Atheismus

Atheismus (griech. = die Auffassung von der Nichtexistenz Gottes), als Begriff seit dem 16. Jh. bekannt, umfaßt mehrere Bedeutungen. Nicht sachgerecht ist es, nicht-theistische Religionen (Teile des Buddhismus und Konfuzianismus) und andere Auffassungen, die das Numinose (Heilig) nicht leugnen, als atheistisch zu bezeichnen.

Wird das Numinose (ein schlechthin heiliges Geheimnis) abgelehnt oder die Existenz eines personalen Gottes argumentativ bestritten, so handelt es sich um theoretischen Atheismus; dieser kann eine philosophische, tolerante Gestalt ohne missionarische Absichten haben oder »militant« sein, indem er jede Religion als menschenschädliche Verirrung bekämpft und sich selber als Lehre versteht, die zum Glück der Menschheit zu verbreiten ist.

Eine Lebenspraxis, die sich konkret verhält, als ob Gott oder das Heilige nicht existierte, kann praktischer Atheismus genannt werden; er kann auch in der Gestalt vorkommen, daß das Dasein Gottes theoretisch anerkannt und so gut wie keine praktischen Folgerungen daraus gezogen werden.

Zum geistesgeschichtlichen Vorkommen

Der Vorwurf des Atheismus wurde in der griech. Diskussion vom 7. Jh. v. Chr. an gegen Philosophen erhoben, die die Existenz der Götter der Volksreligion leugneten und sich um einen geläuterten Begriff des Göttlichen bemühten. Ein bedeutendes Beispiel war Sokrates († um 399 v.Chr.), wegen Atheismus und Jugendverführung zum Tod verurteilt. Ähnliche Anklagen richteten sich gegen Juden und Christen, die das Götter-Pantheon und den Kaiserkult ablehnten. Vorwürfe des Atheismus im Lauf des Mittelalters und der beginnenden Neuzeit (z. B. wegen der Versuche, staatliche Ordnungen unabhängig von der Religion zu konzipieren) sind ebenso wenig stichhaltig. Wenn im Lauf der christlichen Jahrhunderte entschiedene atheistische Überzeugungen aufkamen, so äußerten sie sich kaum öffentlich, da ihre Vertreter sich aus der von Religion geprägten Gemeinschaft ausgegrenzt hätten und die kirchlich-staatliche Verfolgung durch die Inquisition zu fürchten gewesen wäre. Die naturwissenschaftlichen Welterklärungen seit dem 17. Jh. erfolgten zunächst auf der Basis eines berechtigten »methodologischen Atheismus«, da sie keine vollständige Erklärung der Welt ohne transzendenten Grund in Gott liefern, sondern nur einzelne Abläufe ohne die »Hypothese Gott« erklären wollten. Erst manche Theoretiker der französischen Aufklärung formulierten eine ausgeprägt atheistische Erkenntniskritik. Die Streitigkeiten des Idealismus bezogen sich nicht auf die Existenz Gottes als solche, sondern auf die Art und Weise der Gotteserkenntnis und auf die von der klassischen Metaphysik gelehrten Eigenschaften Gottes. Atheistisch sind dagegen die rein anthropologischen Auffassungen der Religion bei L. Feuerbach († 1872) u. a., als sei der Gedanke »Gott« identisch mit dem Selbstbewußtsein des Menschen oder dessen Projektion ins »Jenseits«. Während K. Marx († 1883) dem Atheismus wenig Aufmerksamkeit zuwandte, entstand auf der Basis eines naturwissenschaftlichen »Vulgärmaterialismus«, verbunden mit einer mechanistisch-ökonomischen Gesellschafts- und Geschichtstheorie, der ausgeprägte militante Atheismus des Marxismus-Leninismus. Als atheistisch gilt F. Nietzsches († 1900) Philosophie, die den Gottesgedanken, der dem menschlichen Willen durch Behauptung eines »höchsten Wertes« entsprungen sei und dem Menschen den besten Teil seines Lebens raube, zerstören wollte. Die S. Freud († 1939) radikal folgende Psychoanalyse geht davon aus, daß Gottesvorstellungen aus dem infantilen Wunsch, durch einen Über-Vater beschützt zu werden, entstünden und durch den Fortschritt des Ich-Werdens als Illusion entlarvt und beseitigt würden. Angesichts der Unlösbarkeit des Theodizee-Problems entstand im 20. Jh. eine eher »bekümmerte« Gestalt des Atheismus (J.-P. Sartre †1980, A. Camus †1960, marxistische Revisionisten), die von der Nichtwirksamkeit der Gottesidee angesichts der überwältigenden menschlichen Leiden und von ihrer Unfruchtbarkeit für den Gewinn der Freiheit überzeugt waren. Daneben finden sich Auffassungen, die das Geheimnis als solches nicht leugnen, es aber prinzipiell für »unsagbar« oder für (noch) nicht verstehbar und darum ausständig-abwesend (M. Heidegger †1976) verstehen. Im Neopositivismus (Positivismus) wird ein Atheismus vertreten, der erkenntniskritische und sprachphilosophische Überlegungen verbindet: das Wort »Gott« und die Rede von ihm seien sinnlos, weil »Gott« nachweislich nicht die Eigenschaften aufweise, die man ihm in dem Begriff »Gott« zuschreibe, und weil kein Gegenstand verifizierbar oder falsifizierbar sei, auf den der Begriff »Gott« zutrifft. Hier tritt theoretisch das zutage, was im »praktischen Atheismus« seine Grundlage in der konkreten »Unbrauchbarkeit Gottes« hat und für die Theologie eine größere Herausforderung darstellt als der frühere materialistische und militante Atheismus.

