Wer immer Kritik am Katholizismus äußern möchte, wird eines eingestehen müssen: Zu den großen Stärken des gerade zu Ende gegangenen Pontifikats von Papst Franziskus gehört eine vollständig andere Gesprächskultur als in den fünf Jahrzehnten davor. Franziskus hat die Zungen gelöst und für eine grundsätzlich deutlich veränderte Atmosphäre in der Kirche gesorgt.
Das lag nicht zuletzt an seinem ganz eigenen Stil, der schon am ersten Abend am 13. März 2013 auf der Loggia delle Benedizioni deutlich wurde. Kontinuierlich hat der Papst aus Argentinien, vom „anderen Ende der Welt“, wie er sich selbst vorstellte, gegen viele Gepflogenheiten des Vatikans agiert und vor allem mit vielen spontanen Äußerungen eine ganz andere Art der Amtsausübung geprägt. Das hat damit angefangen, dass er nicht in die vorgesehene Wohnung im Apostolischen Palast eingezogen ist, sondern im Gästehaus Santa Marta wohnen blieb. Betet für mich, blieb die kontinuierliche Aufforderung von Anfang an und gegenüber allen seinen Gesprächspartnern. Und es endete nicht, als er gegen Ende seines Pontifikats ankündigte, nicht wie die Päpste vor ihm im Petersdom, sondern in seiner römischen Lieblingskirche Santa Maria Maggiore begraben werden zu wollen.
Franziskus war der nahbare Papst, der gerne unter Menschen war. Er wollte zumindest nahbar sein und er wollte sich so präsentieren. Ein Papst, der eine Vielzahl von Interviews gibt, sich auch einmal in eine Fernsehshow zuschalten lässt: Das war für viele gewöhnungsbedürftig und mit ihrem Bild eines Papstes kaum vereinbar. Seine vermeintlich privaten Ausflüge in den römischen Alltag, die am Beginn des Pontifikats für Aufregung sorgten, stellten Anekdoten dar. Kontinuierlich aber griff Franziskus gerne persönlich zum Telefon, um sich bei Großen und Kleinen in der Weltkirche zu melden. Gerade auf seinen trotz des hohen Alters nicht wenigen und weiten Reisen hat er oft genug mindestens so sehr durch seine Gesten wie durch seine Worte Akzente gesetzt. An Charisma mangelte es ihm nie.
Aber auch da, wo er die Instrumente des Amtes genutzt hat, blieb er unkonventionell. Unter den wenigen Enzykliken ließen vor allem drei aufhorchen. Mit „Evangelium Gaudium“, mit der Ankündigung einer „heilsamen Dezentralisierung“ der seit dem 19. Jahrhundert zentralisierten katholischen Kirchen, hatte er den Ton gesetzt, mit „Laudato Si“ und seinem Eintreten für den Klimaschutz mehr noch die Welt als seine eigene Kirche aufhorchen lassen und mit „Fratelli tutti“ sein Engagement für soziale Themen unterstrichen, nicht zuletzt für Migranten weltweit. Mit prophetischem Gestus hat Franziskus ganz im Sinne des Heiligen aus Assisi („Bau meine Kirche wieder auf!“) Großes geleistet.
Eine „Kirche der Armen“, von der Franziskus von Anfang an geträumt hat, ist nicht so leicht umzusetzen. Das musste er zur Kenntnis nehmen – für die Obdachlosen rund um den Petersplatz gab es immerhin spürbare Verbesserungen. Auf der anderen Seite hat er mit der kontinuierlichen und sehr berechtigten Kritik am Klerikalismus im Allgemeinen und in der römischen Kurie im Besonderen gerade diejenigen vor den Kopf gestoßen, die er für das konsequentere Umsetzen seiner Visionen gebraucht hätte. Früher Höhepunkt war hier der Lasterkatalog der Krankheiten der Kurie, den er vor dem Weihnachtsfest 2014 vorgelegt hat. Mitarbeitermotivation sieht anders aus.
Und mit seinen in vielen Fällen geradezu flapsigen Bemerkungen, die einerseits aus dem Leben gegriffen, andererseits eher unbedacht wirkten, stand er sich oft genug selbst im Weg. So wurde in keinem Pontifikat zuvor von einem Papst so viel für Frauen getan. Bis hin zur kürzlich eingesetzten Chefin des Vatikanstaats hat er vor allem Ordensschwestern vor und nach der wichtigen Kurienreform 2022 in die Leitung von Dikasterien berufen. Und zugleich hat er auch viele Frauen mit Formulierungen irritiert, welche offensichtlich, wenig gefiltert, seinen lateinamerikanischen Hintergrund mit einem latenten Machismo verraten haben – einmal abgesehen davon, dass man bei der in vielen Ortskirchen geforderten Gleichberechtigung mit Blick auf die Weiheämter kein Stück weitergekommen ist; zum Diakonat arbeitet inzwischen bereits eine dritte Arbeitsgruppe.
Ohnehin war Franziskus theologisch kein Progressiver. Die unmittelbare Rede vom „Teufel“ hat in den westlichen Ortskirchen stets auch befremdet, in Gender-Fragen war Franziskus höchst konventionell katholisch, wenngleich es auch hier mit Blick auf die einzelne Person eine barmherzige Zuwendung als sein Kennzeichen gab – aber eben keine Anerkennung. Gerade die Deutschen fremdelten mit ihm – und er mit ihnen, nachdem er mit dem Land aufgrund seiner gescheiterten Pläne für eine Dissertation in Frankfurt offenkundig schlechte Erfahrungen gemacht hatte. Für die bisherige Rezeption des Synodalen Weg der katholischen Deutschlands blieb das ein entscheidender Nachteil.
