Synodaler WegGrundtext des Synodalforums "Leben in gelingenden Beziehungen" in Kürze

Es war ein Eklat auf dem Synodalen Weg: Im September 2022 scheiterte der Grundtext des Synodalforums „Leben in gelingenden Beziehungen. Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft" an der Sperrminorität der Bischöfe. Das Forum hat eine von einem Redaktionsteam erarbeitete Kurzfassung des Grundtextes verabschiedet, die bisher noch nicht veröffentlicht wurde, das Anliegen des umfangreichen Grundtextes aber gut auf den Punkt bringt.

Abstimmung auf dem Synodalen Weg
© Synodaler Weg/Maximilian von Lachner

Bei der IV. Synodalversammlung vom 8. bis 10. September 2022 wurde der Grundtext „Leben in gelingenden Beziehungen. Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft“ mit großer Mehrheit (81 Prozent) verabschiedet. Die von der Satzung des Synodalen Wegs vorgeschriebene Zweidrittelmehrheit der Bischöfe wurde allerdings um drei Stimmen verfehlt. Damit ist der Grundtext kein verabschiedeter Text des Synodalen Weges. Er drückt jedoch wichtige Anliegen der großen Mehrheit der Synodalversammlung und der durch sie vertretenen Christ*innen aus. Im Folgenden werden sie in Kürze dargestellt.

Viele gläubige Menschen und Paare erleben eine Kluft zwischen kirchlicher Sexuallehre und dem, wie sie in ihrem Leben Sexualität als ein Geschenk Gottes, als befreiend und beglückend erfahren. Die Befragungen der Gläubigen im Vorfeld der Familiensynoden der Jahre 2014 und 2015 zeigen diese „Differenz zwischen den Gläubigen und der offiziellen Lehre vor allem hinsichtlich des vorehelichen Zusammenlebens, der wiederverheirateten Geschiedenen, der Empfängnisregelung und der Homosexualität“ (Deutsche Bischofskonferenz, Arbeitshilfen Nr. 273, 39). Nicht nur Anspruch und Wirklichkeit fallen auseinander. Auch verstößt die katholische Kirche selbst gegen ihre Normen, was in beschämender Weise der Missbrauchsskandal sichtbar macht, der unmittelbarer Anlass des Synodalen Wegs war. Die Kirche in Deutschland hat sich schuldig gemacht mit zahlreichen Fällen sexueller Gewalt durch Amtsträger, die über Jahrzehnte vertuscht worden sind. Sie hat auch darüber hinaus Menschen verletzt und diskriminiert. Sie hat Menschen bevormundet, andere hat sie allein gelassen, wieder andere ausgegrenzt, eigene Mitarbeiter*innen hat sie gemaßregelt – Ereignisse, die auch gegenwärtig noch vorkommen und die es so weit wie möglich zu verhindern gilt.

Demgegenüber ist es unsere tiefste Überzeugung, dass jeder Mensch als Gottes Ebenbild eine unveräußerliche Würde besitzt, die des Schutzes und der individuellen Förderung und Entwicklung bedarf. Jeder Mensch darf sich in seinem So-Sein nicht nur als von Gott geschaffen und gewollt, sondern auch als bejaht und geliebt wissen. Diese schöpfungstheologische Grundannahme stellt alle Menschen auf die gleiche Stufe, unabhängig von sexueller oder geschlechtlicher Identität, von Alter oder Beziehungsstatus. 

Viele kirchliche Normen sind in einer Zeit entstanden, in der andere Vorstellungen von Sexualität vorherrschten. Heute laufen sie an einigen Stellen zentralen Erkenntnissen der Humanwissenschaften zuwider, die ihrerseits durch neuere biblisch-theologische und pastorale Einsichten gestützt werden. Werte wie Einvernehmlichkeit, Respekt und Verantwortung treten in den Vordergrund. Sie öffnen zugleich den Blick, für die wertvollen Impulse, die die kirchliche Tradition für den Umgang mit Sexualität bereithält: Dazu zählen die Verbindung von Sexualität und Liebe, die Wertschätzung der Ehe, das Werben darum, in Partnerschaft verbindliche Freundschaft und Treue zu suchen und Verantwortung im Fall von Elternschaft zu übernehmen. Menschen sollen in dem verletzlichen Raum der Sexualität erfahren können, dass sie in leiblichen Berührungen und Zärtlichkeiten um ihrer selbst willen gemeint und bejaht sind. Die Grenzen beginnen dort, wo die Würde von Menschen und ihr Recht auf Selbstbestimmung verletzt werden.

Folgende Anliegen aus der Arbeit des Synodalforums sind uns für die Weiterarbeit nach Beendigung des Synodalen Wegs wichtig:

1. Wir verstehen Sexualität als Geschenk

Sexualität ist eine von Gott geschenkte, positive Lebenskraft. Als solche hat sie eine wesentliche Bedeutung für die menschliche Identität und ist Ausdruck menschlicher Freiheit. In jedem Menschen wohnt die Fähigkeit, Gut und Böse, Stärkendes von Schädlichem zu unterscheiden. Die Aufgabe der Kirche besteht darin, Menschen in dieser Unterscheidung zu unterstützen und sie zu ermutigen, Sexualität verantwortungsvoll zu gestalten.

2. Wir bringen jeder Form geschlechtlicher Identität und sexueller Orientierung Achtung entgegen

Jede Identität ist in Entwicklung. Auch die Sexualität entwickelt sich über die gesamte Lebensspanne hinweg. Sowohl sexuelle Orientierung als auch geschlechtliche Identität sind das Ergebnis eines persönlichen Wachstumsprozesses. Mit der Anerkennung einer Vielfalt sexueller Identitäten verbieten sich alle Formen von Diskriminierung, Geringschätzung oder Nichtachtung. Demgegenüber sind sexuelle Akte Erwachsener an, mit und vor Kindern immer gewaltsam und daher ausnahmslos zu verurteilen.

