Die Karwoche hat etwas Düsteres an sich, etwas Bedrückendes. Der Verrat durch Judas, die Todesangst am Ölberg, Gefangennahme und Verhör, Verurteilung und Kreuzigung. Alles läuft auf den Tod am Kreuz hinaus. Und wir lassen uns hineinnehmen in dieses Geschehen: Wir halten aus mit ihm im Garten Gethsemane, wir gehen mit ihm den Kreuzweg, wir stehen unter dem Kreuz, während er sein Leben aushaucht. Den Tod des Jesus von Nazaret erleben wir mit und wir ahnen unseren eigenen Tod. Am Karsamstag ertragen wir die Grabesstille. Eine düstere
Zeit.
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Das Gegenstück dazu erleben wir in der Osternacht: der Funke aus Stein geschlagen, das Osterfeuer draußen vor der Kirche, die Entzündung der Osterkerze dort. Die leuchtende Osterkerze steht für den auferstandenen Christus; und wir versammeln uns um die strahlende Kerze und singen »Lumen Christi«. Er ist das Licht in der Finsternis; er überstrahlt das Düstere der Karwoche; er erleuchtet jeden von uns im Innern.
Die Lichtsymbolik begegnet uns an markanten Stellen des Neuen Testamentes. So sagt Jesus uns etwa im Johannesevangelium: »Ich bin das Licht der Welt, wer mir nachfolgt, wird nicht im Finstern wandeln, sondern wird das Licht des Lebens haben.« (Joh 8,12) Eben dieses Licht tragen wir mit uns in den Lichtern, die wir an der Osterkerze entzündet haben und die wir an die andern weiterreichen.
Aber wir tragen dieses Licht nicht nur in der Hand; es ergreift uns als ganze Menschen: Wir sollen selbst Licht sein. Unser österliches Lebensgefühl drückt sich darin aus. Wir lassen die düstere Jahreszeit hinter uns, das Bedrückende der Karwoche und die dunkle Seite unseres eigenen Lebens. Wir selbst sind Licht und dürfen Licht sein für andere.
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Da wird sein Aufruf in der Bergpredigt erlebbar: »Ihr seid das Licht der Welt! … So soll euer Licht vor den Menschen leuchten!« (Mt 5,15f.) Wer das einmal erfasst hat, kann sich dem kaum mehr entziehen. Das Ereignis seiner Auferstehung, das Erlebnis, durch ihn erlöst zu sein, die Beglückung durch den Jubel der Osternacht macht uns zu Sendboten für alle Menschen. Wir haben die Chance,
die Freude der Osternacht an andere weiterzugeben. Zusammen mit den Christen aller Jahrhunderte und zusammen mit den Christen auf dem ganzen Globus singen wir jubelnd »Halleluja!« und wünschen uns gegenseitig »Gesegnete Ostern!«– Wir selbst sind das Licht der Welt.
Peter Müller-Goldkuhle