hat über all die Jahre wahrlich Schwerstarbeit geleistet. Über 3000 Lieder in diversen erreichbaren Gesangbüchern und Internetressourcen wurden durchgesehen und evaluiert. Davon blieb eine Auswahl von 500 übrig, die aufgrund der ersten Berechnungen der für die Endredaktion Zuständigen auf knapp unter 300 reduziert werden mussten.
Mit Änderungen bekannter und eingesungener Lieder war die AG1 sehr vorsichtig und zurückhaltend. Natürlich mussten Fehler beseitigt werden, wie etwa die kurzen Auftakte beim Lied „Maria, breit den Mantel aus“. Notationstechnisch wurden vor allem zahlreiche Lieder des 16. und 17. Jahrhundert verändert, um deren musikalischen Duktus im Sinne der Aufführungspraxis der Entstehungszeit deutlicher hervorzuheben. Damit wurden auch Unsinnigkeiten des alten Gotteslob stillschweigend beseitigt. Bei einer Melodie wird es zwei Fassungen geben, die ursprünglich rhythmisch differenzierte und die in späterer Zeit rhythmisch eingeebnete, die Johann Sebastian Bach verwendet hat: „O heil’ge Seelenspeise“ – „Nun ruhen alle Wälder“. Es ist kein Schreibfehler: die „wunderbare Speise“ ist wieder in die „heil’ge Seelenspeise“ zurück verwandelt worden, und beides entspricht nicht dem lateinischen Ursprungsincipit „O esca viatorum – o Speise der Pilger“.
Es wurden zahlreiche neue Melodien aufgenommen, nicht wenige stammen aus der anglikanischen Tradition und haben die Kraft, sich auch hierzulande als „Hits“ zu entwickeln. Bei nicht wenigen Liedern ist auch eine Alternativmelodie angegeben, sodass man ansprechende Texte zunächst auch mit bereits bekannteren Melodien singen kann. Bei allen bisherigen Liedern wurde genau geprüft, ob die Strophenfolge in sich stimmig ist. Gegebenenfalls wurde dies korrigiert, etliche Lieder von Paul Gerhard zum Beispiel erhalten so mehr Strophen als bisher. Das Lied zur Gabenbereitung „O Gott, nimm an die Gaben“ erhielt wieder seine zweistrophige Form „Du hast, o Herr, Dein Leben“ der Einheitslieder von 1949. Die Praxis hatte gezeigt, dass eine einzige kurze Liedstrophe als Begleitgesang für die Gabenbereitung einfach zu wenig ist.
Ökumene im Kirchengesang
Die Liste der Änderungen ist insgesamt nicht allzu lang geworden. Textänderungen bringen erfahrungsgemäß kaum Probleme mit sich, Melodieänderungen sind eher selten. Mitunter waren auch die Änderungsvorschläge mutiger als der Veränderungswille der Entscheidungsträger. Die „Verwirrung der Gläubigen“ und „aus pastoralen Gründen“ sind die Lieblingsargumente, wenn es darum geht, Veränderungsresistenz zu begründen. Auch wünschenswerte Änderungen konnten nicht durchgesetzt werden, wenn Autoren mit Hilfe des Urheberrechtes nicht nachgeben wollten.
Ein gewichtiges Kapitel war die Ökumene im Kirchengesang. Zwischen der AG1 und der Arbeitsgemeinschaft ökumenisches Liedgut (AÖL) hat sich eine erfreulich gute, intensive und fruchtbare Zusammenarbeit entwickelt, von der beide Seiten profitiert haben. Die AÖL hat sich teilweise sehr weit bewegt, weil der Wille vorhanden war, anhand von theologischen, literarischen und musikalischen Argumenten her zu diskutieren, und nicht von konfessionellen Justamentstandpunkten und Traditiönchen her. Kirchengesang als Zeugnis des gemeinsamen Glaubens wird im Gotteslob wiederum anhand des Buchstabens „ö“ unter der Nummer sichtbar werden. Dieses „ö“ zeigt an, dass es für das betreffende Lied eine gemeinsame Fassung für alle christlichen Kirchen im deutschen Sprachgebiet gibt, und dass diese Fassung auch in diversen Gesangbüchern zu finden ist. Ein eingeklammertes (ö) bedeutet, dass Teile des betreffenden Liedes gemeinsam sind, vor allem die Melodie. Oftmals heißt dies, dass etwa von 14 vorhandenen Strophen fünf ausgewählt worden sind. Im Stammteil sind über 160 Lieder und Gesänge mit „ö“ und rund 35 mit „(ö)“ zu finden. Auf die Lieder allein bezogen heißt dies, dass weit mehr als die Hälfte aller Lieder des Stammteils ökumenische Fassungen besitzen. Das ist ein erfreuliches Zeugnis für den gemeinsamen Glauben und das gemeinsame Bekenntnis zum einen Herrn.
