1. Geschichtlich
Mit dem Judentum in der »Zerstreuung« teilte das Christentum die Situation, mit anders gearteter Religiosität konfrontiert zu sein. Ohne Zweifel verstand sich das frühe Christentum nach seiner leidvollen Ablösung von Israel als der einzige von Gott eröffnete »Heilsweg«. In der Minderheitensituation führte das Bewußtsein der Kirche, die einzige »rettende Planke« in einem umfassenden »Schiffbruch« zu sein, zu einer Mentalität der Überlegenheit über andere Religionen und Weltanschauungen (Absolutheitsanspruch), die sich nach der Erlangung gesellschaftlicher Macht in Verfolgungen und Diskriminierung Andersdenkender äußerte. Wo Theologen der alten Kirche hochachtungsvoll von »Heiden« sprachen, waren nichtchristliche Philosophen und Dichter, nicht Kultgemeinschaften gemeint. Die Abwertung nichtchristlicher Religiosität prägte die Form der Auseinandersetzungen in der Zeit der Völkerwanderung, die Juden- und Ketzerverfolgungen, die Kreuzzüge, die »Missionen« und die Behandlung »Einheimischer« im Zeitalter der Entdeckungen. Die Frage nach authentischen religiösen Werten bei Nichtchristen und damit die nach der Möglichkeit respektvollen Zusammenlebens in Toleranz stellten sich ernsthaft erst dort, wo sich die europäische Aufklärung durchgesetzt hatte (Menschenrechte). Theologisch galten die Nichtchristlichen Religionen als Religions- und im katholischen wie im evangelischen Bereich weiterhin als »falsche« Religionen, die als solche keinesfalls Heilswege für ihre Anhänger darstellten. Hinsichtlich der Heilsmöglichkeiten konzentrierte sich die Theologie auf die Einzelschicksale. Trotz des Tiefpunkts in der theologischen Abwertung nichtchristlicher Religiosität durch das Konzil von Florenz 1442 hielt die systematische Theologie unter verschiedenen Stichworten an individuellen Heilsmöglichkeiten für Nichtchristen fest: Begierdetaufe, Votum, impliziter Glaube (im 20. Jh. Anonymes Christsein).
2. Theologisch
Eine Revision der kirchlichen Einstellung gegenüber nichtchristlicher Religiosität war erst möglich, nachdem sich die Erkenntnis durchgesetzt hatte, daß Gottes Gnade nicht nur innerhalb der institutionellen Kirchen wirksam ist. So setzte zögernd die Erwägung einer möglichen »Legitimität« der nichtchristlichen Religionen ein: »Da der leiblich-soziale Mensch konkret Religion immer nur haben kann in konkret, institutionell und sozial verfaßter Religion, so braucht den vorchristlichen, außeralttestamentlichen institutionellen Religionen nicht von vornherein und allgemein der Charakter eines in mancher Hinsicht positiven Heilsmittels aberkannt werden. Andernfalls könnte von einem ernsthaften und allgemeinen Heilswillen Gottes der außerchristlichen Menschheit gegenüber nicht gesprochen werden« (Rahner-Vorgrimler 1961, 262). Von einem »langsamen geschichtlichen Begegnungsprozeß« des Christentums mit den nichtchristlichen Religionen wurde gesagt, daß er die Anhänger anderer Religionen zu der gewissensmäßigen Überzeugung führen könne, die Erwartungen ihrer Religionen seien im Christentum »erfüllt«: »Wann für die einzelnen Kulturräume und Religionen der genaue konkrete Zeit- Moment dieser grundsätzlichen ›Aufhebung‹ ihrer bisherigen möglicherweise vorhandenen Legitimität durch das Christentum gekommen war (oder vielleicht eben erst am Kommen ist oder kommen wird), ist im einzelnen schwer festzulegen. Angesichts der immer zu erwartenden Schuld der Menschen (und der Kirche) ist nicht nur zu erwarten, daß dieser Anspruch der Aufhebung teilweise einem Nein begegnet bis zum Ende der Zeiten, nicht nur durch ein starres Nein von seiten der anderen noch lebendigen Religionen, nicht nur durch einen globalen und institutionalisierten Atheismus, sondern auch dadurch, daß sich diese Religionen, ohne sich in das kirchliche Christentum aufzuheben, Wahrheits- und Wirklichkeitsmomente zu assimilieren suchen (wie ja auch das Christentum selbst durch Akkomodation und Mission in seiner konkreten Gestalt sich diesen Religionen in ihren Positionen nähern kann und wird). Was sich innergeschichtlich aus dieser gegenseitigen Näherung, ohne dabei zur Einheit kommen zu wollen, an Folgen ergibt, ist noch nicht abzusehen« (Rahner- Vorgrimler 1961, 263). Grundsätzlich ist diese Perspektive möglicher gegenseitiger Näherung bisher theologisch nicht überholt worden. Das II. Vaticanum äußerte sich hochachtungsvoll zu den nichtchristlichen Religionen (NA; LG 16). Das Bestehen vieler Religionen wird, ausgehend von den fundamentalen Fragen der Menschheit, mit den vielfältigen Erwartungen einer Antwort erklärt. Allen Religionen liegt nach der Auffassung des Konzils die Wahrnehmung des verborgenen Gottes zugrunde. Bekundungen eigener Wertschätzung erfolgen an die Adressen von Hinduismus, Buddhismus, Islam und – herausgehoben vor allen anderen – Judentum. Alle Religionen enthielten Wahres und Heiliges. Gespräch und Zusammenarbeit von Christen und Nichtchristen seien dringend geboten. Die Heilsmöglichkeit für jeden einzelnen Menschen wird jedoch nur vom umfassenden Heilswillen Gottes und nicht unter Einbeziehung der Legitimität nichtchristlicher Religionen ausgesagt (LG 14–16; AG 7; GS 22). In den 80er Jahren des 20. Jh. entstand eine lebhafte Diskussion über die »Pluralistische Religionstheorie«, die auf evangelischer und katholischer Seite vorgetragen wurde. Diese Theorie wandte sich gegen den »Inklusivismus«, der die Werte anderer Religionen in dem Umfang anerkenne, als sie sich christlich verstehen oder eine Konvergenz zum Christentum hin erkennen ließen. Eine solche »Vereinnahmung« anderer Religionen respektiere diese in ihrer Eigenwirklichkeit nicht. Statt dessen seien die unterschiedlichen Religionen in jeweils ihrer Geschichte und innerhalb ihres eigenen Kulturkreises gleichwertige, legitime, eigenständige Antworten auf jeweils eigene Wahrnehmungen der Transzendenz oder jeweils eigener ausdrücklicher Offenbarungen Gottes. Insofern müsse man von einer Vielfalt von nicht nur individuellen, sondern auch institutionellen Heilswegen sprechen, die Gott eröffnete.