3. Wir nehmen die Vielstimmigkeit menschlicher Sexualität ernst

Menschliche Sexualität hat verschiedene Dimensionen: Sie ist Ausdruck der Identität eines Menschen, sie lässt Lust erfahren, zeigt und vertieft Vertrauen, erfüllt Bedürfnisse nach Annahme, Geborgenheit und Nähe, dient der Fortpflanzung und noch vieles mehr. Alle Dimensionen können für ein erfülltes Leben wichtig sein. Sie können und müssen jedoch nicht immer auf gleiche Weise oder gar gleichzeitig erfahrbar werden.

4. Wir reduzieren Fruchtbarkeit nicht auf die Fortpflanzung

Sexualität ist eine lebensspendende Kraft. Ihre Fruchtbarkeit hat zugleich mehrere Dimensionen. Ein ganz besonderer Aspekt ist das Wunder des neuen Lebens. Die Fruchtbarkeit einander liebender Menschen besitzt über ein biologisches Verständnis hinaus auch eine soziale Dimension. Sie kann sich im Engagement für andere und das Gemeinwohl äußern.

5. Wir akzeptieren die Gleichwertigkeit homosexueller Partnerschaften

Homosexuelle Orientierung ist eine mit der Schöpfung gegebene Variante menschlicher Sexualität. Die Grundsätze und Kriterien einer christlich gelebten Sexualität ― Achtung der Selbstbestimmung und verantwortlich gelebte Sexualität sowie Treue, Dauerhaftigkeit, Ausschließlichkeit und Verantwortung füreinander und für Kinder ― haben Bedeutung für Menschen jeglicher sexueller Orientierung. Auf ihre Weise können sie die soziale Dimension von Sexualität verwirklichen und die Fruchtbarkeit ihrer Beziehung leben.

6. Wir ermutigen, die eigene Lust wertzuschätzen und achtsam mit ihr umzugehen

Sexuelle Lust ist eine weitere wichtige Dimension menschlicher Sexualität. Sie lässt die leibliche Annahme der eigenen wie der anderen Person besonders intensiv und beglückend erfahren. Über die ganze Spanne des menschlichen Lebens sollen Menschen ermutigt werden, mit der eigenen Lust achtsam und wertschätzend umzugehen. Alle Formen erniedrigender, ausbeuterischer oder gewaltsamer sexueller Lustgewinnung sind strikt abzulehnen.

7. Wir achten die sexuelle Selbsterfahrung als Voraussetzung gelingender Beziehungen

Das lustvolle, selbst stimulierte Erleben des eigenen Körpers kann ein wichtiger Baustein der persönlichen Selbsterfahrung sein. Zugleich birgt es im Übermaß die Gefahr der reinen Selbstbezogenheit. Selbstliebe ist vor allem jedoch eine wichtige Voraussetzung für eine gute Beziehung zur eigenen Sexualität und damit Grundlage für einen würdevollen Umgang mit der anderen Person.

8. Wir betonen den besonderen Wert der Ehe und wertschätzen zugleich andere Beziehungsformen

Die Ehe eröffnet als Lebensbund zweier Christ*Innen eine Ausrichtung auf Ausschließlichkeit und verlässliche Geborgenheit. Das Vertrauen in das heilende Handeln Gottes stärkt das Paar. Ihre Treue macht die bedingungslose Treue Gottes zu den Menschen sichtbar. Das schließt ein schmerzhaftes Scheitern nicht aus. Wir begleiten die Personen in jeder Situation mit dem Wunsch das Vertrauen zu stärken, dass Gott alle Wege mitgeht. Darüber hinaus wollen wir verbindlich gelebten Partnerschaften, die dies wünschen, den Segen Gottes zusprechen.

9. Wir wollen uns in der Gemeinschaft gegenseitig stärken

Entscheidungen, die jeder Mensch im Umgang mit der eigenen Sexualität trifft, haben Auswirkungen auf einen selbst und auf andere. Wir stärken Menschen, Entscheidungen in diesem Bewusstsein zu treffen. Deshalb begleiten wir sie, in allem aus Liebe zu handeln und ermutigen zu dauerhaften und verbindlichen Beziehungen. Wir werben dafür, uns gegenseitig in unseren je eigenen Lebenswegen zu unterstützen und Kraft und Motivation aus der kirchlichen Gemeinschaft und den Sakramenten zu schöpfen.

10. Wir verstehen Liebe, Partnerschaft und Sexualität als Verheißungen Gottes

Gott möchte den Menschen befähigen, liebevoll mit sich und anderen umzugehen. In diesem liebevollen Umgang erfährt der Mensch eine besondere Freiheit. Ohne falsche Idealisierung können wir inmitten der konkreten Lebenssituation die Verheißung auf ein gelingendes Leben in Fülle und Liebe freihalten – einschließlich einer Sexualität, die an der von Gott geschenkten Würde und Einzigartigkeit jedes einzelnen Menschen Maß nimmt.

Daraus ergeben sich unterschiedliche Konsequenzen. Einige von ihnen ― zum Verständnis ehelicher Liebe, zur Neubewertung von Homosexualität und der Wertschätzung geschlechtlicher Vielfalt, zum kirchlichen Arbeitsrecht und zu neuen Formen von Segensfeiern und zur sexuellen Bildung ― wurden in Handlungstexten formuliert und in den Beratungsgang des Synodalen Wegs eingebracht.

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