Theologiegeschichtlich

Der Atheismus, von dem die Bibel gelegentlich spricht (z. B. in den Psalmen und in der Weisheitsliteratur), ist keine Theorie, sondern eine Gott nicht in Betracht ziehende Praxis. Auch Anhänger des »Götzendienstes« können als Gottlose bezeichnet werden. Seltene Bibeltexte sprechen in einem eher philosophischen Sinn von der Erkennbarkeit Gottes und in diesem Zusammenhang vom Niederhalten der Erkenntnis (des wahren) Gottes (z. B. Röm 1, 18 ff.). In Betracht zu ziehen ist die Möglichkeit, daß die Versuchung des modernen Atheismus, bei der umfassenden Welterklärung (»holistisch«) ohne Gott auskommen zu wollen, durch die biblische Sicht auf die Welt, durch die »Entgötterung« und »Entzauberung« alles Geschaffenen, mit gefördert wurde und wird. Katholischerseits reagierte das I. Vaticanum 1870 auf den erst in der Neuzeit offen und bei zahlreichen Menschen auftretenden Atheismus, indem es die Erkennbarkeit Gottes dogmatisierte und die Atheisten exkommunizierte. In der Folge galt der Atheismus in der kirchlichen Lehre schlicht als Ergebnis eines Defekts in der Vernunft oder, als Mangel an gutem Willen, in der Moral. In der katholischen Theologie wurde gelehrt, ein schuldloser negativer Atheismus, der zu keinem Urteil über die Gottesfrage komme, sei einem Menschen unter normalen Verhältnissen über längere Zeit nicht möglich. Ein positiver Atheismus, der die Nichtexistenz Gottes oder seine Unerkennbarkeit behaupte, sei schuldhaft. Erst im 20. Jh. kamen nuanciertere Auffassungen des Atheismus, vor allem in der französischen Theologie, auf. Die sozio-kulturelle Abhängigkeit der Menschen von ihrem Milieu wurde gesehen; von da aus wurde es für denkbar gehalten, daß viele Erwachsene hinsichtlich der Gottesfrage »unmündig« bleiben. Die radikale, »wesenhafte« Verwiesenheit des Menschen auf Gott wurde so betont, daß es im Grund keine Atheisten geben könne, sondern nur solche, die meinen, nicht an Gott zu glauben. Solche Überlegungen gingen differenziert in das II. Vaticanum ein. Das Konzil hielt einen »unschuldigen« Atheismus, der den Atheisten nicht vom ewigen Heil Gottes ausschließt, für real möglich (LG 16). Es erklärte, daß der Atheismus möglicherweise in der Ablehnung eines Gottes bestehe, den es in Wirklichkeit gar nicht gibt; daß der Atheismus oft aus der Unlösbarkeit der Theodizee-Frage entstehe; daß er auch gesellschaftliche Ursachen hat: Oft sei Atheismus eine falsch interpretierte, an sich legitime Autonomieerfahrung, eine Folge aktiver Befreiung aus ökonomischer und gesellschaftlicher Abhängigkeit, die den Gottgläubigen zur Last gelegt wird, oder eine Absolutsetzung humaner Werte. Das Konzil bekannte, daß der Atheismus eine kritische Reaktion auf ungenügende Vergegenwärtigung des Gottesglaubens in der Theorie und in der Lebenspraxis von Christen sei, so daß diese den Atheismus mit herbeiführten. Das Konzil erklärte den Willen der Kirche zum Dialog Atheismus zur Zusammenarbeit mit Atheisten, denen es sagen wolle, daß der Glaube an Gott die Antwort auf eine Frage sei, der ein Mensch auf Dauer Atheismus in den entscheidenden Augenblicken seines Lebens nicht ausweichen könne, und daß die aktive, innerweltliche Zukunftsgestaltung durch den christlichen Glauben und die eschatologische Hoffnung nicht geschwächt werde (GS 19–21).