Viele der eigentlichen Innovationen des nachkonziliaren deutschsprachigen Kirchengesangs sollten von der AG2, Gesänge, und AG3, Psalmodie, in Verbindung mit der AG10, Tagzeitenliturgie ausgehen. Allein schon die Konstruktion dieser Arbeitsaufteilung führte zu natürlichen Reibungsverlusten, Doppelgleisigkeiten, fehlenden Absprachen, und was sonst noch – auch ohne bösen Willen – sich wie von selbst ergibt. Die Projektgruppe Kehrverse hatte dies dann wieder alles aufs Gleis zu bringen.
Bei den Kehrversen war wohl auch der größte Handlungsbedarf gegeben. Viele Beispiele, die dem Kirchenbesucher schon zum Ohr heraus staubten, sind glücklicherweise verschwunden und durch bessere ersetzt worden, so auch im Bereich der Karwoche. Die Idee, über den Zaun des deutschen Sprachraumes zu schauen, und anhand von Beispielen aus Italien, Frankreich, Holland, den USA und Nordeuropa Psalmodiemodelle und Kehrverse zu entwickeln, die von Pseudogregorianik und auch echter Gregorianik weggehen und im heutigen Tonsystem integriert sind, wurde nicht gerade mit Begeisterung aufgegriffen. Die neuen Kehrverse blieben weitgehend kirchentonal. So darf dieser Bereich des Gotteslob durchaus als recht traditionell bezeichnet werden. Bei den Psalmtönen wurden nach Münsterschwarzacher Vorbild einige neuen Kadenzen eingeführt, welche das schreckliche Klappern bei unrhythmischen Satzschlüssen abmildern werden. Eine größere Varianz bei der Psalmodie wird es in der Tagzeitenliturgie geben. Die mehrstimmige Psalmodie ist vor allem im Österreichteil sehr erweitert worden.
Einen größeren Innovationsschub gab es bei den deutschen Ordinarien. Das bisherige Repertoire wurde deutlich entrümpelt. Alle neuen Kompositionen des Gloria, Credo und Sanctus enthalten die offiziellen liturgischen Texte. Die Melodiemodelle sind meist in heute gebräuchlicher Tonalität und nicht pseudogregorianisch. Erste Testläufe haben gezeigt, dass diese Innovationen durchaus angenommen werden. Auch der Bereich der Litaneien wurde gründlich runderneuert. Neu hinzugekommen sind Litaneien nach dem ukrainischen Melodiemodell des Hymnus Akathistos oder eine erneuerte Version der Grüssauer Marienrufe. Standards wie die Allerheiligen- oder die Lauretanische Litanei wurden nur auf den heutigen liturgischen Stand gebracht.
Die lateinische Gregorianik ist wie bisher mit Gesängen vertreten, die sich international in katholischen Gesangbüchern als Standards herauskristallisieren. Dazu gehören neben der „Missa de angelis“ die so genannte „Missa mundi“, die Ostermesse und die Messe für Advent- und Fastenzeit. Die gewöhnliche Sonntagsmesse ist in der Auswertung der Probepublikation kräftig durchgefallen, also verblieb nur deren Kyrie. Neu sind alle gängigen marianischen Antiphonen auch in lateinischer Version, sowie von der Requiemmesse der Introitus und die Communio, was früher schon vereinzelt in Diözesananhängen zu finden war. Einfachere Antiphonen aus dem „Graduale simplex“ sollen auch ein Mindestmaß an Propriumsantiphonen bereitstellen.
Das Gotteslob ist nicht nur ein liturgisches Buch
Die Modelle für die Tagzeitenliturgie wurden entscheidend umgestaltet und ausgeweitet. Wer monastische Ordnungen nicht kennt, wird bei den Psalmen der Sonntagsvesper vielleicht etwas verwundert sein. Viele Antiphonen sind wesentlich singbarer geworden, auch Responsorien und Fürbittrufe bieten etwas mehr an Abwechslung.
Zusammen mit dem Kapitel „Psalmen“ befinden sich insgesamt 69 Psalmen im neuen Gotteslob, ein gewichtiger Querschnitt durch das Psalmenbuch, ausgesucht nach liturgischen wie nach lebensthematischen Kriterien. Wer regelmäßig Tagzeitenliturgie feiert, wird die Standards der liturgischen Ordnung wesentlich besser vertreten finden als im alten Buch, zum Beispiel die Psalmenreihen der Sonntage.
