Die Häuschen standen verpackt in einem Karton auf dem Dachboden. Sie mochte sie nicht aufstellen. Auch in diesem Jahr nicht. Das war sein Ritual gewesen. Sein jährliches Adventsgeschenk an sie. Einen neuen Kalender wollte sie nicht. Es gab keinen Ersatz für ihn.
Am Morgen des 1.Dezember, als sie vor dem Büro ihres Vorgesetzten stand, zögerte sie. Es gab keinen Ersatz für den alten Adventskalender. Aber vielleicht eine Alternative?
Erstes Türchen, dachte sie und drückte die Klinke herunter, als wäre es zum ersten Mal – ein bisschen zu schwungvoll vielleicht. Ihr Blick glitt über die Laptops, hinter denen ihr Chef saß, und blieb an der Stiftebox hängen, an der … ein kleines schwarzes Stoffschaf schuldbewusst baumelte. Zum ersten Mal nahm sie wahr, dass der Chef etwas verloren wirkte hinter dem großen beeindruckenden Schreibtisch. »Guten Morgen, Dr. Wolf«, sagte sie und deutete fragend auf das schwarze Schäfchen. »Ein Gemeinschaftsgeschenk meiner Frau und meiner Tochter«, brummte der untersetzte Mann und lächelte vielsagend. Sie lächelte auch.
An den folgenden Tagen öffnete sie sich für Überraschendes, Unerwartetes:
Das Gespräch mit der Nachbarin, das Gesicht in der Straßenbahn, die »Wandschmiererei«.
Sie hatte sich einen neuen Adventskalender geschenkt. 23 Türen, die sie für den Advent … öffnete.
Ute Elisabeth Mordhorst