Warum gibt es Naturkatastrophen und so viel anderes Leid, wenn Gott doch allmächtig und gut ist? Warum lässt Gott das moralisch Böse, das von Menschen verursacht wird, geschehen? Hat Gott als Schöpfer der Welt überhaupt Leid, Unheil und vermeintliche Ungerechtigkeit geschaffen? Diese Fragen fasst man in Theologie und Philosophie unter den Begriff der „Theodizee“.
Die Theodizeefrage: Eine Frage mit Sprengkraft
Bereits seit der Antike beschäftigt Denker die Frage, wie sich ein guter, gerechter und allmächtiger Gott mit dem erfahrenen Leid und der offensichtlichen Erfahrung des Bösen in der Welt vereinbaren lässt. Berühmte Theologen und Philosophen wie Augustinus, Thomas von Aquin, Leibniz, Kant, Hegel und moderne Denker wie Hans Jonas und Richard Swinburne haben sich dem Problem gewidmet.
Die Sprengkraft dieser Frage ist nicht zu unterschätzen, da nicht wenige als Lösung die Existenz eines allmächtigen und gütigen Gottes bestreiten und damit den Lehren des Christentums und der großen monotheistischen Religionen widersprechen. Vor dem Hintergrund von totalitärem Terror und Holocaust im 20. Jahrhundert wurden Antworten auf das Theodizee-Problem dringlicher denn je erwartet.
Theodizee-Lösungsansätze
Die Antwortversuche auf die Theodizee-Frage sind vielfältig und variantenreich. Die wichtigsten Lösungsansätze, die sowohl einen Gott als auch die wirkliche Erfahrung des Bösen gelten lassen, gliedern sich in fünf Strategien:
- Die erste und philosophisch unbefriedigendste Antwort ist der Verzicht auf eine vernünftige Erklärung zugunsten des Glaubens. Gott und seine Schöpfungsabsicht bleiben ein metaphysisches Mysterium, mit dem sich der Mensch zwar rational auseinandersetzen kann, dem aber letztlich nur – wie bei Hiob – durch Vertrauen auf Gottes Beistand und Größe begegnet werden kann.
- Die zweite Lösung sieht das Leid als Instrument eines göttlichen Willens, um den Menschen sittlich zu vervollkommnen. Damit wird das Böse depotenziert und – wie bei Hegel – als notwendiges Durchgangsstadium eines teleologischen Prozesses gedeutet.
- Die wirkmächtigste Antwort ist die „privatio-boni-Lehre“. Das Böse wird zwar real erfahren, existiert aber nicht selbständig, sondern lediglich als Mangel an Gutem. Daher kommt Gott als höchstem Guten keine Verantwortung für das Leid zu, das sich aus der jeweiligen Ferne von Gott ergibt.
- Die vierte Lösungsstrategie stellt das vermeintliche Übel in einen größeren Zusammenhang, der es letztendlich als Gutes in einer „besten aller möglichen Welten“ (Leibniz) erscheinen lässt. So realisiert die Schöpfung aus allwissender göttlicher Sicht einen für den Menschen nicht unmittelbar einsichtigen Plan, in dem das Böse letztendlich nützlich und sinnvoll ist.
- Die fünfte Antwort schließlich hinterfragt die göttlichen Prädikate „Allmacht“, „Allwissenheit“ und „Allgüte“. Am populärsten ist die These, dass die menschliche Freiheit Gottes Allmacht insofern einschränkt, als dass der Mensch Böses tun kann.
Die Herder Korrespondenz widmet sich regelmäßig im Zusammenhang mit aktuellen Entwicklungen Fragen der Theodizee, etwa im Kontext des Atheismus und der Frage nach Glaubenszweifeln. Auch das Thema Auschwitz wird in diesem Kontext behandelt.