Pluralismus (lateinisch = Vielfalt bestehender Auffassungen) bezeichnet, vom einzelnen Menschen und seiner Lebenswelt ausgesagt, die Tatsache, daß »der Mensch« selber, sein Daseinsverständnis und seine Lebenswelt aus so verschiedenartigen Wirklichkeiten gebildet sind, daß die menschliche Erfahrung aus unterschiedlichen, nicht einheitlich zusammenspielenden Quellen herkommt und daß »der Mensch« diese Vielfalt weder theoretisch noch praktisch auf einen einzigen Nenner bringen kann (zu einem »System« zusammenfügen kann), von dem aus er diese Vielfalt ableiten, verstehen und beherrschen könnte. Die Überzeugung von einer allen Wirklichkeiten zugrundeliegenden Einheit in Gott und der Bestimmung aller Dinge auf Gott hin ändert an diesem unaufhebbaren und kreatürlich unvermeidbaren Pluralismus nichts. So spricht man heute von einem Pluralismus der Weltanschauungen, einem wissenschaftlich-methodologischen, ethischen, kulturellen, politischen Pluralismus. Da dieser Pluralismus in der ganzen menschlichen Lebenswelt gegeben ist, prägt er auch den gesellschaftlichen Bereich.
Aus dem Pluralismus geht die ethische Grundforderung der Toleranz hervor, und aus ihm ergibt sich auch, daß es keine einzige endliche Instanz geben kann und darf, die alle gesellschaftlichen und individuellen Vorgänge steuert. Auch die Kirche kann prinzipiell nicht als eine solche oberste, über alles verfügende Instanz betrachtet werden. Gott hat in seiner alle pluralen Wirklichkeiten umgreifenden und einenden Macht und in seiner Verfügung über das Ganze keinen Stellvertreter, weder den Staat noch die Kirche. Es gibt (auch nach dem Ende des Sozialismus) im gesellschaftlichen und ökonomischen Bereich das Postulat eines Pluralismus, mit dem keineswegs die individuellen Rechte der Person (Menschenrechte) geschützt werden sollen, sondern der bestimmte Interessengruppen vor Veränderungen zugunsten der Allgemeinheit schützen soll. In der kath. Kirche wurde ein solcher gruppenegoistischer Pluralismus abgelehnt und eine legitime Sozialisation gefordert (II. Vaticanum GS 6, 25, 42, 75 u. ö.).
Der heutige Pluralismus der Theologien ist nicht einfach mit dem früheren Nebeneinander verschiedener theologischen Schulen identisch. Selbstverständnis (Kontextuelle Theologie), Denkmodelle, Methoden, Zielsetzungen usw. existieren so unterschiedlich und unvereinbar nebeneinander, daß ein gemeinsamer Verständnishorizont, der wenigstens stillschweigend anerkannt wäre und innerhalb dessen eine sinnvolle Diskussion möglich wäre, faktisch oft nicht mehr besteht. Daß die kirchliche Leitungsinstanz in dieser pluralen Situation wenigstens die Einheit des Bekenntnisses fordert, ist verständlich und legitim. Aber die Realisierung dieser Forderung wird dadurch erschwert, daß das Lehramt selber das Bekenntnis formuliert und sich dabei für eine bestimmte theologischen Sprache aufgrund einer bestimmten Theologie (die eine von vielen sind) entschieden hat. In dieser Situation muß die kirchliche Leitungsinstanz in erheblich größerem Umfang als früher den theologisch Tätigen die Verantwortung dafür überlassen, daß sie sich selber ehrlich in Übereinstimmung mit dem kirchlichen Bekenntnis befinden.