Bibelwissenschaft

Die Wissenschaften, die auf die im modernen Sinn wissenschaftliche Beschäftigung mit dem AT und NT bei J. Reuchlin († 1522) und Erasmus von Rotterdam († 1536) zurückgehen und wissenschaftliche Disziplinen seit dem 17. Jh. geworden sind: Die Einleitungswissenschaft, die Exegese des AT und NT sowie die Biblische Theologie.

Die Einleitungswissenschaft

untersucht die Geschichte des biblischen Kanons u. fragt nach der Entstehung des Bibeltextes der verschiedenen Schriften (Zeitgeschichte mit der biblischen Umwelt, Orte der Entstehung, Verfasser und Adressaten, Anlaß und Gliederung, literarische Eigenart) und nach dessen Überlieferungsgeschichte. Es handelt sich um eine streng historische, kritische Wissenschaft mit Querverbindungen zu zahlreichen anderen Wissenschaften (Archäologie, Religionsgeschichte, Geschichte, Literaturgeschichte) und mit internationaler ökumenischer Kooperation.

Die Exegese (griechisch = Erklärung, Deutung)

bezeichnet die methodisch orientierte Auslegung (Interpretation), die mit der Hermeneutik als der methodischen Verstehenslehre verbunden ist. Die Exegese ist hinsichtlich der Einzeltexte eine streng historisch und literaturwissenschaftlich arbeitende Disziplin, muß aber zugleich der theologischen Eigenart der Texte als Heiliger Schrift des Christentums und zum Teil auch des Judentums gerecht werden. Interpretatorische Bemühungen um ältere Texte finden sich schon in jüngeren Texten der Bibel.

Anfänge einer Exegese unter Übernahme des zeitgenössischen Umgangs mit Texten im Judentum und Hellenismus finden sich bei Origenes († 253), der drei Schriftsinne unterschied. Erhebliche Differenzen in der Schriftauslegung sind in der Alexandrinischen u. in der Antiochenischen Theologenschule festzustellen. Im kirchlichen Westen diente in den innerkirchlichen Auseinandersetzungen (v. a. mit der Gnosis) die apostolische Tradition als Norm (Regula fidei, Glaubensregel), nach der die Schrift ausgelegt werden müsse.

Im Mittelalter fand insofern eine methodische Erweiterung der Exegese statt, als in den »Katenen« und »Glossen« frühere unterschiedliche Auslegungen in einer Zusammenschau geboten werden; in ihnen ist der Anfang der Bibelkommentare zu sehen. Die mittelalterliche Exegese ging von vier Schriftsinnen aus. Bemerkenswert ist ihr Interesse, die Bedeutung der Bibelaussagen für das konkrete Christenleben zu erheben. M. Luther († 1546) bevorzugte den buchstäblichen Sinn des Bibeltextes und ließ die Glaubensinhalte, insbesondere die Rechtfertigungsthematik, nicht aber das Lehramt als Autorität bei der Auslegung zu (Sola Scriptura). Vom Konzil von Trient an ergaben sich deshalb konfessionelle Kontroversen: Bedeutung von Tradition und Lehramt für die Auslegung auf katholischer, Bestehen auf der Identität von Schrift und Offenbarung und auf unmittelbarer Verständlichkeit auf evangelischer Seite.

Die moderne Bibelexegese begann mit der Einführung der historisch-kritischen Forschung im 17. Jh. Die hauptsächlichen, heute vertretenen exegetischen Methoden sind:

a) Die Textkritik mit den Versuchen der Rekonstruktion des Urtextes;

b) die Literarkritik als Erforschung der literarischen Quellen, der Eigenart u. der Struktur der Texte;

c) die formgeschichtliche Methode: Untersuchung der Gattung eines Textes unter Beachtung des sozio-kulturellen Kontextes und Suche nach dem »Sitz im Leben« dieser Gattung; Erforschung der Überlieferungsgeschichte; Erhellung der Traditionsgeschichte, die sich nicht der Gattung, sondern einzelnen Begriffen zuwendet;

d) die Redaktionsgeschichte, die sich mit der Geschichte eines Textes von seiner ersten greifbaren Fassung bis zu seiner Endgestalt befaßt;

e) die sprachliche u. begriffsgeschichtliche Forschung unter Einbeziehung moderner Methoden der Sprachwissenschaften (Linguistik);

f) die religionsgeschichtlichen Vergleiche tragen durch Beachtung entsprechender Texte aus der Umwelt erheblich zum Verständnis biblischer Texte bei (im 20. Jh.: Mysterientheologie, Gnosis, Qumran).

Von katholischer Seite wurden der evangelischen Exegese im 18. u. 19. Jh. Liberalismus u. Rationalismus sowie z.T. religionsgeschichtliche und philosophische Aprioris (Vor-urteile) vorgeworfen. Seit der Bibelenzyklika Pius’ XII. (1943) wird jedoch eine sachgerechte historisch-kritische Exegese von der kath. Leitungsautorität gefördert. Sie wurde durch das II. Vaticanum weiter ermutigt (DV 12, 23; OT 16). Evangelisch-katholische wissenschaftliche Bibelkommentare sind damit möglich geworden.

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