Dies entspricht den heutigen wie zukünftigen Erfordernissen von Gemeindesituationen, in denen Tagzeitenliturgie auch als Substitution für die fehlende sonntägliche Eucharistiefeier stattfinden wird müssen. Dem dient auch ein vollständiges Formular für eine Wort-Gottes-Feier, die man zur Not auch mit Gesangbuch und Lektionar allein feiern könnte. Dieses Kapitel zeigt die großen Veränderungen in der Kirche in den letzten 40 Jahren an. 1975 wäre für eine solche Feierform absolut kein Bedarf gewesen. Die Andachten wurden in Umfang, Form und Länge etwas reduziert und sind jetzt nicht mehr Belehrungen für den lieben Gott und die Gemeinde, sondern echte Wechselgebete, die dem Genus Andacht angemessen sind.
Das Gotteslob ist nicht nur ein liturgisches Buch der Gemeinde, sondern auch Buch für häusliche Feiern wie zum Beispiel der Heilige Abend, für die Vorbereitung auf sakramentliche Feiern wie die Beichte. Das Gotteslob bietet eine Grundorientierung in den zentralen Fragen des katholischen Glaubens und der Sittenlehre. Und es ist darüber hinaus Gebet- und Meditationsbuch für den einzelnen Christen. Der Gebetsteil ist ein guter Mix aus den katholischen Standards, Gebeten anderer christlicher Traditionen wie der Orthodoxie, Gebetstexten der Heiligen und moderner Autoren sowie Anleitungen zu einem Leben im Gebet.
Über das theologische Konzept des Buches, sprich: über dessen Aufbau, ist jahrelang diskutiert worden, an Details wurde bis zum Schluss gefeilt. Die Grundgliederung besteht aus vier Hauptkapiteln: Hören auf das Wort Gottes – Antworten im Gebet; Psalmen – Gesänge (mit Messgesängen) – Litaneien; Gottesdienstliche Feiern (Sakramente, Sakramentalien, Tagzeiten, Andachten); Diözeseanteil (Regionalteil).
Als Beispiel sei das zweite Hauptkapitel dargestellt: Es beginnt mit den Gesängen, die Gott selbst seiner Kirche gegeben hat: mit den Psalmen. Dann folgt alles andere, was aus dem Geist der Schrift heraus sich als Menschenwort an Gott wendet. Dies beginnt mit der Erfahrung des Tages und seiner religiösen Deutung und geht weiter in die Erfahrung der Woche, deren erster Tag der Sonntag ist. Dieser zeichnet sich primär durch die Feier der Eucharistie aus. Also stehen hier alle Messgesänge. Diese wurden nicht mehr im System von Messliedreihen angeordnet, sondern im Modulsystem: alle Kyrie stehen beisammen, alle Gloria, alle Kehrverse für den Antwortpsalm usw. Auf die Woche folgt das Jahr, das Kirchenjahr. Dieses mündet in die großen Themen des Lebens: mit Gott (der drei-eine Gott, Lob, Dank, Anbetung, Bitte und Vertrauen, Glaube, Hoffnung, Liebe, Wort Gottes, Segen), in der Welt (Sendung, Nachfolge, Schöpfung, Gerechtigkeit, Friede), in der Kirche. Zum Leben in der Kirche gehören die Themen der Ökumene, der Sakramente, des Sterbens, Maria und die Heiligen, sowie die Perspektive des definitiven Lebens in Gott: das himmlische Jerusalem. Die Litaneien als Gebetstradition der Christen bilden den Abschluss des zweiten Hauptkapitels. Das Gesamtkonzept gibt einen roten Faden her, der den Blick vom Individuum auf sein Dasein in der Zeit, in der Welt, vor und mit Gott weitet. Dieses Konzept ist in sich schlüssig und auch nicht unpraktisch.
Nach mehr als zehn Jahren liegt nun das Gotteslob fertig vor. Vieles von dem, was anfangs gewünscht und konzipiert worden ist (vgl. HK, Januar 2002, 31 ff.), spiegelt sich im neuen Gotteslob. Der Mainstream dessen, was als richtig für ein heutiges Gebet- und Gesangbuch angedacht worden ist, wurde in die Praxis umgesetzt. Manche Aspekte sind durch kirchliche Realitäten offen geblieben, einiges ist auch in den vielen dynamischen Prozessen der Buchwerdung gescheitert. Alles in allem aber bedeutet dieses Buch einen großen Sprung nach vorne. Die Innovationen sind bedeutsam, auch im Lichte der Reaktion auf die Lebenswelt heutiger Menschen und das Umgehen mit den diversen kirchlichen Situationen. Man wird sich über das eine oder andere Detail streiten können, das eine mehr lieben als das andere und vielleicht auch etwas vermissen. Das soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieses Buch in einer großen gemeinsamen Anstrengung in vielen Bereichen zu einer höchst gelungenen Sache geworden ist. Wer auf das Gotteslob vorurteilsfrei zugeht, wird staunen ob der Vielfalt seiner Inhalte und auch seiner äußeren Performance. Tief verwurzelt im katholischen Glauben ist das Buch ein modernes Kind des 21. Jahrhunderts.