Gerechtigkeit

Das AT beschreibt gerechtes Verhalten und Gerechtigkeit (hebr. »sedaqa «) in verschiedenen Zusammenhängen: als Gleichheit vor Gericht, als Kennzeichen der Königsherrschaft (»Tun von Recht«), als über die bloße Pflicht hinausgehende Solidarität mit Mitmenschen und als lebensfreundliches Verhalten auch in der Schöpfung (Ez; Jes 40–66; Spr und verschiedene Psalmen). Im NT ragt die Betonung der Gerechtigkeit in der Bergpredigt und in anderen Jesusworten des Mt hervor, wobei die Benachteiligung der durch Ungerechtigkeiten unterdrückten »Kleinen« im Hintergrund steht, also soziale, mitmenschliche Gerechtigkeit gemeint ist, die für das Gottesverhältnis bestimmend ist. Bei Paulus steht die »Glaubensgerechtigkeit« im Kontrast zur Gerechtigkeit aus dem Gesetz; sie steht im Zentrum seiner Lehre über die Rechtfertigung des Sünders. In den weiteren Schriften des NT gelten Ermahnungen dem mitmenschlichen »Tun« der Gerechtigkeit.

In der abendländischen Tradition heißt Gerechtigkeit jene Tugend, die »jedem das Seine« (Ulpian †228 n.Chr.) zukommen läßt. Aufgrund von Unterscheidungen bei Aristoteles († 322 v.Chr.) teilte Thomas von Aquin († 1274) die Gerechtigkeit in drei an den Verhältnissen des Gemeinschaftslebens abgelesene Arten ein: a) die ausgleichende Gerechtigkeit (»iustitia commutativa«) im Verhältnis einzelner Menschen untereinander; b) die zuteilende Gerechtigkeit (»iustitia distributiva«) im Verhältnis der Gemeinschaft der Familie, des Staates und der Kirche zu den einzelnen Mitgliedern, so daß ihnen Teil am Gemeinwohl gegeben wird; c) die naturrechtlich, nicht positiv rechtlich verstandene gesetzliche Gerechtigkeit (»iustitia legalis «) im Verhältnis des einzelnen Menschen zur Gemeinschaft, so daß dieser sich seinerseits dem Gemeinwohl unterordnet. Die ethische Diskussion geht, vor allem hinsichtlich der »sozialen Gerechtigkeit«, bis zur Gegenwart weiter und bezieht auch das Verhalten zur nichtmenschlichen Schöpfung ein (»ökologische Gerechtigkeit«). Der Tradition nach ist die Gerechtigkeit die höchste der Kardinaltugenden. Für glaubende Menschen ist sie jedoch von der Liebe nicht abtrennbar, da vom Glaubenden mehr verlangt ist als eine Unparteilichkeit, die jedem das gleiche Recht zuerkennt (Gleichheit), und mehr als die Respektierung unabdingbarer Sachrechte (Röm 13, 8). Ein christlich glaubender Mensch kann nicht akzeptieren, daß der ökonomische Bereich nur von den ihm eigenen Gesetzen beherrscht wird, wie der Kapitalismus behauptet, der die Geltung moralischer Kategorien im Bereich »unpersönlicher Evolutionsprozesse« (= Marktsysteme) bestreitet.

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