Debatte im Wissenschaftskolleg über Theologie und GlaubenKermani über Theologie: Anschlussfähigkeit führt zum Bedeutungsverlust

Martin Mosebach fordert Konfrontation statt Dialog, Navid Kermani dreht das Radio leiser, wenn christliche Theologen sprechen, die liberale Rabbinerin Birgit Klein will spielerisch über Gott nachdenken und der katholische Theologe Michael Seewald plädiert für Scharfsinn statt Anbetung. Protokoll eines denkwürdigen Abends in Berlin.

Friedenspreisträger Navid Kermani
Friedenspreisträger Navid Kermani setzt sich in seinen Büchern für den interreligiösen Dialog ein.© Bogenberger Photographie

Als Martin Mosebach „Wahrheit“ sagt, wird es unruhig im Saal. Das renommierte Berliner Wissenschaftskolleg hatte zu einer Tagung über das Thema „Theologie und Glaube“ eingeladen. Bei einem Podium am Donnerstagabend diskutierten der Publizist und Orientalist Navid Kermani, der Schriftsteller Martin Mosebach (mit Kermani seit Langem freundschaftlich verbunden), die Rabbinerin und Judaistin Birgit Klein sowie der katholische Theologe und Priester Michael Seewald.

„Wenn sich die Theologien als Wissenschaften neben anderen verstehen – welche Rolle spielt der Glaube für sie? Ist der Gottesbezug für die Theologien noch konstitutiv? Worauf gründen sie ihren Geltungsanspruch im Rahmen des Wissenschaftssystems? Worin besteht das Proprium der Theologien gegenüber der Religionswissenschaft?“ Diese Fragen hatte die Rektorin des Wissenschaftskollegs, Barbara Stollberg-Rilinger, der Runde zur Beantwortung aufgegeben.

Mosebach sah jenes Proprium der Theologie in einem starken Wahrheitsbegriff gegeben. Gerade weil es in er Theologie um Wahrheit gehe, sei sie keine Wissenschaft im heutigen wissenssoziologischen Sinne. „Die Wissenschaft hat nichts mit der Wahrheit zu tun“ sagte der Frankfurter Schriftsteller apodiktisch und sorgte damit für hörbaren Unmut, nicht zuletzt bei den im Publikum zahlreich anwesenden Theologieprofessorinnen und -professoren.

Bahners: Theologie vollzieht „Akt der Unterwerfung“

Mosebach nahm damit den Ball des FAZ-Redakteurs Patrick Bahners auf, der aus dem Publikum gefragt hatte, ob die Theologie in ihrem Willen, unbedingt Wissenschaft sein zu wollen, nicht einen „Akt der Unterwerfung“ vollziehe. Wissenschaft heute sei eine „dauernde Neuproduktion und Überarbeitung von Wissen“, das generierte Wissen darum „immer nur vorläufig“. Passe das denn zum Anspruch der Theologie? Und wäre es nicht sogar eine Befreiung, wenn die Theologie sich von ihrer „Wissenschaftseuphorie“ lösen würde – zumal auf diese Weise klar würde, dass die Wissenschaft „nicht auf alles in der Welt Antworten“ habe?

Birgit Klein, die als Rabbinerin für eine, wenn man so will, ultra-liberale Strömung des Judentums steht, das ohne ein personales Gottesbild auskommt, bewusst auf anstößige biblische Ansprüche wie die „Auserwählung“ des jüdischen Volkes verzichtet und – so Klein – eher „spielerisch über Gott nachdenken“ möchte, hatte zur Forderung nach einer Theologie der starken Wahrheitsansprüche freilich wenig zu sagen. 

Michael Seewald hingegen hatte alle Hände voll zu tun, den Bahners'schen Vorschlag zurückzuweisen. Er habe ein anders Verständnis von Wissenschaft. Wissenschaft bedeutet nicht „ständige Revision“, sehr wohl aber „ständige Reflexion“. Insofern sei die Theologie an der modernen Universität nach wie vor gut aufgehoben.