Systematisch

Eine »Widerlegung« des Atheismus kann nicht in einem blind angenommenen Glauben oder in der schlichten Verneinung der Theodizeeprobleme, d. h. in der Apathie gegenüber den Leiden der Kreatur bestehen. Eine Entgegnung theoretischer, transzendentaler Art kann zeigen, daß eine absolute Skepsis oder eine Beschränkung menschlicher Erkenntnisfähigkeit auf unmittelbare Erfahrungen sich selber aufhebt. Wenn der Atheismus sich selber reflex versteht und zugleich erfaßt, was mit »Gott« gemeint ist, und wenn er dabei entschiedener Atheismus bleibt, dann heißt das, daß er die Frage nach dem Sein im ganzen und die Frage nach dem die Seinsfrage stellenden Subjekt abweist. Da in der notwendigen Erkenntnis des Menschen implizit eine Metaphysik (unabhängig von dieser Bezeichnung) gegeben ist, wird im Erkenntnisvorgang selber die Möglichkeit solcher Metaphysik bejaht. Ähnliches gilt von der Akzeptanz absoluter Bindung an das Gewissen in vielen Formen des Atheismus, der es nur nicht wagt, das letzte Woraufhin und Wovonher seiner ethischen Freiheit und Liebe objektivierend »Gott« zu nennen. Zu dieser theoretischen Antwort auf den Atheismus müßte sich die Analyse des menschlichen Elends gesellen, das den tiefsten Grund des Atheismus darstellt, eine mit Praxis begleitete Kritik der gesellschaftlichen Verhältnisse, die den Atheismus als Massenerscheinung fördern (sowohl in der Dritten Welt als auch in der westlichen Vergnügungsgesellschaft). Die Theologie müßte sich stets ihrer Aufgabe bewußt sein, den naiven, »vulgären« Theismus zu widerlegen, da der Atheismus häufig nur von dem Mißverständnis des Gottes lebt, den der praktisch vorkommende Theismus vertritt. Die innerste Verbindung von Theologie und Spiritualität müßte immer neu betont werden, weil die Gotteserkenntnis auf die Dauer nur lebendig bleibt, wenn sie sich in das anbetende Ja der ganzen menschlichen Person zu Gott hinein »aufhebt«

Neuere Diskussionen

Namentlich seit der 2. Hälfte des 20. Jh. melden sich verstärkt atheistische Auffassungen zu Wort, zum Teil verbunden mit den Versuchen zu organisatorischen Zusammenschlüssen (Humanistische Union, Giordano-Bruno-Stiftung) und mit erheblichem Echo in den Medien der westlichen Welt. Den größeren Einfluss übte und übt der naturwissenschaftlich geprägte Atheismus aus. Im Zusammenhang mit den sich immer weiter differenzierenden Evolutionstheorien wird jede Zielgerichtetheit (Entelechie) der Evolution strikt geleugnet und damit der Begriff der Schöpfung bekämpft. Dieses naturwissenschaftlich orientierte Denken verbindet sich mit abwertenden Einschätzungen jeglicher Religion: Religion habe keinerlei positive Bedeutung für Moral und Ethik der Menschen; Religion leiste der Gewalt und der Feindseligkeit unter Menschen Vorschub. Der Biologe C. Richard Dawkins (geb. 1941) erklärte, er wende sich gegen jede Religion, »weil sie nur lehrt, damit zufrieden zu sein, die Welt nicht zu verstehen«. Die Angriffe auf die Religion sind gekennzeichnet durch die Verweigerung des Gesprächs zwischen Naturwissenschaften und seriösen Theologien, durch krasse Pauschalurteile und durch Ignoranz hinsichtlich des Gottes des Bibel, mit unverkennbar antisemitischen Ausfällen.

Weniger öffentlichkeitswirksam sind atheistische Stimmen der gegenwärtigen Philosophie. In bestimmten Richtungen der Analytischen Philosophie wird die These vertreten, man könne zwar logisch gültig von bloßer logischer Unmöglichkeit auf Unwirklichkeit schließen, nicht aber von bloßer logischer Möglichkeit auf Wirklichkeit. Mit Nachdruck weist der Philosoph Norbert Hoerster (geb. 1937) auf die »Begründungslast« bei den Vertretern von Glaube und Theologie hin: Wer die Existenz Gottes behaupte, der habe erkenntnistheoretisch die Verpflichtung, sie argumentativ zu begründen. Wesentliche Gründe seines Atheismus nimmt er aus dem unlösbaren Theodizee-Problem. Hoersters Auffassung ist mit erheblichen ethischen Folgerungen verbunden: »Menschenwürde« sei kein Kriterium der Ethik, sondern »weltanschauliches Dogma«; das Lebensrecht beginne mit der Geburt eines Menschen, demzufolge dürfe es kein Verbot der Abtreibung und solle es die Straffreiheit für aktive Sterbehilfe geben.

Eine neuere Theorie, 2007 auf einem öffentlichen Kongress in Regensburg vertreten, behauptet die Existenz eines »homo areligiosus«, das heißt eines Menschen, der sich ohne jede bewusste Reflexion mit der Frage nach der Existenz oder Nichtexistenz Gottes nicht befasst und das konstitutiv auch gar nicht kann. Diese und ähnliche Phänomene bekräftigen die Skepsis gegenüber traditionellen »Gottesbeweisen« und die Bedeutung einer »negativen Theologie«, sie können aber die spirituellen Erfahrungen der Menschheit und die Breite ihres kulturellen Gedächtnisses unzähliger persönlicher Sinnfindungen in Gott nicht entkräften.  

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