Angesichts dieses Themas trifft man allerdings auch auf den heißen Kern des Pontifikats. Franziskus hat durch seinen Stil auch mit Blick auf die Art und Weise, im 21. Jahrhundert Kirche zu sein, offensichtlich ganz bewusst viele Debatten angestoßen. Vor allem darum dürfte es ihm bereits gegangen sein, als er vor einem Jahrzehnt von einer „chiesa synodale“ gesprochen hat, zu der sich die katholische Kirche noch viel stärker entwickeln müsse. Die beiden Bischofssynoden über familienpastorale Fragen, darunter die Frage nach dem Umgang mit wiederverheiratet Geschiedenen, stellten ein Experimentierfeld dar; auch bei der Jugendsynode gab es bereits im Vorfeld den Aufruf an die Weltkirche, bottom-up von jedem einzelnen Gläubigen über die Diözesen und die regionalen Zusammenschlüsse die Themen zu benennen, über die geredet werden müsse. Es war doch offensichtlich, dass dabei auch viele Reformanliegen zur Sprache gebracht werden, über die vorher nicht gesprochen werden durfte.
Bei der Synode zum Thema Synodalität schließlich, die sich über drei Jahre erstreckte und im zweiten Welttreffen im vergangenen Oktober gipfelte, wurde die Methode selbst zum Thema – zum ersten Mal waren Laien, darunter viele Frauen eingeladen, sodass es sich nicht mehr um eine klassische Bischofssynode handelte. Auch Gäste aus der Ökumene wurden stark eingebunden. Es spricht viel dafür, dass Papst Franziskus bei allem Spontanen, gefühlt Chaotischen, offenkundig Widersprüchlichen und auch manchem Zögern sehr strategisch vorgegangen ist. Vor allem hier ist die ignatianische Prägung des Jesuiten Jorge Mario Bergoglio zu spüren gewesen.
Gehörte zur Strategie auch die Tatsache, dass Franziskus lange an einer Reihe von Widersachern in der Kurie festhielt, um seinen innerkirchlichen Gegnern keine Argumente gegen ihn zu liefern und möglichst alle bei Reformen mitzunehmen? Es ist ihm jedenfalls nicht gelungen, die Kurie rasch und nachhaltig auf Kurs zu bringen. Und gerade die Tatsache, dass der zurückgetretene Papst Benedikt XVI. fast noch ein ganzes Jahrzehnt lang als Schattenpapst in Weiß eine Rolle spielte, sich viele seiner Anhänger weiterhin auf ihn beziehen konnten und das auch getan haben, belastete dieses Pontifikat. Franziskus wirkte in der kurzen Restzeit danach durchaus befreit.
Seine Vorstellung hinter seinem Vorgehen: Franziskus war offenkundig davon überzeugt, dass man nur lange genug über Alternativen reden müsse, damit sich ein Konsens herausbildet, der von allen mitgetragen wird. Wo dieser Konsens indes nicht erreicht wurde, wie das beispielsweise im Fall der Viri probati auf der Amazoniensynode der Fall war, schreckte Franziskus vor den Konsequenzen zurück. Dass er als Pontifex maximus die nicht einfache Aufgabe hatte, die katholische Kirche zusammenzuhalten, hat er offenkundig sehr ernst genommen – bei aller Gefahr, dass am Ende die Bremser den Takt bestimmen.
Gerade im Thema Synodalität lässt sich deshalb der rote Faden des Pontifikats erkennen. Höhepunkt war die Tatsache, dass Franziskus am Ende des zweiten Welttreffens das Abschlussdokument auch als sein nachapostolischen Schreiben anerkannte. Es ist nur konsequent, dass Kardinal Mario Grech, Generalsekretär der Synode, in der Phase des schwer erkrankten, nur noch eingeschränkt agierenden Papstes Mitte März angekündigt hat, wie der synodale Prozess auf Weltebene bis in das Jahr 2028 weitergehen wird.
Entscheidend wird nach dem Pontifikat Franziskus sein, was jetzt an inhaltlichen Neuakzentuierungen und veritablen Neuausrichtungen folgen wird. Hier ist es im Pontifikat Franziskus oft genug nur bei einer rhetorisch aufwändigen Ankündigung und am Ende unverbindlichen Debatte geblieben. Franziskus mag durch das Instrument des Motu Proprio auch rechtlich einiges verändert haben, nicht zuletzt mit Blick auf das Thema sexualisierte Gewalt – das er ernst genommen hat, dem er aber nicht vollkommen gerecht geworden ist. Alle von Franziskus angesichts seiner Äußerungen offenkundig gewollten Reformen benötigten jedoch auch eine kirchenrechtliche Fixierung, um am Ende Wirklichkeit zu werden.
Franziskus war angesichts seines bereits bei Amtsantritt fortgeschrittenen Alters und angegriffenen Gesundheitszustands überraschend lange im Amt. Er war mehr als ein Übergangspapst, aber bei Reformen fand das Pontifikat eindeutig seine Grenzen. Auf Reformen wird es im nächsten Pontifikat ankommen. Mit anderen Worten: Papst Franziskus, der am Ostermontag verstorben ist, nachdem es ihm nach seiner schweren Erkrankung gerade wieder ein wenig besser ging, bedeutete gerade durch seine unkonventionelle Art eine Frischzellenkur für die katholische Kirche. Jetzt müsste diese nur noch wirken.