Schriftsteller Mosebach sah das anders. Eine Theologie aus einer Grundhaltung der Anbetung und Verherrlichung Gottes – eine „knieende Theologie“ also – sei eher an eigenen, von der Kirche selbst verantworteten Einrichtungen möglich. Dass hierzulande ein Universitätsstudium Voraussetzung sei, um zur Priesterweihe zugelassen zu werden, bedauerte Mosebach, da es sich um keine angemessene Vorbereitung auf das „sakrale Amt“ handle (Raunen, Räuspern, Lachen und Stöhnen im Publikum). Auch die Religionslehrer würden an den Universitäten schlecht vorbereitet und hätten zu verantworten, dass „die katholische Religion den Katholiken nicht mehr bekannt“ sei.

Auch hier sah sich Seewald zur Replik gezwungen. Es gehe in der Theologie nicht um Anbetung, sondern darum, sich intellektuell damit zu beschäftigen, wie die zentralen Glaubensaussagen – „Gott wird Mensch“, „Gott stirbt“ – zu denken seien – mit „Scharfsinn und Präzision“. Insofern setzt die Theologie für Seewald den Glauben voraus: „Ein christlicher Theologe glaubt und sieht sich beim Glauben zu“, so der Dogmatiker.

Kermani: Die Theologie ist unfähig, den Glauben so zu vermitteln, dass Menschen zuhören

Navid Kermani hatte jedoch von Theologen gehört, die der Auffassung seien, es bedürfe für ihre Betätigung keines Gottesbezuges. Drohe die Theologie wegen ihres so dringenden Bedürfnisses, eine Wissenschaft unter vielen zu sein, möglicherweise das zu verlieren, was sie ausmacht? Kermani warnte: Der Wunsch nach „Anschlussfähigkeit“ führe erst recht in den Bedeutungsverlust. Der Publizist beklagte überdies ein grundsätzliches Problem der Kirchen beim Reden über den Glauben. Sobald im Radio die Morgenandacht beginne, drehe er das Gerät darum leiser. Auch wenn Theologen hierzulande weltweit anerkannte Forschungsleistungen vorzuweisen hätten, nehme er eine weit verbreitete „Unfähigkeit“ wahr, „den Glauben so zu vermitteln, dass Menschen zuhören.“  Navid Kermani hat als Muslim mit dem Buch „Ungläubiges Staunen“ ein Werk über das Christentum verfasst, das vermutlich mehr Menschen erreicht hat als die meisten Werke zeitgenössischer Theologen. Das Buch liegt inzwischen in der 14. Auflage vor. Michael Seewald wandte ein, die Sprecherinnen und Sprecher der Radioandachten seien eben Prediger und keine Theologen (ohne darauf einzugehen, dass jene von diesen ausgebildet werden). 

Für Navid Kermani stellte sich indes die Frage, wie lange die Politik angesichts der sinkenden Plausibilität der institutionalisierten Religion „all das noch finanzieren will“. Die Einrichtung von Instituten für islamische Theologie an staatlichen Universitäten kämen den christlichen Theologen möglicherweise sehr gelegen, da es damit schwieriger werde, die Theologie an staatlichen Universitäten infrage zu stellen. Dabei bringe die Etablierung einer islamischen Theologie in Deutschland Schwierigkeiten mit sich. Im Arabischen, Persischen und Türkischen gebe es gar kein Wort, das dem Ausdruck „Theologie“ entspricht. Der Begriff habe also per se einen spezifisch christlichen Beiklang. Indem bis in die Aufteilung der Fächer hinein die Logik der christlichen Theologie übernommen werde, drohten aber wesentliche Aspekte islamischer Glaubensgelehrsamkeit unter den Tisch zu fallen. So stehe im Islam anders als im Christentum die Mystik im Zentrum der Religiosität, weswegen es eigentlich auch entsprechende Lehrstühle brauche. Kermani plädierte für das amerikanische Modell der „Divinity Schools“, wo alle studieren könnten, die sich in irgendeiner Form für religiöse Gelehrsamkeit interessieren und von Lehrerinnen und Lehrern unterschiedlichster konfessioneller und religiöser Herkunft unterrichtet würden.

Klein: Juden und Nichtjuden widmen sich Jüdischen Studien

Auch die jüdische Seite habe von der hochschulpolitischen Dynamik profitiert, berichtete Birgit Klein, und zwar durch die Einrichtung der Potsdamer „School of Jewish Theology“. Kleins eigene Einrichtung, die Heidelberger Hochschule für jüdische Studien, ist jedoch anders positioniert: Die Hälfte der Professorenschaft sind keine Juden, auch unter den Studierenden sind Juden wie Nichtjuden, so Klein. Die Rabbinerin verwies auch auf den anderen Stellenwert des Glaubensbegriffes im Judentum. Entscheidend sei das Handeln im eigenen Leben; es gebe ganz selbstverständlich auch Atheisten, die sich dem Judentum zugehörig fühlten.

