Herr Kardinal, die Glaubenskongregation hat in einem Schreiben an den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz einer gegenseitigen Abendmahls-Einladung von Katholiken und Protestanten eine Absage erteilt. Wie bewerten Sie die Entscheidung?
Kardinal Kurt Koch: Das Schreiben der Glaubenskongregation ist eine sehr ernste sachliche Auseinandersetzung mit dem Text „Gemeinsam am Tisch des Herrn“ des Ökumenischen Arbeitskreises evangelischer und katholischer Theologen (ÖAK) in Deutschland, in dem die von Ihnen genannten Konsequenzen gezogen werden. Die Glaubenskongregation macht auf Fragen aufmerksam, die das ÖAK-Dokument für gelöst hält, die aber noch nicht gelöst sind, sondern weiter besprochen und vertieft werden müssen: die Frage nach dem genauen Verständnis von Eucharistie und Abendmahl, das Verhältnis von Eucharistie und Kirche, die Frage nach dem Weiheamt und die Frage nach der Beziehung zwischen Taufe und Eucharistie usw. Der ÖAK vertritt die These, dass es sich dabei um keine kirchentrennenden Differenzen mehr handelt, und es wird davon ausgegangen, dass das evangelische Abendmahl und die katholische Eucharistie im Grunde zwei verschiedene Formen des einen Geschehens sind. Dagegen hat die Glaubenskongregation nun deutlich darauf hingewiesen, dass gravierende Differenzen bestehen und dass deshalb die im ÖAK-Dokument gezogenen Konsequenzen in der heutigen ökumenischen Situation nicht zu verantworten sind.
Waren Sie als vatikanischer Ökumene-Fachmann in die Prüfung der Glaubenskongregation eingebunden?
Kardinal Koch: Ja, es hat entsprechende Gespräche mit der Glaubenskongregation gegeben. Ich habe aber auch mit einzelnen Bischöfen in Deutschland über die Probleme des ÖAK-Dokumentes gesprochen. Bereits vor einem Jahr, kurz nach der Veröffentlichung des ÖAK-Dokumentes, konnte ich in einem persönlichen Gespräch Bischof Georg Bätzing meine Bedenken vortragen und darlegen, dass ich wesentliche Punkte und vor allem die Konsequenzen des Dokumentes nicht mittragen kann.
Was hat er geantwortet?
Kardinal Koch: Es scheint ihn nicht überzeugt zu haben.
Hat Papst Franziskus das Schreiben der Glaubenskongregation persönlich approbiert?
Kardinal Koch: Im Text ist davon nichts erwähnt. Doch der Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal Ladaria, ist ein sehr ehrlicher und loyaler Mensch. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er etwas täte, was Papst Franziskus nicht gutheißen würde. Ich habe aber auch von anderer Seite gehört, dass der Papst in persönlichen Gesprächen seine Sorge geäußert habe.
Speziell zur Frage nach der Eucharistiegemeinschaft?
Kardinal Koch: Nicht nur, sondern über die Situation der Kirche in Deutschland überhaupt. Ich erinnere auch daran, dass Papst Franziskus bereits im vergangenen Jahr einen langen Brief an das pilgernde Volk Gottes in Deutschland geschrieben hat.
Welche Konsequenzen hat so ein Papier der Glaubenskongregation? Es werden darin ja offenbar keine Sanktionen angedroht. Man könnte es doch einfach abheften, als Debattenbeitrag aus Rom, und damit hat es sich.
Kardinal Koch: Wenn die Deutschen Bischöfe ein solches Schreiben der Glaubenskongregation weniger hoch bewerten würden als ein Dokument einer Ökumenischen Arbeitsgruppe, dann würde in der Hierarchie der Kriterien bei den Bischöfen etwas nicht mehr stimmen. Nach dieser Wortmeldung aus Rom können die Bischöfe nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Das Schreiben aus Rom hat eindeutig signalisiert, dass im Dokument des ÖAK Fragen berührt sind, die nicht einfach die Kirche in einem Land für sich entscheiden kann. Es ist für mich ohnehin schwer verständlich, wie man Wege der Eucharistiegemeinschaft zwischen Katholiken und Protestanten gehen will, ohne die Orthodoxen und Orientalen mit in das Gespräch einzubeziehen. Auch Deutschland ist heute nicht mehr einfach ein bikonfessionelles Land. Die Präsenz der Orthodoxen und Orientalen hat zugenommen. Sie gleichsam bei einer derart entscheidenden Frage außen vor zu lassen, kann ich schwer nachvollziehen.
Ließen sich die römischen Bedenken zum Papier „Gemeinsam am Tisch des Herrn“ ausräumen, wenn der Text an einigen Stellen überarbeitet würde? Wie grundsätzlich ist der Einwand aus Rom?
Kardinal Koch: Die Glaubenskongregation betont grundsätzlich, dass die Lehrunterschiede noch immer so gewichtig sind, dass sie eine wechselseitige Teilnahme an der Eucharistie oder am Abendmahl „derzeit ausschließen“, und dass das Dokument des ÖAK auch nicht als diesbezüglicher Leitfaden für die individuelle Gewissensentscheidung dienen kann. Von daher bedarf es ein Überdenken der grundsätzlichen Fragen und nicht einfach des Hinzufügens von einzelnen Anmerkungen.
Nächstes Jahr im Mai findet in Frankfurt der Ökumenische Kirchentag statt. Bischof Bätzing hat angekündigt, bei dieser Gelegenheit sollten auch die Empfehlungen von „Gemeinsam am Tisch des Herrn“ zur Geltung kommen, sprich: Es werde gegenseitige Einladungen zu Abendmahl und Eucharistie geben. Geht das noch?
Kardinal Koch: Der Ökumenische Arbeitskreis hat bereits bisher viele und auch sehr gute Dokumente publiziert wie zu „Lehrverurteilungen – kirchentrennend?“, zum kirchlichen Amt in apostolischer Sukzession, zum Opfergedanken in der Eucharistie usw., ohne dass die Glaubenskongregation einen Anlass zur Intervention gesehen hätte. Beim jetzigen Dokument verhält es sich anders, weil ihm vor allem vom jetzigen Präsidenten der Deutschen Bischofskonferenz ein sehr hoher Stellenwert gegeben worden ist: Bereits bei der Veröffentlichung hat er sich Inhalt und Stoßrichtung dieses Dokuments angeeignet. Unlängst hat er erklärt, dass eine solche Mahlgemeinschaft am Ökumenischen Kirchentag im kommenden Jahr praktiziert werde. Auf diesem Hintergrund hat sich die Glaubenskongregation verpflichtet gewusst, noch vor der Herbstvollversammlung der Deutschen Bischöfe ihre Sicht mitzuteilen, dass eine solche allgemeine gegenseitige Einladung nicht zu verantworten ist.
Ist es kirchenpolitisch vorstellbar, dass ein deutscher Bischof in Frankfurt trotzdem eine gegenseitige Einladung zu Abendmahl und Eucharistie unterstützt?
Kardinal Koch: Ich hoffe, dass es nicht nur aus kirchenpolitischen Gründen nicht vorstellbar ist, sondern auch deshalb, weil die Bischöfe die vorgebrachten theologischen Bedenken ernsthaft erwägen und zur Überzeugung kommen, dass ein solcher Schritt in der heutigen ökumenischen Situation nicht möglich ist.