Dass die Verankerung der Theologie an staatlichen Universitäten auch mit einem Kontrollbedürfnis des Staates zu tun hat, war allen Diskussionsteilnehmern bewusst. Mehrfach wurde in der Debatte auf die Kölner Hochschule für Katholische Theologie verwiesen. Nicht erwähnt wurde, dass es seit jeher in Deutschland auch einzelne Institute in kirchlicher Trägerschaft gibt, die bislang aber nicht als Brutstätten eines staatlicherseits unerwünschten Fundamentalismus‘ in Erscheinung getreten sind. Das wird wohl nicht zuletzt durch die enge gesellschaftliche Einbindung der Kirche auf zahlreichen anderen Ebenen verhindert.

Seewald: Theologie wird kleiner, aber hoffentlich nicht dümmer

Den Drang zur „Anschlussfähigkeit“ identifizierte auch Michael Seewald als problematische Tendenz der zeitgenössischen Theologie. Die Ergebnisse der Theologie besäßen eine spezifische Bedeutung, ohne damit in jedem Fall „gesellschaftlich relevant“ sein zu müssen. Eine Abschaffung der universitären Theologie erwartet Seewald nicht. Es gebe aber „zu viele Standorte“. Um die Qualität zu erhalten, sei eine Reduktion nötig. „Die Theologie wird kleiner, aber hoffentlich nicht dümmer sein“, so Seewald.

„Nicht Anschlussfähigkeit, sondern Konfrontation“ müsse in der Gegenwart das Prinzip christlicher Kommunikation sein, forderte Mosebach – auch wenn das heiße, von der Welt nicht „verstanden“ zu werden. „Die Kirche hat noch nicht begriffen, dass das konstantinische Zeitalter vorbei ist.“ Die Väterzeit bezeichnete der Schriftsteller als die „fruchtbarste Zeit der Theologie“. Die Kirchenväter hätten sich darum bemüht, „das, was offenbart wurde, zu verstehen“, das „Mysterium zu interpretieren“.

Das rief den Berliner evangelischen Theologen und Pastristiker Christoph Markschies auf den Plan, der aus dem Publikum anmerkte: Auch die Väter hätten sehr stark die antike Öffentlichkeit gesucht und intensiv darüber diskutiert, inwiefern damalige philosophische und weltanschauliche Strömungen zu rezipieren oder zurückzuweisen seien. Insofern seien die Probleme auch in den ersten christlichen Jahrhunderten schon ähnliche gewesen.

Eine Theologie als Interpretation vorgegebener Axiome – mit dieser Aufgabenbeschreibung wollte sich Michael Seewald nicht zufriedengeben. Er sah den Auftrag der Theologie auch darin, kritisches Korrektiv der Institution zu sein, darauf hinzuweisen, wo die Kirche dem Evangelium nicht gerecht werde. Auch könne es nicht nur darum gehen, lehramtlich vorgegebene Aussagen nachträglich zu plausibilisieren. Die Theologie stehe zwar nicht in Konkurrenz zum kirchlichen Lehramt, könne aber durchaus Möglichkeiten aufzeigen, wie Glaubensinhalte anders gedeutet und verstanden werden könnten.

Was ist also der Glaube, den die Theologie voraussetzt? All das, was die Kirche zu glauben vorlegt, meinte Martin Mosebach. Denn Subjekt des Glaubens sei nicht der Einzelne, sondern die Gemeinschaft. „Die Kirche ist Besitzerin des Glaubens“, so Mosebach (Unruhe). Nein, widersprach Seewald, sie sei nur „Zeichen und Werkzeug“. Rabbinerin Klein wiederum sprach – ihrem religiösen Profil entsprechend – von „Annäherungen“ an das, was „letztlich nicht fassbar“ sei; niemand könne für sich in Anspruch nehmen, die „letzte Weisheit“ zu besitzen. 

Ein breiteres Spektrum gegenwärtiger Positionen über Theologie und Glaube als bei der Berliner Podiumsdiskussion ist wohl kaum vorstellbar.

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